Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmer des Betriebes. Rechtliche Beziehungen zwischen einer GmbH und ihrem Geschäftsführer. zur Prokuristin bestellte Gesellschafterin
Leitsatz (redaktionell)
1. Unternehmer ist derjenige, dem das wirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens zum Vor- und Nachteil gereicht. Die Rechtsform des Unternehmens ist für die Unternehmereigenschaft von ausschlaggebender Bedeutung.
2. Auch wenn die Unternehmereigenschaft nicht gegeben ist, können die Mindestvoraussetzungen für die Annahme der die Arbeitnehmereigenschaft kennzeichnenden Abhängigkeit fehlen.
Orientierungssatz
Zum Begriff "Arbeitnehmer" iS des KGG § 2 (hier: Prokurist).
Normenkette
KGG § 2 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1954-11-13, § 10 Abs. 1 Fassung: 1954-11-13
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. September 1964 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung die eine Strick- und Wirkwarenfabrik betrieb. Ihre Gesellschafter sind die Eheleute O. und R. R. Von dem Stammkapital der Gesellschaft (50.000,-- DM) besitzt R. R. vier Fünftel Anteile, während O. R. mit einem Fünftel beteiligt ist. Beide Eheleute waren in 1955 als Geschäftsführer tätig. Dann wurde R. R. von der Gesellschafterversammlung als Geschäftsführerin abberufen. Gleichseitig wurde ihr Einzelprokura erstellt, damit sie in Rechtsstreitigkeiten der Klägerin als Zeugin vernommen werden konnte. O. R. blieb weiterhin Geschäftsführer. Seine Ehefrau übte auch nach ihrer Abberufung als Geschäftsführerin in dem Betrieb der Klägerin ihre bisherige Tätigkeit weiter aus; ihr oblag die technische und kaufmännische Leitung des Unternehmens. Auf die Vermögensbildung der Gesellschaft hatte sie auf Grund. ihrer Kapitalbeteiligung einen überwiegenden Einfluß. Für ihre Tätigkeit bezog R. R. kein Gehalt; vielmehr war sie am Gewinn der Gesellschaft beteiligt. Die Gewinnentnahmen beliefen sich im Jahre 1957 auf insgesamt 18.000,-- DM. Lohnsteuer wurde für R. R. nicht abgeführt.
Mit Beitragsbescheid vom 31. Mai 1958 forderte die Familienausgleichskasse Textil und Bekleidung als Rechtsvorgängerin der Beklagten von der Klägerin für das Jahr 1957 Beiträge nach dem Kindergeldgesetz (KGG). Sie errechnete einen gesamten Beitrag von 307,52 DM aus einer beitragspflichtigen Lohnsumme von 43.903,-- DM, in der die Gewinnentnahme für R. R. in Höhe von 18.000.--DM enthalten war.
Hiergegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Widerspruch Klage. Diese wies des Sozialgericht (SG) ab (Urteil vom 24. Januar 1961). Die Gesellschafter einer GmbH seien nach § 557 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF gegen Arbeitsunfall versichert und demnach auch nach §§ 10, 29 des KGG beitragspflichtig. Auf die Berufung der Klägerin änderte des Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG ab (LSG-Urteil vom 15. September 1964). Es hob die Beitragsrechnung der Familienausgleichskasse (FAK) idF des Widerspruchsbescheides auf, soweit darin Beiträge für die Gesellschafterin R. R. enthalten waren. Das LSG führte dazu im wesentlichen aus: Die Prokuristin R. R. habe nicht in einem weisungsgebundenen und abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Sie habe kein Gehalt bezogen, sondern nur den ihr als Gesellschafterin zustehenden Gewinn entnommen. Auf Grund ihrer hohen Kapitalbeteiligung am Stammkapital der Gesellschaft habe sie maßgebenden Einfluß auf die Geschicke der Gesellschaft ausüben können. Da die Merkmale einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht vorlägen, körne kein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne des § 537 Nr. 1 RVO aF angenommen werden, auch wenn die Gesellschafterin als Prokuristin tätig geworden ist. Deshalb entfalle für sie die Beitragspflicht zu der FAK.
Revision wurde zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 15. September 1964 die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
hilfsweise,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Sie ist der Ansicht bei einer GmbH sei diese allein Unternehmerin; für die Organe einer solchen Gesellschaft treffe dies jedoch nicht zu. R. R. sei aber nicht einmal Geschäftsführerin gewesen, sondern nur Prokuristin. In dieser Eigenschaft sei sie von dem geschäftsführenden Organ der Gesellschaft abhängig gewesen. Der formellen Bindung der Prokuristin an die Weisungen des Geschäftsführers der Klägerin stehe die Höhe ihrer Kapitalbeteiligung am Stammkapital der Gesellschaft nicht entgegen. R. R. gehöre als Prokuristin zu dem Kreis der nach ü § 537 Ziff. 1 RVO aF gegen Arbeitsunfall versicherten Personen. Aus diesem Grunde sei sie auch beitragspflichtig zu der FAK.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, die Gesellschafterin R. R. habe sich in keiner persönlichen und (oder) wirtschaftlichen Abhängigkeit zur Gesellschaft befunden Ihre Bestellung zur Prokuristin habe kein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 537 Nr. 1 RVO aF begründet, weil diese nur die vertretungsrechtliche Seite gegenüber Dritten berührte, nicht jedoch die Beziehung zum Vollmachtgeber. Infolge des überwiegenden Stimmrechts habe R. R. dominierender Einfluß auf die Entschließungen die Gestaltung und die Geschäftsabwicklung der Gesellschaft ausüben können. Sie habe als Prokuristin kein Gehalt bezogen. Die entscheidenden Kriterien für die Annahme eines abhängigen Arbeits- oder Dienstverhältnisses lägen hier nicht vor. Somit bestehe keine Versicherungspflicht in der Unfallversicherung und damit keine Beitragspflicht zur FAK.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
II
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassene Revision, die form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet wurde, ist statthaft (§§ 164, 166 SGG).
Revisionsklägerin ist die Textil- und Bekleidungs-Berufsgenossenschaft als Rechtsnachfolgerin der nach §§ 33 Abs. 2 Satz 1, 47 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) vom 14. April 1964 (BGBl I 265) mit Ablauf des 30. Juni 1965 aufgelösten beklagten FAK. Sie ist nach § 33 Abs. 2 Satz 2 BKGG in deren Rechte und Verbindlichkeiten, damit auch in den vorliegenden, von ihr aufgenommenen, Rechtsstreit, eingetreten, eingetreten.
Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Beitragsrechnung der Beklagten vom 31. Mai 1958 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1958, soweit damit die FAK von der Klägerin Beiträge für die Gesellschafterin und Prokurist R. R. forderte.
Nach § 10 Abs. 1 KGG ist beitragspflichtig, wer für Arbeitnehmer, Selbständige oder mithelfende Familienangehörige Beiträge zu den Berufsgenossenschaften nach dem Dritten Buch der RVO aufzubringen hat oder hätte, wenn diese Personen versichert wären. Danach sind von Gesetzes wegen die Unternehmer sowohl für ihre eigene Person als auch für ihre versicherten Arbeitnehmer und mithelfenden Familienangehörigen beitragspflichtig (BVerfG 11, 105 ff; BSG 6, 213, 234). Jedoch befreit § 17 Abs. 2 der Satzung der FAK Textil und Bekleidung zulässigerweise Unternehmer für ihre Person von der Beitragspflicht.
Der Begriff "Arbeitnehmer" ist in § 2 Abs. 2 Satz 1 KGG definiert. Als Arbeitnehmer gelten alle auf Grund eines Arbeitsverhältnisses Beschäftigten, einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten und die Heimarbeiter. Da die Gesamtkonzeption des Kindergeldrechts nach dem KGG an der Unfallversicherung (Drittes Buch der RVO) ausgerichtet ist, muß zur Auslegung des Begriffs "Arbeitnehmer", wie auch aus der Fassung des § 10 Abs. 1 hervorgeht, die Vorschrift des § 537 RVO aF (§ 539 RVO nF) herangezogen werden (BT II/708 S. 1; 2, 4; BT II/3490 S. 11 12; Lauterbach/Wickenhagen, Die Kindergeldgesetzgebung, § 2 Anm. 14). Die Frage, ob jemand als versicherter Arbeitnehmer im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung anzusehen ist, muß einem in der Sozialversicherung allgemein anerkannten Grundsatz zufolge nicht nach den zivilrechtlichen Vereinbarungen der Vertragsparteien, sondern vielmehr nach der tatsächlichen Gestaltung der Verhältnisse sowie nach der Art der Tätigkeit beurteilt werden (BSG, SozR Nr. 8 und Nr. 39 zu § 537 RVO aF; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 302b, 306h, 307).
Wird Arbeit für ein Unternehmen geleistet, so ist in erster Linie entscheidend, wer Unternehmer dieser Tätigkeit ist. Nach § 633 Abs. 1 RVO aF (§ 658 Abs. 2 Nr. 1 RVO nF) ist Unternehmer eines Betriebes derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb oder die Tätigkeit geht. Unternehmer ist hiernach derjenige, dem das wirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens zum Vor- und Nachteil gereicht, dem die Erträgnisse zufließen und der für die Verluste aufkommen muß (Brackmann, aaO S. 470c; BSG 14, 142, 145; BSG, SozR GAL zu § 1 Nr. 9). Entscheidend ist vor allem das wirtschaftliche Wagnis (Risiko). Ein nur mittelbarer Vorteil oder Nachteil reicht nicht aus, die Unternehmereigenschaft anzunehmen (Brackmann, aaO S. 470c; BSG 14, 1, 142, 145; 16, 73, 74; 23, 83, 85; EuM 43, 245, 246; EuM 21, 125, 126).
Mit der rechtlichen Natur der Beziehungen zwischen einer GmbH und ihrem Geschäftsführer hat sich das Bundessozialgericht (BSG) in den Urteilen vom 13. Dezember 1960 (BSG 13, 196), 30. März 1962 (BSG 17, 15) und vom 25. Mai 1965 (BSG 23, 83) eingehend befaßt. Abweichend von dem diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalt war die Gesellschafterin R. R. zu dem hier maßgebenden Zeitpunkt nicht mehr Geschäftsführerin der Klägerin. Infolgedessen ist hier nicht darüber zu entscheiden, ob ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der vier Fünftel der Anteile des Stammkapitals und somit maßgeblichen Einfluß auf die Beschlüsse der Gesellschaft besitzt, als Unternehmer oder Mitunternehmer anzusehen ist. Wenngleich der Senat der Auffassung folgt, daß für die Frage der Unternehmereigenschaft die Rechtsform des Unternehmens von ausschlaggebender Bedeutung und somit die GmbH (jur. Person) als "Unternehmer" zu bewerten ist, so kann daraus noch nicht geschlossen werden, daß grundsätzlich alle Organe dieser Gesellschaft in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis bzw. einen abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu der Gesellschaft stehen. Auch wenn die Unternehmereigenschaft nicht gegeben ist, können die Mindestvoraussetzungen für die Annahme der die Arbeitnehmereigenschaft kennzeichnenden Abhängigkeit fehlen (Brackmann, aaO S. 470i, k; 470 f).
Die zur Prokuristin bestellte Gesellschafterin R. R. kann zwar nicht als Unternehmerin angesehen werden. Ob sie jedoch in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Gesellschaft stand, ist nur aus der Gestaltung des Beschäftigungsverhältnisses unter Heranziehung der näheren Umstände ihrer Tätigkeit zu entnehmen (Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl. § 539 Anm. 6a).
Ein Beschäftigungs- bzw. ein Arbeits- oder Dienstverhältnis im Sinne der Sozialversicherung liegt nach einhelliger Auffassung im Schrifttum sowie nach der ständiger Rechtsprechung des BSG dann vor, wenn ein Arbeitnehmer fremdbestimmte Arbeit für einen Arbeitgeber leistet (BSG 1, 115, 118). Als wesentliches Merkmal für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gilt dabei die persönliche Abhängigkeit (BSG 10, 41, 44; 13, 130, 132f; 16, 98; 20, 6, 8). Diese äußert sich vor allem in der Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Arbeitgebers und in der Unterwerfung unter dessen Direktionsrecht. Dabei ist nicht ausgeschlossen, daß das Weisungsrecht des Arbeitgebers stark eingeschränkt sein kann (BSG 16, 289, 293; BAG, AP 1962, 86). Andererseits kann trotz Eingliederung in den Betrieb wegen fehlender Unterordnung die für die Arbeitnehmereigenschaft notwendige Abhängigkeit nicht vorhanden sein (Brackmann, aaO S. 470c). Bei Abwägung dieser Gesichtspunkte erweist sich das durch die Bestellung zur Prokuristin geschaffene Rechtsverhältnis zwischen R. R. und der Klägerin nicht als ein abhängiger Arbeits- oder Dienstverhältnis. Frau R. R. war zwar auch nach ihrer Abberufung als Geschäftsführern in der von der Klägerin betriebenen Fabrik noch ganztätig tätig, sie leitete auch das Unternehmen technisch und befaßte sich mit der kaufmännischen Seite des Betriebes. Sie war aber an keine Weisungen gebunden, übte vielmehr auf Grund ihrer Kapitalbeteiligung auf die Entschließungen der Gesellschaft und deren geschäftliche Angelegenheiten einen dominierenden Einfluß aus. Sie erhielt ferner für ihre Tätigkeit kein Gehalt, sondern entnahm als Gesellschafterin Beträge aus dem Gewinn des Unternehmens. Diese Entnahmen, die im Jahre 1957 18.000,-- DM betrugen, wurden nicht nach der geleisteten Tätigkeit, sondern nach dem Kapitalanteil berechnet. Für sie wurde auch keine Lohnsteuer abgeführt. Alle wesentlichen Merkmale, die für die Arbeitnehmereigenschaft der Prokuristin R. R. sprechen könnten, wie z.B. Regelung der Arbeitsaufgaben, Festlegung einer Arbeitszeit, Urlaubsregelung, Kündigungsbestimmungen, fehlen. Aus allen diesen Gründen hat das LSG zu Recht angenommen, daß die für die Gesellschaft als Prokuristin tätige Gesellschafterin nicht in einem abhängigen Arbeits-, Beschäftigungs- oder Dienstverhältnis gestanden hat. Weiter war R. R. in Beziehung zur Klägerin als juristische Person auch nicht mithelfende. Familienangehörige oder Verwandte i.S. des Kindergeldrechtes sowie des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung.
Nach alledem gehört R. R. nicht zum Kreise der Arbeitnehmer, für welche die Klägerin als Unternehmerin Beiträge zu den Berufsgenossenschaften aufzubringen hat oder hätte. Infolgedessen besteht für sie auch keine Beitragspflicht. zur FAK nach § 10 Abs. 1 KGG. Nicht zu entscheiden war in diesem Zusammenhang die Frage, ob R. R. allenfalls gemäß § 537 Nr. 10 RVO aF (§ 539 Abs. 2 RVO nF) für ihre Tätigkeit den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung genießen würde und ob etwa aus diesem Grunde, obgleich sie nicht als Arbeitnehmerin i.S. des § 537 Nr. 1 RVO beschäftigt war, Beiträge zur Berufsgenossenschaft zu entrichten wären.
Das Berufungsgericht hat also im Ergebnis zu Recht den Bescheid der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 31. Mai 1958 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1958 aufgehoben.
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LSG vom 15. September 1964 ist daher zurückzuweisen.
Der Senat hat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§§ 165, 153, 124 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen