Leitsatz (amtlich)
Ein Gericht darf einer Person, die am gerichtlichen Verfahren nicht beteiligt ist (SGG §§ 53, 69), eine Leistung nicht zusprechen. Hat das LSG einem Ehepaar eine Elternrente (BVG § 49) zuerkannt, ist aber aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich, warum das LSG außer dem Vater auch die Stiefmutter des Verstorbenen als Beteiligte angesehen hat, so leidet das Verfahren an einem wesentlichen Mangel, der bei einer zulässigen Revision von Amts wegen zu berücksichtigen ist.
Normenkette
SGG § 53 Fassung: 1953-09-03, § 69 Fassung: 1953-09-03, § 164 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; BVG § 49 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Juli 1956 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der am 8. Mai 1876 geborene Kläger Karl S... (in folgendem nur als Kläger bezeichnet) hatte aus seiner ersten Ehe mit seiner im Jahre 1938 gestorbenen Ehefrau Therese S... sieben Kinder, von denen der Sohn Leonhard, geboren 1921, im Oktober 1944 und der Sohn Otto, geboren 1916, im März 1945 als Soldaten gefallen sind. Seit 1940 ist der Kläger in zweiter Ehe mit Anna S... verheiratet. Am 23. September 1952 beantragte er beim Versorgungsamt Landshut die Gewährung von Elternrente nach seinen beiden gefallenen Söhnen auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Das Versorgungsamt erteilte ihm (allein) am 20. November 1952 einen Bescheid und lehnte darin seinen Antrag ab, da der Wert seiner monatlichen Einkünfte aus seiner Landwirtschaft die Einkommensgrenze für einen Elternteil (§ 51 Abs. 2 BVG) von 85,- DM übersteige, Bedürftigkeit im Sinne des § 50 BVG mithin nicht vorliege. Nach dem Übergang der vom Kläger beim Oberversicherungsamt Landshut eingelegten Berufung (alten Rechts) auf das Sozialgericht Landshut (§ 215 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) wies dieses die Klage, mit welcher der Kläger beantragt hatte, unter Aufhebung des Bescheides vom 20. November 1952 den Beklagten zu verurteilen, ihm Elternrente zu gewähren, mit Urteil vom 8. Februar 1955 ab. Das Sozialgericht begründete seine Entscheidung damit, daß die gefallenen Söhne weder die Ernährer des Klägers gewesen sind noch geworden wären (§ 50 BVG).
Gegen das ihm am 26. März 1955 zugestellte Urteil legte der Kläger beim Bayerischen Landessozialgericht Berufung ein und wiederholte seinen im ersten Rechtszug gestellten Antrag. Zur mündlichen Verhandlung am 17. Juli 1956 wurden vom Landessozialgericht "Karl und Therese S." geladen. Im Termin ist nach der Sitzungsniederschrift "für die Kläger" niemand erschienen. Nach mündlicher Verhandlung am 17. Juli 1956 erließ das Landessozialgericht ein Urteil, in welchem es 1. Karl S... Landwirt, 2. Therese S... Ehefrau, als Kläger und Berufungskläger bezeichnete und für Recht erkannte:
"I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 8. Februar 1955 aufgehoben.
II. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Versorgungsamtes Landshut vom 20. November 1952 verurteilt, den Klägern ab 1. Januar 1955 eine monatliche Elternrente von 8,- DM und ab 1. April 1956 eine solche von 33,- DM zu gewähren."
Das Landessozialgericht hat die Revision zugelassen. Es führt in den Entscheidungsgründen aus, daß die gefallenen Söhne zwar nicht Ernährer "des Klägers" gewesen sind, daß sie aber mutmaßlich Ernährer "der Kläger" geworden wären. Die für den Rentenanspruch weiter erforderliche Voraussetzung der Bedürftigkeit der Eltern müsse jedenfalls für die Zeit seit dem 1. Januar 1955 bejaht werden. Das Landessozialgericht stellte fest, daß für die maßgebende Zeit das anrechenbare "sonstige Einkommen" der Kläger aus Verpachtung von Grundstücken auf 67,- DM monatlich sich belaufe und daß für den Kläger Unterhaltsansprüche gegen seine überlebenden drei Söhne im Werte von 85.- DM monatlich hinzukämen. Die Summe von 152,- DM sei mit der jeweiligen Einkommensgrenze für ein Elternpaar nach § 51 Abs. 2 und 3 BVG zu vergleichen: 160,- DM ab 1. Januar 1955, 185,- DM ab 1. April 1956. Hieraus ergebe sich, daß den Klägern vom 1. Januar 1955 an eine "Teilelternrente" zustehe.
Gegen dieses ihm am 2. August 1956 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 11. August 1956 Revision eingelegt und beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts vom 17. Juli 1956 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 8. Februar 1955 zurückzuweisen, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
In der am 28. September 1956 beim Bundessozialgericht eingegangenen Revisionsbegründungsschrift vom 27. September 1956 rügt der Beklagte die Verletzung der §§ 1, 50 und 59 BVG. Das Landessozialgericht habe zu Unrecht beiden Elternteilen Elternrente zugesprochen, obwohl nur der Kläger als Vater Antrag auf Elternrente gestellt hatte. Es sei überhaupt nicht geprüft worden, ob die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung; der Elternrente an ein Elternpaar erfüllt sind. Auch die Feststellung der mutmaßlichen Ernährereigenschaft der Söhne sei irrig, weil die Kläger im Falle der Übergabe ihres Anwesens an die überlebenden Söhne den Unterhalt als Austrägler bezogen hätten. Die Entscheidung über die Bedürftigkeit verstoße gegen die §§ 50 Abs. 2 und 51 BVG, sofern das Landessozialgericht von der Einkommensgrenze für ein Elternpaar ausgegangen sei, obgleich nur der Kläger als rentenberechtigt in Betracht komme. Die Revision rügt außerdem, daß eine Anrechnung des Mietwertes der eigenen Wohnung unterblieben und der Sachverhalt hinsichtlich der Waldnutzungen nicht aufgeklärt worden sei. Im übrigen sei der Lebensunterhalt des Klägers durch Pachterträgnisse und seinen Anspruch auf Unterhaltsgewährung gegenüber seinen überlebenden drei Söhnen sichergestellt.
Die Revisionsbeklagten beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen. Sie sind der Meinung, daß die offenbar unrichtige Parteibezeichnung im Kopf des angefochtenen Urteils von Amts wegen zu berichtigen sei: Es müsse "Anna S... statt "Therese S... heißen.
Die Revision des Beklagten ist infolge Zulassung durch das Landessozialgericht statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Da sie auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§ 164 SGG), ist sie zulässig. Sie ist auch begründet.
Der Beklagte führt in der Revisionsbegründung aus, das Landessozialgericht habe ihn zu Unrecht verurteilt, der Ehefrau des Klägers, Anna S... die im Urteil irrtümlich mit dem Vornamen Therese bezeichnet ist, eine Rente zu gewähren. Mit seinem Vorbringen rügt er nicht nur eine Verletzung des materiellen Rechts, sondern will offensichtlich auch geltend machen, daß das Landessozialgericht der Ehefrau des Klägers schon deshalb eine Leistung nicht hätte zusprechen dürfen, weil jene nicht am Verfahren als Klägerin beteiligt gewesen sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte für diese Rüge genügend Tatsachen gemäß § 164 Abs. 2 SGG bezeichnet hat, die einen solchen Verfahrensmangel ergeben. Der Mangel ist schon von Amts wegen zu berücksichtigen, weil es sich hierbei um das Fehlen einer Prozeßvoraussetzung handelt. Gerichtlicher Rechtsschutz wird nach § 53 SGG auf Klage gewährt. Erst mit der Klageerhebung, welche die Rechtshängigkeit des erhobenen. Anspruchs begründet, wird das Gericht mit einem Urteilsverfahren befaßt (§ 94 Abs. 1 SGG; Rosenberg, Lehrbuch, 7. Aufl., § 97 I S. 460). Deshalb kann einem Berechtigten eine Versorgungsleistung im gerichtlichen Verfahren nur zugesprochen werden, wenn er als Kläger am Verfahren beteiligt ist (§ 69 SGG). Die Erhebung der Klage - oder der Beitritt zu einem Klageverfahren (vgl. Rosenberg, Lehrbuch, 7. Aufl., § 41 III S. 168; Baumbach-Lauterbach, ZPO, 25. Aufl., § 264 Anm. 2 C) - gehört daher zu den unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei einer zulässigen Revision vor der sachlich-rechtlichen Würdigung von Amts wegen zu prüfen sind (BSG. 2 S. 225 [227]; 3 S. 124 [126]).
Das Urteil des Landessozialgerichts läßt nicht erkennen, ob das Landessozialgericht trotz fehlender Klageerhebung versehentlich die Ehefrau des Klägers im Kopf des Urteils aufgeführt und ihr in der Urteilsformel eine Elternrente zugesprochen hat, oder ob es davon ausgegangen ist, die Ehefrau sei auch Klägerin gewesen. Es konnte allerdings nicht im Zweifel darüber sein, daß das Sozialgericht die Ehefrau des Klägers nicht als Klägerin angesehen hatte. Im Kopf und in der Formel des Urteils des Sozialgerichts ist nur Karl Stelzer als Kläger aufgeführt; nach der Urteilsbegründung erhob "der Kläger" Berufung (alten Rechts) zum Oberversicherungsamt und begehrte, "ihm" Elternrente zu gewähren. Unter diesen Umständen ist nicht erklärlich, warum das Landessozialgericht die Ehefrau des Klägers im Urteil als Klägerin bezeichnet und ihr Elternrente zugesprochen hat. Aus dem Urteil geht nicht hervor, worin das Landessozialgericht eine Klageerhebung sah und worin es die Erklärung erblickte, durch welche die Ehefrau des Klägers selbst oder ihrem Namen der Kläger (§ 73 Abs. 2 Satz 2 SGG) Berufung eingelegt hat, so daß ihre weitere Beteiligung am Berufungsverfahren verständlich wäre. Es ist auch nicht ersichtlich, ob das Landessozialgericht es etwa für möglich hielt, daß die Ehefrau des Klägers erst während des Berufungsverfahrens im Wege der Klageänderung Beteiligte geworden ist und durch welche Prozeßhandlung die Beteiligtenvermehrung auf der Klägerseite eingetreten ist. Jedenfalls ist nach dem Urteil des Landessozialgerichts weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Beziehung verständlich, wodurch und warum die Ehefrau des Klägers Beteiligte geworden ist. Dem Senat war es daher nicht möglich, nachzuprüfen, ob diese Prozeßvoraussetzung erfüllt ist. Das Verfahren des Landessozialgerichts leidet damit an einem so wesentlichen Mangel, daß das angefochtene Urteil schon aus diesem Grunde aufgehoben werden mußte.
Abgesehen von diesem Verfahrensmangel ist das angefochtene Urteil auch sachlich-rechtlich insoweit unrichtig, als der festgestellte Sachverhalt die Entscheidung zugunsten der Ehefrau des Klägers nicht trägt. Diese wäre nämlich nur dann elternrentenberechtigt, wenn auch für sie schon bei der Verwaltungsbehörde ein Antrag auf Versorgung nach § 1 BVG gestellt worden wäre (BSG. 2 S. 289) - sei es von ihr persönlich oder in ihrem Namen von ihrem Ehemann - und wenn sie die gefallenen Söhne vor deren Tod unentgeltlich unterhalten hätte (§ 49 Abs. 2 Nr. 2 BVG). Das Landessozialgericht hat nicht geprüft und nicht festgestellt, daß diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Die Mängel des angefochtenen Urteils, die sich auf die Beteiligung der Ehefrau des Klägers am Verfahren und sachlich-rechtlich auf die ihr zugesprochene Versorgungsleistung beziehen, mußten dazu führen, das Urteil auch insoweit aufzuheben, als es den Kläger betrifft. Nach dem Urteil des Landessozialgerichts ist diesem - zusammen mit seiner Ehefrau - die für ein "Elternpaar" zustehende Rente zugesprochen worden. Ein Anspruch dieser Art aber entfällt, wenn nur der Kläger allein, sei es aus verfahrensrechtlichen oder aus sachlich-rechtlichen Gründen, als versorgungsberechtigter Elternteil (§§ 50, 51 BVG) in Frage kommt. Ob dem Kläger aber zusammen mit seiner Ehefrau die Rente für ein Elternpaar zugesprochen werden kann. darüber konnte der Senat nicht entscheiden, weil dazu die erforderlichen Feststellungen fehlen. Der Rechtsstreit mußte daher an das Landessozialgericht zurückverwiesen werden.
Das Landessozialgericht wird bei seiner Entscheidung, falls nur der Kläger für Leistungsansprüche in Betracht kommen sollte, die von dem erkennenden Senat in den Urteilen vom 12. September 1957 (BSG. 5 S. 293) und vom 10. März 1958 (10 RV 954/57) vertretene Rechtsauffassung zu beachten haben; es wird die Bedürftigkeit des Klägers erneut zu prüfen haben, und zwar unter Berücksichtigung des Einkommens des Klägers allein und seiner Unterhaltsansprüche.
Die Entscheidung über die Kostenerstattung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen