Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht,
Der im Jahre 1932 geborene Kläger begann 1947 eine Berufsausbildung als Schlosser, die jedoch nicht abgeschlossen wurde. Danach war er bis 1962 im wesentlichen als Bauhilfsarbeiter und als Estrichleger beschäftigt. Dann nahm er bei einem Unternehmen der Isoliertechnik eine Tätigkeit als Isolierer auf und war seit 1965 Vorarbeiter-Obermonteur. Bei einem Arbeitsunfall am 6. Oktober 1971 zog er sich einen Bruch des 7. Brustwirbelkörpers zu. Nach Beendigung der darauf beruhenden Arbeitsunfähigkeit im August 1972 wurde das Beschäftigungsverhältnis wegen der Unterbrechung infolge wiederkehrender Kreuzschmerzen zum 16. Juni 1973 durch Kündigung des Arbeitgebers gelöst. Den Antrag des Klägers vom 24. Mai 1973, ihm Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. November 1973 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger die gesetzlichen Leistungen wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Mai 1973 zu gewähren (Urteil vom 16. Juli 1975). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger, der auch ohne abgeschlossene Berufsausbildung als Facharbeiter anzusehen sei, könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten in vollen Schichten verrichten. Trotz der Beschäftigung als Vorarbeiter-Obermonteur habe er die mit dem Leitbild des "Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion" charakterisierte Berufsgruppe nicht ganz erreicht und müsse sich daher auf Tätigkeiten der mittleren Gruppe einschließlich hervorgehobener und tariflich wie ein Anlernberuf eingestufter ungelernter Tätigkeiten verweisen lassen (Urteil vom 4. Oktober 1977).
Der Kläger hat das Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Er rügt die Verletzung des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO sowie der §§ 103, 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das LSG hätte zumindest über die geistigen und persönlichen Anforderungen, die an ihn in seiner Eigenschaft als Vorarbeiter gestellt worden seien, Beweis erheben müssen. Die generelle Verweisung auf das weite Feld der Überwachungsarbeiten der Meßwart- und Schalttafeltätigkeiten, der mechanisierten Produktionsarbeiten mittels Bedienung von Apparaten sei nicht zulässig, vielmehr seien konkrete Feststellungen erforderlich. Auch lasse das Berufungsgericht nicht erkennen, worauf sein Wissen beruhe, daß die in Betracht gezogenen Verweisungstätigkeiten tariflich wie angelernte Arbeiten entlohnt würden und nur eine kurze Einarbeitungszeit erforderten. Diese Feststellungen seien verfahrensfehlerhaft zugleich unter Verletzung des § 62 SGG in Verbindung mit Art 103 Grundgesetz (GG) zustande gekommen.
Der Kläger beantragt,das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 16. Juli 1975 zurückzuweisen,hilfsweise,den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,die Revision gegen das Urteil des Bayerischen LSG als unbegründet zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, das angefochtene Urteil überzeuge sowohl hinsichtlich seiner Tatsachenfeststellung als auch in seiner Beweiswürdigung und der daraus gezogenen rechtlichen Schlußfolgerungen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision des Klägers hat insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen wird. Die festgestellten Tatsachen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit i.S. des § 1246 Abs. 2 RVO ist der "bisherige Beruf" (Hauptberuf) des Versicherten. Das LSG stuft den Kläger als Facharbeiter (Isolierer) ein. Die von ihm verrichtete höchstentlohnte Tätigkeit als Vorarbeiter-Obermonteur entspricht nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht dem Leitbild des besonders hervorgehobenen Facharbeiters, des "Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion".
Mit der Entscheidung vom 30. März 1977 (5 RJ 98/76 - BSGE 43, 243, 246 = SozR 2200 § 1246 Nr. 16) hat der Senat die bisherige Rechtsprechung zur "Charakterisierung" von Berufsgruppen durch die Leitberufe des Facharbeiters, des angelernten Arbeiters und des ungelernten Arbeiters ergänzt und weiter differenziert. Er hat in einer besonderen Gruppe mit dem Leitbild des "Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion", Versicherte mit Leitungsfunktionen, wie z.B. die des Meisters und Hilfsmeisters im Arbeitsverhältnis, des Hilfspoliers sowie bestimmter Vorarbeiter zusammengefaßt und betont, daß die Versicherten dieser Gruppe gem. § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO zumutbar nur auf Tätigkeiten zu verweisen sind, die nach ihrer tariflichen Einstufung in die - nachfolgende - Gruppe der Facharbeiter fallen.
Schon in seiner Entscheidung vom 25. November 1971 (5 RKn 16/70 - BSGE 33, 231, 232) hat der Senat das Merkmal der Aufsichtsführung für sich allein nicht genügen lassen, um die Bedeutung des Vorarbeiters für den Betrieb zu erhöhen. Es gibt nämlich - wie der Senat damals ausgeführt hat - Vorarbeiter, die sich nur unwesentlich von den beaufsichtigten reinen Hilfsarbeitern unterscheiden, weil das Hauptgewicht der Tätigkeit im Mit- und Vormachen liegt und die Aufsicht nur relativ geringe Bedeutung hat. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 30. März 1977 a.a.O.) muß der Vorarbeiter, der der besonderen Gruppe zugerechnet werden soll, wesentlich andere Arbeiten als die zur Gruppe der Facharbeiter zählenden Arbeitskollegen verrichten und zufolge besonderer geistiger sowie persönlicher Anforderungen die Berufstätigkeit des Facharbeiters in ihrer Qualität deutlich überragen. Er darf nicht nur eine etwas herausgehobene Stellung innerhalb von Arbeitsgruppen Ungelernter oder Angelernter inne haben. Dieser Rechtsprechung sind der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) - jedenfalls im Ergebnis - sowie der 1. Senat des BSG gefolgt (vgl. Urteile des 4. Senats vom 19. Januar 1978 - 4 RJ 81/77 -BSGE 45, 276, 278 = SozR 2200 § 1246 Nr. 27 und vom 28. November 1978 - 4 RJ 127/77 - sowie des 1. Senats vom 15. März 1978 - 1/5 RJ 128/76 - SozR 2200 § 1246 Nr. 29). Der 4. Senat hat dabei die Voraussetzungen, unter denen vom "Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion" auszugehen ist, im wesentlichen wie der erkennende Senat konkretisiert (Urteil vom 19. Januar 1978 a.a.O.): In der Regel müsse der Vorarbeiter selbst Facharbeiter sein, Weisungsbefugnisse nicht nur gegenüber Angelernten und Hilfsarbeitern, sondern auch gegenüber Facharbeitern haben und wegen der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit - nicht etwa aufgrund des Lebensalters oder langjähriger Betriebszugehörigkeit - in der Spitzengruppe der Lohnskala stehen. Auch nach Auffassung des erkennenden Senats enthält diese Charakterisierung jedenfalls auf den Regelfall grundsätzlich anzuwendende Abgrenzungsmerkmale.
Daneben hat der 4. Senat in den genannten Urteilen vom 19. Januar und 28. November 1978 zusätzlich die Gruppe der "besonders hoch qualifizierten Facharbeiter" aufgeführt, die unabhängig von Weisungsbefugnissen gegenüber anderen Arbeitern - ebenso wie die "Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion" - grundsätzlich nur auf Facharbeitertätigkeiten verweisbar sind. Der erkennende Senat stimmt dieser Rechtsauffassung zu.
Das LSG hat festgestellt, der Kläger habe während der Beschäftigung bei einem Unternehmen der Isoliertechnik als Vorarbeiter-Obermonteur die Materialbestellung anzuordnen gehabt und die Baustellenaufmaße abnehmen müssen. Die Verantwortung für die ordnungsgemäße Ausführung der Arbeiten durch die von ihm angeführten und in der Regel aus zwei bis drei, in Ausnahmefällen aus fünf bis acht Mann bestehenden Arbeitsgruppen habe er zu tragen gehabt sowie die Abwicklung der Baustellen überwachen müssen. Bis zu seinem Unfall sei er tariflich nicht in die Gruppe der Hilfspoliere eingestuft, sondern als Isolier-Vorarbeiter entlohnt worden. Diese Feststellungen des LSG reichen - wie von der Revision gerügt - nicht aus, eine Qualifikation des Klägers als "Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion" oder als "besonders hoch qualifizierter Facharbeiter" zu verneinen.
In der tariflichen Einstufung des Hauptberufs und der Verweisungstätigkeit kommt zuverlässig zum Ausdruck, welchen qualitativen Wert die am Berufsleben teilnehmenden Bevölkerungskreise, d.h. die Tarifpartner einer bestimmten Berufstätigkeit zumessen (vgl. BSG Urteile vom 30. März 1977 a.a.O. 245; 27. April 1977 - 5 RJ 148/76 - SozR 2200 § 1246 Nr. 17; vom 19. Januar und 15. März 1978 a.a.O.). Der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) vom 1. April 1971 in den Fassungen vom 16. Oktober 1972 und 8. April 1974 kannte in § 5 Abs. 2 zwischen den Hilfspolieren (Gruppe I) und drei Stufen von Facharbeitern (Gruppen IIIa, a/b und b) den Fachvorarbeiter (Gruppe II). Dieser wurde definiert als Arbeitnehmer, der wenigstens zwei Jahre (im Isoliergewerbe drei Jahre) in seinem Berufszweig als Arbeiter der Gruppe III tätig gewesen ist, in der Regel kleinere Kollonnen anführt und das Schichtenbuch führt. Nach den BRTV-Bau vom 5. Juni 1978 (§ 5 Abs. 2) lautet die Reihenfolge der Berufsgruppen: Werkpolier, Bauvorarbeiter, Spezialbaufacharbeiter, gehobener Baufacharbeiter, Baufacharbeiter. Der Bauvorarbeiter (Berufsgruppe II) muß in der Regel mindestens zwei Jahre als Spezialbaufacharbeiter in seinem Berufszweig tätig gewesen sein und entweder eine kleine Gruppe weiterer Mitarbeiter führen oder mit der selbständigen Durchführung besonders schwieriger Arbeiten betraut und deshalb nach seinem Aufgabenbereich mit dem eine Gruppe führenden Bauvorarbeiter vergleichbar sein.
Anhand der danach für die Berufsgruppe II im Baugewerbe maßgeblichen Kriterien läßt sich die Zuordnung des Klägers zur Gruppe mit dem Leitbild des "Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion" oder des "besonders hoch qualifizierten Facharbeiters" nicht ausschließen. Zwar wird der Bauvorarbeiter (früher Fachvorarbeiter) nicht nach der höchsten Lohngruppe, in die die Werkpoliere (früher Hilfspoliere) eingestuft sind, entlohnt. Als Angehöriger der zweiten Berufsgruppe befindet er sich aber in der Spitzengruppe der Lohnskala, die nicht auf die oberste Gruppe allein beschränkt ist. Nicht streitig ist, daß der Kläger auch ohne abgeschlossene Berufsausbildung die Qualifikation eines Facharbeiters hat. Jedoch reichen die Feststellungen des LSG nicht zur Entscheidung darüber aus, ob seine Tätigkeit als Vorarbeiter zufolge besonderer geistiger sowie persönlicher Anforderungen die Berufstätigkeit des Facharbeiters in ihrer Qualität deutlich überragt hat und wie seine Weisungsbefugnisse sowie sein Verantwortungsbereich im einzelnen ausgestaltet waren. Als Revisionsgericht vermag der Senat die noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen nicht selbst zu treffen. Das LSG wird insbesondere prüfen müssen, wie sich die vom Kläger geleiteten Arbeitsgruppen nach Zahl, Art und Qualifikation der Mitarbeiter zusammengesetzt haben, inwieweit er selbst mitgearbeitet hat und wie weit seine Weisungsbefugnis ging oder ob er ohne Vorgesetztenfunktion besonders schwierige Arbeiten selbständig auszuführen hatte. Sollten diese Ermittlungen zu dem Ergebnis führen, daß der Kläger zu den "Vorarbeitern mit Vorgesetztenfunktion" zu rechnen ist oder daß er "besonders hoch qualifizierte Facharbeiten" verrichtet hat, so kann er grundsätzlich nur auf andere Facharbeitertätigkeiten oder tariflich gleicheingestufte Arbeiten verwiesen werden.
Wenn dagegen das LSG weiterhin von einem Hauptberuf des Klägers als - bloßer - Facharbeiter ausgehen sollte, wird es die Rechtsprechung des BSG zu beachten haben, wonach eine unterschiedslose pauschale Verweisung von Facharbeitern auf "Überwachungs- und Kontrolltätigkeiten" nicht für eine Verneinung der Berufsunfähigkeit genügt. Die Zumutbarkeit der für einen gelernten Arbeiter in Erwägung gezogenen Verweisungstätigkeiten i.S. von § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO ist vielmehr grundsätzlich konkret anhand von tarifvertraglichen Lohngruppen und bezogen auf die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit des Versicherten zu prüfen. Insoweit wird auf die - zur Veröffentlichung bestimmte - Entscheidung des Senats vom selben Tage (15. Februar 1979) in dem Rechtsstreit 5 RJ 48/78 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BSG verwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Fundstellen