Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergangsgeld. Familienunterhalt. Haushaltsführung
Orientierungssatz
Für die Festsetzung des Übergangsgeldes ist bei der in diesem Rahmen notwendigen Ermittlung des Wertes des gesamten Familienunterhalts auch die durch die Haushaltsführung der Klägerin erbrachte Leistung zu berücksichtigen (vgl BSG 1971-02-25 5/12 RJ 120/67 = SozR Nr 27 zu § 1241 RVO).
Normenkette
AVG § 18 Abs. 2 S. 1; RVO § 1241 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LSG Bremen (Entscheidung vom 28.09.1972) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 28. September 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des der Klägerin gewährten Übergangsgeldes.
Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) hatte die in zweiter Ehe verheiratete Klägerin als Stenokontoristin vor Antritt des ihr 1970 gewährten Heilverfahrens ein monatliches Nettogehalt von 854,74 DM; ihr Ehemann verdiente damals 715,59 DM netto. Im gemeinsamen Haushalt der Eheleute lebten auch die beiden 1963 und 1964 geborenen Kinder der Klägerin aus ihrer geschiedenen ersten Ehe. Für sie zahlte ihr Vater monatlich insgesamt 300,00 DM Unterhalt. Bei Berechnung des Übergangsgeldes berücksichtigte die Beklagte nur diese Beträge. Zuschläge für Familienangehörige gewährte sie nicht, weil die Klägerin Familienangehörige nicht überwiegend unterhalten habe. Die hiergegen gerichtete Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg. Das LSG verurteilte die Beklagte, bei der Berechnung des Übergangsgeldes zwei von der Klägerin überwiegend unterhaltene Familienangehörige zu berücksichtigen. Es meint, bei Beantwortung der Frage, ob die Klägerin ihre Kinder überwiegend unterhalten habe, müsse auch ihre durch die Haushaltsführung erbrachte Unterhaltsleistung in Ansatz gebracht werden. Dabei könne, wenn - wie hier - beide Eheleute berufstätig sind, davon ausgegangen werden, daß sich auch der Mann an der Haushaltsführung beteiligt; bei einem Vierpersonenhaushalt sei der zur Haushaltsführung geleistete Beitrag der Frau auf 65 %, der des Mannes auf 35 % zu schätzen. Der in diesem Verhältnis aufzuteilende Wert der Haushaltsführung bemesse sich nach Arbeitszeit und Entgelt einer qualifizierten Hausangestellten; das Arbeitsentgelt einer solchen sei für 1970 mit 602,25 DM netto monatlich anzusetzen. Dem Arbeitseinkommen der Klägerin seien deshalb 65 % dieses Betrages, also 391,46 DM, dem ihres Mannes 35 % = 210,79 DM zuzuschlagen. Da die Beklagte - was nicht zu beanstanden sei - zur Ermittlung des Unterhaltsbedarfs für Familienangehörige bis zu 14 Jahren 6 Punkte, für ältere Familienangehörige 10 Punkte angesetzt habe, ergebe sich mithin folgende Berechnung:
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Netto-Einkommen (einschließlich Haushaltsführung) |
Anteil nach Punkten |
Unterhaltsbedarf (Punktwert x Punktanteil) |
Überschuß (Sp. 1 ./. 3) |
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DM |
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DM |
DM |
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1 |
2 |
3 |
4 |
0) +) |
1.246,20 |
10 |
772,70 |
473,50 (= 75,49 %) |
1) |
926,38 |
10 |
772,70 |
153,68 (= 24,51 %) |
2) |
150,- |
6 |
463,62 |
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3) |
150,- |
6 |
463,62 |
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2.472,58 : |
32 Punktwert = 77,27 |
627,18 (= 100,00%) |
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Zuschuß (Sp. 3 ./. Sp. 1) |
Anteil des Versicherten am Zuschuß |
Halber Bedarf (1/2 von Sp. 3) |
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DM |
DM |
DM |
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5 |
6 |
7 |
0) |
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1) |
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2) |
313,62 |
236,75 (= 75,49 % von 313,62) |
231,81 |
3) |
313,62 |
236,75 (= 75,49 % von 313,62) |
231,81 |
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627,24 |
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Die Klägerin habe demnach vor Antritt des Heilverfahrens ihre beiden Kinder überwiegend unterhalten, denn sie habe mehr als die Hälfte des Unterhaltsbedarfs ihrer Kinder aufgebracht.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) zurückzuweisen.
