Leitsatz (amtlich)
Ein Kassenarzt (Kassenzahnarzt) ist nicht berechtigt, auf Feststellung der Nichtigkeit eines Gesamtvertrags über die Berechnung der Gesamtvergütung zu klagen.
Normenkette
RVO § 368h Fassung: 1955-08-17, § 368n Abs. 1 S. 2 Fassung: 1955-08-17, § 368f Abs. 1 S. 2 Fassung: 1955-08-17, S. 3 Fassung: 1955-08-17, S. 4 Fassung: 1955-08-17, Abs. 3 Fassung: 1955-08-17
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Oktober 1961 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Kläger gehört als Kassenzahnarzt der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) Niedersachsen an. Diese hatte am 31. Dezember 1954 mit dem damaligen Verband der Ortskrankenkassen für die Länder Niedersachsen und Bremen (dem jetzigen Landesverband der Ortskrankenkassen Niedersachsen) einen " Rahmenvertrag über die Vergütung der zahnärztlichen Leistungen" abgeschlossen. Dieser Vertrag sah in § 2 Abs. 1 Satz 1 vor, daß an die Stelle der pauschalen Vergütung für zahnärztliche Leistungen in Höhe eines Anteils an der Gesamtgrundlohnsumme vom 1. Abrechnungsvierteljahr 1955 an für diejenigen Ortskrankenkassen in Niedersachsen, welche den Rahmenvertrag übernehmen, die Einzelleistungsvergütung tritt. In diesem Falle sollte nach § 5 Abs. 1 des Vertrags mit jeder Krankenkasse eine Fallkostenbegrenzung vereinbart werden, die auf die Gesamtheit aller Fälle in einem Abrechnungsquartal bei der Krankenkasse angewendet werden sollte.
Hierauf gestützt schlossen die beklagte KZÄV und der Rechtsvorgänger des beigeladenen Landesverbands der Ortskrankenkassen mit Zustimmung der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Wilhelmshaven am 14. März 1955 einen " Einzelvertrag ", in dem die genannte AOK dem Rahmenvertrag beitrat und die Fallkostenbegrenzung sowie die Begrenzung der Zahl der abrechenbaren Röntgenaufnahmen im einzelnen geregelt wurden (vgl. §§ 2 und 4 des Einzelvertrags).
Der Kläger hielt den Rahmenvertrag und den Einzelvertrag insofern für nichtig, als in diesen Verträgen Fallkostenbegrenzungen und Begrenzungen der Zahl der abrechenbaren Röntgenaufnahmen vorgesehen bzw. vereinbart waren, und erhob eine dementsprechende Feststellungsklage.
Das Sozialgericht (SG) hat die auf Feststellung der Teilnichtigkeit des Rahmenvertrags und des Einzelvertrags gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 2. Februar 1959).
Mit der Berufung hat der Kläger beantragt,
1. das Urteil des SG zu ändern,
2. festzustellen, daß der Rahmenvertrag über die Vergütung der zahnärztlichen Leistungen vom 31. Dezember 1954 sowie der hierauf beruhende Einzelvertrag vom 14. März 1955 betreffend die AOK Wilhelmshaven insoweit rechtsunwirksam sind, als darin Fallkostenbegrenzungen für die Krankenkassen, die eine Zahnklinik unterhalten, bzw. für die AOK Wilhelmshaven vereinbart sind und die Zahl der Röntgenaufnahmen begrenzt ist.
Er hat in sachlich-rechtlicher Hinsicht geltend gemacht: Da die beigeladene AOK eine eigene Zahnklinik unterhalte, müsse sie nach § 10 Abs. 5 der Vertragsordnung für Kassenzahnärzte und Kassendentisten vom 27. August 1935 (RGBl I 1112) die kassenzahnärztliche Tätigkeit nach Einzelleistungen honorieren. Die Vertragsordnung (VO-Z) sei nach Art. 4 §§ 12, 13 des Gesetzes über Kassenarztrecht (GKAR) vom 17. August 1955 noch anzuwenden. Eine Einzelleistungsvergütung i. S. des § 368 f Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei aber nur eine solche, bei der keine Pauschalbegrenzung vorgesehen sei. Die Koppelung von Einzelleistungsvergütung und Fallkostenbegrenzung komme im Ergebnis wieder auf eine nach § 10 Abs. 5 VO-Z verbotene Pauschalierung und Schematisierung hinaus. Der Gesetzgeber wolle aber, daß der Zahnarzt genau nach seiner tatsächlichen Leistung honoriert werde.
Die Honorierung mit der vorgesehenen Fallkostenbegrenzung stelle auch kein angemessenes Entgelt dar, so daß die Zahnärzteschaft nicht in die Lage gesetzt werde, die ihr standesrechtlich und strafrechtlich auferlegte Pflicht zu ausreichender Behandlung der Versicherten zu erfüllen. Das habe die Beklagte selbst wiederholt zum Ausdruck gebracht. Auch aus diesem Grunde seien die beanstandeten Verträge, soweit eine Fallkostenbegrenzung vereinbart ist, nichtig.
Die Beigeladenen zu 2) bis 6) (Verbände der Krankenkassen) haben um Zurückweisung der Berufung gebeten. Sie haben ausgeführt, daß der Kläger weder aktiv zur Klageerhebung legitimiert sei noch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung habe. In der Sache selbst haben sie geltend gemacht, § 10 Abs. 5 VO-Z vom 27. August 1935 möge zwar noch anwendbar sein; jedoch verbiete diese Bestimmung für Krankenkassen mit eigener Zahnklinik nur die sonst vorgeschriebene Honorierung nach einem Kopfpauschale; sie schreibe aber weder unmittelbar die Vergütung nach Einzelleistungen vor noch schließe sie die Koppelung der Einzelleistungsvergütung mit anderen Vergütungssystemen aus. Die Anlage VII zum Reichsvertrag schreibe sogar ausdrücklich eine Fallkostengrenze vor. Die beanstandeten Verträge entsprächen deshalb der VO-Z und auch dem Gesetz über Kassenarztrecht. Wenn die Beklagte, die die beanstandeten Verträge selbst abgeschlossen habe, heute nicht mehr zu ihnen stehen wolle, so verstoße sie gegen ihr eigenes früheres Verhalten.
Die beklagte KZÄV hat keinen Antrag zur Sache gestellt und erklärt, sie schließe sich der Rechtsansicht des Klägers an. Die beigeladene Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung hat keine Erklärungen zur Sache abgegeben.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 25. Oktober 1961). Es hat das Urteil im wesentlichen wie folgt begründet: Der Rechtsstreit sei nicht dadurch erledigt worden, daß die beklagte KZÄV erklärt habe, sie teile den Rechtsstandpunkt des Klägers, und keine Anträge gestellt habe. Zum mindesten auf die Anträge des beigeladenen Landesverbands der Ortskrankenkassen und der beigeladenen AOK hin wäre eine Entscheidung in der Sache selbst notwendig gewesen. - Die Feststellungsklage sei nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Sie sei aber - auch mit der später erfolgten Begrenzung auf Krankenkassen, die eigene Zahnkliniken unterhielten - nicht begründet. Die im Rahmenvertrag vom 31. Dezember 1954 als Regelfall vorgesehene und im Einzelvertrag vom 14. März 1955 vereinbarte Fallkostenbegrenzung verstoße weder gegen die VO-Z noch gegen die auf dieser Grundlage getroffenen Vereinbarungen. Die in den genannten Verträgen vereinbarte Art und Weise der Berechnung der Gesamtvergütung stelle eine angemessene Vergütung i. S. des § 368 g Abs. 1 RVO dar; sie gefährde nicht die ausreichende Versorgung der Versicherten. - Auch die Begrenzung der röntgen-diagnostischen Leistungen für die Abrechnung sei Rechtens. Das Ausmaß solcher Leistungen im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung der Versicherten zu bestimmen, liege nicht im freien Ermessen des Kassenarztes, sondern habe sich nach dem Maßstab einer "ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen" Behandlung der Versicherten zu richten.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil und das vorhergegangene Urteil des SG Hannover vom 2. Februar 1959 zu ändern und wie folgt zu erkennen:
Es wird festgestellt, daß der Mantelvertrag zwischen der Beklagten und dem Landesverband der AOK'en Niedersachsen vom 31. Dezember 1954 und der darauf beruhende, die AOK Wilhelmshaven betreffende Einzelvertrag vom 14. März 1955 insoweit rechtsunwirksam sind, als in diesen Verträgen Fallkostenbegrenzungen für die Krankenkassen, die eine Zahnklinik unterhalten, bzw. für die AOK Wilhelmshaven vereinbart worden sind und die Zahl der Röntgenaufnahmen begrenzt worden ist.
Der Kläger hält daran fest, daß Rahmenvertrag und Einzelvertrag mit ihrer Fallkostenbegrenzung und der Begrenzung der abrechenbaren Röntgenaufnahmen sowohl die ausreichende Versorgung der Versicherten gefährdeten als auch gegen das gesetzliche Gebot verstießen, daß die kassenzahnärztlichen Leistungen angemessen zu vergüten seien.
Die Beigeladenen zu 2) bis 6) - die Verbände der Krankenkassen - haben beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die beklagte KZÄV und die beigeladene Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung haben in der Revisionsinstanz keine Erklärungen abgegeben.
Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil, das das klagabweisende Urteil erster Instanz bestätigt hat, ist im Ergebnis richtig.
Die Abweisung der Klage rechtfertigt sich allerdings - entgegen der Auffassung des LSG - schon wegen ihrer Unzulässigkeit, soweit die Klage den "Rahmenvertrag" betrifft. Der vom Kläger beanstandete "Rahmenvertrag" stellt eine auf der Ermächtigung der VO-Z beruhende autonome Rechtssetzung im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung der KZÄV und des beigeladenen Landesverbands der Ortskrankenkassen dar, wie dies der Senat in seiner Entscheidung vom 21. Oktober 1958 - 6 RKa 13/55 - näher dargelegt hat (SozR, VertragsO für Kassenzahnärzte, Allg. vom 27. August 1935, Bl. Aa 1; vgl. auch Bogs, Recht der Arbeit, 1956, 1, 8 und für den "Mantelvertrag" nach § 368 g Abs. 2 RVO - BSG 20, 73, 81). Die Normennatur des Rahmenvertrags folgt daraus, daß er im Rahmen der gemeinsam ausgeübten verbandlichen Autonomie Sachverhalte mit unmittelbarer Verbindlichkeit gegenüber Dritten regelt.
Demnach hat die Klage, deren erstes Ziel es ist, daß die teilweise Nichtigkeit des genannten Rahmenvertrags festgestellt wird, eine Normenkontrolle zum Gegenstand. Die Gerichte können aber grundsätzlich die Gültigkeit einer Norm nur prüfen, wenn es auf die Verbindlichkeit der Norm für einen konkreten Anspruch ankommt. Dagegen ist es den Gerichten verwehrt, eine Norm auf ihre Rechtsgültigkeit abstrakt , d. h. außerhalb eines Rechtsstreits, dessen Entscheidung von der Anwendung der Norm auf einen konkreten Sachverhalt abhängt, zu prüfen. Dabei kann der Senat offenlassen - wie er es auch in der genannten Entscheidung vom 21. Oktober 1958 getan hat -, ob die Vertragspartei eines Mantelvertrags auf Feststellung der vollständigen oder teilweisen Nichtigkeit eines solchen Vertrags klagen könnte. Das einzelne Verbandsmitglied, d. h. im vorliegenden Falle der einzelne Kassenzahnarzt, hat jedenfalls keine solche Klagebefugnis.
Erst recht gilt dies für den "Einzelvertrag" vom 14. März 1955, der - vergleichbar dem "Gesamtvertrag" des geltenden Rechts (§ 368 g Abs. 2 Satz 1 RVO) - vor allem Berechnung und Zahlungsmodalitäten der von der beigeladenen AOK Wilhelmshaven an die beklagte KZÄV abzuführenden Gesamtvergütung regelte. Es mag sein, daß auch dieser "Einzelvertrag" normative - d. h. über die Vertragsparteien hinaus unmittelbar für Dritte verbindliche - Bestandteile enthielt (zB in seiner Regelung über die Verwendung bestimmter Zahnarztkrankenscheine). Doch ist dieser Teil des Einzelvertrags nicht Gegenstand des Klagebegehrens. Der Kläger will vielmehr im Hinblick auf den Einzelvertrag allein erreichen, daß die zwischen den Vertragsparteien vereinbarte Berechnung der Gesamtvergütung als nichtig festgestellt wird.
Diese Vereinbarung aber betrifft nur den die Vertragsparteien selbst berechtigenden und verpflichtenden - "obligatorischen" - Teil des Einzelvertrags. Dabei werden die Rechte der Kassenärzte (Kassenzahnärzte) gegenüber den Krankenkassen von den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen wahrgenommen (§ 368 n Abs. 1 Satz 2 RVO). Der einzelne Kassenzahnarzt wird zwar mittelbar aufs stärkste davon betroffen, was seine Kassenzahnärztliche Vereinigung mit den einzelnen Krankenkassen über die Berechnung der Gesamtvergütung vereinbart. Doch beschränkt das Gesetz seine Rechtsposition im Hinblick auf die Gesamtvergütung darauf, daß er bei ihrer Verteilung angemessen berücksichtigt wird (§ 368 f Abs. 1 Sätze 2 bis 4 RVO). Demnach fehlt dem Kläger für einen Angriff auf den "Einzelvertrag" die Aktivlegitimation. Seine Klage ist insoweit unbegründet, wie auch das LSG im Ergebnis zutreffend angenommen hat.
Die Revision des Klägers ist somit als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2297018 |
DVBl. 1967, 244 |