Entscheidungsstichwort (Thema)
Form der Rechtsmittelschrift/Revisionsschrift. Angabe (Bezeichnung) des angefochtenen Urteils. Benennung des Rechtsmittelbeklagten
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, wann eine Revisionsschrift das angefochtene Urteil in ausreichender Weise angibt.
Orientierungssatz
1. Nach dem Grundgedanken des § 164 Abs 1 S 2 SGG ist dem gesetzlichen Erfordernis der Angabe des angefochtenen Urteils nur dann genügt, wenn bei der Einlegung des Rechtsmittels aus der Rechtsmittelschrift und sonstigen beigefügten oder während der Rechtsmittelfrist eingereichten Unterlagen ua sowohl der Rechtsmittelkläger als auch der Rechtsmittelbeklagte erkennbar ist (vgl BAG 7.12.1978 3 AZR 995/77 = AP Nr 43 zu § 518 ZPO). Die Einhaltung dieser an den Inhalt von Rechtsmittelschriften zu stellenden Anforderungen dient sowohl den Interessen des Rechtsmittelgerichts als auch denen des Rechtsmittelgegners an einem geregelten und damit der Rechtssicherheit dienenden Verfahren (vgl BGH 6.2.1985 I ZR 235/83 = VersR 1985, 570). Aus diesem Grunde muß das angefochtene Urteil für das Rechtsmittelgericht und den Rechtsmittelgegner eindeutig und sicher gekennzeichnet werden; für Vermutungen über die Person der Verfahrensbeteiligten darf beim Ablauf der Rechtsmittelfrist kein Raum mehr bleiben (vgl BSG 19.3.1980 11 RA 30/79 = BFHE 120, 341, 342).
2. Die Klarheit und Bestimmtheit der Revisionsschrift muß sich aus ihr selbst - gegebenenfalls zusammen mit rechtzeitig eingehenden Akten und Urkunden (vgl BSG 19.3.1980 11 RA 30/79 = BSGE 50, 59, 60) ergeben. Es reicht nicht aus, wenn das Gericht sie durch eigene Ermittlungen zur Kenntnis bekommt.
Normenkette
SGG § 164 Abs 1 S 2 Halbs 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Im Revisionsverfahren streiten die Beteiligten nur noch über die Frage, ob der Kläger der Beklagten durch von ihm in betrügerischer Absicht herbeigeführte ungerechtfertigte Verwaltungstätigkeit verursachte Kosten (Arztberichte und Begutachtungen; Kosten insgesamt 355,78 DM) ersetzen muß.
Aufgrund von unzutreffenden Angaben insbesondere des Klägers kam es zu Ermittlungen der Beklagten und zur Gewährung von Verletztenrente. Das Sozialgericht (SG; Urteil vom 28. Juni 1984) und das Landessozialgericht (LSG; Urteil vom 16. Oktober 1985) haben in dem nunmehr anhängigen Verfahren die Aufhebung der Bewilligungsbescheide der Beklagten aus dem Jahre 1978 sowie die Rückforderung der gewährten Geldleistungen durch Bescheide vom 28. Juni 1983 (Widerspruchsbescheide vom 20. Januar 1984) als gerechtfertigt angesehen. Anders als das SG hat das LSG jedoch entschieden, daß es bezüglich des genannten von der Beklagten in den Bescheiden verlangten Ersatzes von Verwaltungskosten an einer Rechtsgrundlage fehlt. Das LSG hat die Bescheide insoweit aufgehoben und die Revision zugelassen.
Gegen das am 21. November 1985 zugestellte Urteil des LSG hat nur die Beklagte telegrafisch Revision eingelegt und innerhalb der Revisionsfrist durch Berichtigung des zunächst unrichtig angegebenen Aktenzeichens des LSG-Verfahrens in einem weiteren Telegramm richtig gestellt. Die Telegramme haben folgenden Wortlaut: "Gegen das am 18.11.1985 zugestellte Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 16.10.1985 Az S 3 U 36/84 legen wir die zugelassene Revision ein der Hauptgeschäftsführer in Vertretung L." und "Zur telegrafisch eingelegten Revision vom 16.12.1985 berichtigen wir das Aktenzeichen des angefochtenen Urteils wie folgt: L 3 U 192/84 der Hauptgeschäftsführer in Vertretung L.". Die Gerichtsverwaltung des Bundessozialgerichts (BSG) hat - ebenfalls während der Revisionsfrist - durch telefonische Rücksprache bei dem LSG die Verfahrensbeteiligten ermittelt und unter dem zuerst genannten Telegramm vermerkt.
Die Beklagte weist darauf hin, daß der Postbediensteten bei der Aufgabe des ersten Telegramms ihre sog Kurzbezeichnung ("SESBG") angesagt wurde und daher die Revisionsklägerin unverschuldet nicht bezeichnet worden sei. Sie hält die Revision für formgerecht. Das BSG habe der Revision infolge vorhandener Gerichtskenntnis entnehmen sowie anhand des Verzeichnisses der Unfallversicherungsträger feststellen können, wer Revisionsklägerin gewesen sei. Der Benennung des Revisionsbeklagten habe es angesichts der sonstigen Daten in den beiden Telegrammen schon gar nicht bedurft. Die Beklagte beantragt bezüglich möglicher Formfehler Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
In der Sache meint die Beklagte, die geltend gemachten Kosten seien sowohl gem § 50 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) als auch als allgemeiner öffentlich-rechtlicher Schadensersatzanspruch von ihr zu Recht beansprucht worden.
Die Beklagte beantragt in der Sache, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Oktober 1985 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 28. Juni 1984 in vollem Umfang zurückzuweisen.
Der Kläger hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten war als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht in der gesetzlichen Form eingelegt worden ist (§ 169 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Gemäß § 164 Abs 1 Satz 2 muß die Revision das angefochtene Urteil angeben. Nach dem Grundgedanken der Vorschrift ist diesem gesetzlichen Erfordernis nur dann genügt, wenn bei der Einlegung des Rechtsmittels aus der Rechtsmittelschrift - hier: den Telegrammen der Beklagten vom 16. und 18. Dezember 1985 - und sonstigen beigefügten oder während der Rechtsmittelfrist eingereichten Unterlagen ua sowohl der Rechtsmittelkläger als auch der Rechtsmittelbeklagte erkennbar ist (hierzu BGHZ 65, 114, 115; BGH VersR 1970, 1133; 1971, 763; 1977, 1101; 1985, 570; Buchholz, BVerwG Nr 12 zu § 82 VerwGO; BAGE 21, 368, 370; BAG AP Nrn 28, 31, 43 zu § 518 ZPO und Nr 65 zu § 233 ZPO). Die Einhaltung dieser an den Inhalt von Rechtsmittelschriften zu stellenden Anforderungen dient sowohl den Interessen des Rechtsmittelgerichts als auch denen des Rechtsmittelgegners an einem geregelten und damit der Rechtssicherheit dienenden Verfahren (s zuletzt BGH VersR 1985, 570 mwN). Aus diesem Grunde muß das angefochtene Urteil für das Rechtsmittelgericht und den Rechtsmittelgegner eindeutig und sicher gekennzeichnet werden; für Vermutungen über die Person der Verfahrensbeteiligten darf beim Ablauf der Rechtsmittelfrist kein Raum mehr bleiben (BFHE 120, 341, 342).
