Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18. August 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Streitig ist die Gewährung von Altersruhegeld (ARG). Dabei geht es vor allem um die Frage, ob die Zeit einer Arbeit der Klägerin im Ghetto Krenau/„Ost-Oberschlesien” (Chrzanow/Polen) rentenversicherungsrechtlich zu berücksichtigen ist.
Die jüdische Klägerin ist Verfolgte iS des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Sie wurde am 15. März 1926 als polnische Staatsangehörige in Chrzanow geboren. Dort besuchte sie von 1932 bis September 1939 die Volksschule. Ab November 1939 mußte sie den Judenstern tragen. Während sie in dem noch nicht geschlossenen jüdischen Wohnbezirk („Ghetto”) von Krenau lebte, arbeitete sie von Januar 1940 bis März 1942 in einem „Schneidershop” als Näherin von Wehrmachtsuniformen. Anschließend befand sie sich bis zu ihrer Befreiung am 11. April 1945 zwangsweise in verschiedenen Lagern. Nach Aufenthalten in mehreren Lagern für „Displaced Persons” (DP) wanderte die Klägerin im September 1945 nach Israel aus. Sie erwarb die israelische Staatsangehörigkeit und war dort von April 1954 bis September 1960 sowie von September 1971 bis März 1986 versicherungspflichtig beschäftigt. Seit April 1986 bezieht sie eine Rente von der israelischen Nationalversicherungsanstalt.
Im Januar 1992 beantragte die Klägerin die Gewährung von ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. April 1993 idF des Widerspruchsbescheides vom 8. August 1995 ab. Zur Begründung führte sie ua aus: Für die während des Ghettoaufenthaltes geleistete Zwangsarbeit habe keine Versicherungspflicht bestanden. Ersatzzeiten könnten wegen Fehlens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht angerechnet werden.
Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht Düsseldorf (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. April 1991 ARG zu gewähren. Es hat sein Urteil vom 18. August 1998 im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:
Die Klägerin habe insbesondere die für eine Rentengewährung erforderliche Wartezeit erfüllt. Unter Berücksichtigung ihrer Beitrags- und Ersatzzeiten habe sie eine Versicherungszeit von mehr als 60 Kalendermonaten zurückgelegt.
Zunächst sei die Zeit von Januar 1940 bis März 1942 als glaubhaft gemachte (fiktive) Beitragszeit gemäß § 1250 Abs 1 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 14 Abs 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) – jeweils in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung – anzuerkennen. Während dieses Zeitraumes habe am Beschäftigungsort der Klägerin in Krenau gemäß § 1 der Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den der Provinz Schlesien angegliederten, ehemals polnischen Gebieten (SchlesienVO) vom 16. Januar 1940 (RGBl I 196), § 1 der Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten (OstgebieteVO) vom 22. Dezember 1941 (RGBl I 777) iVm verschiedenen Erlassen des Reichsarbeitsministers (RAM) grundsätzlich das deutsche Reichsrecht gegolten. Gemäß dem danach einschlägigen § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO in der damals gültigen Fassung (aF) seien in der Arbeiterrentenversicherung insbesondere Arbeiter versichert worden, die gegen Entgelt beschäftigt gewesen seien. Voraussetzung sei dabei ein freier Austausch von Arbeit und Lohn.
Die Kammer lasse es dahingestellt, ob die streitige Beschäftigung der Klägerin von der inhaltlichen Ausgestaltung her die Kriterien der „Freiwilligkeit” und „Entgeltlichkeit” in diesem Sinne erfüllt habe. Diese für die Sozialversicherungspflicht von abhängig Beschäftigten entwickelten Kriterien seien auf die menschenverachtende, dirigistische, staatlich gelenkte Arbeitseinsatzverwaltung des NS-Regimes nicht übertragbar. Sie könnten den historischen Tatbestand und die damalige Wirklichkeit nicht ausreichend und angemessen erfassen. Die nach allgemeinen Vorschriften gebotene Entschädigung der Opfer des Zweiten Weltkrieges könne nicht mit den damals geltenden Maßstäben und Argumenten ausgeschlossen werden. Diesem Grundsatz nicht zu folgen, hieße, die heute als offensichtlich falsch erkannten Maßstäbe – Unrechtsmaßstäbe – zu Lasten der Opfer in jetziger Zeit fortgelten zu lassen. Ausschließlich auf das Zwangsmoment abzustellen, hätte darüber hinaus zur Folge, den Grundtatbestand der Erwerbsarbeit zu negieren. Die Arbeit der jüdischen Arbeitskräfte sei als Erwerbsarbeit faktisch Teil der Volkswirtschaft und damit Bestandteil des Wirtschaftssystems des Nationalsozialismus gewesen.
Hinsichtlich der rentenrechtlichen Systematik sei nach Auffassung der Kammer die Frage zu stellen, ob eine Tätigkeit verrichtet worden sei, die in zivilisierten Gesellschaften gewöhnlich von freien bezahlten Arbeitskräften ausgeübt werde, dh, ob im Ergebnis – auch wirtschaftlich gesehen – Erwerbsarbeit geleistet worden sei. Dies sei bei der von der Klägerin verrichteten Tätigkeit als Näherin ohne jeden Zweifel der Fall.
