Leitsatz (amtlich)

Zur Eingruppierung eines in der SBZ pflichtversichert gewesenen selbständigen Zahnarztes nach FRG § 23 Abs 1 iVm FRG § 22.

 

Normenkette

FRG § 23 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25, § 22 Anl 1 Buchst. B Fassung: 1960-02-25

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Dezember 1964 teilweise geändert:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 6. März 1963 wird zurückgewiesen, soweit sie die Zeit der selbständigen Tätigkeit des Klägers von Juni 1951 bis Mai 1960 betrifft.

Im übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten; im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Der im Jahre 1906 geborene Kläger war von 1946 bis 1960 selbständiger Zahnarzt in S. Als solcher war er pflichtversichert; er entrichtete die dortigen Höchstsätze zur Sozialversicherung nach einem Einkommen von 600,- RM/DM monatlich. Im Mai 1960 flüchtete er in die Bundesrepublik. Auf seinen Antrag auf Herstellung von Versicherungsunterlagen, für Beitragszeiten in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands (SBZ) erkannte die Beklagte die Zeit vom 1. Februar 1946 bis 31. Mai 1960 als nachgewiesene Versicherungszeit an. Dabei stufte sie den Kläger nach den §§ 23, 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) in die Leistungsgruppe B 2 der Anlage 1 zu § 22 FRG ein und errechnete danach für ihn die durchschnittlichen Brutto-Jahresarbeitsentgelte nach der Anlage 9 zu § 22 FRG.

Der Kläger begehrt stattdessen Einstufung in die Leistungsgruppe B 1 (Angestellte in leitender Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis). Durch Bescheid vom 8. August 1962 lehnte die Beklagte dies ab, weil sie grundsätzlich alle selbständigen Ärzte und Zahnärzte u.a. mit Rücksicht darauf in die Leistungsgruppe B 2 einstufe, daß in diese kraft ausdrücklicher Vorschrift z.B. auch der Oberarzt gehöre und dessen Tätigkeit der eines freiberuflichen Arztes entspreche. Den Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten zurück; sie führte dabei u.a. aus, die Tatsache, daß der Kläger in der SBZ die höchsten Beiträge nach einem Einkommen von 600,- DM monatlich entrichtet habe, könne nicht die gewünschte Höherstufung rechtfertigen. Mit Rücksicht auf die relativ niedrige Beitragsbemessungsgrenze seien auch von allen unselbständigen Ärzten und vielen anderen Beschäftigten in der SBZ die dort zulässigen Höchstbeiträge entrichtet worden.

Durch Urteil vom 6. März 1966 verurteilte das Sozialgericht (SG) Koblenz die Beklagte, dem Kläger die Leistungsgruppe 1 zuzuerkennen; es war der Meinung, daß ein selbständiger Arzt oder Zahnarzt mehr sei als ein Oberarzt. Der selbständige Arzt trage die alleinige Verantwortung in seiner Praxis und müsse alle Entscheidungen in medizinischer und technischer Hinsicht selbst treffen, während der Oberarzt eine so weitgehende Verantwortung nicht zu tragen habe.

Die Beklagte legte Berufung ein und führte aus, bei der Einstufung der Selbständigen nach den §§ 23, 22 FRG treffe der Versicherungsträger eine Ermessensentscheidung, die nur in beschränktem Umfange der gerichtlichen Nachprüfung unterliege. Im übrigen seien die angefochtenen Bescheide richtig. Die Einstufung eines selbständigen Zahnarztes in die Leistungsgruppe B 1 sei nur dann gerechtfertigt, wenn ihm zumindest eine in Leistungsgruppe B 2 einzustufende Person unterstellt sei. Dazu behauptete der Kläger, er habe ständig einen Zahntechniker und weitere zwei bis vier Hilfskräfte beschäftigt.

Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hob durch Urteil vom 9. Dezember 1964 das angefochtene Urteil auf und wies die Klage ab. Zwar schloß es sich nicht der Auffassung der Beklagten an, wonach die Einstufung eine Ermessensentscheidung sei. Gleichwohl habe die Beklagte die Tätigkeit des Klägers in der SBZ richtig bewertet. Er könne nicht günstiger behandelt werden als ein Oberarzt, der nach der Anlage 1 zu § 22 FRG in die Leistungsgruppe B 2 gehöre. Dabei sei unerheblich, ob der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem SG vorgetragen habe, nur eine einzige Sprechstundenhilfe, oder ob er - wie er im Berufungsverfahren behauptet habe - ständig einen Zahntechniker und zwei bis vier weitere Hilfskräfte beschäftigt habe. Der Umfang der Aufgaben eines Oberarztes sei nicht geringer als der eines frei praktizierenden Arztes mit fünf Hilfskräften. Die besondere Verantwortung, die der Kläger als selbständiger Arzt für seine Patienten gehabt habe, sei unerheblich. Er könne sich auch nicht darauf berufen, daß er stets die höchsten Beitragssätze geleistet habe. Hierbei müsse berücksichtigt werden, daß auch ein Oberarzt im allgemeinen so viel verdient habe, daß er die höchsten Beiträge hätte entrichten müssen.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen. Der Kläger hat dieses Rechtsmittel aus den Gründen seiner Schriftsätze vom 23. März 1965 und vom 10. März 1967 eingelegt und beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 9. Dezember 1964 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Koblenz vom 6. März 1963 zurückzuweisen.

Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision (Schriftsatz vom 11. Juni 1965).

Die form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Revision ist nur zum Teil begründet.

Die Zulässigkeit der Klage folgt aus § 11 Abs. 2 der Verordnung über die Feststellung von Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen bei verlorenen, zerstörten, unbrauchbar gewordenen oder nicht erreichbaren Versicherungsunterlagen vom 3. März 1960 (BGBl I 137). Danach können auch außerhalb eines Leistungsfeststellungsverfahrens nach Maßgabe der Vorschriften des FRG Versicherungsunterlagen für Zeiten hergestellt werden, die nach diesem Gesetz anrechenbar sind.

Der Senat hat die §§ 22, 23 Abs. 1 FRG bereits in seiner Entscheidung vom 19. November 1965 (BSG 24, 99) ausgelegt und dabei ausgeführt, daß die Eingruppierung nach diesen Vorschriften der Nachprüfung im sozialgerichtlichen Verfahren unterliegt. Hieran hält er auch weiterhin fest (siehe ferner BSG 24, 113).

Nach § 23 Abs. 1 FRG ist bei pflichtversicherten Selbständigen § 22 FRG unter Berücksichtigung der Beitragsleistung entsprechend anzuwenden. Nach § 22 FRG werden bei der Anrechnung von Zeiten der in §§ 15 und 16 FRG genannten Art, d.h. bei der Anrechnung fremder Versicherungs- und Beschäftigungszeiten zur Ermittlung der maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage bestimmte durchschnittliche Bruttojahresarbeitsentgelte nach Maßgabe der Anlage 1 zum FRG (Definitionen der Leistungsgruppen) zugrundegelegt. Die Gleichbehandlung der hiernach Berechtigten bei der Eingliederung verlangt aber, daß pflichtversicherte Selbständige und Unselbständige mit annähernd gleicher Berufstätigkeit nicht unterschiedlich eingestuft werden, wenn die Höhe der Beitragsentrichtung im Herkunftsland keine größeren Unterschiede aufweist.

Danach kommt es entgegen der Auffassung der Revision bei § 23 Abs. 1 FRG in erster Linie darauf an, einen nach Berufstätigkeit vergleichbaren unselbständig Beschäftigten (Arbeiter oder Angestellter) zu ermitteln; sodann ist zu prüfen, ob auch die Beitragsleistung des pflichtversicherten Selbständigen sich im Rahmen der für die vergleichbare Person maßgebenden Leistungsgruppe hält oder eine Korrektur nach oben oder nach unten rechtfertigt (BSG 24, 99, 101). Die Einstufung kann dabei jedoch nicht auf Tätigkeitsmerkmale gestützt werden, die bei unselbständiger Tätigkeit entweder überhaupt nicht vorkommen oder je nach der Position unterschiedlich sind. Das trifft vor allem auf das Merkmal der Selbständigkeit als solches zu. Denn nach § 23 Abs. 1 FRG ist die unbeschränkte Selbständigkeit gerade die notwendige Voraussetzung einer entsprechenden Anwendung des § 22 FRG. Deshalb können die allgemeinen Elemente der Selbständigkeit (Organisations- und Weisungsrecht, allgemeine und eigene Verantwortung für die geleistete Arbeit) auch bei einem freiberuflich tätigen Zahnarzt nicht besonders berücksichtigt werden. Es kommt vielmehr allein darauf an, ob der Zahnarzt nach den Merkmalen seiner Berufsarbeit der Gruppe B 1 oder B 2 zuzuordnen ist.

Die Leistungsgruppe B 2 verlangt von dem Beschäftigten besondere Erfahrungen und selbständige Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit. Die beispielsweise angeführten Berufe zeigen, daß hier Tätigkeiten mit qualifizierter, längerer Vorbildung erfaßt werden. Die Leistungsgruppe B 1 führt demgegenüber keine besonderen, den Beruf betreffenden Merkmale an. Da aber die Angestellten der Gruppe 1 aus der Gruppe 2 hervorgehoben sind, müssen auch sie qualifizierte berufliche Kenntnisse und entsprechende Erfahrungen haben.

Allein die Ausübung eines Berufs mit abgeschlossener Hochschulausbildung, wie dies beim Kläger als einem akademisch ausgebildeten Zahnarzt der Fall ist, kann indes noch nicht die Zuordnung zur Leistungsgruppe 1 bewirken. Das zeigt die in der Anlage 1 ausgesprochene Zuweisung des Oberarztes in die Gruppe B 2. Mit diesem ist der Kläger als Zahnarzt hinsichtlich Berufsausbildung und Berufsarbeit vergleichbar. Wenn der zahnärztliche Beruf in selbständiger Tätigkeit ausgeübt wird, so begründet dies nach den vorangegangenen Ausführungen nicht schon die Einstufung in Gruppe B 1; denn die selbständige Ausübung des zahnärztlichen Berufs stellt als solche keine faßbaren höheren Anforderungen an berufliche Qualifikation und Erfahrungen als die abhängige Beschäftigung in diesem Beruf.

Das LSG war daher mit Recht der Auffassung, der Kläger könne, wenn er seine Tätigkeit in der SBZ in abhängiger Stellung verrichtet hätte, nicht günstiger als ein Oberarzt eingestuft werden. Dieser Auffassung stimmt der Senat im Prinzip zu. Er kann entgegen der Meinung des Klägers nicht anerkennen, daß die Tätigkeit eines frei praktizierenden Zahnarztes und diejenige eines Oberarztes in großen Zahnkliniken oder in einem allgemeinen Krankenhaus hinsichtlich der Qualifikation und Verantwortung so erhebliche Unterschiede aufweisen, daß der Oberarzt als Vergleichsperson ausscheiden müßte. Mit Recht hat das LSG auch entschieden, daß die Höhe der Beitragsleistung in der SBZ, auf die sich der Kläger für seine Auffassung beruft, in seinem Falle zu keiner Änderung der Einstufung führen kann, weil auch das Einkommen eines Oberarztes im allgemeinen so hoch ist, daß er ebenso wie der Kläger die höchsten Beiträge entrichten muß.

Indessen hat das LSG nicht genügend beachtet, daß der Oberarzt, mit dessen Beschäftigung die Tätigkeit des Klägers als frei praktizierender Zahnarzt zu vergleichen ist, nach dem Gesetz nur solange der Leistungsgruppe B 2 angehört, als sich nicht nach den Merkmalen der ausgeübten Beschäftigung die Einstufung in eine andere - hier höhere - Leistungsgruppe ergibt. Insoweit ist aber von Bedeutung, daß Stellung und Verantwortung von Oberärzten unterschiedlich sein können, was sich auch in ihrer verschiedenen Vergütung ausdrückt (vgl. z.B. die Tarifordnung für Angestellte in Kranken- usw. Anstalten - Kr.T. - in der letzten Fassung vom 18. Juni 1944 - RABl IV 174 - und die Anlage 1 zu § 7 Abs. 1 Kr.T. sowie jetzt Anlage 1 a zu § 22 BAT, wonach Oberärzte entweder nach der Vergütungsgruppe IIa oder Ib oder sogar Ia bezahlt werden). Gerade ältere und schon lange in größeren Kliniken beschäftigte Oberärzte nehmen dort eine Stellung ein, in der sie wegen ihrer besonderen Berufserfahrung und ihres hohen beruflichen Könnens mit verantwortlichen Aufgaben größeren Ausmaßes (Beaufsichtigung und Unterweisung der Assistenzärzte, der Medizinalassistenten und des Pflegepersonals) befaßt sind, also mit Aufgaben, wie sie den Angestellten der Leistungsgruppe B 1 eigen sind. Dies kann bei der Zuordnung der selbständigen Tätigkeit von Zahnärzten nicht außer Betracht bleiben; auch bei ihnen müssen deshalb nach Auffassung des Senats von einem bestimmten Lebensalter an ihre höhere Berufserfahrung und das bis dahin erworbene berufliche Können entsprechend berücksichtigt werden. Als Grenze, von der an die höhere Eingruppierung in die Leistungsgruppe B 1 zu erfolgen hat, entnimmt der Senat dem Gesetz die Erreichung des 45. Lebensjahres. Es ist zwar nicht bei der Leistungsgruppe B 1, wohl aber bei den übrigen Leistungsgruppen des Abschnitts B mehrfach als "Erfahrungsgrenze" genannt und hat als solche schon bei der Eingruppierung nach dem alten FRG eine Rolle gespielt (vgl. Anl. 3 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 31.7.1954 - BGBl I 245 -).

Dementsprechend hat der Senat der Revision des Klägers stattgegeben, soweit es sich um die Zeit seiner selbständigen Tätigkeit in der SBZ seit der Vollendung des 45. Lebensjahres, d.h. von Juni 1951 an handelt. Im übrigen muß die Revision zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2149208

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