Verfahrensgang
SG Kiel (Urteil vom 05.07.1989) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 5. Juli 1989 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger ist in E. … als Kassenarzt zugelassen, Inhaber einer chirurgischen Privatklinik und dort als Belegarzt anerkannt. Diese Klinik ist mit 37 Betten als Krankenhaus für Akutkranke und zur Ergänzung der allgemeinen Krankenhausversorgung in den Krankenhausbedarfsplan des Landes Schleswig-Holstein aufgenommen worden (Bescheid vom 30. September 1980). Die Aufnahme erfolgte ua mit der Maßgabe, daß die pflegerische und ärztliche Versorgung einschließlich des notwendigen Anästhesiedienstes „rund um die Uhr” sicherzustellen ist. Außerdem müssen Tag- und Nachtaufnahmebereitschaft gewährleistet sein. Diese Auflage hat der Kläger erfüllt. Einen Teil des Bereitschaftsdienstes leistet er selbst, im übrigen werden bei ihm angestellte oder freiberufliche Ärzte tätig.
Mit der Beklagten rechnet der Kläger seine für Kassenpatienten erbrachten Leistungen mit Belegarztscheinen ab.
Über die Frage, ob und ggf gegen wen er einen Anspruch auf Vergütung des Bereitschaftsdienstes hat, besteht seit Aufnahme der Klinik in den Krankenhausbedarfsplan Streit. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat unter Zugrundelegung der bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Fassung der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) entschieden, daß die Kosten des Bereitschaftsdienstes in den Pflegesatz der Klinik einzubeziehen sind (Urteil vom 12. März 1987 – 3 C 14.86 = Buchholz 451.74 § 17 KHG Nr 11). Umstritten ist, ob dies auch aufgrund der ab 1. Januar 1986 vorgenommenen Neufassung der BPflV gilt. Die vom zuständigen Sozialminister ab 1986 für die Klinik genehmigten Pflegesätze berücksichtigen die Kosten des Bereitschaftsdienstes nicht. Die dagegen erhobene Klage hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht abgewiesen (Urteil vom 25. November 1988). Der Rechtsstreit ist gegenwärtig in der Berufungsinstanz anhängig. Das Verfahren ruht im Hinblick auf die im vorliegenden Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung (Beschluß des seinerzeit noch zuständigen Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 11. Januar 1990 – 10 L 154/89).
Die Beklagte honorierte die im Rahmen des Bereitschaftsdienstes tatsächlich erbrachten ärztlichen Leistungen, lehnte jedoch eine gesonderte Vergütung für die Vorhaltung eines patientenunabhängigen ärztlichen Bereitschaftsdienstes für das Jahr 1986 und das erste Quartal 1987 ab (Bescheide vom 14. Juli 1986, 14. Oktober 1986, 16. Januar 1987, 15. April 1987 und 15. Juli 1987). Die hiergegen eingelegten Widersprüche wurden bezüglich der Quartale I bis IV/86 wegen Fristversäumnis als unzulässig und im übrigen (Bescheid vom 15. Juli 1987) als unbegründet zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 1987).
Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 5. Juli 1989). Hinsichtlich der Bescheide für das Jahr 1986 habe die Beklagte die Widersprüche des Klägers zu Recht als unzulässig angesehen. Die für das Quartal I/87 getroffene Sachentscheidung sei ebenfalls nicht zu beanstanden, denn es gebe keine Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Forderung. Die Kosten für den durch die Einstufung als Akutkrankenhaus notwendig gewordenen Bereitschaftsdienst seien als allgemeine Praxiskosten zu bewerten. Diese aber habe der Kläger selbst zu tragen. Es sei nicht rechtswidrig, daß § 4 des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) der Beklagten eine gesonderte Honorierung eines patientenunabhängigen Bereitschaftsdienstes nicht vorsehe.
Mit der – vom SG zugelassenen – Sprungrevision verfolgt der Kläger seinen Vergütungsanspruch nur noch für das Quartal I/87. Er trägt vor, das angefochtene Urteil verstoße gegen die Regelungen der §§ 368f und 368g Abs 6 Reichsversicherungsordnung (RVO). Nach Sinn und Zweck beider Vorschriften sei die Beklagte verpflichtet, die streitgegenständlichen Kosten gesondert zu vergüten. Nach der amtlichen Begründung zu § 130 des Gesundheitsreformgesetzes ≪GRG≫ (BR-Drucks 200/88, S 204) habe der Gesetzgeber den Vertragsparteien der kassenärztlichen Versorgung anläßlich der Neufassung der BPflV den ausdrücklichen Hinweis gegeben, daß eine Kostendeckung für den vom Belegarzt zu gewährleistenden Bereitschaftsdienst zu sichern sei (BR-Drucks 224/85, S 51). Damit habe der Gesetzgeber nichts anderes getan, als nochmals auf die sich bereits aus § 368g Abs 6 RVO ergebende identische Verpflichtung hinzuweisen. Das Untätigbleiben der Beklagten im Rahmen des Übergangs vom alten zum neuen Pflegesatzrecht stelle zudem eine Verletzung seiner Mitgliedschaftsrechte dar. Mit dem Zeitpunkt, ab dem sich der Gesetzgeber und der Verordnungsgeber entschlossen hätten, den Kassenärztlichen Vereinigungen die Vergütung der Kosten des ärztlichen Bereitschaftsdienstes zuzuordnen, sei die Beklagte verpflichtet gewesen, eine angemessene Zusatzregelung zu treffen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 5. Juli 1989, soweit es die Klage auch hinsichtlich des Bescheides vom 15. Juli 1987 abgewiesen hat, aufzuheben und den Bescheid vom 15. Juli 1987 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 1987 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für das erste Quartal 1987 weitere 61.610,00 DM nebst 6 % Zinsen seit dem 1. April 1987 zu zahlen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, ihn so zu behandeln, als gebe es ab dem ersten Quartal 1987 im Honorarverteilungsmaßstab eine Bestimmung, die eine angemessene Vergütung des belegärztlichen Bereitschaftsdienstes vorsieht,
- die Beklagte zu verpflichten, mit Wirkung ab 1. Januar 1987 in den Honorarverteilungsmaßstab eine Bestimmung aufzunehmen, die eine angemessene Vergütung des belegärztlichen Bereitschaftsdienstes vorsieht,
hilfsweise zu 1. und 2.:
festzustellen, daß § 4 des Honorarverteilungsmaßstabes in der jetzt gültigen Fassung insoweit rechtswidrig ist, als in ihm eine Vergütung des belegärztlichen Bereitschaftsdienstes nicht vorgesehen ist, und die Beklagte verpflichtet ist, ihn dafür schadlos zu stellen, daß eine solche Vergütung nicht vorgesehen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Wie schon die Formulierung des § 368g Abs 6 RVO verdeutliche, sei die vom Kläger geforderte Vergütung für einen patientenunabhängigen belegärztlichen Bereitschaftsdienst keine ausschließliche Angelegenheit der Kassenärztlichen Vereinigungen, sondern zum Gegenstand der Verträge gemäß § 368g Abs 1 RVO erhoben, wobei als deren Bestandteil ein einheitlicher Bewertungsmaßstab zu vereinbaren sei. Der Bewertungsmaßstab enthalte aber keine entsprechende Regelung. Im übrigen bestehe auch kein einklagbarer Anspruch des Kassenarztes darauf, daß bestimmte Regelungen in den Bewertungsmaßstab oder den HVM aufgenommen werden.
Die Beigeladenen zu 6, 7 und 8 beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie schließen sich der Auffassung der Beklagten an.
Die Beigeladenen zu 1 bis 5, 9 und 10 haben keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz begründet.
Zu Unrecht geht das SG davon aus, daß für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch eine Rechtsgrundlage weder im Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten noch im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (E-BM) bestehe. Hierbei berücksichtigt das SG zu wenig die Besonderheit der belegärztlichen Tätigkeit des Klägers, die darin besteht, daß er nicht wie ein niedergelassener Arzt terminsmäßig, sondern ständig einen Bereitschaftsdienst „rund um die Uhr” vorzuhalten hat.
Nach dem hier noch anwendbaren, bis zum 31. Dezember 1988 geltenden § 368g Abs 6 RVO war die stationäre Behandlung in Krankenhäusern nur insoweit Gegenstand der Verträge über die kassenärztliche Versorgung, als ihre Vergütung nicht durch das Krankenhaus aus dem Pflegesatz abgegolten wird. Diese Voraussetzung war nach dem Urteil des BVerwG vom 12. März 1987 (aaO) bis zum 31. Dezember 1985 erfüllt. Dies gilt jedoch nicht mehr für den streitigen Zeitraum. Seit der Änderung der BPflV zum 1. Januar 1986 (BGBl 1985 I 1666) wird infolge der Neufassung ihres § 2 der belegärztliche Bereitschaftsdienst nicht mehr als allgemeine Krankenhausleistung im Pflegesatz berücksichtigt. Der Verordnungsgeber ist in der amtlichen Begründung zu dieser Neuregelung zum einen davon ausgegangen, daß die Belegärzte auch für die Sicherstellung einer durchgehenden ärztlichen Versorgung ihrer Patienten verantwortlich sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich um sog gemischte Krankenhäuser oder reine Belegkrankenhäuser handelt (BR-Drucks 224/85, S 51 ff). Aus dieser Zuordnung folgt auch, daß die Belegärzte dem Krankenhaus die entsprechenden Aufwendungen zu erstatten haben. Zum anderen hat der Verordnungsgeber darauf hingewiesen, daß die Frage der Vergütung des belegärztlichen Bereitschaftsdienstes ab Inkrafttreten der Neufassung der BPflV im Bereich der kassenärztlichen Versorgung zu regeln sei. Dementsprechend bestimmt der durch das GRG vom 20. Dezember 1988 (BGBl I, 2477) mit Wirkung vom 1. Januar 1989 in kraft getretene § 121 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – (SGB V) in Abs 3 Satz 3 Nr 1 ausdrücklich, daß zur Vergütung von Belegärzten auch Entgelte für den Bereitschaftsdienst für Belegpatienten gehören. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich zudem, daß § 121 SGB V nicht etwa erstmals entsprechende Vergütungsansprüche begründen soll, sondern – wegen der im Anschluß an die nach der Änderung der BPflV aufgetretenen Auslegungsprobleme – nur eine Klarstellung dessen bezweckt, was schon durch § 368g Abs 6 RVO geregelt war (vgl dazu BT-Drucks 11/2237, S 204 zu § 130 des Entwurfs zum GRG und Tuschen in GKV-Komm § 121 RdNr 7).
Obwohl eine Vergütung des belegärztlichen Bereitschaftsdienstes seit dem 1. Januar 1986 nicht mehr im Pflegesatz enthalten war, bestand für den Kläger als Belegarzt weiterhin die Verpflichtung, den Bereitschaftsdienst vorzuhalten. Auf der anderen Seite entfiel durch die Neufassung der BPflV ein Vergütungsanspruch, der entgegen den Erwartungen des Verordnungsgebers nicht durch eine vertragliche Regelung nach § 368g RVO ganz oder zumindest teilweise ersetzt wurde.
Grundsätzlich kann ein Vergütungsanspruch nur durch eine vertragliche Regelung im Rahmen des § 368g RVO begründet werden. Kommt diese Regelung nicht zustande, dann besteht nicht ein Vergütungsanspruch kraft Gesetzes, vielmehr hat nach § 368h RVO das Schiedsamt den Vertragsinhalt festzusetzen. Bis dahin gilt der bisherige Vertrag weiter (§ 368h Abs 2 Satz 4 RVO). Das Schiedsamtverfahren kann nur von den Vertragspartnern, nicht aber von einem einzelnen Kassenarzt betrieben werden (§ 368h Abs 1 Satz 1 RVO).
Dies bedeutet im vorliegenden Fall, daß dem Kläger durch die Neufassung der BPflV eine Rechtsposition, nämlich der Anspruch auf Vergütung des belegärztlichen Bereitschaftsdienstes aus dem Pflegesatz, genommen wurde, ohne daß gleichzeitig eine vom Verordungsgeber erwartete vertragliche Regelung an die Stelle dieser Rechtsposition getreten wäre. Dem Kläger war auch nicht die Möglichkeit eröffnet, auf die Einleitung oder den Verlauf der Vertragsverhandlungen irgendeinen Einfluß zu nehmen. Es gab nicht einmal eine einschlägige vertragliche Regelung, die nach § 368h Abs 2 Satz 4 RVO fortgegolten hätte. Vertragliche Regelungen aufgrund des § 121 Abs 3 Satz 3 Nr 1 SGB V bestehen nicht schon seit dem Inkrafttreten des Gesetzes (1. Januar 1989), sondern erst ab 1. Oktober 1990 (vgl § 32 Abs 2 iVm § 54 Abs 1 BMV-Ä; § 17 Abs 4 iVm § 36 Abs 1 EKV-Ä). Insoweit hat während des hier maßgeblichen Zeitraums eine vom Verordnungsgeber geschaffene Regelungslücke bestanden, welche unter dem Gesichtspunkt zu schließen ist, daß der Kläger über den Pflegesatz einen Rechtsanspruch gehabt hat, der nicht hat ersatzlos entfallen, sondern einer vertraglichen Regelung zugeführt werden sollte. Wegen dieses Besitzstandes kann die Untätigkeit der Vertragspartner nicht allein zu Lasten des Klägers gehen. Vielmehr sind seine Aufwendungen für den Bereitschaftsdienst unter dem Gesichtspunkt der leistungsfähigen belegärztlichen Versorgung (§ 368g Abs 6 Satz 2 RVO) angemessen zu erstatten.
Hinsichtlich der Angemessenheit der Höhe des Entgelts für den belegärztlichen Bereitschaftdienst bietet einen Anhaltspunkt der auf den Bereitschaftsdienst entfallende Anteil an dem früheren, bis zum 31. Dezember 1985 maßgeblichen Pflegesatz. Hierbei ist allerdings zu prüfen, wie hoch dieser Anteil für die von Kassenpatienten belegten Betten war. Nur diese gehören zur kassenärztlichen Versorgung, während die Aufwendungen des Klägers für Privatpatienten keine Berücksichtigung finden können.
Einen weiteren Anhaltspunkt bietet die derzeitige vertragliche Regelung im Ersatzkassenbereich (vgl Nr 7200 der Ersatzkassen-Gebührenordnung). Von ihr aus kann unter Berücksichtigung der Entwicklung ärztlicher Honorare in den vergangenen Jahren ein Rückschluß darauf gezogen werden, welche Höhe des Entgeltes angemessen gewesen wäre.
Hierzu bedarf es weiterer Feststellungen durch das SG. Von diesem ist zusätzlich zu ermitteln, wieviele Betten während des streitigen Zeitraumes in welchen Zeiträumen von Kassenpatienten belegt worden waren. Hieraus kann der Betrag errechnet werden, der von der Beklagten für die Organisation des ärztlichen Bereitschaftsdienstes zu zahlen ist. Ob und inwieweit darüber hinaus das Honorar, das der Kläger für die im Rahmen des Bereitschaftsdienstes tatsächlich erbrachten Leistungen erhalten hat, auf die Vergütung für den Bereitschaftsdienst anzurechnen ist, richtet sich einmal danach, ob in der Zeit, in der ein Anteil für den Bereitschaftsdienst im Pflegesatz enthalten war, tatsächlich erbrachte Leistungen noch gesondert vergütet wurden, und zum anderen danach, ob sie nach jetzt geltendem Vertragsrecht gesondert vergütungsfähig sind. Dies muß sich aus dem jeweiligen Gesamtvertrag ergeben, dessen Inhalt als Landesrecht vom SG insoweit festzustellen ist.
Nach allem war auf die Revision des Klägers das Urteil des SG aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen. Dieses wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.
Fundstellen