Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Berufsunfähigkeit eines ehemaligen Bühnensängers (opern- und Operettentenors), der im Alter von 45 Jahren arbeitslos geworden und auf den Beruf eines kaufmännischen Angestellten umgeschult worden ist.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 23 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 19. Juli 1968 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger berufsunfähig ist und eine Rente aus der Rentenversicherung der Angestellten beanspruchen kann.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) hat der Kläger (geboren 1913) eine mehrjährige Gesangsausbildung als Opern- und Operettentenor erhalten und ist seit 1938 als solcher an mehreren Bühnen Deutschlands beschäftigt gewesen. Sein letztes Engagement hat er von August 1957 bis Juli 1958 am Theater der Stadt O gehabt. Von August 1958 bis Mai 1959 hat er Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe vom Arbeitsamt Osnabrück bezogen.
Während seiner Arbeitslosigkeit, nämlich von November 1958 bis Mai 1959, ist der Kläger bei dem Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk für eine kaufmännische Tätigkeit ausgebildet worden. Anschließend ist er als kaufmännischer Angestellter dieser Firma (Zeitweilig auch bei einer Tochterfirma) beschäftigt gewesen. Sein Anfangsgehalt hat 700,- DM betragen. Nach einer Auskunft der Firma vom 14. Juli 1966 arbeitet der Kläger als Versandsachbearbeiter in der Abteilung Kabelverkauf und leistet dabei die Arbeit eines gelernten Handlungsgehilfen. Sein Jahresarbeitsverdienst für 1966 hat 13.320,- DM (1110,- DM monatlich) betragen.
Im August 1964 beantragte der Kläger die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente. Die ärztlichen Gutachter kamen zu dem Ergebnis, der Kläger sei u.a. infolge Abnutzungserscheinungen an der Wirbelsäule für den Beruf eines Bühnensängers nicht mehr geeignet; dagegen sei er durch seine gesundheitlichen Beschwerden nicht gehindert, als Büroangestellter täglich 8 Stunden im Sitzen in geschlossenen Räumen zu arbeiten. Im Hinblick darauf lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab (Bescheid vom 12. Juli 1965).
Der Kläger machte geltend, bei der Beantwortung der Frage, ob er berufsunfähig sei, dürfe nicht von der jetzt ausgeübten Tätigkeit eines kaufmännischen Angestellten ausgegangen werden; sein eigentlicher Beruf sei der eines Opern- und Operettentenors. In diesem Beruf sei er nicht mehr einsatzfähig. Deshalb erhalte er auch von der Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen- Bayerische Versicherungskammer - in M seit dem 1. November 1962 eine Rente. Die jetzt ausgeübte Tätigkeit eines Büroangestellten bedeute gegenüber dem früheren Sängerberuf einen erheblichen sozialen Abstieg und Einkommensverlust.
Das Sozialgericht (SG) Osnabrück hörte darüber, ob der frühere Beruf des Klägers als Opern- und Operettentenor der jetzigen Tätigkeit eines kaufmännischen Angestellten sozial gleichwertig sei, den Oberspielleiter für Oper und Operette O K als Sachverständigen. Es gab mit Urteil vom 7. November 1967 der Klage statt. Die Beklagte legte Berufung ein; sie gab auf Anforderung des LSG am 19. März 1968 eine Auskunft darüber, welche persönlichen Bemessungsgrundlagen sich für den Kläger nach den Beiträgen aus seiner Tätigkeit als Opernsänger und aus der als kaufmännischer Angestellter ergeben. Mit Urteil vom 19. Juli 1968 gab das LSG Niedersachsen der Berufung der Beklagten statt; es hob das Urteil des SG auf und wies die Klage ab:
Der Kläger sei zwar gesundheitlich nicht mehr in der Lage, körperliche Arbeiten, vor allem solche, bei denen ein längeres Gehen oder Stehen erforderlich ist, zu verrichten. Dennoch könne er mehr als die gesetzliche Lohnhälfte i.S. von § 23 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) verdienen. Dabei komme es nicht darauf an, ob er den erlernten und bis 1958 ausgeübten Beruf eines Opern- und Operettentenors - wie er behaupte - aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe oder ob er freiwillig aus diesem Beruf ausgeschieden sei, um sich einem anderen Beruf zuzuwenden. Selbst wenn sich der Kläger allein aus krankheitsbedingten Gründen auf den Beruf eines kaufmännischen Angestellten hätte umschulen lassen, sei er nicht berufsunfähig. Er könne nämlich mit der seit Mitte Mai 1959 ausgeübten Tätigkeit eines kaufmännischen Angestellten noch mindestens die Hälfte der Gage eines gleichbefähigten Opern- und Operettentenors und damit die für ihn maßgebende Lohnhälfte verdienen. Die Gagen, die der Kläger ausweislich seiner Versicherungsunterlagen nach dem Kriege sowohl in der SBZ als auch in der BRD bezogen habe, seien nicht höher als das Gehalt, das er ab 1959 als Angestellter verdient habe. Die letzte zahlenmäßig höchste Gage in O habe nach den Eintragungen in der Versicherungskarte 705,- DM monatlich betragen, während der Kläger seine Angestelltentätigkeit mit einem Gehalt von 700,- DM monatlich begonnen und dieses bis Ende 1966 auf 1110,- DM gesteigert habe. Es sei nicht anzunehmen, daß die Einkünfte aus Bühnenarbeit sich bis heute auf über 2000,- DM monatlich erhöht hätten und der Kläger damit mehr als das Doppelte seiner heutigen Einkünfte erzielen würde. Daß der Kläger mit seinem Einkommen nicht unter der für ihn maßgeblichen gesetzlichen Lohnhälfte liege, ergebe sich auch aus einem Vergleich der persönlichen Bemessungsgrundlagen aufgrund der Auskunft der Beklagten. Entgegen der Meinung des Sachverständigen Kuhlmann sei es auch nicht ausgemacht, daß die Angestelltentätigkeit des Klägers gegenüber der Tätigkeit eines Opern- und Operettentenors einen wesentlichen sozialen Abstieg bedeute, der ihm nicht zugemutet werden könne. Diese Frage stelle sich hier aber deshalb nicht, weil der Kläger während seiner Arbeitslosigkeit mit Erfolg auf die bis heute ausgeübte Tätigkeit eines kaufmännischen Angestellten umgeschult worden sei. Nach § 23 Abs. 2 Satz 3 AVG könne ein Versicherter zur Erzielung der gesetzlichen Lohnhälfte stets auf eine solche Tätigkeit verwiesen werden.
Das LSG ließ in seinem Urteil die Revision zu. Der Kläger legte dieses Rechtsmittel ein mit dem Antrag,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Gerügt wurde die vom LSG vorgenommene Anwendung und Auslegung des § 23 Abs. 2 AVG sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften; das LSG habe den Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 1965 zu Unrecht für rechtmäßig gehalten; der Kläger sei tatsächlich ab August 1964 berufsunfähig, weil er weder in seinem erlernten noch in einem sozial gleichwertigen Beruf die gesetzliche Lohnhälfte verdienen könne. Er habe eine gründliche sich über 5 Jahre erstreckende Ausbildung als Sänger genossen und habe als solcher ein überdurchschnittlich hohes Einkommen erzielt. Zu Unrecht habe das LSG die Höhe dieses Einkommens den Eintragungen in der Versicherungskarte entnommen; diese hätten nur die beitragspflichtigen Anteile der Gage bis zur Beitragsbemessungsgrenze enthalten. Die tatsächlichen Gagen seien höher gewesen. So habe er bei seinem letzten Engagement 1957/1958 in O monatlich 1100,- DM als Gage erhalten. Bei Zweifeln an dem überdurchschnittlichen Einkommen des Klägers hätte das LSG weitere Ermittlungen durch Rückfragen beim Kläger oder bei den betreffenden Theatern anstellen müssen. Das Vorgehen des LSG verstoße gegen die §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Verfahrensfehlerhaft sei auch die Feststellung, der Kläger sei auf seine jetzige Berufstätigkeit "umgeschult" worden. Hierfür ergebe sich nichts aus den Akten. Der Kläger habe bei dem Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk weder eine besondere Ausbildung erhalten, noch eine Prüfung ablegen müssen, auch habe er kein Zeugnis darüber erhalten, daß er nunmehr die Qualifikation eines kaufmännischen Angestellten besitze. Die Durchführung einer Umschulung oder gar einer erfolgreichen Umschulung hätte das LSG deshalb nicht als feststehende Tatsache hinstellen dürfen. Angesichts der besonderen beruflichen Stellung und des überdurchschnittlich hohen Einkommens eines Bühnensängers sei die jetzige Berufstätigkeit des Klägers, bei der er lediglich untergeordnete Aufgaben zu erfüllen habe, nicht zumutbar. Die Verweisung auf diese Tätigkeit bedeute eine offensichtliche Schlechterstellung. Daran hätte auch der Umstand nichts geändert, daß Sänger im Alter von 50 Jahren meistens gezwungen sind, ihren Beruf aufzugeben und auch der Kläger mit einem Berufswechsel rechnen mußte. Denn er sei lediglich wegen seiner Erkrankung gehindert, in einen anderen Beruf des Bühnenfachs überzuwechseln und damit in einer sozial gleichwertigen Stellung weiterhin tätig zu sein. Aber selbst bei anderer Rechtsauffassung sei er berufsunfähig, weil er mit der seit Mai 1959 ausgeübten Beschäftigung nicht die Hälfte der Gage eines gleich befähigten Opern- und Operettentenors verdienen könne, er würde heute als Sänger weit mehr als 2000,- DM monatlich verdienen. Die gegenteilige Annahme sei unberechtigt und verstoße gegen § 103 SGG. Auch insoweit hätte das LSG durch Rückfragen bei einzelnen Theatern oder bei der Versorgungsanstalt sich vergewissern müssen, wie hoch heute die Gage für einen gleichbefähigten Sänger sei.
Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Revision. Sie ist der Meinung, daß für die Feststellung, ob die gesetzliche Lohnhälfte erzielt wird, nicht der Beruf des Opernsängers, sondern der des kaufmännischen Angestellten maßgebend sei.
Beide Beteiligte erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Revision ist zulässig und begründet; die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um die Frage der Berufsunfähigkeit des Klägers zuverlässig zu beantworten.
Der Kläger beansprucht die Rente aus der Rentenversicherung der Angestellten mit der Begründung, daß er aus gesundheitlichen Gründen den früheren Beruf eines Bühnensängers (Opern- und Operettentenor) nicht mehr ausüben könne und daß er deshalb berufsunfähig sei. Daran ist soviel richtig, daß der Kläger nach den übereinstimmenden Bekundungen der im Verfahren gehörten ärztlichen Gutachter wegen der bei ihm festgestellten körperlichen Leiden für den Beruf eines Bühnensängers nicht mehr geeignet ist. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit und sind die Feststellungen des LSG nicht zu beanstanden. Das gleiche gilt - so sind die Ausführungen im angefochtenen Urteil zu verstehen - auch für sonstige Berufe des Bühnenfachs, auf welche der Kläger nach seinen künstlerischen Fähigkeiten und seiner Bühnenerfahrung möglicherweise überwechseln könnte. Auch solche Berufe scheiden für ihn nach seinem Gesundheitszustand aus. Für die Entscheidung über den geltend gemachten Rentenanspruch kommt es deshalb darauf an, wie die Tatsache zu beurteilen ist, daß er seit Mitte des Jahres 1959 den Beruf eines kaufmännischen Angestellten ausübt.
Das LSG hat zwar erörtert, aber nicht abschließend geklärt, welche Gründe den Kläger in den Jahren 1958/59 veranlaßt haben, von dem erlernten und viele Jahre lang ausgeübten Beruf eines Bühnensängers auf den des kaufmännischen Angestellten überzuwechseln. Es hat sowohl die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß gesundheitliche Gründe ihn zu dem Berufswechsel bewogen haben wie auch die, daß dafür sonstige Gründe maßgebend waren. Es hat die Entscheidung der Frage jedoch offen gelassen, weil es den Kläger in jedem Falle als noch nicht berufsunfähig angesehen hat. Läge der Fall so, daß der Kläger sich etwa aus bloßer Neigung zu einer sicheren und ruhigen Existenz oder, weil er sich davon - vollends nach dem Eintritt einer längeren Arbeitslosigkeit - ein besseres Fortkommen versprach, dem kaufmännischen Beruf zugewandt und sich damit von dem früheren Bühnenberuf endgültig gelöst hätte, wäre die Frage seiner Berufsunfähigkeit allein nach dem letzten Beruf des kaufmännischen Angestellten zu beurteilen, nachdem er ihn schon eine Reihe von Jahren ausgeübt hat. Er könnte sich nicht darauf berufen, daß nicht der derzeitige Büroberuf, sondern der frühere Beruf als Bühnensänger für ihn maßgebend sei und daß geprüft werden müsse, ob die letzte berufliche Tätigkeit der früheren gleichwertig sei. In diesem Falle wäre die Frage der Berufsunfähigkeit ohne weiteres zu verneinen und die Revision des Klägers zurückzuweisen, weil seine Erwerbsfähigkeit als kaufmännischer Angestellter in keiner Weise beeinträchtigt ist. Indessen hat der Kläger geltend gemacht, er sei zu dem Berufswechsel aus gesundheitlichen Gründen gezwungen gewesen, weil er wegen körperlicher Beschwerden für den Bühnenberuf nicht mehr in Betracht gekommen sei. Für die Richtigkeit dieses Vorbringens können - wie auch das LSG nicht verkannt hat - die über den Kläger eingeholten ärztlichen Gutachten mit den darin enthaltenen Befunden sprechen. Diese Gutachten sind zwar erst in den Jahren 1965 und 1966, also mehrere Jahre nach dem Berufswechsel, erstattet worden. Nach der Art der beschriebenen Leiden (u.a. Veränderungen an der Wirbelsäule, Versteifung des linken Fußes im Sprunggelenk) kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß die körperlichen Leiden - wenn auch vielleicht in geringerem Ausmaß - schon bestanden haben, als der Kläger sich im 46. Lebensjahr dem Büroberuf zugewandt hat und daß gesundheitliche Gründe für den Berufswechsel mindestens mitbestimmend gewesen sind. Auch kann das Nachlassen der Stimmkraft- und -Güte, wie es nach der Äußerung des berufskundigen Sachverständigen Kuhlmann bei Tenören durchschnittlich mit dem Erreichen des 50. Lebensjahres eintritt, als Schwäche der körperlichen Kräfte i.S. von § 23 AVG angesehen werden; auch hierdurch kann für den Kläger eine Zwangslage entstanden sein. Der Senat muß daher bei seiner Entscheidung auch den Fall in Betracht ziehen, daß ein gesundheitlich bedingter Leistungsabfall den Kläger zur Aufgabe seines Sängerberufs gezwungen hat. Dann aber ist dieser Beruf, in dem er auch die für den Rentenanspruch erforderliche Wartezeit (§ 23 Abs. 3 AVG) erfüllt hat, weiterhin sein versicherter Beruf geblieben und ist von ihm bei der Prüfung der Frage der Berufsunfähigkeit auszugehen (BSG in SozR Nr. 33 und Nr. 73 zu § 1246 RVO; BSG 19, 279).
Nach der Rechtsprechung (BSG 9, 254) sind für die Frage, ob Berufsunfähigkeit i.S. von § 23 AVG vorliegt, in der Regel drei Merkmale zu prüfen:
a) die Erwerbsfähigkeit des Rentenbewerbers muß einen bestimmten Mindestbetrag unterschritten haben, der über einen Vergleich mit einem gesunden Versicherten zu ermitteln ist,
b) die Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu beurteilen ist, müssen seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und dürfen ihn "wissens- und könnensmäßig" nicht überfordern;
c) die Tätigkeiten, zu denen der Versicherte objektiv noch fähig ist, müssen ihm subjektiv auch zugemutet werden können.
Von diesen drei Merkmalen trifft beim Kläger nach den Feststellungen des LSG ohne weiteres das zu b) Genannte zu: An der Ausübung des Berufs eines kaufmännischen Angestellten ist der Kläger weder durch Krankheiten oder Beschwerden noch durch Mangel an Wissen und Können gehindert; er ist vielmehr in der Lage, diesen Beruf vollwertig auszuüben. Dies geht sowohl aus den ärztlichen Gutachten als auch aus den Auskünften der Arbeitgeberin hervor; dafür spricht auch, daß der Kläger diese Tätigkeit schon seit dem Jahre 1959 ausübt. Sie entspricht deshalb objektiv seinen Kräften und Fähigkeiten.
Die Verrichtung kaufmännischer Tätigkeiten ist für den Kläger auch subjektiv zumutbar, denn er ist auf diesen Beruf durch Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit mit Erfolg umgeschult worden (§ 23 Abs. 2 Satz 3 AVG). Die Revision bemängelt zu Unrecht die vom LSG hierüber getroffenen Feststellungen. Nicht nur hat der Kläger im Rentenantrag (Anlage) selbst erklärt, er sei durch das Arbeitsamt O von Oktober 1958 bis Mai 1959 auf den Beruf eines Kaufmanns umgeschult worden, auch der in den Akten in Fotokopie enthaltene Schriftwechsel zwischen der Arbeitgeberin und dem Arbeitsamt aus dieser Zeit läßt klar erkennen, daß während der Arbeitslosigkeit des Klägers eine Umschulung mit diesem Ziel stattgefunden hat und daß sie auf Veranlassung des Arbeitsamts im Zusammenwirken mit der Arbeitgeberin und dem Kläger - also mit dessen Einverständnis - erfolgt ist (§ 133 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG -). Der von der Revision behauptete Verstoß des LSG gegen die Vorschriften in §§ 103, 128 SGG liegt nicht vor. Daß die Umschulung auch erfolgreich gewesen ist, d.h. daß das mit ihr erstrebte Ziel erreicht worden ist, ist durch die anschließend erfolgte Anstellung des Klägers als kaufmännischer Angestellter und seine langjährige Tätigkeit in diesem Beruf erwiesen. Dem steht auch nicht entgegen, daß er, wie die Revision geltend macht, weder eine förmliche Prüfung in dem neuen Beruf abgelegt noch ein Zeugnis über die Art und Dauer der Umschulung erhalten hat. Auf diese Umstände kommt es schon deshalb nicht an, weil der Kläger keine Schule besucht hat, sondern im Betrieb der späteren Arbeitgeberin zum Kaufmann ausgebildet wurde. Ebensowenig ist es von Bedeutung, daß die Beklagte an den Umschulungsmaßnahmen nicht selbst beteiligt gewesen ist. § 23 Abs. 2 Satz 3 AVG benennt dafür keine bestimmte Stelle; die Vorschrift umfaßt deshalb auch solche Maßnahmen der Berufsförderung, die von anderen öffentlichen Stellen aufgrund anderer Vorschriften als der §§ 13 ff AVG durchgeführt worden sind, also hier die vom Arbeitsamt nach § 133 AVAVG vorgenommenen Maßnahmen (vgl. Jantz/Zweng, 2. Aufl., Anmerkungen zu § 1246 RVO S. 39; VerbKomm Anm. 16 zu § 1246 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1969, S. 670 d V/VI; Riechels, SGb 1958, 339, 341).
Ist aber der Kläger durch Maßnahmen der Berufsförderung mit seinem Einverständnis auf den Beruf eines kaufmännischen Angestellten umgeschult worden, so ist diese Berufstätigkeit für ihn nach der ausdrücklichen Vorschrift in § 23 Abs. 2 Satz 3 AVG auch zumutbar selbst dann, wenn sie eine nach Art und Umfang weit weniger qualifizierte Ausbildung erfordert hat als der frühere Beruf eines Bühnensängers. Auf die Kriterien im letzten Halbsatz des § 23 Abs. 2 Satz 2 AVG "... und (die) ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können" kommt es für die Prüfung der Berufsfähigkeit des Klägers nicht mehr an, wie das LSG zutreffend angenommen hat; die Tätigkeiten, in dem kaufmännischen Beruf können ihm vielmehr unbedenklich angesonnen werden.
Dagegen bestehen Bedenken gegen die weitere Annahme des LSG, der Kläger könne mit der von ihm zumutbar verrichteten Beschäftigung als kaufmännischer Angestellter mindestens die Hälfte des Verdienstes eines Bühnensängers erzielen, seine Erwerbsfähigkeit sei deshalb nicht auf weniger als die Hälfte eines solchen herabgesunken. Ob dies der Fall ist, bedarf entgegen der Meinung der Beklagten auch dann der Prüfung, wenn der Versicherte auf einen anderen Beruf zumutbar verwiesen werden kann. Zwar berührt die Frage, welches Einkommen im neuen Beruf im Vergleich zum bisherigen erzielt werden kann, auch die Frage der Zumutbarkeit des neuen Berufs, die sich hier wegen der erfolgreichen Umschulung des Klägers nicht stellt. In erster Linie betrifft sie aber die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit und damit jenes Merkmal, das den Umfang der verbliebenen Erwerbsfähigkeit des Rentenbewerbers abgrenzt. Es bildet das Ergebnis des Vergleichs, bei dem zwei Erwerbsfähigkeiten, nämlich die eines vergleichbaren gesunden Versicherten und die des in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigten Rentenbewerbers miteinander verglichen werden. Einen Vergleich hat auch das LSG gezogen: Es hat die Bruttoarbeitsentgelte des Klägers als Bühnensänger, die es den Versicherungsunterlagen entnommen hat, in Beziehung zu seinem Einkommen als kaufmännischer Angestellter gesetzt; dabei hat sich nach Auffassung des LSG ergeben, daß die Gagen, die der Kläger als Bühnensänger bis 1958 erhalten hat, nicht wesentlich höher gelegen haben, als das Gehalt, das er seit 1959 als kaufmännischer Angestellter bezogen hat. Es hat daraus geschlossen, daß der Kläger - auch wenn man die Steigerung der etwaigen Gagen im Laufe der späteren Jahre in Betracht zieht - die maßgebliche Verdienstgrenze nicht überschritten habe.
Die Revision greift die Feststellungen, die das LSG dem erwähnten Vergleich zugrunde gelegt hat, insbesondere soweit es sich um die Höhe der vom Kläger während der Bühnenlaufbahn tatsächlich erzielten Gagen handelt, mit Revisionsrügen an, sie hält die Feststellungen des LSG als unvereinbar mit den Erfordernissen aus §§ 103, 128 SGG. Es braucht jedoch nicht entschieden zu werden, ob und inwieweit diese Revisionsgründe, wie es in § 163 SGG heißt, zulässig und begründet sind. Denn die Entscheidung des LSG darüber, ob die Erwerbsfähigkeit des Klägers die gesetzliche Mindesthöhe erreicht oder unterschreitet, hält schon aus anderen Gründen einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des LSG kommt es nämlich bei dem zu ziehenden Vergleich nicht darauf an, welche Einkünfte der Kläger als Bühnensänger im einzelnen-und in der Zeit seiner Höchstleistung - tatsächlich erzielt hat und wie er diese Einkünfte in den späteren Jahren gesteigert hätte. Die wirklichen Arbeitsverdienste des Klägers als Sänger brauchen deshalb auch nicht im einzelnen ermittelt zu werden. Vielmehr ist, wie sich aus dem Gesetz ergibt, der Mindestsatz über einen Vergleich mit einem körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten zu ermitteln. d.h. also, an dem Durchschnittsverdienst eines vergleichbaren Bühnenangestellten (Sänger, Schauspieler) zu messen. Das so ermittelte Durchschnittseinkommen der Vergleichsperson ist sodann zu vergleichen mit dem Einkommen, das der Kläger als kaufmännischer Angestellter nach der tarifvertraglichen Regelung erzielen kann (vgl. hierzu Dapprich in "Der Kompaß" 1969, 145). Stellt es sich bei der Durchführung dieses Vergleichs heraus, daß der Kläger mit seinem derzeitigen Einkommen die maßgebliche Verdiensthälfte noch erzielen kann, so ist er nicht berufsunfähig und der ablehnende Bescheid der Beklagten nicht zu beanstanden. Andernfalls wäre der Rentenanspruch begründet.
Da das Urteil des LSG, was die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit des Klägers betrifft, von einer rechtlichen Betrachtung ausgeht, die mit dem Gesetz nicht in Einklang steht, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Der Senat ist nicht in der Lage, den Rechtsstreit selbst zu entscheiden, weil noch weitere tatsächliche Ermittlungen zur Klärung des Sachverhalts erforderlich sind. Insbesondere bedarf es nach Auffassung des Senats noch der Rückfrage bei einzelnen Theatern oder (und) bei der Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen über die Höhe des Durchschnittseinkommens vergleichbarer Bühnenangestellter in den Jahren seit dem Beginn der Beschäftigung des Klägers als kaufmännischer Angestellter. Je nach dem Ergebnis dieser Ermittlungen wäre auch noch zu klären, warum der Kläger, wie er geltend macht, im August 1964 berufsunfähig geworden ist. Die bezeichneten Ermittlungen sind allerdings dann entbehrlich, wenn das LSG bei der neuen Verhandlung des Rechtsstreits feststellt, daß der Kläger den Sängerberuf aus anderen als gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen