Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 15.09.1987) |
SG Berlin (Urteil vom 17.09.1986) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 15. September 1987 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 1986 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch im Berufungsund Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg).
Die Klägerin war seit 1972 als Redaktionssekretärin beschäftigt, zuletzt nach Maßgabe des Manteltarifvertrags für kaufmännische und technische Angestellte in der Druckindustrie, gültig ab 1. Januar 1984 (MTV). Sie erhielt ein Monatsgehalt von zuletzt 2.504,– DM und Zuschläge für Arbeiten an „sonst arbeitsfreien Werktagen” (§ 7 Nr 5 Buchst b MTV) und für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeiten (§ 8 MTV), wobei solche Zeiten zwecks Einhaltung der tariflichen Normalarbeitszeit durch Freizeit gemäß § 7 Nr 1 MTV ausgeglichen wurden. Am 1. Oktober 1985 meldete sie sich arbeitslos und beantragte Alg. Im letzten bei der Arbeitslosmeldung abgerechneten Monat, dem August 1985, hatte die Klägerin Urlaub. Die Urlaubsbezahlung errechnet sich nach § 11 MTV nach dem Durchschnittsverdienst der sechs vollen Gehaltsabrechnungsmonate, die dem Urlaubsbeginn vorausgehen. Die Klägerin hat für August 1985 das Grundgehalt von 2.504,– DM und einen Zuschlagsbetrag von 379,61 DM erhalten, der mit 123,79 DM auf die durchschnittlich geleistete Sonnabendarbeit und mit dem Restbetrag von 255,82 DM auf durchschnittlich geleistete Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit entfiel. Die Zuschläge für Sonnabendarbeit wurden als steuerpflichtig und beitragspflichtig behandelt. Die Zuschläge für tatsächlich geleistete Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit blieben steuer- und beitragsfrei, während die als Urlaubsentgelt gezahlten Durchschnittszuschläge insgesamt als steuer- und beitragspflichtig behandelt wurden.
Die Beklagte bewilligte Alg für die Zeit vom 1. Oktober 1985 bis zum 15. Dezember 1985 auf der Grundlage eines wöchentlichen Arbeitsentgelts von 580,– DM, berichtigt auf 605,– DM (Bescheid vom 7. Oktober 1985, Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 1986, Änderungsbescheid vom 24. Januar 1986). Für die Zeit ab 15. Januar 1986 wurde das Alg in bisheriger Höhe erneut bewilligt (Bescheid vom 3. Februar 1986).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, Alg „ab 1. Oktober 1985 bzw 15. Januar 1986 nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 665,– DM” zu gewähren (Urteil vom 17. September 1986). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die in der Urteilsformel zugelassene Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. September 1987). Zur Begründung wird ausgeführt, für die Höhe des Alg sei das Arbeitsentgelt nur maßgebend, soweit es der Beitragspflicht unterlegen habe. Daher könnten die steuer- und beitragsfreien Zuschläge für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit nicht berücksichtigt werden. Soweit ein im Bemessungszeitraum erzieltes Urlaubsentgelt aufgrund derartiger Zuschläge errechnet sei, könne es ebenfalls nicht angerechnet werden.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 112 Arbeitsförderungsgesetz (AFG).
Die Klägerin beantragt,
das Berufungsurteil abzuändern und das Urteil des SG wiederherzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Auf die Revision der Klägerin war das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 15. Dezember 1985 und ab 15. Januar 1986 Alg auf der Grundlage eines um 60 DM von 605 DM auf 665 DM erhöhten Bemessungsentgelts zu zahlen. Denn bei der Berechnung des Alg ist der gezahlte Zuschlag auch zu berücksichtigen, soweit er in Höhe von 255,82 DM auf durchschnittlich geleistete Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit entfiel.
Das der Klägerin ab 1. Oktober 1985 gewährte Alg ist nach § 111 AFG idF des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532) ebenso wie nach der ab dem 1. Januar 1986 geltenden Neufassung durch das 7. Änderungsgesetz (7. ÄndG) vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2484) auf der Grundlage des Arbeitsentgelts des § 112 AFG zu berechnen.
Arbeitsentgelt iS des § 111 Abs 1 AFG ist nach § 112 Abs 2 AFG in der bei der Antragstellung am 1. Oktober 1985 geltenden Fassung durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) das im Bemessungszeitraum in der Arbeitsstunde durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt ohne Mehrarbeitszuschläge, vervielfacht mit der Zahl der Arbeitsstunden, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt.
Bemessungszeitraum sind nach § 112 Abs 3 AFG ebenfalls in der am 1. Oktober 1985 geltenden Fassung durch das AFKG die letzten vor dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten, insgesamt 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs. Die Neufassung durch das 7. ÄndG, nach der die Lohnabrechnungszeiträume insgesamt 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassen müssen, ist zwar zum 1. Januar 1986 in Kraft getreten, aber gleichwohl auch auf die Wiederbewilligung für die Zeit ab 15. Januar 1986 nach der Übergangsvorschrift in § 242f Abs 5 AFG idF des 7. ÄndG nicht anzuwenden. Hiernach ist § 112 Abs 3 AFG in der bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Fassung für Ansprüche, die vor dem 1. Januar 1986 entstanden sind, weiterhin anzuwenden.
Beim Ausscheiden der Klägerin war der letzte abgerechnete Lohnabrechnungszeitraum nach den Feststellungen des LSG der August 1985. Der Abrechnungszeitraum umfaßt mindestens 20 Tage „mit Anspruch auf Arbeitsentgelt”. Nach den Feststellungen des LSG hatte die Klägerin zwar im August 1985 bezahlten Urlaub. Den Feststellungen ist nicht zu entnehmen, ob die Klägerin im gesamten Lohnabrechnungszeitraum Urlaub hatte, oder ob ersterer auch Arbeitstage umfaßt. Die Klägerin hat für die Urlaubstage das Grundgehalt nebst einer durchschnittlichen Erschwerniszulage für Schichtarbeit erhalten. Zu den Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt im Sinne des § 112 Abs 3 AFG gehören auch Tage, für die der Arbeitnehmer Urlaubsentgelt erhalten hat (BSG SozR 4100 § 112 Nr 30).
Das LSG hat zwar nicht ausdrücklich festgestellt, daß die auf den Bemessungszeitraum entfallenden Bezüge der Klägerin vor ihrem Ausscheiden tatsächlich zugeflossen sind, eine solche Feststellung ist aber dem Gesamtzusammenhang mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen.
Von den für August 1985 gezahlten Bezügen hat die Beklagte bei der Berechnung des Alg als Arbeitsentgelt im Sinne des § 112 Abs 2 AFG das Grundgehalt und von der nach Durchschnittssätzen gezahlten Erschwerniszulage von 379,61 DM nur den Anteil von 123,79 DM, der auf Sonnabendarbeit entfiel, angerechnet. Zum streitigen Differenzbetrag von 255,82 DM hat das LSG die Auffassung vertreten, daß dieser auf Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit entfallende Zuschlag nicht als Arbeitsentgelt zu berücksichtigen ist, gleichgültig, ob er für tatsächlich geleistete Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit gezahlt wird oder im Wege der Lohnfortzahlung für nicht geleistete Arbeit in Höhe von Durchschnittssätzen, insbesondere für Zeiten der Krankheit und des Urlaubs.
Nach § 3b Einkommensteuergesetz (EStG) sind Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, steuerfrei. Nach § 1 der Arbeitsentgelt-Verordnung (ArEV) idF der Bekanntmachung vom 18. Dezember 1984, die aufgrund der Ermächtigung in § 17 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB 4) erlassen wurde und die gemäß § 173a AFG für die Beitragspflicht entsprechend gilt, sind zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährte Zuschüsse, soweit sie lohnsteuerfrei sind und sich aus den §§ 2 und 3 nichts Abweichendes ergibt, was bei den hier streitigen Zuschlägen der Fall ist, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen.
Es ist der Revision zwar darin zu folgen, daß das im Bereich der Sozialversicherung geltende Prinzip der Relation zwischen Beitrag und Versicherungsleistung nicht in dem strengen Sinne gilt, daß sich die Leistungsbemessung ausnahmslos an den Grundlagen für die Beitragsberechnung auszurichten hätte (vgl BSG SozR 2200 § 1241 Nr 18 S 66 mwN). Auch die Arbeitslosenversicherung wird nicht von der Äquivalenz zwischen Beitrag und Versicherungsleistung beherrscht (BSG SozR 4100 § 112 Nr 25 S 119 mwN). Dementsprechend werden in § 112 Abs 2 AFG idF des AFKG Mehrarbeitszuschläge und einmalige und wiederkehrende Zuwendungen nicht zum Bemessungsentgelt gerechnet, obgleich sie beitragspflichtig sind. Der erkennende Senat hat auch bereits entschieden, daß regelmäßig gezahlte lohnsteuerfreie Zulagen nicht zu dem (Arbeits-)Entgelt rechnen, das der Berechnung des Übergangsgeldes nach § 59 Abs 2 AFG zugrunde liegt (BSGE 60, 201 = SozR 4100 § 59 Nr 4). Er hat das damit begründet, daß dem Rehabilitations-Angleichungsgesetz (RehaAnglG) ein einheitlicher Entgeltbegriff zugrunde liege, der in der Krankenversicherung nur das beitragspflichtige Entgelt meinen könne. Das gelte infolge der Verweisungen auch für die Renten- und Unfallversicherung und sei deshalb auch auf § 59 AFG idF durch das RehaAnglG auszudehnen. Diese Rechtsprechung ist dahin fortzuführen, daß von diesem einheitlichen Entgeltbegriff im gesamten Leistungsrecht des AFG und damit auch bei Anwendung des § 112 Abs 2 AFG auszugehen ist, soweit dort nichts anderes bestimmt wird. Die genannten Bestimmungen des SGB 4 und der ArEV zum Arbeitsentgelt im Sinne des Beitragsrechts sind zwar auf das Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung nicht unmittelbar anwendbar, ihr allgemeiner Charakter erlaubt es jedoch, sie zur Auslegung des Begriffs „Arbeitsentgelt” auch im Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung entsprechend heranzuziehen, soweit dort nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist oder die Besonderheiten der jeweiligen Regelung dem entgegenstehen (BSG SozR 4100 § 68 Nr 3 und SozR 4100 § 112 Nr 30).
Die Klägerin hat die Zulage für August 1985 jedoch nicht steuerfrei, sondern nach Durchschnittssätzen berechnet steuerpflichtig erhalten. Das entspricht dem Steuerrecht. Nach § 3b EStG sind Zuschläge nur für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit steuerfrei, nicht aber Zuschläge in Form der Lohnfortzahlung für nicht geleistete Arbeit (zum Mutterschutzlohn nach § 11 Mutterschutzgesetz BFHE 142, 146). Ist der Bemessung des Alg Urlaubsentgelt zugrunde zu legen, so sind darin enthaltene Anteile für Mehrarbeitszeitzuschläge nicht zu berücksichtigen (SozR 4100 § 112 Nr 30). Zur Begründung hat der 7. Senat des BSG auf die Zielsetzung des Urlaubsentgelts hingewiesen, den Arbeitnehmer so zu stellen, als ob er seine Arbeit fortgesetzt hätte; das müsse auch für die Anwendung des § 112 AFG gelten, da anderenfalls im Bemessungszeitraum beurlaubte Arbeitnehmer gegenüber nicht beurlaubten Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund begünstigt würden. Dem stimmt der erkennende Senat im Grundsatz zu.
Die Zielsetzung des Urlaubsentgelts, den Arbeitnehmer so zu stellen, als ob er seine Arbeit fortgesetzt hätte, muß jedoch hinsichtlich der hier streitigen steuerfreien Zulagen hinter andere Überlegungen zurücktreten. Denn dieser Grundsatz findet im Steuer- und Beitragsrecht insoweit keine Anerkennung, als die Fortzahlung der Zuschläge kraft eindeutiger gesetzlicher Regelung steuer- und beitragspflichtig ist. Das hat zur Folge, daß die genannte Zielsetzung des Urlaubsentgelts insoweit auch auf der Leistungsseite nicht beachtet werden darf. Das steuer- und beitragspflichtig nach Durchschnittssätzen gezahlte Urlaubsentgelt gehört daher auch insoweit zum Bemessungsentgelt, als es auf tatsächlich nicht geleistete Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit entfällt.
Bei den nach Durchschnittssätzen gezahlten Zuschlägen handelt es sich nicht um Mehrarbeitszuschläge iS des § 112 AFG. Die Klägerin hat keine Mehrarbeit geleistet, weil sie für die Arbeit an sonst arbeitsfreien Tagen einen Freizeitausgleich erhalten hat. Die Zuschläge sind auch nicht einmalige oder wiederkehrende Zuwendungen, die seit der Neufassung des § 112 Abs 2 AFG durch das AFKG bei der Berücksichtigung des Arbeitsentgelts außer Betracht bleiben. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung erreichen, daß das Alg 68 vH des vom Arbeitnehmer regelmäßig erzielten Nettoarbeitsentgelts grundsätzlich nicht übersteigen und seiner Bemessung deshalb nur noch dasjenige laufende Arbeitsentgelt zugrunde gelegt werden sollte, mit dem der Arbeitnehmer bei jeder Lohnabrechnung rechnen kann, soweit es im Bemessungszeitraum erzielt worden ist (BSG SozR 4100 § 112 Nr 25). Um eine unregelmäßige Zuwendung im vorgenannten Sinne handelt es sich bei den strittigen Nacht-, Sonntags- und Feiertagszuschlägen nicht, wie das LSG zutreffend ausführt. Das LSG meint allerdings abschließend, wenn die Zielsetzung des Urlaubsentgelts, den Arbeitnehmer so zu stellen, als ob er seine Arbeit fortgesetzt hätte, zurücktreten müßte und die als Urlaubsentgelt fortgezahlten Zuschläge zum Bemessungsentgelt gehörten, müßten sie in entsprechender Anwendung des § 112 Abs 2 Satz 3 AFG als Zuwendung behandelt werden. Dem vermag der Senat nicht zuzustimmen. Die Fragen nach der Zugehörigkeit zum beitragspflichtigen Entgelt einerseits und nach der Maßgeblichkeit für den Lebensstandard andererseits stehen in keinem inneren Zusammenhang. Die ausnahmsweise in der Form des Urlaubsentgelts erfolgende Zahlung der Zuschläge macht diese so wenig wie andere Bestandteile des Urlaubsentgelts zu einer einmaligen oder wiederkehrenden Zuwendung. Der Umstand, daß der strittige Lohnbestandteil im allgemeinen steuerfrei und nur ausnahmsweise im Bemessungszeitraum steuer- und beitragspflichtig gewährt wurde, kann das ebenfalls nicht bewirken. Das wird deutlich, wenn derartige, an sich beitragsfreie Zuschläge in der Form einer steuerpflichtigen Lohnersatzleistung regelmäßig über einen längeren Zeitraum erbracht werden – etwa im Falle eines von der Arbeit freigestellten Betriebsratsmitgliedes – und kann für kurzfristige Lohnersatzleistungen nicht anders beurteilt werden. Daher war auf die Revision der Klägerin das Urteil des SG wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen