Leitsatz (amtlich)

1. Der Widerruf der Beteiligung eines Chefarztes (§ 29 Abs 5 ZO-Ärzte) ist nicht allein deshalb rechtswidrig, weil dieser mehr als 17 Jahre lang an der kassenärztlichen Versorgung der Versicherten beteiligt war und inzwischen in vorgerücktem Alter steht.

2. Notwendig iS § 368a Abs 8 RVO ist die Beteiligung eines Chefarztes nur, wenn er bei der Diagnose und der Behandlung der Versicherten Leistungen erbringen kann, die die niedergelassenen Kassenärzte nicht oder (quantitativ) nicht ausreichend anbieten.

 

Normenkette

ZO-Ärzte § 29 Abs 5; RVO § 368a Abs 8 Fassung: 1977-06-27; GG Art 14 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 07.08.1981; Aktenzeichen L 6 Ka 20/80)

SG Mainz (Entscheidung vom 04.06.1980; Aktenzeichen S 2 Ka 10/80)

 

Tatbestand

Der Kläger, Facharzt für innere Medizin und Chefarzt der medizinischen Abteilung des Evangelischen Diakonissenkrankenhauses in S., wendet sich gegen den teilweisen Widerruf seiner Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung auf dem Gebiet der inneren Medizin.

Diese Beteiligung war dem 1920 geborenen Kläger im Jahre 1962 ohne besondere Einschränkung gewährt worden. Mit Bescheid vom 11. Juli 1979 widerrief der Zulassungsausschuß für Ärzte die Beteiligung des Klägers mit der Ausnahme folgender Leistungen: Gastroenteroskopische Leistungen und Herzschrittmacherkontrollen, Überweisungen durch niedergelassene Internisten, medizinische Betreuung der Diakonissen des Diakonissenmutterhauses, Überweisungen der beteiligten Chefärzte des Diakonissenkrankenhauses S. im Rahmen der Beteiligung dieser Ärzte. Der beklagte Berufungsausschuß wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 7. November 1979 zurück.

Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz zurückgewiesen. Zur Begründung führt das LSG aus: Eine wegen eines zunächst bestehenden Bedürfnisses rechtmäßig ausgesprochene Beteiligung dürfe nur widerrufen werden, wenn das Bedürfnis nachträglich entfalle, weil die ärztliche Versorgung der Versicherten inzwischen anderweitig ausreichend sichergestellt sei. Eine rein quantitative Beurteilung der Bedürfnisfrage werde dabei dem Zweck des § 368a Abs 8 Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht gerecht. Für einen leitenden Krankenhausarzt sei es in seiner klinischen Tätigkeit zweifellos leichter als für einen frei praktizierenden Arzt möglich, sich jeweils mit neuen Methoden der Krankheitserkennung und Behandlung vertraut zu machen. Der Kläger sei profilierter Vertreter einer spezifisch gastroenterologisch orientierten Schule der inneren Medizin. Seine besonderen Erfahrungen auf dem Gebiet der Gastroenterologie ergäben sich auch aus seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und seiner Vortragstätigkeit. Deshalb verfüge er über besondere Kenntnisse und Erfahrungen. Den Versicherten stünden diese besonderen Kenntnisse und Erfahrungen nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung, wenn die Beteiligung nur auf gastroenteroskopische Leistungen und Überweisungen durch andere Internisten beschränkt werde.

Dagegen hat der Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung des § 368a Abs 8 RVO iVm § 29 Abs 5 Zulassungsordnung für Kassenärzte (ZO-Ärzte). Das LSG scheine in seinem Urteil von der Vorstellung ausgegangen zu sein, daß ein Chefarzt grundsätzlich und generell über besondere Kenntnisse und Erfahrungen verfüge, die eine Beteiligung nach § 368a Abs 8 RVO iVm § 29 ZOÄ geradezu dringend gebieten würde. Wenn dies richtig sei, so werde es in der Zukunft nicht mehr möglich sein, die Beteiligung eines Chefarztes überhaupt zu widerrufen.

Der Beklagte beantragt sinngemäß, in Abänderung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts Mainz vom 4. Juni 1980 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragen, die Urteile des Sozialgerichts Mainz vom 4. Juni 1980 und des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. August 1981 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen zu 3) und 4) haben sich am Verfahren nicht beteiligt.

Die Beigeladene zu 5) stellt keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist. Anhand der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist.

Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids ergibt sich nicht schon allein aus der Tatsache, daß der Kläger vor dem Widerruf mehr als 17 Jahre lang an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt war. Der Widerruf war dem Zulassungsausschuß nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes oder der Eigentumsgarantie (Art 14 des Grundgesetzes -GG-) versagt. Eine derart geschützte Rechtsposition hatte der Kläger weder durch den begünstigenden Verwaltungsakt, mit dem seine Beteiligung ausgesprochen worden war, noch durch deren jahrelange Ausübung erworben. Die Beteiligung hat vielmehr stets unter dem Vorbehalt des Widerrufs gestanden. Nach § 29 Abs 4 der ZO-Ärzte vom 28. Mai 1957 (BGBl I 572) = § 29 Abs 5 ZO-Ärzte idF der Verordnung vom 24. Juli 1978 (BGBl I 1085) konnte sie widerrufen werden, insbesondere wenn die Voraussetzungen, die zur Beteiligung geführt haben, nicht mehr vorliegen. Diese Widerrufsmöglichkeit hatte auch schon nach der ursprünglichen Fassung der ZO-Ärzte bestanden. Deshalb war die durch die Beteiligung erworbene Rechtsposition des Klägers als beteiligter Chefarzt von Anfang an insoweit eingeschränkt. Er kann sich von daher nicht auf einen ihm zustehenden Vertrauensschutz oder auf eine Eigentumsgarantie berufen. Wenn Rechte nur unter einer Befristung, Bedingung, einem Widerrufsvorbehalt oder einer sonstigen Beschränkung gewährt werden, dann sind sie nur in dieser Beschränkung "wohlerworben" und durch die Verfassung gesichert (BSGE 2, 202, 220). Der Widerruf greift auch nicht in erster Linie in eine durch eigene Leistung geschaffene Rechtsposition ein, sondern betrifft die Teilnahme an einer besonderen Verdienstmöglichkeit im Rahmen eines von anderen geschaffenen und finanzierten Leistungssystems, dessen Funktion im Allgemeininteresse liegt (vgl zur Kassenarztzulassung BVerfG in SozR 2200 § 368a Nr 6). Das gilt auch für den Fall, daß der Kläger im irrigen Vertrauen auf eine unwiderrufliche Beteiligung bei seiner Tätigkeit eigenes Personal beschäftigt und selbst bezahlt hat.

Ausgeschlossen ist der Widerruf ferner nicht deshalb, weil dem Kläger nach über 17jähriger Beteiligung nur noch ein relativ kurzer Zeitraum bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres verblieb. Eine solche Berücksichtigung des Alters hätte einer ausdrücklichen Bestimmung bedurft - wie etwa in § 62 Abs 3 des Bundesversorgungsgesetzes. Danach haben Versorgungsberechtigte, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, einen Bestandsschutz. Es geht dabei um den Bestand einer sozialen Leistung, bei der Beteiligung von Chefärzten dagegen um die Versorgung der Versicherten. Das Lebensalter kann daher nur bei der Ausübung des Ermessens eine Rolle spielen. Eine andere Frage ist, ob der angefochtene Bescheid rechtswidrig gewesen wäre, wenn der Zulassungsausschuß die Beteiligung trotz bestehender Widerrufslage längere Zeit hat fortbestehen lassen. Dafür ist den Feststellungen des LSG nichts zu entnehmen.

Der angefochtene Bescheid ist ferner nicht schon deshalb rechtswidrig, weil der beklagte Berufungsausschuß die Grenzen seines Ermessens überschritten hätte (§ 54 Abs 2 SGG). Entgegen der Behauptung des Klägers hat der Beklagte von seinem Ermessen ausreichend Gebrauch gemacht. Er hat dargelegt, im Rahmen des Ermessens könnten Ausnahmefälle berücksichtigt werden, im vorliegenden Fall seien aber keine solchen besonderen Umstände gegeben. Es sei eine gleichmäßige Behandlung aller Fälle geboten, so daß im vorliegenden Fall kein Ermessensfehlgebrauch erkennbar sei. Damit hat der Beklagte nicht seine Ermessensausübung grundsätzlich auf Ausnahmefälle beschränkt. Zu einer Beschränkung gelangt er erst aufgrund der Anwendung des Gleichheitssatzes. Entscheidend ist darüber hinaus, daß der Beklagte den für die Ausübung des Ermessens erwägenswerten Umstand, daß dem Kläger nur noch wenige Jahre der chefärztlichen Tätigkeit verbleiben, berücksichtigt und im Bescheid seine Erwägungen dazu auch dargelegt hat.

Das LSG hat die Aufhebung des angefochtenen Bescheids durch das SG bestätigt, weil die Voraussetzungen, die zur Beteiligung des Klägers geführt haben, nach wie vor vorlägen. Allerdings würde dies den Widerruf nach § 29 Abs 5 ZO-Ärzte ausschließen. Die Feststellungen des LSG reichen aber für das Ergebnis nicht aus. Der Senat kann ihnen nicht abschließend entnehmen, ob die Voraussetzungen der Beteiligung nach § 368a Abs 8 RVO beim Kläger im Zeitpunkt des Widerrufs vorgelegen haben. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob der Widerruf nach § 29 Abs 5 ZO-Ärzte eine wesentliche Änderung der Verhältnisse voraussetzt. Eine Beteiligung kann jedenfalls trotz Änderung der Verhältnisse nicht widerrufen werden, wenn der Arzt unabhängig davon, ob er bisher schon beteiligt war, nach den gegenwärtigen Verhältnissen die Beteiligung beanspruchen kann.

Der Kläger kann nach § 368a Abs 8 RVO im Zeitpunkt des Widerrufs einen Anspruch auf Beteiligung gehabt haben.

Ob und in welchem Umfang die Beteiligung eines leitenden Krankenhausarztes iS des § 368a Abs 8 RVO notwendig ist, richtet sich grundsätzlich danach, ob gegenwärtig eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten gewährleistet ist (vgl BSG SozR § 368a RVO Nr 22; BSGE 21, 230, 231). Nur dort, wo Versorgungslücken entstehen, soll das Institut der Beteiligung zur Anwendung kommen. In der gesetzlichen Krankenversicherung ist die ambulante Behandlung der Versicherten in erster Linie den freipraktizierenden Ärzten vorbehalten (BVerfGE 16, 286, 298) - Präponderanz des niedergelassenen Arztes -. Solange freipraktizierende Ärzte in der Lage sind, eine ausreichende und zweckmäßige Krankenpflege zu erbringen, besteht kein Anlaß für eine Beteiligung. Erst bei einer Minderversorgung kann subsidiär die Beteiligung eines Krankenhausarztes in Frage kommen. Die Beteiligung an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung durch Krankenhausärzte ist mithin nur zulässig, wenn dafür ein besonderes Bedürfnis vorliegt, weil die Versicherten durch die niedergelassenen Kassen- und Vertragsärzte nicht ausreichend versorgt werden können, soweit also Versorgungslücken bestehen, die sich nur durch die Beteiligung eines Krankenhausarztes schließen lassen (BSGE 21, 230, 231; 29, 65, 67; 48, 56, 57).

Die Bedürfnisfrage darf in diesem Fall gestellt werden, weil damit im Rahmen des Art 12 GG nicht die Berufswahl, sondern die Berufsausübung aus sachgemäßen Erwägungen eingeschränkt wird (vgl zu § 368a RVO Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung 2. Aufl, § 368a RVO Anm 3.7. mit Hinweis auf BVerfGE 16, 286 f; BSGE 48, 56, 57). Die Beteiligung ist dabei subsidiär (BVerfG aaO), also ein "Minus" zur Vollzulassung. Dies soll und muß bei der Bedürfnisprüfung beachtet werden.

Notwendig für die ausreichende ambulante Versorgung der Versicherten ist die Beteiligung des Klägers nicht schon allein wegen seiner Position als Chefarzt. Davon geht auch das LSG aus. Ein Bedürfnis läßt sich ferner nicht aus dem Argument ableiten, den Versicherten müsse eine Versorgung durch qualitativ erfahrenere Krankenhausärzte zugänglich gemacht werden (Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, 5. Aufl, § 368a RVO RdNr C.147). Andererseits ist dem LSG darin zu folgen, daß die Beteiligung nicht schon allein mit dem Hinweis auf das Fachwissen der niedergelassenen Fachärzte versagt werden kann. Es ist vielmehr festzustellen, über welche besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse sowie über welche apparativen Ausstattungen der Kläger verfügt, die zur ausreichenden ärztlichen Versorgung der Versicherten notwendig sind und von den niedergelassenen Ärzten nicht oder nicht ausreichend abgedeckt werden. Die Besonderheit der Fähigkeiten und Kenntnisse muß sich gerade auf die ambulante Krankenpflege beziehen (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl, § 368a RVO Anm 11g S 17/1541).

Ob der Kläger danach über besondere für die ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten notwendige Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, die die niedergelassenen Fachärzte nicht in ausreichendem Maß einbringen, kann der Senat nicht entscheiden.

Das LSG hat solche Kenntnisse und Erfahrungen des Klägers nicht festgestellt. Die Tatsache, daß der Kläger profilierter Vertreter einer spezifisch gastroenterologisch orientierten Schule der inneren Medizin ist und seine wissenschaftliche Tätigkeit reichen dafür nicht aus. Indem sich das LSG darauf beschränkt, geht es von einer unzutreffenden Auslegung des § 368a Abs 8 RVO aus. Gemeint sind hier nur solche Kenntnisse und Erfahrungen, die für die Versorgung der Versicherten notwendig sind. Die Kenntnisse und Erfahrungen des Wissenschaftlers sind dafür nur insofern bedeutsam, als sie sich auf die Diagnose und Behandlung durch den Chefarzt im Einzelfall auswirken. Nur wenn er bei der Diagnose oder der Behandlung aufgrund seiner besonderen Kenntnisse und Erfahrungen, etwa auch durch Anwendung anderer Methoden, etwas leistet, was die niedergelassenen Ärzte nicht bieten, kann die Beteiligung notwendig sein. Das LSG müßte dazu also auch feststellen, daß die örtlich in Betracht kommenden niedergelassenen Kassenärzte solche Kenntnisse und Erfahrungen mit der erforderlichen apparativen Ausstattung quantitativ oder qualitativ nicht ausreichend anbieten können.

Die Revision muß aus allen diesen Gründen im Sinn der Zurückverweisung Erfolg haben. Über die Kosten des Revisionsverfahrens hat das LSG mitzuentscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661051

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