Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 21. Februar 1980 aufgehoben; der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.
Der im Jahre 1926 geborene Kläger war bis 1972 in dem erlernten Beruf als Maler tätig. Die Beklagte lehnte den am 20. Mai 1976 gestellten Rentenantrag mit Bescheid vom 12. Januar 1977 ab, weil der Kläger weder berufs- noch erwerbsunfähig sei.
Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem Urteil vom 21. Februar 1980 zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nicht berufsunfähig, denn er könne noch regelmäßig vollschichtig leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten in geschlossenen Räumen ausüben. Zu vermeiden seien allerdings der Einfluß von Hitze, Kälte, Staub, Feuchtigkeit, Zugluft, einseitige körperliche Belastungen und Tätigkeiten unter Zeitdruck sowie das Heben und Tragen schwerer Lasten und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Außerdem dürfe der Kläger keine ausgesprochenen „Feinseharbeiten” verrichten. Diesen Leistungseinschränkungen könne in dem Beruf des Klägers als Maler und Lackierer durchaus Rechnung getragen werden. Insbesondere könne er als Schilder- und Schriftenmaler, als Betriebsmaler für das Streichen von Türen und Heizkörpern eingesetzt werden. Darüber hinaus könne er auch in der Holz- und Kunststoffverarbeitung (zB Möbelherstellung) mit dem Schleifen, Streichen und Lackieren beschäftigt werden oder als Lackierer in der Metallbranche (Fahrzeug- und Gerätebau) arbeiten. Da der Kläger noch als Vollzeitarbeitskraft tätig sein könne, brauche nicht geprüft zu werden, ob entsprechende Arbeitsplätze in hinreichendem Umfang auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhanden sind.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der – vom erkennenden Senat durch Beschluß zugelassenen – Revision angefochten. Er rügt als Verfahrensmangel eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die körperlichen und beruflichen Anforderungen seines Berufes, die des Schilder- und Schriftenmalers sowie der übrigen im Berufungsurteil genannten Verweisungstätigkeiten seien nicht Gegenstand der Erörterung gewesen, so daß er keine Gelegenheit gehabt habe, dazu Stellung zu nehmen. Das Berufungsgericht habe weder seine Gerichtskunde noch die in dem Urteil zitierten Blätter zur Berufskunde ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Wäre das geschehen, so hätte er den Beweis dafür angetreten, daß er den Beruf eines Malers und Lackierers nicht mehr zu den betriebsüblichen Bedingungen verrichten könne. Das Streichen von Türen und Heizkörpern mache nur einen sehr kleinen Bruchteil der gewerblichen Malerarbeiten aus. Der Beruf eines Schilder- und Schriftenmalers (neuerdings Schilder- und Lichtreklamehersteller) sei ein eigenständiger Beruf, zu dessen Ausübung ihm die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten fehlten.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 1977 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Juni 1976 an Rente wegen Berufsunfähigkeit zu leisten;
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgerichts zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet. Zusätzlich trägt sie vor, in einem größeren Malerbetrieb sei das Spektrum der dort vorzufindenden Arbeitsteilung besonders groß, so daß der Kläger dort eine reale Chance habe, mit seinen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten sein verbliebenes Leistungsvermögen wirtschaftlich zu verwerten.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Tatsachenfestellungen des LSG, soweit sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen sind, reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.
Der Kläger rügt mit Recht, das Berufungsurteil beruhe auf einem Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verfassungsrechtlich geschützten und in § 62 und § 128 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) konkretisierten Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Beschluß vom 24. Juli 1980 ausgeführt hat, hätte das LSG die Feststellung, der Kläger sei zur Verrichtung der im Berufungsurteil näher bezeichneten Tätigkeiten gesundheitlich in der Lage, ohne Beweisaufnahme aufgrund vorhandener Gerichtskunde nur treffen dürfen, wenn es dem Beteiligten vorher Gelegenheit gegeben hätte, dazu Stellung zu nehmen. Zwar hat das LSG über die gesundheitliche Leistungsfähigkeit des Klägers durch Einholung medizinischer Gutachten Beweis erhoben. Aus diesen Gutachten geht aber nicht unmittelbar hervor, ob der Kläger gesundheitlich fähig ist, die im Urteil konkret genannten Tätigkeiten auszuüben. Dazu bedurfte es vielmehr noch der weiteren Feststellung, welche Anforderungen diese Tätigkeiten an die gesundheitliche Leistungsfähigkeit stellen. Das Urteil darf zwar auf solche allgemeinkundigen Tatsachen gestützt werden, die allen Beteiligten mit Sicherheit gegenwärtig sind und von denen sie wissen, daß sie für die Entscheidung erheblich sein können (vgl BSG SozR 1500 § 128 Nr. 15). Wenn der Kläger auch damit rechnen mußte, daß das LSG in erster Linie seine Fähigkeit in Erwägung ziehen würde, den erlernten und früher ausgeübten Beruf eines Malers und Lackierers zu verrichten, so brauchte er doch nicht damit zu rechnen, daß das LSG ohne Beweiserhebung über die Anforderungen an das Leistungsvermögen die gesundheitliche Fähigkeit des Klägers zur Ausübung solcher Tätigkeiten annehmen werde, die der Kläger früher nicht verrichtet hat. Hinzu kommt, daß die vom LSG genannten Tätigkeiten möglicherweise nicht zum Berufsbild des vom Kläger erlernten und ausgeübten Berufs eines Malers und Lackierers gehören oder aber lediglich Teilbereiche dieses Berufes ausmachen. Soweit es sich um Tätigkeiten handeln sollte, die nicht zum Beruf des Malers und Lackierers gehören, hätte Veranlassung zu der Prüfung bestanden, ob der Kläger die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt oder sie nach kurzer Einarbeitung und Einweisung erwerben kann. Soweit es sich dagegen bei den Verweisungstätigkeiten um Teilbereiche des Berufes eines Malers und Lackierers handeln sollte, hätte Veranlassung zu der Feststellung bestanden, ob und in welchem Umfang es auf dem Arbeitsmarkt Arbeitsstellen mit der Beschränkung gerade auf diese Teilbereiche gibt. Zwar besteht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Fähigkeit zu Vollzeitbeschäftigungen, die im Tarifvertrag erfaßt sind, grundsätzlich kein Anlaß, Feststellungen zur Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze zu treffen (vgl BSG SozR Nr. 108 zu § 1246 RVO; BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 19, 22, 30). Das gilt jedoch dann nicht, wenn der Versicherte nicht uneingeschränkt zu der im Tarifvertrag genannten Tätigkeit fähig ist, sondern nur in einem Teilbereich dieser Tätigkeit eingesetzt werden kann (vgl BSG SozR 2600 § 45 Nr. 19). Dieser Grundsatz, den der 5. Senat des BSG für die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit nach § 45 des Reichsknappschaftsgesetzes ausgesprochen hat, gilt auch für die Berufsunfähigkeit nach § 1246 RVO. Der Versicherte kann selbstverständlich nicht auf einzelne Arbeitsgänge einer Berufstätigkeit verwiesen werden, sondern nur auf solche Erwerbstätigkeiten, die im Arbeitsleben tatsächlich ausgeübt werden und als Arbeitsplätze in nicht nur unbedeutendem Maße vorhanden sind (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 72). Darüber hinaus scheidet aber auch eine Verweisung auf solche Arbeitsplätze aus, die es auf dem Arbeitsmarkt entweder gar nicht oder nur in so geringer Zahl gibt, daß der Arbeitsmarkt als verschlossen angesehen werden muß. Dieser vom Großen Senat des BSG ausgesprochene Grundsatz (SozR 2200 § 1246 Nr. 13 = BSGE 43, 75, 79) gilt nicht nur für Teilzeitarbeitsplätze, sondern ganz allgemein für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit. Bei den in Tarifverträgen aufgezählten Vollzeitarbeitsplätzen wird nach der Rechtsprechung des BSG lediglich vermutet, daß es Arbeitsplätze dieser Art in nicht nur geringer Zahl gibt. Diese widerlegbare Vermutung gilt jedoch dann nicht, wenn die Zahl der für eine Verweisung in Betracht kommenden Arbeitsstellen dadurch nicht unerheblich reduziert ist, daß der Versicherte den Anforderungen der Berufstätigkeit nicht in allen Bereichen gewachsen ist. Scheidet ein nicht unerheblicher Teil für eine Verweisung aus, weil der Versicherte die Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen oder wegen fehlender Kenntnisse nicht oder nicht unter den betriebsüblichen Bedingungen verrichten kann, so besteht Veranlassung, über die Zahl der verbleibenden Arbeitsstellen konkrete Feststellungen zu treffen.
Das Berufungsurteil beruht auch auf der vom Kläger gerügten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Hätte das LSG dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, so hätte der Vortrag und der Beweisantrag des Klägers das Berufungsgericht möglicherweise zu weiterer Beweiserhebung und zu einer anderen Entscheidung veranlaßt.
Der Senat hat auf die danach begründete Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur verfahrensfehlerfreien Nachholung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen sowie zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Das Berufungsgericht wird auch über die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.
Fundstellen