Diese Voraussetzungen erfüllen die vor Ablauf der Revisionsfrist beim BSG eingegangenen Telegramme nicht. Dabei kann hier offenbleiben, ob auch die Rechtsmittelklägerin nicht ausreichend deutlich erkennbar geworden ist und ob diese Frage anders zu beantworten wäre, wenn eines der Telegramme die Kurzbezeichnung "SESBG" als ihre Kennzeichnung enthalten hätte. Jedenfalls enthält keines der beiden Telegramme auch nur eine Andeutung über die Person des Rechtsmittelgegners. Dieser Mangel allein bedingt, wie oben dargelegt, bereits die Fehlerhaftigkeit der Revisionsschrift. Soweit die Beklagte Angaben über die Person des Rechtsmittelgegners im vorliegenden Falle für entbehrlich hält, vermag der erkennende Senat dem nicht zu folgen. Entgegen ihrer Auffassung reicht es nicht aus, daß das Instanzgericht samt Entscheidungsdatum und Aktenzeichen bei Ablauf der Rechtsmittelfrist bekannt und daher die Verfahrensbeteiligten - wie geschehen - durch Ermittlungen des BSG festzustellen waren. Dabei übersieht die Beklagte, daß sich die Klarheit und Bestimmtheit der Revisionsschrift aus ihr selbst - ggfs zusammen mit rechtzeitig eingehenden Akten und Urkunden (BSGE 50, 59, 60; BAGE 22, 156, 158; BAG AP Nr 28 zu § 518 ZPO; APNr 7 zu § 553 ZPO; BFHE 120, 341, 342; 131, 527, 529; BGH VersR 1984, 1093; VersR 1980, 1027) - ergeben muß; denn nach § 164 Abs 1 Satz 2 SGG muß "die Revision", für die Schriftform vorgeschrieben ist, diese Angaben enthalten, und es reicht folglich nicht aus, wenn das Gericht sie durch eigene Ermittlungen zur Kenntnis bekommt. Die Klarheit der Rechtsmittelschrift dient nämlich, wie oben dargelegt, gerade auch den Interessen des Rechtsmittelgerichts, so daß der Rechtsmittelkläger sich nicht darauf verlassen darf, daß die Mängel des Rechtsmittels ausgerechnet erst durch ein Tätigwerden des Gerichts ausgeräumt werden müssen. Vielmehr gehören Angaben über die Person des Rechtsmittelgegners zu den wesentlichen Erfordernissen einer wirksamen Rechtsmitteleinlegung, welche der Schriftform bedürfen und folglich durch gerichtsseitig durchgeführte Ermittlungen und Vermerke nicht ersetzt werden können (BGH VersR 1985, 1092, 1093). Aus diesem Grunde ist das Ergebnis der Bemühungen des BSG, die Mängel der Revision durch eigenes Tun auszugleichen, ohne rechtliche Bedeutung für die Ordnungsmäßigkeit der vorliegenden Revision. Zudem soll nicht unerwähnt bleiben, daß es auch nicht auf etwa vorhandenes Wissen des zuständigen einzelnen Spruchkörpers oder eines seiner Mitglieder ankommen kann; denn das Gebot der Klarheit von Rechtsmittelschriften dient dem Gericht als Institution, also auch der ordnungsgemäßen Erledigung der notwendig zu erledigenden Verwaltungstätigkeit im Zusammenhang mit der Rechtsmitteleinlegung. Eben diese gerichtlichen Aufgaben konnten hier nicht in der gesetzlich vorgesehenen Weise erledigt werden, ohne daß vom BSG eigene Nachforschungen angestellt wurden.
Auch das BAG (AP Nrn 28 und 43 zu § 518 ZPO) hat eigenes Wissen des Gerichts nur hinsichtlich der Anschrift des vom Rechtsmittelkläger genannten Rechtsmittelbeklagten - dessen Person somit, anders als hier, in der Revisionsschrift bezeichnet war - ausreichen lassen (s BGH VersR 1985, 1092, 1093).
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht begründet worden. Der Senat geht angesichts des Verlaufs des Revisionsverfahrens sowie des Inhalts der Erklärung im Schriftsatz der Beklagten vom 22. Dezember 1985 davon aus, daß dieser Antrag nicht aufrechterhalten wurde. Nach dem Akteninhalt ist auch eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nicht begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1657820 |
NJW 1987, 1358 |