Leitsatz (amtlich)

Das Verfahren des LSG leidet an einem wesentlichen Mangel, wenn das LSG über das Begehren des Klägers auf Aufhebung des Urteils des SG deshalb nicht entschieden hat und nicht hat entscheiden wollen, weil das LSG der Meinung gewesen ist, es habe an einer Voraussetzung für den Erlaß eines Urteils des SG gefehlt, nämlich an einer Klage; eine Beschwer liegt auch dann vor, wenn der Tenor keine Entscheidung enthält, die Gründe aber mit Sicherheit ergeben, daß das LSG das Begehren gewürdigt, aber es nicht für begründet gehalten hat. Rügt der Kläger diesen Verfahrensmangel, so ist die Sache in entsprechender Anwendung von SGG § 170 Abs 2 S 2 zur Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Widerspricht sich eine Sitzungsniederschrift, so wird insoweit, als der Widerspruch geht, nichts erwiesen; anderseits sind auch Sitzungsniederschriften der Auslegung fähig, selbst insoweit, als es sich um ihren formellen Beweiswert handelt.

 

Normenkette

SGG § 160 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 170 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

1.) Auf die Revision des Klägers H...-P... N... wird die Sache an das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht zurückverwiesen.

2.) Die Revision der Klägerin I...-C... N... gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. Juni 1959 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind der Klägerin nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin L...-C... N... (Klägerin zu 1) beantragte am 7. Juni 1951 für sich und ihren minderjährigen Sohn H...-P... N... (Kläger zu 2) Witwen- und Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG); sie gab an, ihr Ehemann J... N... (N) sei am 15. Mai 1945 ums Leben gekommen. Mit Bescheid vom 31. März 1954, adressiert an die Klägerin zu 1), lehnte das Versorgungsamt F... "den Antrag vom 7. Juni 1951" ab, da der Tod des Ehemannes der Klägerin zu 1) nicht Schädigungsfolge sei; der Widerspruch wurde am 27. Juli 1955 zurückgewiesen. Mit der Klage begehrte die Klägerin zu 1) nach der Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Sozialgerichts (SG) Schleswig am 2. Oktober 1956, die Bescheide der Versorgungsverwaltung aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin eine Versorgungsrente ab 1. Juli 1951 zu gewähren. Das SG verkündete im Termin den Beschluß, den zum Termin hinzugezogenen ärztlichen Sachverständigen darüber zu hören, ob der Tod des Ehemannes der Klägerin zu 1) "und Vater des Waisenkindes" auf Wehrdiensteinflüsse zurückzuführen sei. Bei der Bezeichnung der Beteiligten wurde im Protokoll nur die Klägerin zu 1) aufgeführt, bei der Bezeichnung der erschienenen Parteien wurde gesagt, daß "für die Kläger die Klägerin in Person" erschienen sei. Das SG wies durch Urteil vom 2. Oktober 1956 die Klage ab, im Rubrum wurden als Kläger die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2), gesetzlich vertreten durch die Klägerin zu 1) aufgeführt, die Urteilsgründe nahmen auf beide Kläger Bezug, nach dem Tatbestand des Urteils beantragten sie u.a., den Beklagten zu verurteilen, "ihnen Hinterbliebenenbezüge seit 1. Juli 1951 zu zahlen". Beide Kläger legten gegen dieses Urteil Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Schleswig ein; das LSG bezeichnete im Verlauf des Rechtsstreits als Kläger sowohl die Klägerin zu 1) als auch den Kläger zu 2), in der Niederschrift über die öffentliche Sitzung des LSG vom 19. Juni 1959 wurde als Berufungskläger nur die Klägerin zu 1) aufgeführt, über die Anträge wurde darin gesagt: "Der Prozeßbevollmächtigte der Berufungskläger beantragte, .... die Beklagte kostenpflichtig zu verurteilen, der Klägerin über die Gewährung einer Hinterbliebenenrente .... einen neuen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen; der Berufungsbeklagte beantragte, die Berufung der Klägerin zu 1) zurückzuweisen; hinsichtlich der Klägerin zu 2) [muß richtig heißen: des Klägers zu 2)] kein Antrag". Das LSG erließ folgendes Urteil:

"Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 15. Kammer des SG Schleswig vom 2. Oktober 1956 wird zurückgewiesen."

Es führte aus, beide Kläger hätten gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt, da die ihnen zugestellte Urteilsausfertigung im Rubrum die Namen beider Kläger enthalte. Das Rubrum stehe jedoch im Widerspruch zu dem Protokoll des SG, gegen den Inhalt des Protokolls sei nur der Nachweis der Fälschung zulässig (§ 164 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), nach diesem Protokoll sei nur die Klägerin zu 1) Beteiligte, den wesentlichen Bestandteilen des Protokolls sei zu entnehmen, daß das SG nur über den Witwenrentenanspruch der Klägerin zu 1) entschieden habe, es sei gleichgültig, "mit welchem erweiterten Streitstoff sich der Urteilsverfasser unzulässigerweise auseinandersetzt". Auch der "Berufungswille", der in dem Berufungsschriftsatz des Prozeßbevollmächtigten zum Ausdruck komme, könne nicht auf eine Entscheidung über den Waisenrentenanspruch gehen, da über diesen Anspruch im Verwaltungsverfahren noch nicht entschieden sei. Das Urteil des SG sei in sachlicher Hinsicht im Ergebnis jedoch nicht zu beanstanden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe N. sich selbst getötet, es sei nicht festzustellen, daß er dies im Zustand der Bewußtlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden, oder sie wesentlich beeinträchtigenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit getan habe; N. habe auch nicht spontan unter dem unmittelbaren Eindruck der nervlich belastenden schweren und schwersten Luftangriffe auf Kiel gehandelt, es habe sich auch nicht feststellen lassen, daß die Bombenangriffe zu einer sich allmählich entwickelnden tieferen Depression von Krankheitswert geführt haben; es könne zutreffen, daß bei N. eine gewisse Beeinträchtigung der Willensbestimmbarkeit vorgelegen habe, sie habe jedoch nicht auf einer wehrdienstbedingten krankhaften Störung der Geistestätigkeit beruht. Die objektiv feststellbaren Umstände der Selbsttötung ließen hinsichtlich der wahren Gründe nur Vermutungen und Möglichkeiten über die Kausalität zu. Das Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 29. Juli 1959 zugestellt.

Am 20. August 1959 legten die Kläger Revision ein. Sie beantragten:

1. Das Urteil des 5. Senats des LSG Schleswig vom 19. Juni 1959 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen,

2. hilfsweise,

den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des 5. Senats des LSG Schleswig vom 19. Juni 1959, des Urteils der 15. Kammer des SG Schleswig vom 2. Oktober 1956 und der vorangegangenen Bescheide vom 27. Juli 1955 und 31. März 1954 und gleichzeitiger Feststellung, daß der Tod des Ehemannes der Klägerin und Vaters des am 8. Januar 1945 geborenen H...-P... N... auf unmittelbare Kriegseinwirkung zurückzuführen ist, zu verurteilen, der Klägerin und ihrem minderjährigen Sohne einen neuen rechtsmittelfähigen Bescheid über die Gewährung von Hinterbliebenenbezüge ab 1. Juni 1951 zu erteilen.

Zur Begründung trugen sie vor, das Verfahren des LSG leide an wesentlichen Mängeln; das Urteil des LSG enthalte keinen Urteilsausspruch bezüglich des H...-P... N., obwohl dieser im Urteil des SG als Kläger aufgeführt sei; wenn das LSG der Meinung gewesen sei, H...-P... N. sei im Rubrum und Tatbestand des Urteils des SG zu Unrecht als Kläger aufgeführt, so habe das LSG das Urteil des SG insoweit aufheben müssen, es habe das Urteil des SG insoweit nicht einfach als nicht existent behandeln dürfen. Die Klägerin zu 1) habe indessen den Antrag auf Verurteilung nicht nur für sich, sondern zugleich auch für den Kläger zu 2) als dessen gesetzlicher Vertreter gestellt; deshalb seien die angefochtenen Bescheide, auch wenn sie nur an die Klägerin zu 1) gerichtet seien, allenfalls ungenau im Ausdruck, dies sei zweifellos der Grund für die Bezeichnung beider. Kläger als Beteiligte im Rubrum und Tatbestand des Urteils des SG gewesen; nicht das Urteil des SG, sondern nur das Sitzungsprotokoll vom 2. Oktober 1956 sei insoweit unrichtig. Das LSG habe aber auch die Beweise fehlerhaft gewürdigt, weil es den Begriff der "absichtlich" herbeigeführten Schädigung (§ 1 Abs. 4 BVG) verkannt habe. Das Vorliegen einer "Absicht" sei stets dann zu verneinen, wenn sich für ein Verhalten keine andere Erklärung als die Einwirkung von Kampfhandlungen auf den psychischen Zustand des Betroffenen ergebe, die überwiegende Wahrscheinlichkeit spreche für den ursächlichen Zusammenhang, "Gründe, die nur rechtsvernichtende Bedeutung haben", müsse der beweisen, der sich darauf berufe.

Der Beklagte beantragte,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

II.

Da das LSG die Revision nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ist die Revision nur statthaft, wenn die Kläger zu Recht rügen, das Verfahren des LSG leide an einem wesentlichen Mangel (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG), oder wenn das LSG bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Die Revisionsbegründung muß nicht nur die verletzte Rechtsnorm, sondern, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, auch die Tatsachen und Beweismittel bezeichnen, die den Mangel ergeben (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG).

1.) Der Kläger zu 2) rügt zu Recht, das Verfahren des LSG leide, soweit es ihn betroffen habe, an einem wesentlichen Mangel. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels ist auch in der Sozialgerichtsbarkeit die Beschwer des Rechtsmittelklägers (BSG 9, 17 ff., 19 mit weiteren Hinweisen). Das Urteil des SG hat nicht nur die Klägerin zu 1), sondern auch den Kläger zu 2) beschwert. Nach der Formel und dem gesamten Inhalt des Urteils ist über die Versorgungsansprüche beider Kläger entschieden; das SG hat angenommen, die angefochtenen Bescheide seien auch insoweit rechtmäßig, als die Versorgungsverwaltung damit den Anspruch des Klägers zu 2) abgelehnt habe. Für die Frage, ob die Berufung des Klägers zu 2) zulässig gewesen ist, kann zunächst dahingestellt bleiben, ob das SG zu Recht über den Anspruch des Klägers zu 2) entschieden hat, das Urteil des SG ist insoweit jedenfalls nicht ein "Nichturteil" gewesen, der äußere Tatbestand des Urteils hat vorgelegen; es hat sich auch nicht - wie das LSG möglicherweise gemeint hat - insoweit um ein nichtiges oder wirkungsloses Urteil gehandelt; dem SG hat die Gerichtsbarkeit zugestanden, es hat keine Rechtsfolge ausgesprochen, die ihrer Art nach dem geltenden Recht unbekannt ist, es hat auch nicht ein Sachurteil gegenüber einem nicht existierenden Beteiligten erlassen (vgl. Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 8. Aufl., § 73 III und IV S. 337/340). Vom Standpunkt des LSG aus hat allenfalls ein fehlerhaftes und deshalb anfechtbares Urteil vorgelegen, weil das SG über die Klage des Klägers zu 2) entschieden hat, obwohl - nach Meinung des LSG - eine Klage des Klägers zu 2) nicht vorgelegen hat; das Urteil des SG wäre, wenn es die Kläger nicht mit der Berufung angefochten hätten, auch insoweit in Rechtskraft erwachsen, als darin über den Anspruch des Klägers zu 2) entschieden ist. Das Urteil des SG hat den Kläger zu 2) beschwert; Berufung ist von ihm eingelegt worden, das LSG hat deshalb über diese Berufung entscheiden müssen; wenn es über die Berufung des Klägers zu 2) nicht entschieden hat, so hat es über das Begehren des Klägers zu 2) auf Aufhebung des Urteils des SG nicht entschieden (§ 123 SGG), obwohl über diesen Antrag eine Entscheidung auch dann hat ergehen müssen, wenn das LSG der Ansicht gewesen ist, es fehle eine Voraussetzung für den Erlaß eines Urteils gegenüber dem Kläger zu 2), nämlich eine Klage. Dieser Mangel des Verfahrens des LSG macht auch die Revision statthaft. Zwar findet die Revision nach den §§ 160 Abs. 1, 161 SGG - ebenso wie nach den Verfahrensordnungen der anderen Gerichtsbarkeiten - nur gegen Urteile statt; das LSG hat ein Urteil bezüglich des Klägers zu 2) nicht erlassen und auch nicht erlassen wollen, es hat nicht etwa das Berufungsbegehren des Klägers zu 2) übergangen, die Voraussetzungen für eine Urteilsergänzung (§ 140 SGG) liegen nicht vor. Eine Beschwer eines Rechtsmittelklägers liegt aber bereits darin, daß er das von ihm begehrte Prozeßziel - hier eine Entscheidung über das Begehren des Klägers zu 2) auf Aufhebung des Urteils des SG durch das LSG - nicht erreicht hat; es macht keinen Unterschied, ob der Kläger mit diesem Begehren aus prozessualen Gründen nicht durchgedrungen ist, ob sein Begehren aus materiell-rechtlichen Gründen abgelehnt worden ist oder ob - wie dies hier der Fall ist - gar keine Entscheidung über dieses Begehren ergangen ist, sofern nicht etwa die ergangene Entscheidung ausdrücklich als Teilurteil bezeichnet ist oder das Gericht sich die Entscheidung über den betreffenden Punkt ausdrücklich vorbehalten hat. Eine Beschwer liegt auch dann vor, wenn der Tenor eine Entscheidung nicht enthält, die Gründe aber mit Sicherheit ergeben, daß das Gericht das Begehren gewürdigt, aber nicht für begründet gehalten hat (vgl. Nicolini, NJW 1955, 615 ff., 616). Mit der Revision angefochten ist der Rechtsirrtum des Berufungsgerichts, der in der Annahme liegt, es brauche über die Berufung des Klägers zu 2) keine Entscheidung zu ergehen, weil es an einer Klage fehle; wenn das LSG geglaubt hat, eine Klage liege nicht vor, hat es von seinem Standpunkt aus das Urteil des SG insoweit aufheben müssen (vgl. auch BGH, Urteile vom 15. Dezember 1952, Lindenmaier/Möhring Nr. 7 zu § 253 ZPO, und vom 29. September 1953, Lindenmaier/Möhring Nr. 14 zu § 546 ZPO). Die Revision des Klägers zu 2) ist daher statthaft nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG, sie ist auch frist- und formgerecht erhoben und damit zulässig. Sie ist auch begründet, weil das LSG zu Unrecht über die Berufung des Klägers nicht entschieden hat. Da kein Urteil des LSG gegenüber dem Kläger zu 2) und damit insoweit auch keine tatsächlichen Feststellungen vorliegen, kann der Senat nicht selbst entscheiden. Die Feststellungen, die das LSG in seinem Urteil gegenüber der Klägerin zu 1) getroffen hat, sind für das Verfahren gegenüber dem Kläger zu 2) nicht bindend. Die Sache ist deshalb in entsprechender Anwendung des § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG wird bei der Entscheidung zu prüfen haben, ob es zutrifft, daß die Versorgungsverwaltung über den Antrag des Klägers zu 2) noch nicht entschieden habe. Die Klägerin zu 1) hat am 7. Juni 1951 für sich und für den von ihr kraft Gesetzes vertretenen Kläger zu 2) Versorgungsrente beantragt. Wenn die Bescheide vom 31. März 1954 und vom 27. Juli 1955 nur an die Klägerin zu 1) gerichtet sind, so ist damit noch nicht gesagt, daß die Versorgungsverwaltung nicht über den Antrag in vollem Umfang, also auch bezüglich des Anspruchs des Klägers zu 2) auf Waisenrente habe entscheiden wollen; wenn sie dies hat tun wollen, ist weiter zu prüfen, ob nicht auch eine Klage des Klägers zu 2) vorliegt. Die Niederschrift über die öffentliche Sitzung des SG am 2. Oktober 1956 steht nicht notwendig der Annahme entgegen, daß die Klage von der Klägerin zu 1) zugleich auch für den Kläger zu 2) erhoben worden ist. Diese Niederschrift ist zunächst in sich widerspruchsvoll, weil es dort einerseits heißt, daß "für die Kläger" die Klägerin erschienen sei und in dem Beweisbeschluß auch von dem "Vater des Waisenkindes", also von dem Kläger zu 2), die Rede ist, weil aber andererseits bei der Bezeichnung der Sache nur die Klägerin zu 1) aufgeführt ist und der Antrag nur auf Verurteilung zur Gewährung von Rente "an die Klägerin" lautet. Widerspricht sich das Protokoll selbst, so wird insoweit, als der Widerspruch geht, nichts erwiesen (vgl. Wieczorek Anm. B III zu § 164 ZPO); andererseits sind auch Protokolle der Auslegung fähig, selbst insoweit, als es sich um ihren formellen Beweiswert handelt (vgl. RGSt Höchstrichterliche Rechtsprechung 1934, 83; RGSt JW 1932, 421 Anm. 25). Da die Klägerin zu 1) auch für den Kläger zu 2) Versorgung begehrt hat, auch nicht auszuschließen ist, daß die Versorgungsverwaltung über den Antrag des Klägers zu 2) ebenso wie über den Antrag der Klägerin zu 1) hat entscheiden wollen und die Niederschrift über die öffentliche mündliche Verhandlung nicht eindeutig ist, steht der Wortlaut des protokollierten Antrags nicht notwendig der Auslegung entgegen, daß die Klägerin zu 1) in ihrer Eigenschaft als Vertreterin des Klägers zu 2) auch für den Kläger zu 2) Klage erhoben hat; jedenfalls wird aber das LSG auch im Hinblick auf den nicht übereinstimmenden Wortlaut des protokollierten Antrags und des im Tatbestand des Urteils enthaltenen Antrags den Vorsitzenden und den Schriftführer, von denen die Niederschrift vom 2. Oktober 1956 unterzeichnet ist, noch darüber befragen müssen, ob nicht die Niederschrift der Berichtigung bedarf.

2.) Soweit das LSG über die Berufung der Klägerin zu 1) entschieden hat, ist die Revision nicht statthaft. Das LSG hat nicht die Grenzen seines Rechts, das Gesamtergebnis des Verfahrens frei zu würdigen (§ 128 SGG; BSG 2, 236 ff.), überschritten, wenn es festgestellt hat, es sei nicht wahrscheinlich, daß der Tod des N. Schädigungsfolge sei. Das LSG hat offen gelassen, ob N. im Zeitpunkt seines Todes am 15. Mai 1945 noch im militärischen Dienst im Sinne der §§ 1, 2, 5 BVG gestanden hat, ob er also noch zu dem versorgungsrechtlich geschützten Personenkreis gehört hat oder ob dies nicht mehr der Fall gewesen ist, weil N. möglicherweise bereits entlassen gewesen ist; das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß ein Versorgungsanspruch der Klägerin zu 1) jedenfalls auch dann nicht begründet ist, wenn diese Frage zu bejahen ist, und zwar deshalb nicht, weil es sich bei der Selbsttötung um eine von dem Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung gehandelt habe (§ 1 Abs. 4 BVG). Für die Frage, ob die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft ist, kommt es nicht darauf an, ob das LSG das materielle Recht richtig oder unrichtig angewandt hat, ob also möglicherweise ein error in iudicando vorliegt, es bedarf insoweit keines Eingehens auf die Frage, ob das LSG den Begriff der "Absicht" im Sinne von § 1 Abs. 4 BVG richtig ausgelegt hat. Es kommt insoweit vielmehr nur darauf an, ob der "Weg", also das Verfahren, auf dem das LSG zu seinem Urteil gelangt ist, fehlerhaft gewesen ist (error in procedendo). Diese Frage ist allein vom sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG aus zu beurteilen (BSG 2, 84 ff.). Das LSG hat das Gesamtergebnis des Verfahrens, soweit es für die Anwendung des § 1 Abs. 4 BVG erheblich gewesen ist, eingehend gewürdigt, es hat alle Umstände festgestellt und geprüft, die für die Frage, ob die freie Willensbestimmung des N. im Zeitpunkt der Selbsttötung infolge einer Schädigung im Sinne des BVG wesentlich beeinträchtigt gewesen ist, erheblich gewesen sind, es hat die allgemeinen Verhältnisse während des Zusammenbruchs und kurz danach, aber auch die Persönlichkeit des N. und seine besonderen Verhältnisse berücksichtigt, es hat sich mit den Aussagen der Zeugen und den sonstigen Unterlagen, insbesondere mit den ärztlichen Gutachten, auseinandergesetzt und es hat die Gründe dargelegt, die für seine Überzeugung leitend gewesen sind; gegen § 128 SGG hat das LSG dabei nicht verstoßen. Das LSG hat auch insoweit nicht § 128 SGG verletzt, als es davon ausgegangen ist, daß auch in Angelegenheiten der Sozialgerichtsbarkeit der Grundsatz der objektiven Beweislast, insbesondere der Feststellungslast gilt; hiernach sind die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder des Nichtfestgestelltseins einer Tatsache von dem Beteiligten zu tragen, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will (BSG 6, 70 ff.). Das LSG hat zu Recht angenommen, daß die Klägerin zu 1) die Folgen zu tragen hat, die sich daraus ergeben, daß sich nicht hat feststellen lassen, daß N. im Zeitpunkt der Selbsttötung in seiner freien Willensbestimmung wesentlich beeinträchtigt gewesen ist und daß diese Beeinträchtigung eine Folge wehrdiensteigentümlicher Verhältnisse gewesen ist. Auf die Feststellung dieser Tatsachen ist es für den Anspruch der Klägerin zu 1) aber angekommen, es hat sich um die anspruchsbegründenden Tatsachen gehandelt, und nicht, wie die Revision meint, um Tatsachen von "rechtsvernichtender Bedeutung". Da der genannte Verfahrensmangel nicht vorliegt, ist die Revision der Klägerin zu 1) nicht statthaft nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Die Revision ist auch nicht statthaft nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Das LSG ist zu einer rechtlichen Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs, d.h. zu einer Anwendung der für das Gebiet der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm auf den festgestellten Sachverhalt, wie dies § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG voraussetzt (vgl. BSG 1, 268 ff.), überhaupt nicht gekommen, weil es schon in tatsächlicher Hinsicht und ohne Verstoß gegen Verfahrensvorschriften nicht hat feststellen können, daß die freie Willensbestimmung des N. im Zeitpunkt der Selbsttötung durch Folgen des Wehrdienstes wesentlich beeinträchtigt gewesen sei.

Da die Revision der Klägerin zu 1) nicht statthaft ist, ist sie als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG).

III.

Die Entscheidung über die Kosten der Revision der Klägerin zu 1) beruht auf § 193 SGG. Die Entscheidung über die Kosten der Revision des Klägers zu 2) bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 232

NJW 1962, 319

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