Sie rügt Verletzung materiellen Rechts. Hierzu beruft sie sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und meint, es sei nicht sinnvoll, einen Geldbetrag als Wert der Hausarbeit zu berücksichtigen, weil das Übergangsgeld lediglich einen Ausgleich für entgangenen Arbeitsverdienst darstelle. Auch sei nicht einzusehen, weshalb bei einer versicherungspflichtig beschäftigten Ehefrau die Hausarbeit wertmäßig berücksichtigt werden solle, obwohl ihre Beiträge nur nach dem Arbeitsentgelt berechnet werden. Außerdem würden die in dem angefochtenen Urteil angestellten Überlegungen im Einzelfall zu zeitraubenden Ermittlungen und damit zu verspäteten Zahlungen führen. Schließlich könne für die Hausarbeit der Klägerin nicht ein Betrag von 602,25 DM angesetzt werden.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet; das LSG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, bei der Berechnung des Übergangsgeldes zwei von der Klägerin überwiegend unterhaltene Familienangehörige zu berücksichtigen.
Rechtsgrundlage für die Gewährung des hier seiner Höhe nach streitigen Übergangsgeldes ist § 18 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Nach Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift wird die Höhe des Übergangsgeldes durch übereinstimmende Beschlüsse der Organe der Beklagten unter Berücksichtigung der Zahl der von dem Betreuten vor Beginn der Heilbehandlungsmaßnahmen überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen festgesetzt. Im vorliegenden Fall streiten die Beteiligten allein darüber, ob bei der in diesem Rahmen notwendigen Ermittlung des Wertes des gesamten Familienunterhalts auch die durch die Haushaltsführung der Klägerin erbrachte Leistung berücksichtigt werden muß. Der 5. Senat des BSG hat das bejaht (Urteil vom 25. Februar 1971; SozR Nr. 27 zu § 1241 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Er hat sich dabei auf ein die Gewährung von Witwerrente (§§ 43 AVG, 1266 RVO betreffendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gestützt (BVerfG Bd. 17 S. 1 = SozR Nr. 52 zu Art. 3 GG). Darin hat das BVerfG entschieden, daß bei der Abwägung der Unterhaltsleistungen von Mann und Frau zur Feststellung von Kinderzuschuß und Hinterbliebenenrente nach einer versicherten Ehefrau der Wert der Hausarbeit nicht unberücksichtigt bleiben darf. Hieran anknüpfend hat der 5. Senat ausgeführt, wenn der Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) dazu zwinge, die Haushaltsführung der Ehefrau im Verhältnis zu ihrem Ehemann auch in sozialversicherungsrechtlichem Sinn als Unterhaltsleistung anzusehen, so wirke sich die Unterhaltsleistung nicht nur auf das Verhältnis der Ehegatten zueinander, sondern auf den gesamten Familienunterhalt aus. Bei der Ermittlung des Wertes des gesamten Familienunterhalts sei deshalb nicht nur das Bareinkommen zu berücksichtigen, sondern auch jeder andere geldwerte Beitrag eines Familienmitgliedes, insbesondere auch die Leistung, die die Ehefrau und Mutter durch die Haushaltsführung erbringe.
Demgegenüber hatte der 12. Senat des BSG in zwei Entscheidungen vom 21. November 1969 (12 RJ 484/65 und 12 RJ 110/66) allerdings ausgeführt: Da bei der Berechnung des Übergangsgeldes für versicherte Erwerbstätige im Gegensatz zur Rentenberechnung lediglich auf das letzte der Beitragsentrichtung zugrunde liegende Arbeitseinkommen zurückgegriffen werde, erscheine es im Hinblick auf den Zweck des Übergangsgeldes nicht sinnvoll, bei der Frage, welche Leistungen die Familienangehörigen zum gemeinsamen Unterhalt beigesteuert haben, einen Geldbetrag als Wert der Haushaltsarbeit dem Bareinkommen des Familienangehörigen hinzuzurechnen.
Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des 5. Senats an. Daß der 12. Senat seine Ansicht aufgegeben habe - wie das LSG gemeint hat - ist zwar nicht bekannt geworden, der erkennende Senat brauchte jedoch nicht den Großen Senat nach § 42 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) anzurufen, weil der 12. Senat in seinen genannten Urteilen die Streitfrage letztlich offen gelassen, also nicht entschieden hat.
Für den Anschluß an die Auffassung des 5. Senats sind folgende Überlegungen maßgebend: Das Gesetz läßt im Wortlaut nicht zum Ausdruck kommen, daß der Familienangehörige aus dem Arbeitsentgelt des Betreuten unterhalten worden sein muß. Das spricht bereits gegen eine solche Begrenzung der Unterhaltsquellen. Hinzu kommt, daß die verfassungsgerechte Einbeziehung der Haushaltsführung in die Unterhaltsleistung, wie sie das BVerfG im Rahmen der Bestimmungen über Hinterbliebenenleistungen vorgenommen hat, einen allgemeinen Grundgedanken zum Ausdruck bringt (BSG in SozR Nr. 2 zu § 12 BKGG), der auch sonst Beachtung verdient. Das würde zwar nicht ausschließen, den Unterhaltsbegriff in § 18 Abs. 2 AVG enger zu fassen, wenn Sinn und Zweck (im Einklang mit der Verfassung) dies erforderten. Das ist aber nicht der Fall. Die überwiegende Unterhaltsgewährung ist nur für die Höhe des Übergangsgeldes von Bedeutung. Es trägt daher kaum zur Lösung der Hinweis bei, daß das Übergangsgeld dem Grunde nach entgehendes Arbeitsentgelt ersetzen soll. Vielmehr ist zu fragen, aus welchen Gründen das Arbeitsentgelt bei überwiegender Unterhaltsgewährung an Familienangehörige in größerem Umfang ersetzt wird. Das ist damit zu erklären, daß mit dem Beginn der Rehabilitationsmaßnahmen regelmäßig ein bis dahin erheblicher Beitrag des Betreuten zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse (des Lebensunterhalts) der Familienangehörigen ausfällt. Ein solcher Ausfall tritt aber nicht nur ein, wenn für die Familienangehörigen keine Mittel aus Arbeitsentgelt mehr verwendet werden können; die Befriedigung von Lebensbedürfnissen wird infolge von Rehabilitationsmaßnahmen auch dann unmöglich, wenn der Betreute zur Haushaltsführung nicht mehr imstande ist. Gerade während der Durchführung solcher Maßnahmen ist oft mit einem erhöhten Verbrauch zu rechnen, wenn die Hausarbeit bzw. die gesamte Haushaltsführung nun ganz oder doch teilweise durch zu entlohnende Hilfskräfte erledigt werden muß. Da das Übergangsgeld das entgehende Arbeitsentgelt "sozialadäquat ausgleichen" soll (BSG Großer Senat in SozR Nr. 14 zu § 1241 RVO), entspricht die vom Senat vertretene Auffassung daher auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Gegen ihre Richtigkeit läßt sich mit Erfolg nicht anführen, daß die Mitbewertung der Haushaltsführung in manchen Fällen eine Erhöhung des dem Ehemann zustehenden Übergangsgeldes ausschließen kann; das rechtfertigt sich als Folge des angestrebten lediglich sozialadäquaten Ausgleichs von entgehendem Arbeitsentgelt. Daß die Mitbewertung der Haushaltsführung aber - wie die Beklagte meint - im Einzelfall zu zusätzlichen zeitraubenden Ermittlungen und damit zur verspäteten Zahlung des Übergangsgeldes führen müsse, ist nicht ersichtlich. Zu ermitteln sind die Unterhaltsquellen und die Zahl der zum Haushalt gehörenden Familienangehörigen; diese Ermittlungen sind ohnehin anzustellen, gleichgültig ob man die Haushaltsführung in Ansatz bringt oder nicht. Ihre Mitberücksichtigung ist dann, wie das vorstehende Berechnungsschema zeigt, lediglich ein Teil der in jedem Fall durchzuführenden Rechenarbeit.
Soweit die Revision schließlich meint, der Wert der Haushaltsführung könne für 1970 nicht mit 602,25 DM netto monatlich angesetzt werden, greift sie die Feststellungen des LSG über Zeit und Wert der von der Klägerin im Haushalt geleisteten Arbeit an. Die Revision will damit offenbar einen Verstoß gegen § 128 i. V. m. § 103 SGG geltend machen. Diese Verfahrensrüge greift jedoch nicht durch; es ist weder dargetan, inwiefern das LSG bei seiner Beweiswürdigung gegen einen Erfahrungssatz des täglichen Lebens oder gegen Denkgesetze verstoßen hat (§ 128 SGG), noch hat die Beklagte dargelegt, auf Grund welcher Umstände sich das LSG von seinem Rechtstandpunkt aus insoweit zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen, auf welche Weise diese Ermittlungen im einzelnen vorzunehmen gewesen wären und welches Ergebnis sie hätten erzielen können (§ 103 SGG). Die Revisionsrüge genügt mithin nicht den Erfordernissen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG.
Die Revision der Beklagten ist sonach unbegründet und muß deshalb zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen