Leitsatz (amtlich)
Dem Formerfordernis der schriftlichen Klageerhebung ist auch dann genügt, wenn die Klageschrift nicht eigenhändig unterzeichnet, sondern mit einem Faksimilestempel versehen ist.
Leitsatz (redaktionell)
1. Es bestehen keine Bedenken dagegen, bei der Klageschrift, auch wenn sie an sich ein bestimmender Schriftsatz ist und deshalb die Notwendigkeit einer Unterzeichnung naheliegen würde, von dem Erfordernis der Unterschrift des Klägers oder seines Vertreters abzusehen.
2. Da SGG § 92 S 2 im Wortlauf von SGG § 151 Abs 3 abweicht, ist es schon aus diesem Grunde nicht möglich, die Rechtsprechung des BSG über die Form der Berufungsschrift auf die Klageschrift anzuwenden.
Normenkette
SGG § 90 Fassung: 1953-09-03, § 92 Fassung: 1953-09-03, § 151 Abs. 3 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 9. April 1963 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
Durch Entscheidung vom 25. Mai 1955 hatte das Sozialgericht (SG) das Versorgungsamt (VersorgA), welches den Antrag des Klägers auf Gewährung von Versorgung abgelehnt hatte, verurteilt, bestimmte Schädigungsfolgen anzuerkennen und Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. zu gewähren. Auf die Berufung des Beklagten hatte das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 24. Oktober 1960 die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Daraufhin forderte das VersorgA durch den Bescheid vom 7. November 1960 die für die Zeit vom 25. Mai 1955 bis 30. November 1960 zu Unrecht gezahlten Rentenbeträge in Höhe von 1.799,20 DM zurück. Der Widerspruch wurde durch Bescheid vom 28. Juli 1961 zurückgewiesen; dieser wurde am 31. Juli 1961 an den Kläger unter Einschreiben abgesandt.
Mit Schreiben vom 4. September - eingegangen am 5. September - 1961 hat der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid Klage erhoben. Die Klageschrift ist nicht unterzeichnet, sondern mit einem Faksimile-Stempel unterstempelt worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt. Durch Urteil vom 13. November 1961 hat das SG die Klage abgewiesen, weil sie nicht in rechter Form erhoben sei und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus diesem Grunde nicht in Betracht komme. Die Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 9. April 1963 aus den gleichen Gründen zurückgewiesen.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 9. April 1963 aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Bayerische LSG zurückzuverweisen.
Er rügt mit näherer Begründung, das LSG habe zu Unrecht eine Prozeßentscheidung statt einer Sachentscheidung getroffen, denn nach § 92 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sei zur Gültigkeit der Klageerhebung nicht erforderlich, daß die Klageschrift unterzeichnet werde.
Der Beklagte beantragt,
die Revision gegen das Urteil des Bayerischen LSG vom 9. April 1963 als unzulässig zu verwerfen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Kläger hat die Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Das Rechtsmittel ist vom LSG zwar nicht zugelassen worden; es findet aber statt, weil ein wesentlicher Mangel des Verfahrens im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gerügt wird und vorliegt (BSG 1, 150). Die Revision ist auch begründet.
Das LSG hat die angefochtene Entscheidung darauf gestützt, daß der Kläger nicht wirksam Klage erhoben habe. Es hat sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu der Frage der Gültigkeit einer Berufungseinlegung bezogen. Hiergegen erhebt der Kläger zu Recht die Rüge einer Verletzung des § 92 SGG und die weitere Rüge, daß das LSG eine Prozeßentscheidung statt einer Sachentscheidung gefällt habe (vgl. BSG 1, 283 ff; 4, 200 ff; SozR SGG § 162 Nr. 21).
Nach § 92 Satz 2 SGG soll die Klage, die gemäß § 90 SGG schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben ist, bestimmte Angaben enthalten und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Tagesangabe unterzeichnet sein. Das BSG hat bisher zum § 92 SGG noch keine Entscheidung gefällt. Es hat aber diese Vorschrift in mehreren Entscheidungen bei der Auslegung anderer Vorschriften herangezogen, insbesondere in der in BSG 19, 191 ff abgedruckten Entscheidung des 10. Senats. Diese lautet u. a. (auf S. 194 bis 195) wie folgt:
"§ 92 SGG betrifft ... nicht nur den Inhalt der Klageschrift, sondern hinsichtlich der Unterzeichnung ihre Form, die an sich in § 90 SGG geregelt ist. Daß die Klageschrift nur unterzeichnet sein "soll", bedeutet also insoweit eine Einschränkung der an den Begriff der Schriftlichkeit in § 90 SGG zu stellenden Anforderungen. ... An die Formerfordernisse bei der Klage sind im Hinblick auf § 92 SGG erheblich geringere Anforderungen zu stellen als bei der Berufungs- oder Revisionsschrift. Auch im Schrifttum wird übereinstimmend die Auffassung vertreten, daß die Klageschrift nicht eigenhändig von dem Kläger oder seinem Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet sein muß (so Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 2 zu § 92 SGG; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 1 zu §§ 90 und 93 SGG) oder zumindest eine etwa fehlende Unterschrift jederzeit nach Ablauf der Klagefrist nachgeholt werden kann (vgl. Thannheiser/Wende/Zech, Handbuch des Bundesversorgungsrechts, Anm. zu § 92 SGG; Miesbach/Ankenbrank, SGG, Anm. 2 zu § 90; Mellwitz, Kommentar zum SGG, Anm. zu § 92). Die angeführten Kommentare sind sich hiernach darüber einig, daß § 92 SGG hinsichtlich der Unterzeichnung der Klage eine Erleichterung gegenüber den strengeren Formvorschriften über die Berufung und Revision darstellt. ... entscheidend ist, welcher Grad von Formstrenge nach den jeweils maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften sinnvoll zu fordern ist (vgl. Beschl. des BVerfG vom 19. 2. 1963 - 1 BvR 610/62 -)."
Diese Ausführungen macht sich der Senat zu eigen. Es ist noch hinzuzufügen, daß das Prozeßrecht auch von Erwägungen der Zweckmäßigkeit beherrscht wird. Aus ihnen ist es möglich, die Formenstrenge des Prozeßverfahrens für bestimmte abgegrenzte Tatbestände zu lockern. Demgemäß bestehen keine Bedenken dagegen, bei der Klageschrift, auch wenn sie an sich ein bestimmender Schriftsatz ist und deshalb die Notwendigkeit einer Unterzeichnung naheliegen würde, von dem Erfordernis der Unterschrift des Klägers oder seines Vertreters abzusehen. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, auch einen einzelnen bestimmenden Schriftsatz, wie die Klageschrift, von dem Formzwang der Unterzeichnung zu befreien. Dies ist durch § 92 Satz 2 letzter Halbsatz SGG geschehen. Das Berufungsgericht hat die gesetzliche Regelung nicht gebührend berücksichtigt und vor allem nicht beachtet, daß § 92 Satz 2 SGG von § 151 Abs. 3 SGG im Wortlaut abweicht. Es ist schon aus diesem Grunde nicht möglich, die Rechtsprechung des BSG über die Form der Berufungsschrift auf die Klageschrift anzuwenden.
Infolgedessen ist hier formgültig Klage erhoben, so daß das LSG keine Prozeßabweisung wegen Verstoßes gegen Formvorschriften aussprechen durfte. Es hätte vielmehr prüfen müssen, ob Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG vorgelegen haben. Insoweit hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen, so daß es dem Senat verwehrt ist, in der Sache selbst zu entscheiden. Deshalb war die Sache unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten - auch der Revisionsinstanz - bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 2380177 |
NJW 1965, 2127 |