Leitsatz (amtlich)
Der Ersatzanspruch der Versorgungsverwaltung gegen eine KK nach BVG § 18c Abs 6 S 2 entsteht mit der Durchführung der Sachleistung, auch wenn die Kasse dem Versicherten und Versorgungsberechtigten gegenüber ihre Leistung - Zuschußleistung - schon vorher hätte ablehnen können.
Leitsatz (redaktionell)
Ersatzanspruch der Versorgungsverwaltung nach BVG § 18c Abs 6 S 2 in Übergangsfällen:
1. Der Ersatzanspruch der Versorgungsverwaltung nach BVG § 18c Abs 6 S 2 gegen die Krankenkasse wird erst durch die Leistung selbst begründet; der Eintritt des Versicherungsfalles iS der Krankenversicherung sowie der Leistungsantrag des Versorgungsberechtigten sind für den Zeitpunkt der Entstehung des Ersatzanspruchs unerheblich.
2. Die Regelung des BVG § 18c Abs 6 nach der die Krankenkasse der Versorgungsverwaltung bei einer Zuschuß- oder sonstigen Geldleistung, die sie dem Versicherten gewährt hätten, wenn sie nicht als Sachleistung von der Versorgungsverwaltung gewährt worden wäre, den Betrag der Aufwendungen zu ersetzen hat, der sonst als Leistung in Betracht gekommen wäre, erfaßt auch solche Ansprüche, die bei Inkrafttreten dieser Gesetzregelung (1.1.1972) noch nicht abgeschlossen waren.
Normenkette
BVG § 18c Abs. 6 S. 2 Fassung: 1971-12-16
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Oktober 1975 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Im Juli 1971 beantragte der beigeladene Schwerbeschädigte Franz P (Beigeladener zu 2) aufgrund ärztlicher Verordnung für seine 1961 geborene behinderte Tochter H (Beigeladene zu 1) bei dem Kläger - Versorgungsamt - eine Reihe von Hilfsmitteln im Gesamtbetrag von über 5.000,- DM. Diese Mittel wurden von dem Kläger im März 1972 in Auftrag gegeben und in der Zeit von April bis Juni 1972 an die Beigeladenen ausgeliefert. Inzwischen - am 29. November 1971 - war der Beigeladene zu 2) als Rentner Pflichtmitglied der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse geworden.
Der Kläger verlangt unter Berufung auf den am 1. Januar 1972 in Kraft getretenen § 18 c Abs. 6 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - (idF des 3. Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des BVG - 3. AnpG-KOV - vom 16. Dezember 1971 - BGBl I 1985) von der Beklagten die Zuschüsse, die sie zu den Hilfsmitteln erbracht hätte, wenn die Hilfsmittel nicht als Sachleistungen gewährt worden wären. Diese Zuschüsse hätten sich unstreitig auf den Betrag von 2.252,37 DM belaufen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, zur Zeit der Verordnung der Hilfsmittel hätten noch keine Familienhilfeansprüche gegen die Beklagte bestanden. § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG setze aber voraus, daß die Kassenleistung ausschließlich wegen der Sachleistung des Trägers der KOV verweigert werde. Das Landessozialgericht (LSG) hat hingegen die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Entscheidend für die Entstehung des Ersatzanspruchs sei der Zeitpunkt des Entschlusses der Versorgungsverwaltung, die streitigen Leistungen zu erbringen. Dieser Zeitpunkt liege nach der Begründung der Kassenmitgliedschaft und nach dem Inkrafttreten des § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG.
Die Beklagte wendet sich mit der von dem Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision gegen diese Rechtsauffassung. Sie ist der Meinung, entscheidend für die Entstehung des hier streitigen Anspruchs sei der Versicherungsfall gewesen, der längst vor der Mitgliedschaft des Vaters des beigeladenen Kindes und vor dem Inkrafttreten des 3. AnpG-KOV eingetreten sei.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für richtig. Er meint aber, maßgebend für die Entstehung des Anspruchs sei nicht der Entschluß der Versorgungsverwaltung zur Leistung, sondern die Leistung selbst.
Die Beigeladenen sind nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, daß § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG eingreift, weil die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage erst nach ihrem Inkrafttreten vollständig erfüllt waren. Es hat ferner zutreffend klargestellt, daß der Anspruch nicht dadurch in Zweifel gezogen werden kann, daß die Notwendigkeit der Hilfsmittel für das beigeladene Kind bereits vor Inkrafttreten des § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG und vor Bestehen eines Versicherungsverhältnisses vorlagen.
Wenn - wie hier - keine ausdrückliche Sonderregelung für Übergangsfälle getroffen worden ist, erfaßt das neue Recht grundsätzlich alle in dem neuen Gesetz genannten Sachverhalte, die ihren Abschluß unter Geltung des neuen Rechts finden; und umgekehrt kann gesagt werden, daß das neue Recht nur solche Sachverhalte nicht erfaßt, die abgeschlossen in der Vergangenheit liegen (vgl. BSG, Urteil vom 27. April 1973 - 3 RK 69/71; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. S. 152).
Der Sachverhalt, der zu dem Anspruch nach § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG führt, war weder mit dem Versicherungsfall - Notwendig werden der Hilfsmittel - noch mit dem Leistungsantrag des Versicherten und Versorgungsberechtigten abgeschlossen, sondern erst mit der tatsächlichen Leistung. In dieser Zeit war § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG bereits in Kraft.
Allerdings erfüllt nicht schon der Entschluß der Versorgungsverwaltung zur Leistung die Voraussetzungen des § 18 c Abs. 2 Satz 2 BVG, wie das LSG meint. Es ist zwar einzuräumen, daß § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG nicht ausdrücklich hervorhebt, daß die Versorgungsverwaltung die Sachleistung erbracht haben muß, bevor der Ersatzanspruch gegen die Kasse entstehen kann. Denn in der Schilderung der Voraussetzungen des Ersatzanspruchs ist lediglich aufgeführt, daß eine Zuschußleistung oder sonstige Geldleistung nicht erbracht wird, weil bereits aufgrund dieses Gesetzes eine Sachleistung gewährt wird. Das rechtfertigt aber nicht die Auffassung des LSG, der Ersatzanspruch sei lediglich davon abhängig, daß die Zuschußleistung gegenüber dem Versicherten wegen einer in Aussicht stehenden Sachleistung "endgültig unterlassen" werde. Richtig ist, daß die Kasse von dem Zeitpunkt an, zu dem die Sachleistung mit Sicherheit in Aussicht stand - spätestens mit der Auftragserteilung durch die Versorgungsverwaltung - praktisch nicht mehr mit einer Zahlung an die Versicherten und Versorgungsberechtigten zu rechnen brauchte. Sie hätte einen Zuschußantrag trotz § 18 c Abs. 6 Satz 1 BVG ablehnen können, weil eine entsprechende Leistung nach dem BVG nicht nur "vorgesehen" war, sondern unmittelbar bevorstand. Die für die Entstehung eines Ersatzanspruchs maßgebenden Voraussetzungen waren damit aber noch nicht erfüllt. Es fehlten zu dieser Zeit noch die Aufwendungen, deren Ersatz Gegenstand des Rechtsstreits ist.
Der Sinn des Ersatzanspruchs nach § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG erschöpft sich nicht darin, dem Träger der KOV die Leistungen zukommen zu lassen, die andere öffentlich-rechtliche Leistungsträger, hier die Kasse, dem Versicherten gegenüber wegen einer in Aussicht stehenden Leistung nach dem BVG ablehnen können. Entscheidend ist vielmehr, daß der Träger der KOV - teilweise - entschädigt wird, und zwar für Leistungen, die er erbracht hat, obwohl diese Leistungen durch einen anderen öffentlich-rechtlichen Leistungsträger ganz oder zum Teil finanziert worden wären oder - was im vorliegenden Fall wegen § 21 Abs. 2 der damals gültigen Satzung zweifelhaft sein konnte - hätten finanziert werden müssen. Das kommt mit hinreichender Deutlichkeit in der Formulierung der Rechtsfolge des § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG zum Ausdruck: Dem anderen öffentlich-rechtlichen Leistungsträger wird die Verpflichtung auferlegt, "den Betrag der Aufwendungen zu ersetzen, den er sonst als Leistung gewährt hätte". Ist demnach der Zweck des § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG der Ersatz von Aufwendungen, so wird vorausgesetzt, daß diese Aufwendungen seitens der Versorgungsverwaltung auch gemacht worden sind.
Damit werden der Kasse keine Leistungen auferlegt, die sie bereits vorher endgültig erspart hatte. Denn wird - wie hier - der Ersatzanspruch nach § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG wegen einer Zuschußleistung eines anderen Leistungsträgers gewährt, so kann dieser Ersatzanspruch erst geltend gemacht werden, wenn ohne das Eintreten der Versorgungsverwaltung die Leistung dem Versicherten gewährt worden wäre. Eine Zuschußleistung kann zwar vor der tatsächlichen Anschaffung des zu bezuschussenden Gegenstandes bewilligt werden; die Zahlung kann aber erst im unmittelbaren Zusammenhang mit der Anschaffung verlangt werden, denn Zuschüsse sind keine Vorschüsse. Die Leistung der Kasse wäre somit erst zur Zeit der Leistung der Versorgungsverwaltung fällig geworden, so daß auch erst zu diesem Zeitpunkt die Ersparnis endgültig wurde. Anders könnte dies nur sein, wenn - wofür hier aber keine Anhaltspunkte vorliegen - die Kasse im Laufe des Herstellungsvorgangs der Hilfsmittel Abschlagszahlungen zu leisten gehabt hätte.
Schließlich spricht auch die Verjährungsregelung des § 21 Abs. 2 BVG dafür, daß erst mit der tatsächlichen Sachleistung der Ersatzanspruch entsteht. Denn die Verjährung des Ersatzanspruchs nach § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG beginnt hiernach mit der Durchführung der Sachleistung durch die Versorgungsverwaltung und nicht bereits in einem früheren Zeitpunkt.
Es besteht auch kein sonstiger Grund, den Entstehungszeitpunkt des Ersatzanspruchs nach § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG gegenüber der Zeit der Sachleistung vorzuverlegen. § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG begründet einen Ausgleichsanspruch zwischen öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern für Fälle, in denen ohne eine solche Regelung besonders wegen fehlender Gleichartigkeit der geschuldeten Leistungen zweifelhaft sein konnte, ob die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch (vgl. BSG 16, 151) ausgereicht hätten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 17. Dezember 1974 - 9 RV 198/74 in Breith. 1975, 505 = ErsK 1975, 125). Aus alledem ergibt sich, daß nicht der Entschluß zur Leistung, sondern erst die Leistung selbst einen Ersatzanspruch gegen den primär leistungspflichtigen Sozialleistungsträger begründen kann (vgl. BSG aaO S. 156). Eine hiervon abweichende Regelung hätte einer ausdrücklichen Normierung bedurft.
An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts dadurch, daß die Beklagte vor dem 19. November 1971 schon deshalb für eine Zuschußleistung nicht in Betracht gekommen wäre, weil der Beigeladene zu 2) noch nicht ihr Mitglied war und deshalb auch Familienhilfeansprüche für die Beigeladene zu 1) ausschieden. Wie der Senat in BSG 40, 104, 105 klargestellt hat, ist der Leistungsanspruch eines Pflichtversicherten - um einen solchen handelt es sich bei dem Beigeladenen zu 2) - nicht davon abhängig, daß der Versicherungsfall in der Zeit der Mitgliedschaft eingetreten ist. Die bestehende Mitgliedschaft in der Zeit des Versicherungsfalls ist Leistungsvoraussetzung dann, wenn eine Leistung nach Beendigung der Mitgliedschaft verlangt wird. In dem - umgekehrten - Fall, in dem in der Zeit der Mitgliedschaft Leistungen für einen vor Beginn der Mitgliedschaft eingetretenen Versicherungsfall begehrt werden, sind Leistungsbeschränkungen nur bei freiwilliger Versicherung möglich (vgl. § 310 Abs. 2 und § 313 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung).
Da im Falle des Nichteintretens des Klägers mit Sachleistungen die Beklagte noch im Jahre 1972 - was sie selbst einräumt - Zuschußleistungen zugunsten der Beigeladenen erbracht hätte, ist sie nach dem am 1. Januar 1972 in Kraft getretenen § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG verpflichtet, diese Zuschüsse an den Kläger zu zahlen.
Das im Ergebnis zutreffende Urteil des LSG war daher zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Kostentragungspflicht zwischen Behörden ist nach § 193 Abs. 4 SGG ausgeschlossen. Den Beigeladenen sind keine Kosten entstanden.
Fundstellen