Selbst wenn davon auszugehen wäre, es handele sich bei den Beschäftigungen der jüdischen Arbeitskräfte wegen des Zwangscharakters nicht um Arbeitsverhältnisse iS des Sozialversicherungsrechts, würde sich jedenfalls die Frage ergeben, ob die die Rentenversicherungspflicht begründenden Vorschriften der Zweiten Durchführungsverordnung zur Notdienstverordnung (2. DV zur NotdienstVO) vom 10. Oktober 1939 (RGBl I 2018), die auch in den eingegliederten Ostgebieten gegolten habe, auf alle Gruppen zwangsverpflichteter Arbeiter entsprechend anzuwenden seien. Soweit die einschlägigen Verordnungen einer Einbeziehung der jüdischen Arbeitskräfte in die gesetzliche Rentenversicherung entgegenstünden, seien die betreffenden Bestimmungen wegen des Verstoßes gegen die Menschenwürde, die Menschenrechte und die elementaren Rechtsgrundsätze als nichtig anzusehen. Es sei sachlich nicht zu rechtfertigen, bei deutschen dienstverpflichteten Arbeitskräften für die Zeit des erzwungenen Arbeitseinsatzes Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung anzuerkennen, während dies bei jüdischen Arbeitskräften wegen des fehlenden Momentes der „Freiwilligkeit” ausgeschlossen werde.
Die Kammer lasse es offen, ob für die Beschäftigung der Klägerin, die anerkannte Verfolgte des Nationalsozialismus sei und damit die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 WGSVG erfülle, Rentenversicherungsbeiträge zu einem deutschen Träger der Rentenversicherung tatsächlich abgeführt worden seien. Die Beiträge seien gemäß § 14 Abs 2 WGSVG aF zu fingieren, weil sie – wenn die Beitragsentrichtung unterblieben sei – aus verfolgungsbedingten Gründen nicht entrichtet worden seien. Die Anerkennung der gesamten Arbeitszeit als Beitragszeit scheitere auch nicht daran, daß die Klägerin bei Beginn der Tätigkeit das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe. § 1226 RVO aF habe in der Arbeiterrentenversicherung ab 1. Januar 1923 für die Versicherungspflicht kein Mindestalter mehr vorgesehen.
Die Zeit ab Vollendung des 14. Lebensjahres (15. März 1940) bis zum 11. April 1945 sei als Ersatzzeit gemäß § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO zu berücksichtigen, soweit die einzelnen Monate nicht mit Beitragszeiten belegt seien. Die anschließende Zeit bis September 1945 (Auswanderung nach Palästina) sei wegen der sich an die Zeit der Freiheitsentziehung anschließenden Zeit der Krankheit ebenfalls als Ersatzzeit anzurechnen.
Mit ihrer – vom SG zugelassenen – Sprungrevision macht die Beklagte insbesondere geltend: Im angefochtenen Urteil werde verkannt, daß über die Versicherungspflicht der Tätigkeit der Klägerin nach dem zZ der Beschäftigung gültigen und nicht rückwirkend geänderten Recht zu entscheiden sei. Die Voraussetzungen für die Anrechnung der Zeit von Januar 1940 bis März 1942 als Beitragszeiten seien nicht glaubhaft gemacht. Die Klägerin habe nicht in einem invalidenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden, denn die Tätigkeit im Schneidershop habe nicht auf einer Vereinbarung der Klägerin als Arbeitnehmerin mit einem – auch vom Vordergericht nicht benannten – Arbeitgeber beruht. Die Klägerin habe bereits im Entschädigungsverfahren angegeben, daß sie Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen habe leisten müssen. Dies sei von zwei Zeuginnen bestätigt worden. Eine anders lautende Darstellung habe die Klägerin im Rentenverfahren und im anschließenden Klageverfahren nicht gegeben. Zwar sei nicht ausschlaggebend, daß die Klägerin den Begriff „Zwangsarbeit” benutzt habe. Anerkannter Grundsatz sei jedoch, daß nur eine aufgrund Vereinbarung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus eigenem Willensentschluß erbrachte Arbeit zu einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis führe. Dieser Grundsatz sei keinesfalls Ausdruck nationalsozialistischen Gedankenguts.
Durch den Unrechtsstaat selbst gesetztes Recht könne wegen Verstoßes gegen Völkerrecht oder Menschenrechte unwirksam sein. § 1226 RVO aF sei aber kein im Dritten Reich gesetztes Recht. Ein Unrechtsstaat könne auch eine bereits bestehende Norm so anwenden oder mißbrauchen, daß ihr im konkreten Regelungszusammenhang nach übergeordnetem Recht die Wirksamkeit abzusprechen sei. Auch dies lasse sich für die Anwendung des § 1226 RVO aF im Dritten Reich nicht bejahen. Das Unrecht, das den Zwangsarbeitern und Konzentrationslagerhäftlingen zugefügt worden sei, liege nicht in einer mißbräuchlichen Anwendung des § 1226 RVO aF. Es habe zu allererst in ihrer Gefangennahme selbst, weiter in ihrer absoluten Erniedrigung, in der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und in der täglichen Bedrohung ihres Lebens bestanden.
Nur der Gesetzgeber habe die Befugnis, Betragsfiktionen für Zwangsarbeitsverhältnisse wie das der Klägerin zu schaffen. Noch im Juni 1998 habe jedoch der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung dem Deutschen Bundestag die Ablehnung eines Antrages empfohlen, osteuropäischen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern des NS-Regimes eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen. Es müsse nach einer Lösungsmöglichkeit außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung gesucht werden (Hinweis auf BT-Drucks 13/11142). Anders als das Vordergericht gehe der Gesetzgeber somit nicht davon aus, daß bereits eine umfassende Beitragsfiktion geltendes Recht sei.
Die im angefochtenen Urteil erfolgte Auslegung des § 1226 RVO aF würde den Kreis der Pflichtbeitragszeiten für die Jahre des Nationalsozialismus ausweiten: In der Zeit von 1933 bis 1945 habe es eine ganze Reihe von Zwangsverhältnissen gegeben, in denen Arbeiten verrichtet worden seien, die unter anderen Umständen auch von freien, bezahlten Arbeitskräften verrichtet würden. Dazu zählten zB Arbeiten nach der Notdienstverordnung ebenso der Einsatz von Strafgefangenen, Kriegsgefangenen und Internierten der Konzentrationslager, Zwangsarbeitslager und Durchgangslager in Betrieben und auf Baustellen. Auch die Tätigkeit der Klägerin während ihres Aufenthaltes im Zwangsarbeitslager bzw Konzentrationslager wäre ihrer Art nach in einer zivilisierten Gesellschaft gewöhnlich von freien, bezahlten Arbeitskräften ausgeübt worden. Das Vordergericht treffe hier keine klare Aussage dazu, ab wann das nationalsozialistische Unrecht ein solches Maß erreicht gehabt habe, daß bestehendem Sozialversicherungsrecht mit dem bisherigen Regelungsgehalt die Grundlage entzogen worden sei.
Hilfsweise werde im angefochtenen Urteil die Frage aufgeworfen, ob eine Beitragszeit in Anwendung der 2. DV zur NotdienstVO vom 10. Oktober 1939 anzurechnen sei. In § 4 Nr 1 dieser Verordnung sei bestimmt, daß ein Notdienstpflichtiger, der bei Eintritt in den Notdienst nicht rentenversicherungspflichtig gewesen sei, in einem über drei Tage dauernden Notdienst versicherungsfrei bleibe, wenn er nicht mit dem Dienstleistungsempfänger ein einem Arbeitsvertrag entsprechendes Beschäftigungsverhältnis begründet habe. Die Klägerin sei vor Aufnahme der Tätigkeit im Schneidershop in Krenau nicht rentenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Käme man zu dem Ergebnis, daß auf sie die NotdienstVO wie auf Deutsche anzuwenden sei, weil der Ausschluß von nichtdeutschen und jüdischen Verfolgten von der Anwendung der Verordnung als nationalsozialistisches Unrecht von Anfang an nichtig gewesen sei, läge deshalb gleichwohl keine Beitragspflicht vor. Auch „Reichsdeutsche”, die ausschließlich der NotdienstVO unterfielen, hätten bei fehlender Vorversicherung in einem langfristigen Notdienst versicherungsfrei bleiben können.
Soweit das Vordergericht die Beschäftigung der Klägerin im Schneidershop bereits ab Januar 1940 als Beitragszeit anerkannt habe, sei zu bedenken, daß nach dem Gesetz über Kinderarbeit und über die Arbeitszeit der Jugendlichen vom 30. April 1938 (RGBl I 437) im Gebiet des Deutschen Reiches für Kinder unter 14 Jahren keine Beschäftigungsverhältnisse als Arbeiter in einer Fabrik hätten begründet werden dürfen. Das Gesetz habe zwar Ausnahmen vorgesehen, zB für Lehrverhältnisse nach Erfüllung der Schulpflicht und für Beschäftigungen mit geringer Stundenzahl. Die Voraussetzungen für diese Ausnahmetatbestände lägen hier aber nicht vor. Ihrer Ansicht nach sei die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Verneinung von Ersatzzeiten vor Vollendung des 14. Lebensjahres übertragbar auf die Frage, unter welchen Umständen eine fiktive Beitragszeit gemäß § 1226 RVO aF iVm § 14 Abs 2 WGSVG aF anzuerkennen sei. Ausgehend von typischen Lebensverläufen, könne hier kein durch eine Beitragsfiktion auszugleichender Schaden in der gesetzlichen Rentenversicherung eingetreten sein. Denke man, wie es das Vordergericht für geboten halte, die nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen hinweg, so wäre für die Klägerin vor Vollendung des 14. Lebensjahres kein invalidenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis als Fabrikarbeiterin begründet worden. Denn die Schutzbestimmung des Jugendschutzgesetzes stehe mit Rechtsstaatsgesichtspunkten in Einklang.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Düsseldorf vom 18. August 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor: Die Beklagte könne sich vorliegend nicht darauf berufen, es habe kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen. Sie habe mit Schriftsatz vom 19. Juli 1996 anerkannt, „daß das behauptete Arbeitsverhältnis der Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 1940 bis 31. März 1942 im Ghetto Chrzanow (Krenau) dem Grunde sowie dem Umfang nach glaubhaft ist”. Dieses Teilanerkenntnis sei mit Schriftsatz vom 9. September 1996 angenommen worden. Wenn die Beklagte sich nun darauf berufe, es habe nicht einmal ein seinem Wesen nach abhängiges Beschäftigungsverhältnis bestanden, setze sie sich zu dieser Erklärung in Widerspruch. Ein einmal ausgesprochenes (Teil-)Anerkenntnis könne im übrigen nur nach den Regeln des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückgenommen werden.
Abgesehen davon gehe aus den vorgelegten Zeugenerklärungen hervor, daß es sich um eine versicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt habe. Die Zeugen hätten ausgesagt, daß sie, die Klägerin, im Ghetto gegen Entgelt als Näherin gearbeitet habe. Mit dieser Formulierung hätten die Zeugen entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch zum Ausdruck gebracht, daß die Beschäftigung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erfolgt sei. Auch aus den vorliegenden historischen Quellen ergebe sich, daß jedenfalls nach April 1940 in allen Ghettos regelmäßig ordentliche Arbeitsverhältnisse eingegangen worden seien.
Allein der damals vorhandene mittelbare Zwang reiche für das Vorliegen von Zwangsarbeit nicht aus. Diese erfordere vielmehr disziplinarische Maßnahmen bei Arbeitsverweigerung. Aus diesem Grunde habe in den jüdischen Ghettos auf polnischem Gebiet und in den eingegliederten Gebieten keine Zwangsarbeit im öffentlich-rechtlichen Sinne vorgelegen. Zwar hätten es die Betroffenen als Zwangsarbeit empfunden, dieses subjektive Empfinden bleibe jedoch für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung außer Betracht. Soweit die Beklagte darauf abstelle, sie, die Klägerin, und die Zeugen hätten im Entschädigungsverfahren die Tätigkeit im Ghetto Krenau als Zwangsarbeit bezeichnet, und daraus auch für das Rentenverfahren den Schluß ziehe, daß es sich um Zwangsarbeit gehandelt habe, könne dem nicht gefolgt werden. Die Bezeichnung als Zwangsarbeit stelle lediglich eine laienhafte Beschreibung dar.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das SG. Die vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen reichen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob die für eine Rentengewährung erforderliche Wartezeit erfüllt ist. Insbesondere ist unklar, ob die Klägerin während ihres Ghettoaufenthaltes in einem als Beitragszeit anrechenbaren versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.
Der Anspruch der Klägerin auf ARG richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung, weil der Rentenantrag im Januar 1992 gestellt worden ist und sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 bezieht (vgl § 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫).
Rechtsgrundlage für den Anspruch ist § 1248 Abs 5 iVm Abs 7 Satz 3 RVO. Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl § 30 Abs 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫) anwendbar. Dies folgt aus § 30 Abs 2 SGB I iVm dem Abkommen vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (Abk Israel SozSich) idF des Änderungsabkommens vom 7. Januar 1986 (BGBl 1975 II 246, 1986 II 863), das in Art 4 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 Buchst a und Art 2 Abs 1 Nr 1 Buchst c eine Gleichstellung israelischer Staatsangehöriger, die sich in Israel aufhalten, mit deutschen Staatsangehörigen vorsieht. Im übrigen ergibt sich bereits aus den Vorschriften über die Rentenzahlung ins Ausland (vgl §§ 1315 ff RVO iVm § 37 Abs 1 SGB I), daß ein Aufenthalt im Ausland der Begründung eines Rentenanspruchs aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nicht von vornherein entgegensteht.
Gemäß § 1248 Abs 5 RVO erhält ARG der Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und nach Abs 7 Satz 3 dieser Vorschrift die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt hat. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur die geltend gemachten Beitrags- und Ersatzzeiten in Betracht (vgl § 1250 Abs 1 RVO). Da das Vorhandensein weiterer in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegter Beitragszeiten im vorliegenden Fall nicht behauptet wird und auch nicht ersichtlich ist, kann die Wartezeit – unter Einbeziehung der dann unstreitig gemäß § 1251 RVO anrechenbaren Ersatzzeiten – nur erfüllt sein, wenn im streitigen Zeitraum eine Beitragszeit zu berücksichtigen ist.
Soweit sich die Klägerin darauf beruft, die Beklagte habe mit ihrem an das SG gerichteten Schriftsatz vom 19. Juli 1996 anerkannt, daß das behauptete Arbeitsverhältnis dem Grunde sowie dem Umfange nach glaubhaft sei, vermag der erkennende Senat ihrer Ansicht, es handele sich dabei um ein angenommenes Teilanerkenntnis, nicht zu folgen. Insoweit ist zu berücksichtigen, daß die Beklagte damit lediglich die gerichtliche Anfrage vom 12. Juli 1996 beantwortet hat. Darin wurde sie um Angabe gebeten, welche Ghettozeiten als Pflichtbeitragszeiten anerkannt würden, wenn man unterstelle, daß Ghettozeiten generell als Pflichtbeitragszeiten anerkannt werden könnten. Im Hinblick auf diese vorausgesetzte Unterstellung hat die Beklagte unter dem 19. Juli 1996 kein uneingeschränktes (unbedingtes) und damit rechtsverbindliches Teilanerkenntnis abgegeben (zur Bedingungsfeindlichkeit von Prozeßhandlungen vgl zB Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, Vor § 60 RdNr 11). Allenfalls hat sie damit die Glaubhaftmachung bestimmter Tatsachen (Arbeitsleistung der Klägerin im Ghetto Krenau vom 1. Januar 1940 bis 31. März 1942) zugestanden. Weitergehende Rechte kann die Klägerin aus dieser Erklärung jedenfalls nicht herleiten.
Gemäß § 1250 Abs 1 Buchst a RVO sind Beitragszeiten solche Zeiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten. Ob die Monate von Januar 1940 bis März 1942 bei der Klägerin als Beitragszeit anzurechnen sind, ist in tatsächlicher Hinsicht noch nicht hinreichend geklärt. Dabei ist das SG im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, daß es offenbleiben kann, ob in der streitigen Zeit für die Klägerin Rentenversicherungsbeiträge entrichtet worden sind. Denn es kommt insoweit gemäß § 14 Abs 2 WGSVG aF die Anerkennung einer fiktiven Beitragszeit in Betracht.
§ 14 Abs 2 WGSVG aF, der hier entsprechend § 300 Abs 2 SGB VI weiter anwendbar ist, bestimmt: Hat der Verfolgte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt und sind aus Verfolgungsgründen für die Beschäftigung oder Tätigkeit keine Beiträge entrichtet worden, so gelten für diese Zeiten Beiträge als entrichtet. Auch wenn es für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen genügt, wenn sie glaubhaft gemacht sind (vgl § 3 Abs 1 WGSVG), lassen sich die Voraussetzungen des § 14 Abs 2 WGSVG aF anhand der bisherigen Tatsachenfeststellungen nicht bejahen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine Anerkennung von fiktiven Beitragszeiten für die Monate Januar und Februar 1940 nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin erst im März 1940 das 14. Lebensjahr vollendet hatte. Soweit sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des BSG zur Anerkennung von Ersatzzeiten bezieht (vgl BSGE 51, 272 = SozR 2200 § 1251 Nr 83; BSG SozR 2200 § 1251 Nr 127), berücksichtigt sie nicht hinreichend die Unterschiede zwischen der Regelung von Ersatzzeiten und der Bestimmung des § 14 Abs 2 WGSVG aF. Während ein Ersatzzeittatbestand gerade dadurch gekennzeichnet ist, daß keine Versicherung bestanden hat, setzt § 14 Abs 2 WGSVG aF die tatsächliche Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit voraus. Lediglich die fehlenden Beiträge werden fingiert. Ebensowenig wie sich ein Verfolgter im Rahmen des § 14 Abs 2 WGSVG aF darauf berufen kann, er sei aus Verfolgungsgründen in eine versicherungsfreie Tätigkeit ausgewichen (vgl BSG SozR 5070 § 14 Nr 16), kann ihm auf der anderen Seite entgegengehalten werden, er wäre ohne eine Verfolgungssituation nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Es würde im übrigen dem Entschädigungscharakter des WGSVG und dem Ziel der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (vgl dazu BSGE 10, 113, 116; BSGE 13, 67, 70 f = SozR § 1248 RVO Nr 4) zuwiderlaufen, wenn ein Verfolgter, bei dem nicht nur verfolgungsbedingt eine Beitragszahlung unterblieben ist, sondern der aufgrund von Verfolgungsmaßnahmen überhaupt erst eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hat, schlechter gestellt wäre als jemand, für den aus Verfolgungsgründen „nur” keine Beiträge entrichtet worden sind.
Zwar wird man dem SG angesichts der damals gegen Ghettobewohner gerichteten Maßnahmen ohne weiteres darin folgen können, daß für den Fall des Bestehens einer Versicherungspflicht der als Verfolgte anerkannten Klägerin das Unterbleiben einer entsprechenden Beitragsentrichtung als verfolgungsbedingt anzusehen wäre. Zweifelhaft ist jedoch, ob diese seinerzeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit iS von § 14 Abs 2 WGSVG aF ausgeübt hat. Allerdings ist es nach den Feststellungen des SG als glaubhaft gemacht zu erachten, daß die Klägerin in der Zeit von Januar 1940 bis März 1942 in Krenau als Näherin von Wehrmachtsuniformen gearbeitet hat. Fraglich ist nur, ob dies unter Umständen erfolgte, welche die Bejahung einer Rentenversicherungspflicht zulassen.
Unter einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung iS von § 14 Abs 2 WGSVG aF ist grundsätzlich eine Beschäftigung zu verstehen, die nach dem seinerzeit geltenden deutschen Recht konkret Versicherungspflicht begründet hat (vgl BSG SozR 5070 § 19 Nrn 9, 16). In der streitigen Zeit galten in Krenau die Reichsversicherungsgesetze. Dieser im Regierungsbezirk Kattowitz gelegene Ort gehörte zu dem Teil der sog eingegliederten Ostgebiete, der schon im Oktober 1939 der Provinz Schlesien zugeschlagen worden war (vgl den Erlaß des „Führers und Reichskanzlers” über die Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8. Oktober 1939, geändert durch Erlaß vom 20. Oktober 1939, RGBl I 2042, 2057). Dort wurde dann bereits zum 1. Januar 1940 ua die RVO eingeführt (vgl § 1 SchlesienVO, ab 1. Januar 1942 ersetzt durch § 1 OstgebieteVO; vgl dazu BSG SozR 3-5050 § 17 Nr 3, § 21 Nr 7). Während von der Geltung der SchlesienVO grundsätzlich niemand ausgenommen war, fand die OstgebieteVO keine Anwendung auf sog „Schutzangehörige und Staatenlose polnischen Volkstums”, zu denen auch polnische Juden wie die Klägerin gehörten (vgl § 1 Abs 1 Satz 2 OstgebieteVO). Für diesen Personenkreis sollte es nach den Erlassen des RAM vom 5. und 10. Januar 1942 (AN 1942, II 38) bei der bis zum 31. Dezember 1941 gültigen Regelung verbleiben. Zwar bestimmte der RAM durch Erlaß vom 29. Juni 1942 (AN 1942, II 408), daß die RVO auf Juden in den eingegliederten Ostgebieten keine Anwendung finde, verfügte jedoch unter dem 13. März 1943 (AN 1943, II 126), daß für Juden in den eingegliederten Ostgebieten – in Schlesien rückwirkend ab 1. Januar 1940 – Beiträge nach den reichsrechtlichen Vorschriften zu entrichten seien. Damit war jedenfalls die Versicherungs- und Beitragspflicht auch bei Juden nach der RVO zu beurteilen.
Voraussetzung für eine Anerkennung der im vorliegenden Fall nach § 14 Abs 2 WGSVG aF geltend gemachten (fiktiven) Beitragszeiten ist somit, daß die von der Klägerin in Krenau verrichtete Arbeit die Kriterien eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nach den damals geltenden Vorschriften der §§ 1226 ff RVO (aF) erfüllte. Gemäß § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO aF wurden in der Invalidenversicherung (Arbeiterrentenversicherung) insbesondere Arbeiter versichert. Voraussetzung der Versicherung war für diese, daß sie gegen Entgelt (§ 160 RVO) beschäftigt wurden (vgl § 1226 Abs 2 RVO aF). Damit entspricht diese Regelung im wesentlichen der bis Ende 1991 geltenden Nachfolgevorschrift des § 1227 Abs 1 Nr 1 RVO, wonach alle Personen versichert wurden, die „als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt” waren, dh iS von § 7 Abs 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) „nichtselbständige Arbeit” verrichteten (vgl BSG, Urteile vom 21. April 1999 – B 5 RJ 48/98 R – ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫ und - B 5 RJ 46/98 R -). Arbeit in diesem Sinne ist die auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtete, planmäßige Arbeit eines Menschen, gleichviel ob geistige oder körperliche Kräfte eingesetzt werden (vgl zB Seewald in Kasseler Komm, Sozialversicherungsrecht, Band 1, Stand Juni 1998, § 7 SGB IV RdNr 10). Nichtselbständig ist die Arbeit, wenn sie derart fremdbestimmt ist, daß sie vom Arbeitnehmer hinsichtlich Ort, Zeit, Gegenstand und Art der Erbringung nach den Anordnungen des Arbeitgebers vorzunehmen ist (vgl BSGE 80, 250, 251 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15; BSG, Urteile vom 21. April 1999 - B 5 RJ 48/98 R - ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫ und - B 5 RJ 46/98 R -).
Ein Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis in diesem Sinne kommt durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten zustande. Es beinhaltet den Austausch von Arbeit und Lohn (vgl zB BSGE 80, 250, 251 f = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15). Als weitere Abgrenzungsmerkmale gegenüber anderen Formen der Verrichtung von Arbeit dienen ua die persönliche Abhängigkeit des Arbeiters, das Weisungs- bzw Direktionsrecht des Arbeitgebers und das Eingebundensein des Arbeitnehmers in den organisatorischen Ablauf eines Betriebes (Eingliederung).
Letztlich handelt es sich bei dem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis nicht um einen tatbestandlich scharf konturierten Begriff, der eine einfache Subsumtion ermöglicht, sondern um einen rechtlichen Tatbestand, der die versicherten Personen nicht im Detail definiert, sondern ausgehend vom Normalfall in der Form eines Typus beschreibt. Die den Typus kennzeichnenden Merkmale (Indizien) können in unterschiedlichem Maße und verschiedener Intensität gegeben sein; selbst das Fehlen einzelner Merkmale muß nicht unbedingt zur Verneinung einer Beschäftigung in diesem Sinne führen (vgl Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ SozR 3-2400 § 7 Nr 11; Gagel, in Festschrift für Otto-Ernst Krasney, 1997, S 147, 151). So braucht zB eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit („Äquivalenz”) der Leistungen nicht gegeben zu sein; das Arbeitsentgelt muß allerdings einen Mindestumfang erreichen, damit Versicherungspflicht entsteht (vgl BSGE 80, 250, 252 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15).
Andererseits ist dem Typusbegriff auch zu entnehmen, daß bestimmte Umstände der Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses dann nicht entgegenstehen, wenn sie auf die einzelnen Merkmale keinen entscheidenden Einfluß haben. So ist vom BSG – gerade bei der Beurteilung von Arbeitsleistung in einem Ghetto – betont worden, daß die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen, sowie allgemeine Lebensumstände, die nicht die Arbeit oder das Arbeitsentgelt selbst, sondern das häusliche, familiäre, wohnungs- und aufenthaltsmäßige Umfeld betreffen, außer Betracht bleiben. Demgemäß ist für die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auch nicht entscheidend, ob Personen, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, zwangsweise ortsgebunden sind (vgl BSGE 80, 250, 252 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15) oder sich in einem Lager aufhalten müssen (vgl BSG SozR 3-5050 § 5 Nr 1; BSGE 12, 71 = SozR Nr 18 zu § 537 RVO).
Maßgeblich für die Beurteilung ist stets das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit. Gerade der Verwendung der Rechtsfigur des Typus ist es zu verdanken, daß die Vorschriften über Versicherungs- und Beitragspflicht trotz ihres Festhaltens an Begriffen wie Angestellte, Arbeiter, Arbeitsverhältnis und Beschäftigungsverhältnis iVm ihrer Konkretisierung durch Rechtsprechung und Literatur über Jahrzehnte hinweg auch bei geänderten sozialen Strukturen ihren Regelungszweck erfüllen konnten (vgl BVerfG SozR 3-2400 § 7 Nr 11).
