Leitsatz (redaktionell)
Die Frage, inwieweit durch anerkannte Schädigungsfolgen die Erwerbsfähigkeit gemindert ist, ist nicht in erster Linie nach ärztlich-wissenschaftlichen Gesichtspunkten, sondern nach Umständen zu beurteilen, die der Richter in der Regel aus eigener Lebenserfahrung kennt; er bedarf dazu nicht eines ärztlichen Sachverständigen, dessen Auffassung nicht mehr als einen Anhalt bietet.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20; SGG § 128 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Klägerin vom 28. August 1956 gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Juli 1956 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
1.) Das Landessozialgericht (LSG.) hat die Revision nicht zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Sie ist daher nur statthaft, wenn gerügt wird, das Verfahren des LSG. leide an einem wesentlichen Mangel und wenn dieser Mangel auch tatsächlich vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG. 1, 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muß die Revision nicht nur die verletzte Rechtsnorm, sondern auch die Tatsachen und Beweismittel bezeichnen, die den Mangel ergehen (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG).
2.) Die Klägerin trägt vor, das LSG. habe sich zur Frage der Anerkennung der Lymphogranulomatose ihres verstorbenen Sohnes, Karl Mach, als Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung nicht eindeutig geäußert und den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) zu Unrecht auf nicht mehr als 40 v.H. festgesetzt. Das Urteil beruhe auf nicht ausreichenden tatsächlichen Feststellungen; das LSG. hätte über die medizinische Frage nicht aus eigener Sachkunde entscheiden dürfen, sondern über Ursache und Grad der Verschlimmerung das Gutachten eines Sachverständigen einholen müssen; die versorgungsärztliche Äußerung vom 2. Mai 1956 sei insoweit als "rein parteigutachtliche Äußerung" nicht zu beachten. Das LSG. habe außerdem verkannt, daß es sich nicht um eine Feststellungsklage (§ 55 SGG), sondern um eine Leistungsklage (§ 54 SGG) handele, die Klägerin habe die Leistungen begehrt, die ihrem verstorbenen Sohn für alle von ihm geltend gemachten Schädigungen und den dadurch bedingten Grad der MdE. zugestanden haben. Soweit dieser Anspruch auch auf die Lymphogranulomatose gestützt würde, gehe es nicht um eine Feststellung, sondern um die aus der zusätzlichen Anerkennung dieses Leidens sich ergebenden Leistungen (höhere Rente und Pflegezulage).
Das LSG. hat die Lymphogranulomatose nicht als Infektionskrankheit, sondern als anlagebedingtes Leiden tumorartiger Natur aufgefaßt und festgestellt, zwischen diesem Leiden und dem Wehrdienst oder der Kriegsgefangenschaft könne ein ursächlicher Zusammenhang nicht bestehen. Es hat den ursächlichen Zusammenhang schlechthin verneint und damit zum Ausdruck gebracht, daß er weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung bestehe.
Diese Feststellungen sind für das Bundessozialgericht (BSG.) bindend §§ 163 SGG); es ist nicht zulässig und begründet gerügt, daß sie nicht in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise zustandegekommen sind (BSG., Beschluß vom 7.12.1955, SozR. Nr. 22 zu. § 162 SGG). Das LSG. hat die Versorgungsakten und die Akten des Oberversicherungsamts Landshut beigezogen, die Befundberichte, Krankengeschichten und auf Grund dieser Unterlagen wiederholt erstattete Gutachten enthalten, in denen auch die Infektionskrankheiten des verstorbenen Sohnes der Klägerin erwähnt sind. Danach und nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen beruht die Lymphogranulomatose wesentlich auf einer konstitutionsbedingten Krankheitsbereitschaft, verläuft schicksalsmäßig und kann nur verschlimmert werden, wenn durch lange dauernde schwere Infektionen die lymphatischen Gewebe außergewöhnlich beansprucht werden. Der ursächliche Zusammenhang mit dem Wehrdienst oder der Kriegsgefangenschaft ist nicht nur in den wiederholten Äußerungen verschiedener Versorgungsärzte, sondern auch in dem Untersuchungsbericht der Staatlichen Versehrten-Heilstätte Berchtesgaden und in dem gerichtsärztlichen Gutachten des Dr. H... vom 5. Februar 1953 uneingeschränkt verneint worden. Dozent Dr. Begemann hat in seinem Gutachten vom 13. Dezember 1955 den ursächlichen Zusammenhang zwischen der als Schädigungsfolge bereits anerkannten inaktiven Tuberkulose und der Lymphogranulomatose verneint, es für wahrscheinlich gehalten, daß dieses Leiden während der Kriegsgefangenschaft im Herbst 1945 begonnen habe, aber nicht zu entscheiden vermocht, ob dieser zeitliche Zusammenhang allein schon genüge, um auch einen ursächlichen Zusammenhang anzunehmen; die Dauer der Krankheit bis zum Tode entspreche dem bei gutbehandelten Patienten üblichen Verlauf. Das LSG. hat sich mit diesen ärztlichen Gutachten auseinandergesetzt und nicht seine Auffassung an deren Stelle gesetzt (vergl. BSG., Beschluß vom 25.8.1955, SozR. Nr. 2 zu § 128 SGG). Wenn es die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs nicht für erbracht angesehen hat, so hat es die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen (§ 128 SGG; BSG. 2, S. 236), nicht überschritten und seine Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG), nicht verletzt. Im übrigen wäre die Rüge der Klägerin auch nicht in der durch § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG gebotenen Form geltend gemacht; die Klägerin hat nicht dargetan, inwiefern das LSG. im einzelnen seine Überzeugung auf Feststellungen gestützt hat, die nicht in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise zustandegekommen sind und inwiefern es auf Grund der vorhandenen Beweise zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen.
Auch bei der Beurteilung des Grades der MdE. hat das LSG. die Grenzen seines Rechts, das Gesamtergebnis des Verfahrens frei zu würdigen (§ 128 SGG), nicht verletzt. Die Frage, inwieweit durch anerkannte Schädigungsfolgen die Erwerbsfähigkeit gemindert ist, ist nicht in erster Linie nach ärztlich-wissenschaftlichen Gesichtspunkten, sondern nach Umständen zu beurteilen, die der Richter in der Regel aus eigener Lebenserfahrung kennt; er bedarf dazu nicht eines ärztlichen Sachverständigen, dessen Auffassung nicht mehr als einen Anhalt bietet. Wenn das LSG. - übrigens in Übereinstimmung mit den vorliegenden Gutachten - festgestellt hat, der kriegsbedingte Anteil der MdE. an der insgesamt bestehenden MdE. sei mit 40 v.H. ausreichend bewertet, so hat es auch insoweit nicht gegen § 128 SGG verstoßen.
Schließlich sind auch die §§ 54 und 55 SGG nicht verletzt. Nach der Niederschrift über die Sitzung des LSG. vom 10. Juli 1956 hat die Klägerin beantragt, das Urteil des Oberversicherungsamts aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, als zusätzliche Schädigungsfolge Lymphogranulomatose im Sinne der Entstehung anzuerkennen und Rente nach einer MdE. um 70 v.H; vom 1.1.1951 an nach einer MdE. um 100 v.H. sowie Pflegezulage nach Stufe 1 zu gewähren. Das LSG. hat sonach über eine Aufhebungsklage und eine Verpflichtungsklage zu entscheiden gehabt (§ 54 Abs. 1 SGG) und auch entschieden und nicht über eine Feststellungsklage (§ 55 SGG). Daran ändert nichts, daß das LSG. die Berufung deshalb für unbegründet gehalten hat, weil es nicht hat feststellen können, daß Lymphogranulomatose eine Schädigungsfolge ist. Die Revision ist daher nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht statthaft.
3.) Eine Gesetzesverletzung im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG ist weder behauptet noch aus den Akten zu entnehmen. In diesem Sinne ist das Gesetz nur dann verletzt, wenn die für das Gebiet der Kriegsopferversorgung in Rechtslehre und Rechtsprechung entwickelte "Kausalitätsnorm" verletzt ist (BSG. 1, S. 268). Nur Fehler bei der Unterordnung von Tatsachen unter eine Rechtsnorm können die Statthaftigkeit der Revision nach dieser Bestimmung begründen. Nach der für das Gebiet der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm sind Ursachen im Rechtssinne nur diejenigen Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSG. 1 S. 150, S. 268; Beschluß des Großen Senats vom 21. November 1957 - GS 1/57 2 RU 114/54). Zur Anwendung der Kausalitätsnorm ist das LSG. im vorliegenden Falle aber nicht gekommen; es hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß der ursächliche Zusammenhang der Lymphogranulomatose mit Einflüssen des Wehrdienstes oder der Kriegsgefangenschaft schon in tatsächlicher Hinsicht nicht wahrscheinlich ist. Auch bei der Beurteilung des Grades der MdE. handelt es sich nicht um die Anwendung der Kausalitätsnorm, sondern um die Feststellung von Tatsachen (BSG. Beschluß vom 18.12.1957, SozR. Nr. 86 zu § 162 SGG).
Die Revision ist daher auch nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft. Sie ist sonach als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht der der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen