Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 02.02.1977) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 2. Februar 1977 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der am 28. November 1909 geborene Kläger ist selbständiger Kaufmann. Er erhält ab Dezember 1974 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Die Beteiligten streiten darüber, ob ihm für September bis November 1974 das flexible Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zusteht. Der Kläger hat im Juli 1974 dieses Altersruhegeld beantragt und erklärt, er wolle seine selbständige Erwerbstätigkeit vom 1. September bis zum 30. November 1974 nur in begrenztem Umfang mit einem monatlichen Einkommen von etwa 1.000,– DM ausüben.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 11. Oktober 1974 die Gewährung des flexiblen Altersruhegeldes ab, weil der Kläger seine Tätigkeit fortführe und mehr als 750,– DM monatlich daraus erziele.
Die Klage und die (zugelassene) Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts vom 13. Mai 1975, Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 2. Februar 1977). Das LSG hat ausgeführt: Der Kläger könne kein flexibles Altersruhegeld erhalten, da die – negative – Voraussetzung des § 25 Abs. 4 Satz 1 AVG nicht erfüllt sei. In der streitigen Zeit sei er nicht nur gelegentlich tätig gewesen (Buchst a), auch habe sein monatliches Arbeitseinkommen bis zum 31. August 1974 durchschnittlich drei Zehntel der in Buchst b bestimmten Grenze (1974 = 750,– DM) überschritten. Dies ergebe sich aus seiner eigenen Erklärung, nach der sich die Beklagte gerichtet habe, und aus dem Einkommensteuerbescheid für 1973. Berücksichtige man zusätzlich den Einkommensteuerbescheid für 1974, so hätten auch für dieses Jahr die durchschnittlichen Monatseinkünfte weit über 750,– DM gelegen. Auf die Höhe des in den Monaten September, Oktober und November 1974 tatsächlich erzielten Arbeitseinkommens komme es nicht an; entscheidend seien die Einkommensverhältnisse in der Vorzeit. Hierfür sei der Einkommensteuerbescheid für 1973 die einzig verläßliche Unterlage; aus dem dort versteuerten Jahreseinkommen sei deshalb das durchschnittliche Monatseinkommen für die streitige Zeit zu ermitteln.
Mit der – zugelassenen – Revision beantragt der Kläger,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und der Klage stattzugeben.
Er rügt die Verletzung des § 25 Abs. 4 Satz 1 Buchst b AVG. Für die Ermittlung des Arbeitseinkommens sei nicht der Jahresdurchschnitt von 1973 zugrunde zu legen. Mit “durchschnittlich im Monat” könne nur der Durchschnitt der Bezüge in den Monaten gemeint sein, für die das Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG gefordert werde. Von September bis November 1974 habe sein durchschnittliches Arbeitseinkommen indessen unter dem zulässigen Höchstbetrag gelegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist insofern begründet, als der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Nach dem festgestellten Sachverhalt hat der Kläger in der streitigen Zeit die in § 25 Abs. 1 AVG für ein flexibles Altersruhegeld geforderten Voraussetzungen erfüllt. Da er jedoch zugleich erwerbstätig gewesen ist, steht ihm gemäß Abs. 4 das flexible Altersruhegeld nur zu, wenn von den für diesen Fall in Abs. 4 Satz 1 Buchst a oder b zusätzlich geforderten Tatbeständen wenigstens einer hier gegeben ist. Das ist für den in Buchst a festgelegten Tatbestand unstreitig zu verneinen, weil der Kläger seine Erwerbstätigkeit in der Zeit von September bis November 1974 nicht “nur gelegentlich” ausgeübt hat. Die Entscheidung hängt daher davon ab, ob der in Buchst b verlangte Tatbestand erfüllt ist. Diese Frage läßt sich aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht abschließend beantworten.
§ 25 Abs. 4 Satz 1 Buchst b AVG ist hier noch in der bis zum 1. Juli 1977 geltenden Fassung des Rentenreformgesetzes (RRG) und des 4. Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 30. März 1973 (BGBl I 257) anzuwenden (Art. 2 § 2 Nr. 9, Art. 3 § 6 des 20. Rentenanpassungsgesetzes vom 27. Juni 1977 – BGBl I 1040 –). Neben einer laufend (oder in regelmäßiger Wiederkehr) ausgeübten Erwerbstätigkeit besteht Anspruch auf das flexible Altersruhegeld danach nur, wenn das Arbeitseinkommen aus der Erwerbstätigkeit durchschnittlich im Monat drei Zehntel der für Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrenze nicht überschreitet. Das Gesetz stellt damit eine Beziehung zwischen dem Anspruch auf das Altersruhegeld und der Erwerbstätigkeit her; es macht die Rentengewährung von der Beschränkung der in derselben Zeit ausgeübten Erwerbstätigkeit auf einen bestimmten finanziellen Rahmen abhängig. Daraus ergibt sich aber, daß es nur auf das Arbeitseinkommen während der Zeit ankommen kann, für die das Altersruhegeld gewollt wird, dh die in § 25 Abs. 1 AVG niedergelegten Voraussetzungen erfüllt sind. Ein früheres oder späteres Einkommen ist insoweit ohne Bedeutung. Das LSG hat deshalb nicht auf das Einkommen des Klägers in einer “Vorzeit” abstellen dürfen.
Ob das Arbeitseinkommen des Klägers in der Zeit vom 1. September bis zum 30. November 1974 durchschnittlich über dem in Buchst b festgelegten Höchstbetrag (für 1974 monatlich 750,– DM) liegen würde, war beim Erlaß des streitigen Bescheides vom 11. Oktober 1974 noch nicht bekannt. Dieser Umstand brauchte die Beklagte allerdings nicht von einer vorausschauenden Beurteilung abzuhalten; eine solche wird den Versicherungsträgern auch in anderen Fällen zugemutet (s. SozR 2200 § 1228 Nr. 1 mit Nachweisen; SozR Nr. 6 zu § 168 RVO; BSG 13, 98 in einem Fall des § 75 AVAVG aF) und von ihnen vorgenommen. Im Gegensatz zur vorausschauenden Beurteilung etwa der Versicherungspflicht kann hier jedoch eine im Zeitpunkt der Bescheiderteilung vorgenommene Prognose nur dann auch später maßgebend bleiben, wenn sie der tatsächlich erreichten Einkommenshöhe entspricht. Anderenfalls würden Gewährung oder Versagung des flexiblen Altersruhegeldes von in Wahrheit nicht gegebenen finanziellen Verhältnissen (Einkünften aus der Erwerbstätigkeit) abhängig. Deshalb muß der Versicherungsträger später seine Prognose überprüfen und je nach dem Ergebnis dieser Prüfung auch korrigieren können. Hierfür weist zwar das AVG keinen direkten Weg; es könnte sich aber anbieten, die Grundsätze anzuwenden, die für die (vorläufige bzw endgültige) Festsetzung der dem Grunde und der Höhe nach einkommensabhängigen Ausgleichsrente in der Kriegsopferversorgung gelten; sie sind dort in § 60a des Bundesversorgungsgesetzes niedergelegt, waren aber zuvor schon in der Rechtsprechung entwickelt worden (vgl. BSGE 16, 188, 190). Darauf braucht jedoch im vorliegenden Fall nicht näher eingegangen zu werden; denn hier ist nur der erste, nicht ein folgender korrigierender Bescheid des Versicherungsträgers im Streit und der für das flexible Altersruhegeld in Frage kommende Zeitraum mittlerweile verstrichen. Hier kann nur maßgebend sein, welches Arbeitseinkommen der Kläger in den Monaten September, Oktober und November 1974 tatsächlich gehabt hat. Da dieser Zeitraum insgesamt nur drei Monate umfaßt, kann der Senat auch offen lassen, welche Zeitspanne im allgemeinen zur Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitseinkommens herangezogen werden sollte (in Anlehnung an § 25 Abs. 4 Satz 1 Buchst a AVG wohl höchstens je ein Jahr). Hier kann der für die Durchschnittsbildung maßgebende Zeitraum jedenfalls nicht kürzer als die drei Monate sein.
Die Höhe des Arbeitseinkommens des Klägers in den Monaten September, Oktober und November 1974 ist von dem LSG nicht festgestellt worden. Diese Feststellung kann der Senat nicht selbst treffen, er muß daher den Rechtsstreit zur Nachholung der Feststellung an das LSG zurückverweisen. Dabei vermag der Senat nicht abzusehen, inwiefern es dem LSG möglich sein wird, das bei Gewerbe üblicherweise auf ein Jahr bezogene Einkommen für die Zeitspanne der drei genannten Monate zu isolieren. Sollte das nicht gelingen, wäre das durchschnittliche Arbeitseinkommen der betreffenden Monate notfalls aus einem größeren Zeitraum, dann aber höchstens bis zu einem Jahr, herauszuschälen, wobei als letztes Mittel zur Schätzung gegriffen werden müßte. Bleibt allerdings auch dann noch ungewiß, ob das Arbeitseinkommen des Klägers unter der maßgeblichen Grenze geblieben ist, wäre in Anwendung des Grundsatzes der objektiven Beweislast die Klage abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 1375535 |
BSGE, 242 |