Gemessen an diesen Kriterien ist unter Zwang zustande gekommene und verrichtete Arbeit (zB als Strafgefangener oder KZ-Häftling) – wie das BSG wiederholt entschieden hat – grundsätzlich nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen (vgl zB BSGE 27, 197 = SozR Nr 54 zu § 165 RVO; BSGE 29, 197 = SozR Nr 1 zu Art 6 § 23 FANG; BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr 2; BSG, Urteile vom 10. Dezember 1974 - 4 RJ 377/73 - und vom 20. Februar 1975 - 4 RJ 15/74 -, in AmtlMittLVA Rheinpr 1975, 357; BSG SozR 5070 § 14 Nr 9). Diese Rechtsprechung hat auch durch die Entscheidungen des 5. Senats des BSG vom 18. Juni 1997 (BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und - 5 RJ 68/95 -), wonach im Ghetto Lodz verrichtete Arbeiten als versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse anerkannt werden konnten, keine grundsätzliche Änderung erfahren (vgl die Entscheidungen des 5. Senats vom 21. April 1999 - B 5 RJ 48/98 R - ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫ und - B 5 RJ 46/98 R -).
Zur leichteren Abgrenzung zwischen einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis und einer nichtversicherten Zwangsarbeit kann es sinnvoll sein, sich die typischen Merkmale (Indizien) für das Vorliegen von Zwangsarbeit zu vergegenwärtigen. Hierbei sind selbstverständlich solche Kriterien untauglich, die für beide Tätigkeitsformen charakteristisch sind, wie zB die Ausübung eines Direktionsrechts. Auch ein bloßes Abstellen auf Arbeit iS einer Erwerbsarbeit oder wirtschaftlich nützlichen Tätigkeit, wie es vom SG vertreten wird (ebenso Buschmann, SGb 1998, 319, 320; Pawlita, SozVers 1998, 90 ff), kann diese beiden Typen nicht voneinander abgrenzen. Denn gerade das Merkmal Arbeit ist notwendigerweise beiden Typen eigen, was eine nähere Abgrenzung überhaupt erst erfordert. Zwangsarbeit ist die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw gesetzlichem Zwang, wie zB bei Strafgefangenen und Kriegsgefangenen (vgl zB BSGE 80, 250, 253 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15; Gagel, in Festschrift für Otto-Ernst Krasney, 1997, S 147, 157 f). Typisch ist dabei zB die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne daß die Arbeiter selbst hierauf Einfluß haben. Weiter ist charakteristisch für Zwangsarbeit, daß ein Entgelt für die individuell geleistete Arbeit nicht oder nur in geringem Maße an den Arbeiter ausgezahlt wird (vgl hierzu BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr 12; BSG, Urteil vom 20. Februar 1975 - 4 RJ 15/74 -; BSG SozR 5070 § 14 Nr 9). Entsprechendes gilt für die Bewachung der Arbeiter während der Arbeit, um zu verhindern, daß diese sich aus dem obrigkeitlichen Gewahrsam entfernen können (zur Abgrenzung vgl BSGE 12, 71 = SozR Nr 18 zu § 537 RVO). Diese beispielhaft aufgeführten Kriterien zeigen, daß eine verrichtete Arbeit sich um so mehr von dem Typus des Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses entfernt und dem Typus der Zwangsarbeit annähert, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann.
Trotz der in der Literatur wiederholt geäußerten Kritik (vgl Pawlita, ZfS 1999, 71 ff; Buschmann, SGb 1998, 319 ff; Kempner sowie Großmann/Frank, Zur Sache 6/1990, 232 ff) und auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des SG im anhängigen Streitfall sieht der erkennende Senat keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Weder darf in Anbetracht der eindeutigen Regelung des § 14 Abs 2 WGSVG aF für die Anerkennung (fiktiver) Beitragszeiten ganz auf das Erfordernis einer versicherungspflichtigen Beschäftigung verzichtet werden (vgl BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr 2), noch erscheint es angebracht, den Inhalt des Begriffes der versicherungspflichtigen Beschäftigung iS der Auffassung des SG zu verändern.
In Übereinstimmung mit dem 5. Senat des BSG (vgl Urteile vom 21. April 1999 - B 5 RJ 48/98 R - ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫ und - B 5 RJ 46/98 R -) hält es der erkennende Senat für geboten, die von der Klägerin im streitigen Zeitraum in Krenau geleistete Arbeit auch in Anbetracht der Umstände nationalsozialistischer Gewaltherrschaft nach den allgemeinen Kriterien einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu beurteilen. Zunächst kann nicht davon ausgegangen werden, daß die damalige Regulierung des Arbeitsmarktes sowie das Bestehen allgemeiner Arbeitspflichten die Gesamtheit aller Arbeitsverhältnisse derart obrigkeitlich/hoheitlich überlagert haben, daß diese den Charakter von Zwangsarbeit angenommen hätte (vgl dazu zB BSG SozR 3-2200 § 1251 Nr 7; BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15). Einer Anwendung des Begriffs der versicherungspflichtigen Beschäftigung ist damit entgegen der Annahme des SG nicht von vornherein die Grundlage entzogen (vgl dazu auch BSG SozR 3-5050 § 5 Nr 1). Das SG räumt im Grunde genommen selbst ein, daß seinerzeit ein differenziertes Regelungssystem bestand, das – bis hin zur Konzentrationslagerhaft – für die betroffenen Personen in unterschiedlichem Maße Einschränkungen ihrer Arbeitsfreiheit mit sich brachte. Diesen Gegebenheiten kann nach Überzeugung des erkennenden Senats bei der Handhabung des sozialversicherungsrechtlichen Typus des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses (in Abgrenzung von unversicherter Zwangsarbeit) angemessen Rechnung getragen weden.
Ebensowenig sind die damals geltenden allgemeinen Bestimmungen betreffend Versicherungs- und Beitragspflicht in der Sozialversicherung aus Gründen der Gerechtigkeit von Anfang an als nichtig anzusehen (vgl dazu allgemein BVerfGE 23, 98). Nach der Rechtsprechung des BVerfG, auf die sich das SG in diesem Zusammenhang bezieht, ist nationalsozialistischen Rechtsvorschriften die Geltung als Recht abzuerkennen, wenn sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, daß der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde (vgl BVerfGE 3, 58, 119; 6, 132, 198). Die Anknüpfung der Versicherungs- und Beitragspflicht an das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ist dagegen vom NS-Gesetzgeber im wesentlichen unverändert so belassen worden, wie sie bereits vorher bestanden hatte. Die Weitergeltung der allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen über die Versicherungs- und Beitragspflicht kann nicht als Ausdruck typischen NS-Unrechts gesehen werden, da ihnen ein spezifischer, aus rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen bestehender Unrechtsgehalt nicht innewohnt. Die wesentlichen Grundsätze für die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, wie sie bereits vom Reichsversicherungsamt herausgearbeitet worden sind (vgl AN 1891, 4 ff; 1899, 532, 739; 1933, IV 81 ff), gelten bis heute fort, wobei nicht bezweifelt wird, daß sie auch den Anforderungen eines Rechts- und Sozialstaates genügen. In bezug auf die hier streitige Arbeitsleistung eines Ghettobewohners liegt das nationalsozialistische Unrecht folglich nicht in der Ausgestaltung sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften, sondern in den damaligen Verfolgungsmaßnahmen selbst (vgl dazu auch BSG SozR 5050 § 17 Nr 12).
Entgegen der Auffassung des SG kann eine Rentenversicherungspflicht begründende Beschäftigung, ohne daß die Merkmale für das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses konkret festzustellen wären, auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung der 2. DV zur NotdienstVO vom 10. Oktober 1939 (RGBl I 2018; zur Einführung in den eingegliederten Ostgebieten vgl die VO vom 14. Juli 1940, RGBl I 1019) hergeleitet werden. Soweit danach im Rahmen des Notdienstes verrichtete Arbeiten mit versicherungspflichtigen Beschäftigungen gleichgestellt wurden (vgl §§ 3, 4 der VO vom 10. Oktober 1939), handelte es sich um eine Ausnahmeregelung, die einer extensiven Auslegung nicht ohne weiteres zugänglich ist. Die Heranziehung zu Arbeiten im Rahmen der Notdienst- oder DienstpflichtVO erfolgte zudem in einem streng geregelten Verfahren, wobei vor allem das für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis wichtige Merkmal der „Freiwilligkeit” durch die Zustimmung der Arbeitsverwaltung ersetzt wurde (vgl § 1 der VO vom 21. Juni 1938, RGBl I 652; § 1 der VO vom 13. Februar 1939, RGBl I 306). Im übrigen sind auch im NS-System nicht alle Arbeitspflichten einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gleichgestellt worden, so zB auch nicht die Dienstpflicht im Reichsarbeitsdienst. Eine Erstreckung der Ausnahmevorschriften über die Begründung von versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen auf alle Dienstpflichten bzw Zwangsarbeiten während des NS-Regimes würde schließlich eine Abgrenzung zwischen den Typusbegriffen „versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis” und „Zwangsarbeit” praktisch unmöglich machen.
Soweit für die große Zahl der Zwangsarbeiter, insbesondere aus den früheren Ostgebieten, die nicht in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden haben, bis heute weder eine rentenrechtliche Beitragsfiktion noch angemessene Entschädigungsleistungen vorgesehen worden sind, handelt es sich um gesetzgeberische Entscheidungen, die nicht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung korrigiert werden können (vgl hierzu ausführlich BSG, Urteile vom 21. April 1999 - B 5 RJ 48/98 R - ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫ und - B 5 RJ 46/98 R -). Es bleibt Sache des Gesetzgebers, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, die dem betroffenen Personenkreis nach so vielen Jahren noch zu einer Anerkennung des durch die Heranziehung zur Zwangsarbeit im NS-Regime erlittenen Unrechts verhelfen können, soweit die im übrigen bestehenden Entschädigungsregelungen nicht als ausreichend angesehen werden.
Da das SG keine konkreten Feststellungen dazu getroffen hat, ob bezüglich der streitigen Arbeitsleistung der Klägerin die Merkmale eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erfüllt sind, kann derzeit nicht entschieden werden, ob vorliegend § 14 Abs 2 WGSVG aF eingreift. Der Senat kann die fehlenden Feststellungen auch nicht selbst nachholen (vgl § 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Mithin ist es iS von § 170 Abs 2 Satz 2 SGG geboten, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen. Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen