Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Prüfung nach Durchschnittswerten. Bedeutung der statistischen Erkenntnisse. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zur Bedeutung statistischer Erkenntnisse bei der arztbezogenen Prüfung der Wirtschaftlichkeit ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten (Fortführung von BSG vom 9.3.1994 - 6 RKa 18/92 = BSGE 74, 70 = SozR 3-2500 § 106 Nr 23).
Orientierungssatz
§ 106 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB 5 stellt eine dem Gesetzesvorbehalt des Art 12 Abs 1 S 2 GG genügende Ermächtigungsgrundlage dar; denn der Begriff der Prüfung nach Durchschnittswerten, ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend konkretisiert.
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1968-06-24; SGB V § 106 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1988-12-20
Verfahrensgang
SG Stuttgart (Entscheidung vom 01.09.1993; Aktenzeichen S 15 Ka 1256/91) |
Tatbestand
Der Kläger Dr. H. , ein Urologe, bildete seit Ende 1988 mit dem Urologen Dr. R. , der bereits längere Zeit nieder- und zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen war und an dessen Stelle später der Kläger Dr. T. in die Gemeinschaftspraxis eintrat, eine urologische Gemeinschaftspraxis mit Belegbetten. Im Quartal III/89 behandelten die Ärzte 402 Primärkassenpatienten (Fachgruppe ≪FG≫: 490). Ihr Gesamtfallwert pro Patient betrug 1.582,1 Punkte (FG: 1280,3 Punkte), der Fallwert bei den Sonderleistungen (Leistungsgruppe 08) 633,3 Punkte (FG: 388,2 Punkte). Bei den sonographischen Leistungen der Gebühren-Nr. 382 BMÄ, die von 68 der 72 Ärzte umfassenden FG ausgeführt wurden, rechneten sie 69,9 Ansätze je 100 Fälle ab (FG: 23,9 Ansätze je 100 Fälle) und bei Nr 387 BMÄ (erbracht von 66 Ärzten) 19,7 Ansätze je 100 Fälle (FG: 7,4). Damit überschritten sie den Durchschnittswert der Ärzte, die diese Leistungen ebenfalls durchgeführt hatten, um 192,5 % bzw um 166,2 %. Bei weiteren sonographischen Leistungen lagen ihre Honoraransätze teils unter (Unterschreitungen bei den Leistungen Nr 384 bis 386 zwischen 63,2 und 77,3 %) bzw über dem FG-Durchschnitt (Leistung Nr 388: Überschreitung von 73,9 %).
Der Prüfungsausschuß kürzte die Honoraransätze bei den Nrn 382 und 387 BMÄ auf + 100 % Überschreitung des FG-Durchschnitts. Das führte zu einer Honorarkürzung um 36.600 und 2.850 Punkte, um die die Gesamthonoraranforderung der Ärzte von 635.985 Punkten verringert wurde. Der beklagte Beschwerdeausschuß wies den Widerspruch der Ärzte gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses zurück (Bescheid vom 8. April 1991). Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, bei der Praxis der Ärzte handele es sich um eine typische, durchschnittliche urologische Praxis. Die Argumentation, daß sie aufgrund der belegärztlichen Tätigkeit vermehrt schwere Fälle zu behandeln hätten, sei nicht nachvollziehbar. Auch das Eintreten des Arztes Dr. H. in die Praxis könne eine Überschreitung der sonographischen Leistungen in dieser Höhe nicht begründen. Bereits vor diesem Zeitpunkt seien an Dr. R. in den Quartalen IV/87 und III/88 Hinweise wegen überhöhter sonographischer Leistungen ergangen. Die Ärzte hätten für alle sonographischen Leistungen insgesamt 148.740 Punkte abgerechnet. Eine gleichgroße urologische Praxis hätte dagegen nur 55.615 Punkte abgerechnet, womit eine Mehrforderung von 93.125 Punkten gegeben sei. Diese Überschreitung liege weit im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses.
Das hiergegen angerufene Sozialgericht (SG) hat den Bescheid des Prüfungsausschusses in der Gestalt des Bescheides des Beklagten aufgehoben (Urteil vom 1. September 1993). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, beide Bescheide seien rechtswidrig, weil in ihnen die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise nicht unter fehlerfreier Anwendung geeigneter Beweismittel und -methoden festgestellt worden sei. Die von den Prüforganen angewandte statistische Methode "Relative Abweichung vom Fachgruppendurchschnitt" sei für eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise nach Durchschnittswerten nicht geeignet, wie sich aus dem eingeholten statistischen Gutachten ergebe. Sie weise gegenüber anderen statistischen Methoden, nämlich der "Häufigkeitsanalyse" und der "Randlage in der Normalverteilung", wesentliche Nachteile auf. Die Ungeeignetheit der Methode zeige sich vor allem darin, daß der Einfluß des Zufalles, der für die Bestimmung des Grenzwertes für das offensichtliche Mißverhältnis eine wesentliche Rolle spiele, nicht abgeschätzt werden könne, so daß auch keine Aussage über die Wahrscheinlichkeit, mit der die gefundene oder belassene Überschreitung auf reinem Zufall beruhe, möglich sei. Dies schließe wiederum die bei der Überprüfung einzelner Gebührenpositionen notwendige Fehlerkorrektur durch multiples Testen aus. Aus diesem Grunde könne aus prozentualen Überschreitungen des FG-Durchschnitts keine Vermutung der Unwirtschaftlichkeit hergeleitet werden. Das habe zur Folge, daß Kürzungen bei Einzelleistungen nicht durchgeführt werden könnten. Der Ungeeignetheit der Methode könne weder dadurch begegnet werden, daß die Grenze für das offensichtliche Mißverhältnis hinausgeschoben werde, noch dadurch, daß den Prüfgremien ein Beurteilungsspielraum zustehe.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügen der Beklagte und die Beigeladene zu 1), das angefochtene Urteil verletze § 106 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und die dazu von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelten Grundsätze der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Die Prüfung nach Durchschnittswerten werde entgegen den gesetzlichen Vorgaben ausschließlich als statistische Vergleichsprüfung verstanden und auf einen rein mathematischen Berechnungsvorgang reduziert. Medizinische Erwägungen und das ärztliche Fachwissen der sachkundig besetzten Prüfgremien blieben außer Betracht. Damit verkenne das Gericht die Bedeutung der Statistik und die Möglichkeiten und Grenzen der statistischen Verfahren. Ob der geprüfte Arzt unwirtschaftlich behandelt habe, sei von den Prüfgremien zwar unter Zuhilfenahme statistischer Daten, aber letztlich nach medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Daher komme es auf die Erfüllung der vom SG geforderten statistischen Kriterien nicht entscheidend an.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. September 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Revisionen zurückzuweisen.
Sie tragen im wesentlichen vor: Das Verfahren zur Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung stelle einen Eingriff in den Schutzbereich des Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) dar und sei deswegen an den verfassungsrechtlich vorgegebenen Kriterien zu messen. Es sei bereits fraglich, ob das statistische Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren überhaupt geeignet sei, um den gesetzlichen Zielvorgaben zu genügen. Bei der üblicherweise durchgeführten statistischen Überprüfung werde gänzlich außer Betracht gelassen, daß es durchaus möglich sei, daß der Arzt zu Unrecht gekürzt werde, weil er rein zufällig auffällig geworden sei. Unter Bezugnahme auf das angefochtene Urteil erweise sich allein die Methode der Randlage in der Normalverteilung als geeignet, die unterschiedliche Homogenität der Vergleichsgruppen im Rahmen des statistischen Verfahrens zu berücksichtigen. Die dem entgegenstehende Rechtsprechung des BSG sei unverständlich. Im Hinblick auf Art 12 GG und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müsse deshalb davon ausgegangen werden, daß allein die Methode der Randlage in der Normalverteilung als geeignet in Betracht komme. Es sei insoweit nicht sachgerecht, auf eine Bereinigung der Statistik durch die sog individuelle Prüfung zu verweisen. Sei die Statistik falsch, so legten die Prüfgremien der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit falsches Material zugrunde, was nicht mehr anhand einer intellektuellen Prüfung korrigiert werden könne. Soweit nach der Rechtsprechung des BSG die Festlegung des Grenzwertes für das offensichtliche Mißverhältnis von der Beurteilung zahlreicher mehr oder weniger unbestimmter und in ihren wechselseitigen Auswirkungen nicht exakt quantifizierbaren Einzelfaktoren abhängen solle, könne dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Mit ihr würden bewährte Strukturen der Wirtschaftlichkeitsprüfung beseitigt und der Beurteilungsspielraum der Prüfgremien ins Uferlose erweitert. Dies führe zu einer nicht mehr hinzunehmenden Aushöhlung der Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG. Außerdem setze sich das BSG in Widerspruch zu seiner Rechtsprechung, nach der der Statistik im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine maßgebliche Bedeutung zukomme.
Der Beigeladene zu 4) schließt sich den Ausführungen des Beklagten an.
Die übrigen Beteiligten haben sich nicht zur Sache geäußert und keine Anträge gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind begründet. Das Urteil des SG war aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Soweit die Klage auf Aufhebung des Bescheides des Prüfungsausschusses gerichtet war, ist sie unzulässig; denn Gegenstand der von den Klägern erhobenen Anfechtungsklage kann entgegen der Auffassung des SG zulässigerweise allein der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses sein. Eine gerichtliche Anfechtung des im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung von dem Prüfungsausschuß erlassenen Bescheides scheidet - von bestimmten, hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - aus Rechtsgründen aus; eine darauf gerichtete Klage ist unzulässig (vgl BSGE 72, 214, 219 ff = SozR 3-1300 § 35 Nr 5; BSGE 74, 59 = SozR 3-2500 § 106 Nr 22, jeweils mwN).
Die im übrigen auf Aufhebung des Bescheides des Beklagten gerichtete Klage ist unbegründet. Die Auffassung der Vorinstanz, der Kürzungsbescheid sei rechtswidrig, weil die Prüfgremien bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht nach den Regeln der statistischen Wissenschaft verfahren seien, ist rechtlich nicht haltbar. Das SG verkennt den Begriff der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten und den Stellenwert, der statistischen Verfahren und Ergebnissen hierbei zukommt.
Gemäß § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V in der hier noch maßgebenden Fassung des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) wird die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung durch eine arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten geprüft. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die in der Praxis der Prüfgremien entwickelte und durch die Rechtsprechung bestätigte Methode des statistischen Kostenvergleichs als Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit anerkannt und als Regelprüfmethode übernommen (vgl die Begründung des Gesetzentwurfs zum GRG, BT-Drucks 11/2237, S 196 zu § 114). Die dazu unter der Geltung des früheren Rechtszustandes vom BSG entwickelten Grundsätze haben somit auch für das geltende Recht weiterhin Bedeutung (vgl BSGE 69, 138, 141 = SozR 3-2500 § 106 Nr 6 S 24; BSGE 71, 194, 195 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 87).
Die von den Klägern geltend gemachten allgemeinen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der rechtlichen Grundlage der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind nicht berechtigt. Die Vornahme einer Wirtschaftlichkeitsprüfung kann zwar als eine die Berufsausübung regelnde Maßnahme verstanden werden, weil sie zumindest mittelbar den Umfang ärztlicher Tätigkeit und damit die Berufsausübung iS des Art 12 Abs 1 Satz 2 GG begrenzt. Die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des § 2 Abs 1, § 12 Abs 1, § 70 Abs 1 und § 72 Abs 2 SGB V, die einerseits im Verhältnis zu Versicherten und Leistungsträgern, andererseits gegenüber den Leistungserbringern die Verpflichtung zur Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung festschreiben, steht außer Frage (vgl dazu Spellbrink, Die Wirtschaftlichkeitsprüfung im Kassenarztrecht nach dem Gesundheitsstrukturgesetz, 1994, RdNrn 212 ff). Das gilt ebenso für die normative Absicherung der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten gemäß § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V, insbesondere, soweit Bedenken gegen die Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage erhoben werden. § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V stellt eine dem Gesetzesvorbehalt des Art 12 Abs 1 Satz 2 GG genügende Ermächtigungsgrundlage dar; denn der Begriff der Prüfung nach Durchschnittswerten, mit der die statistische Vergleichsprüfung iS der bisherigen Rechtsprechung des BSG gemeint ist (s Begründung des Gesetzentwurfs zum GRG, aa0), ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend konkretisiert (s auch Clemens in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 1, 1994, § 35 RdNrn 42 ff). Dieser Beurteilung entspricht es, daß das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach der Methode des statistischen Kostenvergleichs als mit Verfassungsrecht in Einklang stehend bewertet hat (BVerfG - Beschluß vom 24. Februar 1978 - 1 BvR 935/77 = Meso B 350/66; vom 29. Mai 1978 - 1 BvR 951/77 = SozR 2200 § 368e Nr 3; vom 9. Januar 1984 - 1 BvR 1239/83 = SozR 2200 § 368n Nr 28 = Meso B 350/123; vom 8. Juni 1984 - 1 BvR 580/84 = SozR 2200 § 368n Nr 29).
Die Prüfung nach Durchschnittswerten erfolgt im Wege einer Gegenüberstellung der durchschnittlichen Fallkosten des geprüften Arztes einerseits und der Gruppe vergleichbarer Ärzte andererseits. Maßstab für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit ist somit der durchschnittliche Behandlungsaufwand der Ärzte der Vergleichsgruppe in dem zu prüfenden Quartal. Eine Unwirtschaftlichkeit ist dann anzunehmen, wenn der Fallwert des geprüften Arztes so erheblich über dem Vergleichsgruppendurchschnitt liegt, daß sich die Mehrkosten nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lassen und deshalb zuverlässig auf eine unwirtschaftliche Behandlungsweise als Ursache der erhöhten Aufwendungen geschlossen werden kann. Wann dieser mit dem Begriff des offensichtlichen Mißverhältnisses gekennzeichnete Überschreitungsgrad erreicht ist, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Prüfungsgegenstandes und den Umständen des konkreten Falles ab und entzieht sich einer allgemein verbindlichen Festlegung. Mit der Rechtsansicht des SG, der Grenzwert für das offensichtliche Mißverhältnis müsse auf der Grundlage einer vorgegebenen Grenzwahrscheinlichkeit nach rein mathematisch-statistischen Kriterien bestimmt werden, hat sich der Senat bereits im Urteil vom 9. März 1993 (BSGE 74, 70 = SozR 3-2500 § 106 Nr 23) auseinandergesetzt und dargelegt, daß eine solche Vorgehensweise weder den gesetzlichen Vorgaben noch den Erfordernissen einer effizienten Wirtschaftlichkeitsprüfung gerecht wird. Hieran ist festzuhalten.
Bestrebungen, die Wirtschaftlichkeitsprüfung auf eine rein statistische Operation zu reduzieren und den Prüfungsorganen die Anwendung bestimmter, nach den Maßstäben der statistischen Wissenschaft geeigneter Vergleichsverfahren vorzuschreiben, finden schon im Gesetzeswortlaut selbst keine Stütze, denn § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V spricht nicht von einer "statistischen Vergleichsprüfung", sondern von einer "arztbezogenen Prüfung nach Durchschnittswerten". Das Gesetz verwendet damit nicht einen Terminus der statistischen Wissenschaft, sondern einen die bisherige Methode des statistischen Kostenvergleichs kennzeichnenden Begriff des allgemeinen Sprachgebrauchs.
Einer Verkürzung der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf eine ausschließlich statistische Untersuchung steht aber vor allem die Eigenart des Prüfungsgegenstandes entgegen. Ob die zur Abrechnung kommenden ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen notwendig und wirtschaftlich waren, kann letztlich nur nach medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkten beurteilt werden. Der Aussagewert statistischer Untersuchungen ist in dieser Hinsicht begrenzt. Sie können lediglich Informationen darüber liefern, an welcher Stelle der Bandbreite ärztlichen Behandlungsumfangs die Tätigkeit des geprüften Arztes nach der Zahl der von ihm erbrachten Leistungen einzuordnen ist. Die wesentlichen Kriterien, wie das Behandlungsverhalten und die unterschiedlichen Behandlungsweisen innerhalb der Arztgruppe sowie die bei dem geprüften Arzt vorhandenen Praxisbesonderheiten, denen für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise das entscheidende Gewicht zukommt, werden bei der statistischen Betrachtung nur teilweise oder gar nicht berücksichtigt. Das wird auch von den Vertretern der statistischen Wissenschaft, die mit statistischen Methoden die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Arztes im Verhältnis zu dessen Arztgruppe zu ergründen versucht haben, nicht verkannt (s Klar/Schulgen/Schulte-Mönting, MedR 1994, S 349, 350, 354, in Auseinandersetzung mit Gaus, Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise des Kassenarztes, 1988). Die Rechtsprechung hat deshalb wiederholt betont, daß die Prüfung nach Durchschnittswerten zwar auf einem statistischen Kostenvergleich aufbaut, die statistische Betrachtung aber nur einen Teil der Wirtschaftlichkeitsprüfung ausmacht und durch eine intellektuelle Prüfung und Entscheidung ergänzt werden muß, bei der die für die Frage der Wirtschaftlichkeit relevanten medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkte in Rechnung zu stellen sind (zuletzt BSGE 74, 70, 72 = SozR 3-2500 § 106 Nr 23, S 12).
Das Gesetz hat der dargestellten Bedeutung der Berücksichtigung medizinisch-ärztlicher Gesichtspunkte bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung dadurch Ausdruck verliehen, daß es diese Prüfung besonderen, von den Partnern der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen zu bildenden Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen übertragen und für diese eine sachkundige Besetzung mit Vertretern der Ärzte und Krankenkassen vorgeschrieben hat (§ 106 Abs 4 Satz 2 SGB V). Hätten die Prüfgremien ausschließlich Ergebnisse statistischer Untersuchungen nachzuvollziehen, hätte es einer derartigen sachkundigen Besetzung nicht bedurft.
Kommt danach den statistischen Erkenntnissen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht die ihnen von der Vorinstanz beigemessene ausschlaggebende Bedeutung zu, so kann der angefochtene Bescheid entgegen der Ansicht des SG nicht deshalb beanstandet werden, weil die Prüfungsinstanzen es unterlassen haben, bei der Bestimmung des Grenzwertes für das offensichtliche Mißverhältnis eine Fehlerwahrscheinlichkeit vorzugeben und für die Durchführung von Teilprüfungen geeignete statistische Korrekturverfahren anzuwenden. Ob eine Abweichung vom FG-Durchschnitt als auffällig im Sinne einer zu vermutenden Unwirtschaftlichkeit zu bewerten ist, entscheiden die Mitglieder der Prüfgremien unter Berücksichtigung des Behandlungsverhaltens innerhalb der FG und der Praxisumstände des geprüften Arztes. Die Überschreitung der Durchschnittswerte kann nicht, wie das SG im Zusammenhang mit der Forderung nach Festlegung einer Grenzwahrscheinlichkeit formuliert, "auf reinem Zufall" beruhen, sondern hat stets eine in den Praxisumständen oder der Behandlungsweise des Arztes begründete Ursache, die sich jedenfalls dann, wenn der Mehraufwand eine erhebliche Größenordnung erreicht, durch eine genauere Untersuchung, ggf unter Mitwirkung des betroffenen Arztes, auch feststellen läßt. Bestehen im Einzelfall gleichwohl Zweifel, ob die Abweichung hinreichend signifikant ist, kann oftmals durch eine Betrachtung des längerfristigen Behandlungsverhaltens über mehrere Abrechnungsquartale genauerer Aufschluß gewonnen werden. Daß die statistischen Abweichungen nicht für sich genommen zur Grundlage der Beurteilung gemacht, sondern in der vorgenannten Weise einer intellektuellen Bewertung unterzogen werden, läßt das SG bei der Forderung nach einer Fehlerkorrektur für multiples Testen außer acht.
Soweit sich das SG für seine Ansicht, die Methode der "Relativen Abweichung vom Fachgruppendurchschnitt" sei bei der Überprüfung von Einzelleistungen generell ungeeignet, auf die Aussage des von ihm gehörten Sachverständigen beruft, der insoweit seine schon früher geäußerten Aussagen wiederholt (vgl Gaus, aaO, S 31 ff), verkennt es, daß der Sachverständige von unzutreffenden tatsächlichen Annahmen ausgeht. Bei der Einzelleistungsprüfung müssen nämlich nicht alle Leistungen der Leistungsgruppe in die Prüfung einbezogen werden, weil - so die zugrundeliegende Auffassung - die Erbringung der einen oder der anderen Leistungen von zufälligen Gegebenheiten abhänge. Da bei einzelnen Leistungen gemäß der jeweiligen Leistungsdefinition unterschiedliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, sind auch die Leistungen einer Leistungsgruppe untereinander nur in geringem Umfang austauschbar bzw untereinander ersetzbar. Daraus folgt, daß auch insoweit die im Verhältnis zur FG häufigere Erbringung einer Leistung nicht mit dem Zufallsprinzip erklärt werden kann. Aus diesem Grund werden im übrigen nur solche Einzelleistungen in die Prüfung einbezogen, die fachgruppentypisch sind und die die Prüfgremien wegen der Häufigkeit ihres Ansatzes vor dem Hintergrund der Patientenstruktur und der Praxisausrichtung des geprüften Arztes als auffällig bewerten. Dieses Vorgehen der Prüfgremien ist am Beispiel der Kläger zu belegen. Deren Honoraransätze überschreiten im streitigen Quartal bei 12 Einzelleistungen den Vergleichswert der FG um mehr als 100 %, zum Teil um ein Mehrfaches davon. Geprüft wurden aber ausschließlich die Leistungen Nr 382 und Nr 387 BMÄ.
Im Hinblick auf die dargestellte begrenzte Bedeutung der Ergebnisse der statistischen Prüfung ist es nicht zu beanstanden, daß der Beklagte die mit der Methode "Relative Abweichung vom Fachgruppendurchschnitt" erzielten Ergebnisse der Wirtschaftlichkeitsprüfung und mithin auch der Festlegung der Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis zugrunde gelegt hat.
Auf der Grundlage der vom SG getroffenen Feststellungen konnte der Senat in der Sache entscheiden. Der Bescheid des Beklagten genügt den von der Rechtsprechung an einem Honorarkürzungsbescheid gestellten Anforderungen. Bei einem Einzelleistungsvergleich kann der Beweis der Unwirtschaftlichkeit regelmäßig nicht allein mit der Feststellung und Angabe von Überschreitungsprozentsätzen geführt werden. Es bedarf vielmehr einer genaueren Untersuchung der Strukturen und des Behandlungsverhaltens innerhalb des speziellen engeren Leistungsbereichs sowie der Praxisumstände des geprüften Arztes, um die Eignung der Vergleichsgruppe und den Aussagewert der gefundenen Vergleichszahlen beurteilen zu können. Die dazu angestellten Erwägungen müssen, damit sie auf ihre sachliche Richtigkeit und auf ihre Plausibilität und Vertretbarkeit hin überprüft werden können, im Bescheid genannt werden oder jedenfalls für die Beteiligten und das Gericht erkennbar sein. Im Hinblick darauf, daß die Festlegung des Grenzwertes für das offensichtliche Mißverhältnis von der Beurteilung zahlreicher mehr oder weniger unbestimmter und ihren wechselseitigen Auswirkungen nicht exakt quantifizierbarer Einzelfaktoren abhängt und auch bei Berücksichtigung aller relativen Umstände letztlich eine wertende Entscheidung erfordert, verbleibt den Prüfungsorganen insoweit ein Beurteilungsspielraum (vgl zuletzt BSGE 74, 70, 71 = SozR 3-2500 § 106 Nr 23, S 23).
Ausweislich des angefochtenen Bescheides haben die geprüften Ärzte im Quartal III/89 die Leistung Nr 382 BMÄ 69,9 mal auf 100 Fälle und die Leistung Nr 387 BMÄ 19,7 mal auf 100 Fälle abgerechnet. Demgegenüber hat die Vergleichsgruppe der Urologen diese für die Fachgruppen typischen Leistungen nur 23,9 und 7,4 mal auf 100 Fälle erbracht. Der Beklagte hat auch den Gesamtaufwand der Ärzte für alle sonographischen Leistungen berücksichtigt. Diese hatten in dem Quartal hierfür insgesamt 148.740 Punkte angesetzt, während eine gleich große urologische Praxis im Durchschnitt nur 55.615 Punkte abgerechnet hätte. Aufgrund der Durchsicht der Behandlungsausweise hat der Beklagte das Vorliegen von Praxisbesonderheiten verneint und insbesondere festgestellt, daß es sich bei der Praxis der Ärzte um eine typische durchschnittliche urologische Praxis gehandelt hat. Einen kausalen Zusammenhang der überhöhten sonographischen Leistungen durch das Eintreten eines weiteren Arztes und der damit verbundenen Gründung einer Gemeinschaftspraxis hat der Beklagte schon im Hinblick auf die erhöhte Abrechnung sonographischer Leistungen durch den früheren alleinigen Praxisinhaber in verschiedenen Vorquartalen ebenfalls zu Recht verneint. Der Beklagte hat die Überschreitungen als weit im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses liegend angesehen und den Ansatz der Leistungen auf jeweils 100 % der Überschreitung des FG gekürzt. Diese Ausführungen des Beklagten lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Sie tragen die ausgesprochene Kürzung.
Auf die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) war das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1049528 |
BSGE, 53 |
NJW 1996, 2448 |