Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Streitig ist die zeitlich beschränkte Versagung einer Versichertenrente.
Der 1936 geborene Kläger, gelernter Dachdecker, mußte 1969 wegen eines cerebralen Anfallsleidens seinen Beruf aufgeben und stellte bei der Beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) Antrag auf Maßnahmen der Berufsförderung. Die Bemühungen, einen für den Kläger geeigneten Umschulungsberuf zu finden, zogen sich hin. Schließlich schlug die Beklagte dem Kläger im Zuge von Beratungsgesprächen wiederholt, darunter im März 1972, die Umschulung zum Büropraktiker vor. Dies lehnte der Kläger zunächst ab.
Die Beklagte, die den Kläger bereits im Oktober 1970 schriftlich über den Inhalt des § 1243 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) am 1. Oktober 1974 geltenden Fassung - aufgehoben inzwischen auch in dieser Fassung durch den Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches (SGB 1) - unterrichtet hatte, belehrte den Kläger mit Schreiben vom 14. Juni 1972 erneut über die Folgen einer Ablehnung von Berufsförderungsmaßnahmen, indem sie ihm den wesentlichen Inhalt diesmal der Absätze 1 und 2 des § 1243 RVO mitteilte.
Bereits 1971 hatte der Kläger bei der Beklagten auch einen Rentenantrag gestellt. Mit dem streitigen Bescheid vom 21. November 1972 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit vom 1. September 1971 bis 31 - Juli 19739 versagte sie ihm aber zugleich für die Zeit vom 1. August 1972 bis 31. Juli 1973 unter Bezug auf § 1243 Abs. 1 RVO mit der Begründung, der Kläger habe sich trotz Belehrung über die Folgen einer vorgesehenen Maßnahme der Berufsförderung entzogen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte zurück und stützte sich diesmal auf § 1243 Abs. 2 RVO (Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 1973).
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) mit einer weiteren, auf Weitergewährung der Rente über den 31. Juli 1973 hinaus gerichteten Klage verbunden und dem Begehren des Klägers voll entsprochen (Urteil vom 9. Mai 1974). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit dem angefochtenen Urteil vom 4. Oktober 1976 einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Berufsunfähigkeit über den 31. Juli 1973 hinaus verneint, die Berufung der Beklagten aber insoweit zurückgewiesen, als sie die - vom SG aufgehobene - Rentenversagung betrifft. Hierzu heißt es in der Begründung, die Voraussetzungen des § 1243 Abs. 2 RVO lägen nicht vor. Es liege nahe, daß der Rentenversicherungsträger im Sinne dieser Vorschrift eine Maßnahme der Berufsförderung erst dann "vorsehe", wenn er sie durch bindenden Verwaltungsakt formell bewilligt habe. Auch habe die Beklagte mit der Wiedergabe des Textes des § 1243 Abs. 2 RVO ihrer gesetzlichen Hinweispflicht nicht genügt. Schließlich habe sich der Kläger auch mit triftigem Grund geweigert, die angebotene Umschulung anzunehmen: Die Beklagte hätte dem Kläger ohne Schwierigkeiten und Mehrkosten eine von ihm erstrebte Umschulung zu einem anderen Beruf anbieten können. Zumindest sei der Kläger entschuldigt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision tritt nur die Beklagte diesem Urteil entgegen. Sie führt aus, eine Maßnahme habe der Rentenversicherungsträger im Sinne von § 1243 Abs. 2 RVO immer schon dann vorgesehen, wenn er dem Versicherten die Gewährungsabsicht erkennbar mitgeteilt habe. Was die Frage der Anforderungen an den Hinweis über die Folgen einer Weigerung des Versicherten betreffe, die angebotene Maßnahme anzunehmen, so sei es nicht erforderlich gewesen, dem Kläger im einzelnen darzulegen, daß die Umschulung zum Büropraktiker für geeignet und zumutbar angesehen werde; die fast wörtliche Wiedergabe des Gesetzestextes müsse genügen, zumal der Kläger schon wiederholt mündlich belehrt worden sei. Schließlich könne man das ablehnende Verhalten des Klägers nicht als entschuldigt ansehen.
Die Beklagte beantragt,das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 4. Oktober 1976 sowie das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 9. Mai 1974 insoweit aufzuheben, als die Versagung der Berufsunfähigkeitsrente aus dem Bescheid vom 21. November 1972 aufgehoben worden ist, und die Klage in vollem Umfange abzuweisen.
Der Kläger beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen und der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bittet zu erwägen, ob nicht auch die Anwendung des Grundgedankens aus § 67 SGB 1 in Frage käme.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet.
Nach dem vorliegend noch anzuwendenden § 1243 Abs. 1 RVO in der vor dem Inkrafttreten des RehaAnglG am 1. Oktober 1974 geltenden Fassung kann einem Versicherten, nach Absatz 2 a.a.O. auch einem Rentenempfänger die Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit ganz oder teilweise auf Zeit versagt werden, wenn er sich ohne triftigen Grund einer vom Träger der Rentenversicherung vorgesehenen Maßnahme u.a. der Berufsförderung entzieht und bestimmte weitere Voraussetzungen vorliegen. Im konkreten Fall hat die Beklagte dem Kläger die Rente in dem Bescheid versagt, mit dem sie diesem eine Versichertenrente erstmals bewilligt hat. Während die Beklagte den Bescheid vom 21. November 1972 auf § 1243 Abs. 1 RVO, den Widerspruchsbescheid dagegen auf § 1243 Abs. 2 RVO stützt, hält das LSG - ohne weitere Darlegungen - § 1243 Abs. 2 RVO für anwendbar. Hiergegen bestehen Bedenken. Erst § 21 Nr. 72 Buchst. b RehaAnglG hat die letztgenannte Vorschrift um die Worte "oder ein Rentenantragsteller" erweitert. Manches könnte dafür sprechen, daß § 1243 Abs. 2 RVO in der vor dem 1. Oktober 1974 geltenden Fassung nur auf Versicherte angewendet werden kann, die zur Zeit, als sie der Rentenversicherungsträger über die Folgen einer Weigerung belehrt hatte, bereits Rentenempfänger gewesen waren; andererseits wäre aber auch zu klären, wieweit in Fällen der vorliegenden Art überhaupt angenommen werden könnte, daß "Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit in den nächsten drei Jahren nach der Weigerung" im Sinne des § 1243 Abs. 1 RVO eingetreten sein könnte. Indessen kann alles dies dahinstehen. Ebenso kann offen bleiben, wann eine Maßnahme i.S. des § 1243 Abs. 1 und 2 RVO "vorgesehen" (vgl. dazu BSGE 33, 16, 17) und ob im Rahmen des triftigen Grundes auch die persönliche Neigung des Versicherten zu berücksichtigen ist (vgl. nunmehr § 64 SGB 1). Jedenfalls schreiben sowohl Abs. 1 als auch Abs. 2 des § 1243 RVO vor, daß derjenige, dem die streitige Maßnahme - hier der Berufsförderung - angeboten worden ist, auf die Möglichkeit der Rentenversagung im Falle der Weigerung "vorher schriftlich hinzuweisen ist" (jeweils letzter Satz a.a.O.). Dem hat die Beklagte , wie das AG zutreffend erkannt hat, nicht genügt.
Die Rentenversagung ist für den betroffenen Versicherten eine einschneidende Maßnahme. Sie ist dies zweifellos auch für den Kläger, dem die Beklagte die Rente für ein Jahr in voller Höhe versagt hat. Erteilt der Rentenversicherungsträger den schriftlichen Hinweis, nachdem sich der Versicherte - wie der Kläger spätestens im März 1972 - schon geweigert hatte, die vorgeschlagene Umschulung anzunehmen, so dient der Hinweis zugleich dazu, den Versicherten anzuhalten, seine Weigerung zu überdenken und sich doch noch zu entschließen, die vom Rentenversicherungsträger angebotene Maßnahme anzunehmen und so eine Rentenversagung zu vermeiden. Von dieser Funktion des gesetzlichen Hinweises her wird zunächst verständlich, daß das Gesetz zwingend dessen Schriftform anordnet; nur sie stellt sicher, daß der Hinweis unmißverständlich ist. Soweit die Beklagte daher schlüssig vorträgt, sie habe der Kläger genauer und wiederholt schon mündlich belehrt, so daß mündliche und schriftliche Belehrung zusammenzuhalten und gemeinsam zu würdigen sei, ist dies unbeachtlich. Nur was dem Kläger schriftlich eröffnet worden ist, ist von Bedeutung. Das LSG hat auch richtig erkannt, daß der Rentenversicherungsträger seiner gesetzlichen Hinweispflicht nicht schon nachkommt, wenn er den Versicherten über den wesentlichen Inhalt des Gesetzestextes unterrichtet. Der Hinweis muß vielmehr, soll er seiner Funktion genügen, konkret, d.h. unmißverständlich auch auf den Fall des Versicherten bezogen sein. Andernfalls wäre nicht gewährleistet, daß der Versicherte von der Rentenversagung nicht überrascht wird. Der schriftliche Hinweis des Versicherungsträgers muß daher Ausführungen darüber enthalten, auf Grund welcher Umstände im einzelnen er das Tatbestandsmerkmal der Weigerung des Versicherten ohne triftigen Grund gerade in seinem Fall für gegeben hält. Bei Anwendung des § 1243 Abs. 1 RVO kann es darüber hinaus je nach Lage des Falles geboten sein, daß der Versicherungsträger darlegt, ob und aus welchem Grunde er annimmt, die Berufsunfähigkeit oder die Erwerbsunfähigkeit beruhe "ganz oder überwiegend auf Umständen, zu deren Behebung die vorgesehene Maßnahme durchgeführt werden sollte"; bei Anwendung des Absatzes 2 a.a.O. kann der Hinweis geboten sein, warum welche konkret vorgesehene Maßnahme nach Meinung des Versicherungsträgers die Berufsunfähigkeit oder die Erwerbsunfähigkeit … voraussichtlich beseitigt" hätte. In jedem Fall muß der schriftliche Hinweis den Versicherten unmißverständlich darüber aufklären, daß er ernsthaft damit zu rechnen habe, ihm werde bei (weiterer) Weigerung die Rente versagt werden (zu alledem ähnlich z.B. Zweng/Scheerer, Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Stand Juli 1977, § 1243, Anm. II 6).
Diesen Anforderungen entsprechen die schriftlichen Mitteilungen der Beklagten an den Kläger nicht; nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG enthalten sie im wesentlichen nur eine Wiedergabe des Textes des § 1243 Abs. 1 und 2 RVO, also eine abstrakte Rechtsbelehrung und keinerlei Hinweis darauf, ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Beklagte von dem ihr durch die Vorschrift eingeräumten Ermessen Gebrauch machen werde.
Fehlt es hiernach an einem den gesetzlichen Erfordernissen entsprechenden Hinweis und damit an einer Voraussetzung der Rentenversagung, so hat das LSG diese zu Recht aufgehoben. Die Revision der Beklagten gegen das zutreffende Urteil des Berufungsgerichts mußte als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Beklagte hat dem Kläger gemäß § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Fundstellen