Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsnachentrichtung nach WGSVG § 10 für Zeiten nach FRG § 16. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Orientierungssatz
1. Eine Nachentrichtung von Beiträgen nach WGSVG § 10 für anerkannte Beschäftigungszeiten nach FRG § 16 ist möglich (vgl BSG 14.5.81 12 RK 73/79 = SozR 5070 § 10 Nr 16).
2. Eine falsche Information des Rentenversicherungsträgers kann einen Herstellungsanspruch auslösen (vgl BSG 12.10.1979 12 RK 47/77 = BSGE 49, 76). Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt jedoch einen ursächlichen Zusammenhang des geltend gemachten rechtlichen Nachteils mit dem dem Rentenversicherungsträger angelasteten Fehlverhalten voraus. An einem solchen Zusammenhang fehlt es, wenn der behauptete Nachteil (hier: unterlassene Nachentrichtung für die Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG) auch dann eingetreten wäre, wenn sich der Rentenversicherungsträger richtig verhalten hätte.
Normenkette
WGSVG § 10 Fassung: 1970-12-22; FRG § 16 Fassung: 1960-02-25
Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 25.03.1983; Aktenzeichen S 15 An 2690/82) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger berechtigt ist, gemäß § 10 Abs 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) Beiträge auch für Zeiten nachzuentrichten, die als Beschäftigungszeiten gemäß § 16 Fremdrentengesetz (FRG) anerkannt sind.
Der 1947 von Rumänien nach Israel ausgewanderte Kläger ist Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) und steht einem anerkannten Vertriebenen im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) gleich. Am 19. Dezember 1975 stellte er Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen gemäß § 10 WGSVG und Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG). Mit Schreiben vom 6. März 1979 teilte ihm die Beklagte über seinen damaligen Bevollmächtigten informatorisch mit, daß er nach § 10 WGSVG Beiträge für die Monate Februar 1937, Dezember 1939, Juni und Dezember 1940, April 1944 bis Dezember 1944, Januar 1947 bis November 1947, Januar 1948 bis August 1965 und Juni 1941 nachentrichten könne. Mit einem weiteren Schreiben vom 3. April 1979 unterrichtete sie den Bevollmächtigten über die nach dem FRG anrechenbaren Zeiten (Beitragszeiten, Beschäftigungszeiten und Ersatzzeiten) zwischen August 1932 und Dezember 1947, die auch den Zeitraum vom 1. April 1939 bis 30. Juni 1940 als Beschäftigungszeit gemäß § 16 FRG mit dem Zusatz "5/6-gekürzt" enthalten.
Unter Hinweis auf die nunmehr anerkannten weiteren Beitrags- und Ersatzzeiten konkretisierte der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 6. August 1979 das Nachentrichtungsbegehren mit 60 Beiträgen der Klasse 600 für die Zeit von Januar 1950 bis Dezember 1954 nach § 10 WGSVG und 108 Beiträgen der Klasse 100 für die Zeit von Januar 1965 bis Dezember 1973 nach § 10 WGSVG bzw nach "Maßgabe des RRG". Dem entsprach die Beklagte mit Bescheiden vom 15. August 1979.
Mit Bescheid vom 25. Juni 1980 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1. Januar 1976 das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres, wobei die vorgenannte Beschäftigungszeit gemäß § 16 FRG auf 5/6 gekürzt mit 13 Monaten im Versicherungsverlauf berücksichtigt wurde.
Am 13. Mai 1982 beantragte der Kläger die erneute Nachentrichtung von Beiträgen nach § 10 WGSVG für die bisher als beitragslose Beschäftigungszeit gemäß § 16 FRG berücksichtigte Zeit und wies hierbei auf das Urteil des erkennenden Senats vom 14. Mai 1981 - 12 RK 73/79 - hin. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. August 1982 ab: Das Nachentrichtungsverfahren sei bereits mit dem Bescheid vom 15. August 1979, also vor Verkündung des BSG-Urteils vom 14. Mai 1981, abgeschlossen gewesen. Der damalige Bescheid sei zu Recht ergangen. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 1982).
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. März 1983) und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Bei dem Nachentrichtungsbescheid vom 15. August 1979 handele es sich, soweit er die Nachentrichtung auch für die gemäß § 16 FRG anerkannten Beschäftigungszeiten nicht zulasse, um einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne des § 44 Abs 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X). Er sei im Zeitpunkt seines Erlasses nicht unrichtig gewesen, so daß die Voraussetzungen dieser Vorschrift für seine Rücknahme nicht gegeben seien. Die Auslegung des § 10 Abs 1 Satz 1 WGSVG durch die Beklagte dahingehend, Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG den mit Beiträgen belegten Zeiten gleichzustellen, sei im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut durchaus vertretbar gewesen. Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14. Mai 1981 mache den Bescheid vom 15. August 1979 hinsichtlich der Nichtzulassung der Nachentrichtung auch für die Beschäftigungszeiten nicht zu einem rechtswidrigen Verwaltungsakt. Daß im Falle des § 44 SGB X bereits ein einziges Urteil des BSG den Versicherungsträger verpflichten solle, einen bei Erlaß nicht rechtswidrigen Bescheid mit Wirkung für die Zukunft (und im Ermessensweg auch für die Vergangenheit) zurückzunehmen, lasse sich dieser Vorschrift nicht entnehmen. Das Urteil des BSG sei auch nicht überzeugend, weil durch die Zulassung der Nachentrichtung auch für gemäß § 16 FRG berücksichtigte Beschäftigungszeiten eine ungleiche (bevorzugte) Behandlung gegenüber den Verfolgten mit anrechnungsfähigen Beitragszeiten erfolge. Der Klageanspruch lasse sich auch nicht aus der Rechtsprechung des BSG zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten, denn von einem rechtswidrigen Verhalten der Beklagten könne keine Rede sein.
Mit der - vom SG im Urteil zugelassenen - Sprungrevision vertritt der Kläger die Auffassung, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm im Wege des Herstellungsanspruches die Nachentrichtung von Beiträgen gemäß § 10 Abs 1 WGSVG für die Zeit vom 1. April 1939 bis 30. Juni 1940 zu gestatten. Mit dem Schreiben vom 10. Januar 1980 (gemeint ist offensichtlich das Schreiben vom 6. März 1979) habe ihn die Beklagte falsch beraten und ihm eine falsche Auskunft erteilt, so daß sie nunmehr den Schaden wiedergutzumachen habe. Für die Unrichtigkeit einer Information reiche es aus, daß sie aus gegenwärtiger Sicht falsch gewesen sei. Der Leistungsträger habe für die Richtigkeit der Rechtsauskunft auch dann einzutreten, wenn er sie zu einer objektiv ungeklärten Rechtsfrage erteilt habe. Der Nachentrichtungsbescheid vom 15. August 1979 sei im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen, da die Beklagte das Recht unrichtig angewandt habe. Die Voraussetzungen für die Herstellung seien daher gegeben. Das SG weiche zu Unrecht von dem Urteil des BSG vom 14. Mai 1981 ab. Entgegen der Auffassung des SG finde eine Ungleichbehandlung der Verfolgten oder sonstiger Versicherter nicht statt. Zwischen den Beitragszeiten nach § 15 FRG und den Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG liege ein erheblicher Unterschied.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. August 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 1982 zu verurteilen, den Nachentrichtungsbescheid vom 15. August 1979 im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs dahingehend zu ergänzen, daß ihm die Nachentrichtung von Beiträgen gemäß § 10 WGSVG für die Zeit vom April 1939 bis Juni 1940 gestattet wird.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung sind die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht gegeben.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die Nachentrichtung von Beiträgen gemäß § 10 WGSVG über den bindenden Bescheid vom 15. August 1979 hinaus auch für den Zeitraum vom 1. April 1939 bis 30. Juni 1940 zu gestatten.
Das SG hat im Ergebnis zutreffend die Anwendbarkeit des § 44 SGB X verneint. Dies hat der Kläger mit seiner Revision auch nicht beanstandet.
Zu Recht hat das SG im Ergebnis auch die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verneint. Als Anspruchsgrundlage könnte ein Auskunftsfehler der Beklagten in Betracht kommen, der darin liegt, daß sie in der informatorischen Mitteilung vom 6. März 1979 die Zeiten, die sie nachfolgend als Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG anerkannte, nicht in die nachentrichtungsfähigen Zeiträume mit einbezogen hatte. Dies entsprach zwar der damaligen Rechtsauffassung der Beklagten, daß Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG in gleicher Weise wie mit Beiträgen belegte Zeiten - weil diesen gleichgestellt - eine auf sie bezogene Nachentrichtung ausschlössen. Aufgrund der in den Urteilen des Senats vom 23. September 1980 - 12 RK 28/79 - und 14. Mai 1981 - 12 RK 73/79 - (SozR 5070 § 8 Nr 3 und § 10 Nr 16) erfolgten Korrektur der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung war das Informationsschreiben der Beklagten vom 6. März 1979 als von Anfang an objektiv unrichtig anzusehen. Eine solche falsche Information kann zwar einen Herstellungsanspruch auslösen (BSGE 49, 76). Dies ist hier jedoch nicht der Fall, weil keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß es für die unterlassene Nachentrichtung ursächlich geworden war. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt einen ursächlichen Zusammenhang des geltend gemachten rechtlichen Nachteils mit dem der Beklagten angelasteten Fehlverhalten voraus. An einem solchen Zusammenhang fehlt es, wenn der behauptete Nachteil (hier die unterlassene Nachentrichtung für die Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG) auch dann eingetreten wäre, wenn sich Beklagte richtig verhalten hätte, die genannten Zeiten also in dem Informationsschreiben vom 6. März 1979 ebenfalls als nachentrichtungsfähig bezeichnet hätte. Dieses Schreiben hätte dann für den Zeitrahmen von Februar 1937 bis August 1965 nicht wie geschehen 237 Kalendermonate, sondern 13 Kalendermonate mehr als nach § 10 WGSVG nachentrichtungsfähig ausgewiesen. Da der von einem sachkundigen Bevollmächtigten (Dr. ) vertretene Kläger den ihm auch schon nach dem unvollständigen Schreiben vom 6. März 1979 offenstehenden Belegungszeitraum von 237 Kalendermonaten nur mit 68 Kalendermonaten (Januar 1950 bis August 1965) belegte und dabei alle ihm als belegungsfähig mitgeteilten Zeiten vor dem 1. Januar 1950 (insgesamt 49 Kalendermonate) ungenutzt ließ, kann nicht angenommen werden, daß er gerade die als Beschäftigungszeiten anerkannten und damit seinem Versicherungsverlauf zugerechneten 13 Kalendermonate mit Nachentrichtungsbeiträgen belegt hätte, wenn er ihre Belegungsfähigkeit gekannt hätte.
Der Revision des Klägers muß sonach der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen