Leitsatz (amtlich)
Nach BVG § 1 ist nur versorgungsberechtigt, wer selbst einen Schädigungstatbestand im Sinne dieser Vorschrift erfüllt; Schädigungen, die bei anderen als den unmittelbar geschädigten Personen auftreten, begründen keinen Versorgungsanspruch.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. November 1956 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Bei dem Kläger wurde als Schädigungsfolge des ersten Weltkrieges "Chronischer Bronchialkatarrh und Asthma" anerkannt; durch Umanerkennungsbescheid vom 10. Dezember 1951 erhielt er Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 70 v.H. Der Schwiegersohn des Klägers, G D, zog sich gegen Ende des zweiten Weltkrieges in der Kriegsgefangenschaft eine Lungentuberkulose zu; ihm wurde deshalb Rente nach einer MdE. um 100 v.H. bewilligt. Im November 1951 stellte sich auch bei dem Kläger eine Lungentuberkulose heraus; es wurde vermutet, daß der Kläger durch den Schwiegersohn mit der Tuberkulose angesteckt worden sei. Der Kläger beantragte deswegen am 7. Dezember 1951 die Erhöhung seiner Rente. Das Versorgungsamt K lehnte den Antrag durch Bescheid vom 15. März 1952 ab, weil die Tuberkulose des Klägers keine Schädigungsfolge im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sei und die bereits anerkannten Schädigungsfolgen sich nicht wesentlich verschlimmert hätten. Der Kläger legte Berufung bei dem Oberversicherungsamt K ein; die Berufung ging am 1. Januar 1954 als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Karlsruhe über. Das SG. wies die Klage durch Urteil vom 15. Juni 1954 ab. Das Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg wies die Berufung durch Urteil vom 27. November 1956 zurück: Die Lungentuberkulose des Klägers sei nicht auf die als Schädigungsfolgen anerkannten Körperschäden zurückzuführen; soweit der Kläger die Lungentuberkulose seines Schwiegersohnes für ursächlich und haftungsbegründend halte, stünden einer Anerkennung Rechtsgründe entgegen. Auch wenn der Kläger - was unterstellt werden solle - von seinem Schwiegersohn angesteckt worden sei, sei die Tuberkulose des Klägers nicht eine Schädigungsfolge im Sinne des BVG; zwar habe der Schwiegersohn sich die Tuberkulose "durch eine Kriegsgefangenschaft" zugezogen und bei wörtlicher Auslegung des § 1 Abs. 1 BVG in Verbindung mit Abs. 2 Buchst. b könne man sagen, daß auch die Tuberkulose des Klägers "durch eine Kriegsgefangenschaft" herbeigeführt worden sei. Aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn des BVG ergebe sich aber, daß das BVG nur einem abgegrenzten Personenkreis habe Versorgung gewähren wollen, nämlich entweder nach § 1 Abs. 1 BVG solchen Personen, die selbst militärischen oder militärähnlichen Dienst geleistet hätten, oder nach § 1 Abs. 2 BVG solchen Personen, die selbst einem der dort genannten Schädigungstatbestände unterworfen gewesen seien; bei einer Schädigung durch Einflüsse der Gefangenschaft könnten demnach nur die Personen Versorgung erhalten, die selbst in Gefangenschaft gewesen seien; daß mittelbare Folgen von Schädigungen im Sinne des § 1 BVG, die bei anderen als den unmittelbar geschädigten Personen auftreten, nach dem BVG nicht entschädigt werden sollten, zeige auch § 1 Abs. 5 BVG, der eine Ausnahme von diesem Grundsatz nur für die Hinterbliebenen eines an den Folgen einer Schädigung Verstorbenen vorsehe. Die Revision ließ das LSG. zu.
Das Urteil wurde dem Kläger am 22. Dezember 1956 zugestellt. Am 11. Januar 1957 legte er Revision ein und beantragte,
das angefochtene Urteil und die diesem zugrunde liegenden Vorentscheidungen aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Lungentuberkulose des Klägers als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger vom 1. Dezember 1951 ab Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Zugleich begründete er die Revision: Das LSG. habe den § 1 BVG verletzt; der Wortlaut des Gesetzes spreche nicht gegen einen Versorgungsanspruch des Klägers, weil in § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG schlechthin von einer Schädigung die Rede sei, die durch eine Kriegsgefangenschaft herbeigeführt worden sei; nach der Formulierung des Gesetzes sei deshalb nicht unbedingt Voraussetzung, daß der Kläger sich sein Leiden durch eigene Kriegsgefangenschaft zugezogen habe, es genüge zur Begründung des Versorgungsanspruchs, daß der Kläger sein Leiden als "Drittgeschädigter" im Wege der Infektion erworben habe; auch unter dem Gesichtspunkt des Kausalzusammenhangs sei ein "Drittgeschädigter" von der Versorgung nicht ausgeschlossen; die mittelbare Kausalität sei offenbar.
Der Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft; der Kläger hat die Revision frist- und formgerecht eingelegt und begründet, sie ist daher zulässig. Die Revision ist jedoch unbegründet.
Nach § 1 Abs. 1 BVG erhält auf Antrag Versorgung, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Nach § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG steht einer Schädigung im Sinne des Abs. 1 eine Schädigung gleich, die durch eine Kriegsgefangenschaft herbeigeführt worden ist. Das LSG. hat festgestellt, daß die Lungentuberkulose des Klägers nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Leiden zurückzuführen ist, die als Schädigungsfolgen des ersten Weltkrieges anerkannt sind, es hat weiter festgestellt, daß der Kläger mit der Lungentuberkulose von seinem Schwiegersohn angesteckt worden ist und daß der Schwiegersohn sich dieses Leiden in der Gefangenschaft zugezogen hat; diese Feststellungen sind für das Bundessozialgericht (BSG.) bindend (§ 163 SGG). Zu Unrecht leitet der Kläger indessen einen Versorgungsanspruch daraus her, daß er von seinem Schwiegersohn mit der Lungentuberkulose angesteckt worden sei; der Kläger gehört insoweit nicht zu dem Personenkreis, der nach dem BVG Versorgung erhalten kann. Nach § 1 BVG ist nur versorgungsberechtigt, wer selbst einen Schädigungstatbestand im Sinne dieser Vorschrift erfüllt; Schädigungen, die bei anderen als den unmittelbar geschädigten Personen auftreten, begründen keinen Versorgungsanspruch (Schönleiter, Komm. zum BVG, § 1 Anm. 2; Thannheiser-Wende-Zech, Handbuch des Bundesversorgungsrechts, Erl. zu § 1 BVG; Wüst, Die Kriegsopferversorgung, 1956 S. 22; vgl. auch Grömig, ZfS., 1953 S. 254 ff.). Das ergibt sich aus der geschichtlichen Entwicklung und aus dem Zweck des Versorgungsrechts.
Nach § 1 des Gesetzes über die Versorgung der Personen der Unterklassen des Reichsheeres, der Kaiserlichen Marine und der Kaiserlichen Schutztruppen vom 31. Mai 1906 (MVG) haben die zur Klasse der Unteroffiziere und Gemeinen gehörenden Personen des Soldatenstandes bei der Entlassung aus dem aktiven Dienst Anspruch auf eine Rente (Militärrente) gehabt, wenn und solange ihre Erwerbsfähigkeit infolge einer Dienstbeschädigung aufgehoben oder um wenigstens 10 v.H. gemindert gewesen ist; für Offiziere ist eine entsprechende Regelung in den §§ 1, 28 des Gesetzes über die Pensionierung der Offiziere des Reichsheeres, der Kaiserlichen Marine und der Kaiserlichen Schutztruppen vom 31. Mai 1906 (OPG) enthalten gewesen. Nach dem Wortlaut dieser Vorschriften hat kein Zweifel daran bestanden, daß nur frühere Militärpersonen einen Anspruch auf Versorgung wegen Dienstbeschädigung gehabt haben, und zwar nur wegen Gesundheitsstörungen, die sie selbst in ihrem eigenen Dienstverhältnis erlitten haben. Auch in § 1 des Gesetzes über die Versorgung der Militärpersonen und ihrer Hinterbliebenen bei Dienstbeschädigung vom 12. Mai 1920 (RVG) hat es geheißen, daß frühere Angehörige der deutschen Wehrmacht und ihre Hinterbliebenen im Falle einer Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung erhalten. Für Körperschäden "in der Person eines Dritten" hat danach Versorgung nicht gewährt werden können (RVGer. 11 S. 136). Eine solche Beschränkung des anspruchsberechtigten Personenkreises ist für die Versorgung von ehemaligen Angehörigen der Streitkräfte, die eine Dienstbeschädigung erlitten haben, ebenso sachgerecht gewesen, wie es selbstverständlich ist, daß Versorgung nach den Vorschriften über die beamtenrechtliche Unfallfürsorge (vgl. z.B. BBG § 135) nur erhalten kann, wer - von den Hinterbliebenen abgesehen - selbst in einem Beamtenverhältnis gestanden hat. An dieser Rechtslage haben nach 1945 weder die in den süddeutschen Ländern ergangenen Körperbeschädigten-Leistungsgesetze (KBLG) noch die in der ehemaligen britischen Besatzungszone erlassene Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 etwas geändert; auch das BVG hat insoweit kein abweichendes Recht geschaffen. In den süddeutschen KBLG und in der SVD Nr. 27 ist der Kreis der Anspruchsberechtigten - von den Hinterbliebenen abgesehen - zwar bezeichnet mit "Personen", die durch unmittelbare Kriegseinwirkungen oder anläßlich militärischen oder militärähnlichen Dienstes Gesundheitsschädigungen erlitten haben (vgl. z.B. Art. 1 Abs. 1 des Bayerischen KBLG; Nr. 4 a SVD Nr. 27); in § 1 BVG ist hinsichtlich des anspruchsberechtigten Personenkreises die - im Vergleich zu den früheren Militärversorgungsgesetzen - unbestimmtere Fassung "wer" gewählt worden, es ist nicht mehr ausdrücklich gesagt, daß nur ehemalige Angehörige der Wehrmacht Versorgung erhalten können; dies beruht aber darauf, daß nach § 1 BVG - wie schon nach den KBLG und der SVD Nr. 27 - auch Zivilpersonen Versorgung erhalten können, wenn sie z.B. durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung geschädigt worden sind; es sind damit Personen in die Versorgung nach dem BVG einbezogen worden, die vor 1945 nach besonderen Gesetzen, getrennt von der Versorgung der Militärpersonen, versorgt worden sind (z.B. Personenschädenverordnung vom 1.9.1939, RGBl. S. 1623). Im übrigen hat aber der Kreis der Anspruchsberechtigten durch § 1 BVG nicht geändert werden sollen. Dies ergibt sich auch daraus, daß in der amtlichen Begründung des Entwurfs gerade zu § 1 BVG mehrfach auf die früheren Vorschriften Bezug genommen worden ist (Bundestagsdrucksache Nr. 1333, 1. Wahlperiode, S. 46). Hätte der Gesetzgeber insoweit eine grundlegende Änderung des Versorgungsrechts beabsichtigt, so hätte dies im Gesetz ausdrücklich gesagt werden müssen. Bei einer anderen Regelung wäre der versorgungsberechtigte Personenkreis auch unangemessen und unübersehbar erweitert worden. Es ist zwar richtig, daß im vorliegenden Falle die Kriegsgefangenschaft des Schwiegersohnes, die seine Lungentuberkulose verursacht hat, auch die wesentliche Bedingung und damit im Rechtssinne für das Gebiet der Kriegsopferversorgung (KOV) die Ursache für das Lungenleiden des Klägers ist. Der Gesetzgeber hat aber bei der Regelung des Versorgungsanspruchs nicht nur auf die Kausalität zwischen einem bestimmten Ereignis - hier der Kriegsgefangenschaft des Schwiegersohnes - und einem bestimmten Erfolg - hier der Lungentuberkulose des Klägers - abgehoben, sondern er hat erkennbar den "mittelbar" betroffenen Personen - die Hinterbliebenen eines im Sinne des BVG Geschädigten ausgenommen - trotz des Kausalzusammenhanges diesen Anspruch nicht zubilligen wollen. Die Frage, ob anderen als den unmittelbar geschädigten Personen Versorgung gewährt werden solle, ist so bedeutsam, daß auch nicht anzunehmen ist, der Gesetzgeber habe die Regelung des Anspruchs für solche Personen versehentlich übergangen; es handelt sich nicht um eine Lücke des Gesetzes, die von der Rechtsprechung auszufüllen wäre. Der Ausschluß solcher mittelbar geschädigter Personen beruht auch nicht auf überholten, mit neueren Rechtsgrundsätzen nicht zu vereinbarenden Rechtsanschauungen; auch im Wege der Fortbildung des Rechts darf daher die Rechtsprechung die Versorgung nach dem BVG nicht auf solche Personen ausdehnen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes und seinem Zweck läßt sich vielmehr auch in der KOV - ebenso wie das BSG. dies für den Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung als rechtens angesehen hat (BSG. 10 S. 97 ff. (100)) - nach geltendem Recht nicht ausschließen, daß die Ansprüche mehrerer, von demselben Ereignis - hier der Kriegsgefangenschaft des Schwiegersohnes - betroffenen Personen rechtlich verschieden zu beurteilen sind. Die Revision ist deshalb unbegründet und zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen