Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachentrichtung von Beiträgen. Bindungswirkung. Beratung. Herstellungsanspruch. Beratungsfehler
Orientierungssatz
1. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, in der auf die Zustellung des Bescheides Bezug genommen wird, ist dann als richtig anzusehen, wenn die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ist (Bestätigung von BSG 1983-09-27 12 RK 75/82).
2. Eine Heraufsetzung der zur Nachentrichtung zugelassenen Beiträge nach Eintritt der Bindungswirkung des Zulassungsbescheides ist nicht mehr möglich (Bestätigung von BSG 1980-02-22 12 RK 12/79 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 36).
3. Gegen die Versäumung von Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelfristen gibt es grundsätzlich keinen Herstellungsanspruch. Der Herstellungsanspruch ist kein Ersatz für unterlassene Rechtsbehelfe. Der Versicherte muß regelmäßig seine Einwendungen, auch soweit sie sich auf Beratungsfehler stützen, die einen Herstellungsanspruch auslösen könnten, durch Einlegung eines Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels geltend machen.
Normenkette
AnVNG Art 2 § 49a Abs 3 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art 2 § 51a Abs 3 Fassung: 1972-10-16; SGG § 66 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; SGB 1 § 14 Fassung: 1975-12-11
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.02.1982; Aktenzeichen L 6 An 384/78) |
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.02.1982; Aktenzeichen L 10 An 1772/80) |
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 25.01.1978; Aktenzeichen S 9 An 808/77) |
Tatbestand
Die Klägerin stellte im Dezember 1975 einen Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG). Sie bot an, für die Jahre 1956 bis 1961 Beiträge der Klasse 200 zu DM 36,- (Gesamtbetrag 2.340,- DM) nachzuentrichten. Die Beklagte teilte daraufhin der Klägerin mit Schreiben vom 13. Mai 1976 mit, das Nachentrichtungsrecht könne nur in der Weise ausgeübt werden, daß ein Beitrag für einen Monat erst dann entrichtet werden dürfe, wenn alle späteren Monate bereits mit Beiträgen belegt seien. Es müßten noch die Monate Dezember 1967 bis Dezember 1972 in den Antrag aufgenommen werden. Die Klägerin bestätigte mit ihrer Antwort vom 27. Juni 1976, daß in dieser Zeit Beiträge nicht entrichtet wurden und bat um Rat, in welcher Beitragsklasse die Nachentrichtungsbeiträge gezahlt werden können, damit sie Anspruch auf Rente habe. Die Beklagte antwortete hierauf mit Schreiben vom 7. Juli 1976, daß aus technischen Gründen eine Beratung über die Höhe der zu zahlenden Beiträge nicht möglich sei. Sie bitte um baldige Rückäußerung, um den Vorgang abschließen zu können. Nachdem die Klägerin in der Folgezeit hierauf nicht geantwortet hatte, ließ die Beklagte mit Bescheid vom 2. November 1976 die Nachentrichtung von Beiträgen der Klasse 200 zu je 36,- DM für die Zeit von Januar 1958 bis Mai 1961 und von Dezember 1967 bis Dezember 1972 (Gesamtbetrag 3.672,- DM) zu. In einem Begleitschreiben teilte sie mit, daß sie diese Belegung gewählt habe, weil damit die Wartezeit von 180 Kalendermonaten für das Altersruhegeld wegen Erreichens des 65. Lebensjahres erfüllt sei. Der Bescheid ist der Klägerin mit Einschreiben, aufgegeben am 5. November 1976, ausgeliefert am 6. November 1976, zugestellt worden. Er enthielt die Rechtsmittelbelehrung, daß gegen diesen Bescheid innerhalb eines Monats nach Zustellung schriftlich oder zur Niederschrift bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Berlin-Wilmersdorf, Ruhrstraße 2, Widerspruch erhoben werden könne.
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 23. Dezember 1976, bei der Beklagten eingegangen am 27. Dezember 1976, beantragte die Klägerin eine Beitragsentrichtung in der Klasse 1000. Sie überwies gleichzeitig einen Teilbetrag zur Verbuchung als Beiträge der Klasse 1000. Die Beklagte wertete das Schreiben vom 23. Dezember 1976 als Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. November 1976. Sie wies den Widerspruch wegen Versäumung der Widerspruchsfrist als verspätet zurück (Widerspruchsbescheid vom 17. März 1977).
Klage und Berufung hatten ebenfalls keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe -SG- vom 25. Januar 1978; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg -LSG- vom 25. Februar 1982).
Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß der Zulassungsbescheid vom 2. November 1976 bindend geworden sei und diese Bindungswirkung eine spätere Heraufsetzung der zur Nachentrichtung zugelassenen Beiträge ausschließe. Es hält auch eine Zulassung höherer Nachentrichtung aufgrund eines Herstellungsanspruchs nicht für begründet, weil das Mißlingen der Kooperation zwischen Beklagter und Klägerin im Rahmen des Verwaltungsverfahrens überwiegend auf das Verhalten der Klägerin zurückzuführen sei.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, daß der Zulassungsbescheid gar nicht bindend geworden sei, weil die Rechtsmittelbelehrung unrichtig gewesen sei. Statt richtigerweise darüber zu belehren, daß die Widerspruchsfrist mit der Bekanntgabe beginne, sei dort auf den Zeitpunkt der Zustellung Bezug genommen worden. Die Beklagte habe auch ihre Beratungspflicht verletzt, indem sie der erkennbar unerfahrenen Klägerin die erforderliche Beratung verweigert habe, und auch der Bescheid keine dem bisherigen Beitragsbild angemessene Nachentrichtungsmöglichkeit eröffne. Hieraus folge, daß sie sich nicht auf die Versäumung der Widerspruchsfrist berufen könne, und sie wegen dieser Fehlleistungen auch zum Schadensersatz verpflichtet sei.
Die Klägerin beantragt dem Sinne nach,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. November 1976 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 17. März 1977 zu verurteilen, die Genehmigung zur Nachentrichtung freiwilliger Bei- träge in dem von ihr gewünschten Rahmen (73 x Klasse 1000 für 12/73 bis 12/67 = DM 13.140,-; 29 x Klasse 800 für 5/61 bis 1/59 = DM 4.176,-; 36 x Klasse 600 für 12/58 bis 1/56 = DM 3.888,-; Gesamtbetrag DM 21.204,-) zu erteilen und unter Erteilung einer entsprechenden Beitragsbescheinigung den am 21. Dezember 1976 entrichteten Betrag von DM 5.040,- für 28 Beiträge der Klasse 1000 für die Zeit von September 1971 bis Dezember 1973 und den am 19. September 1978 entrichteten Betrag von DM 10.548,- für 45 Beiträge der Klasse 1000 für die Zeit von Dezember 1967 bis August 1971 und 17 Bei- träge der Klasse 800 für die Zeit von Januar 1960 bis Mai 1961 sowie den am 4. Juli 1979 entrichteten Betrag von DM 5.616,- für 12 Beiträge der Klasse 800 für die Zeit von Dezember 1959 bis Januar 1959 und 36 Beiträge der Klasse 600 für die Zeit von Dezember 1958 bis Januar 1956 zu verbuchen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil.
Beide Beteiligte haben sich mit mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht das Begehren der Klägerin abgelehnt, höhere Beiträge nachzuentrichten, weil der Bescheid vom 2. November 1976 bindend geworden ist.
Die Rechtsbehelfsbelehrung war nicht fehlerhaft. Der Senat hat bereits klargestellt, daß eine Rechtsbehelfsbelehrung, in der auf die Zustellung des Bescheides Bezug genommen wird, dann als richtig anzusehen ist, wenn die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ist (Urteil vom 27. September 1983 - 12 RK 75/82 -). Das ist hier der Fall. Die Widerspruchsfrist betrug also im vorliegenden Fall einen Monat ab Zustellung des Bescheides (§ 84 Abs 1 SGG). Der durch Einschreiben zugestellte Bescheid galt gemäß § 4 Abs 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) mit dem dritten Tage nach Aufgabe bei der Post (Aufgabe 5. November 1976) als zugestellt (8. November 1976). Die Monatsfrist lief mithin am 8. Dezember 1976 (Mittwoch) ab. Das Schreiben des Bevollmächtigten ist aber erst am 27. Dezember 1976 bei der Beklagten eingegangen, also nach Ablauf der Monatsfrist.
In der Sache hat der Senat bereits entschieden, daß einer Heraufsetzung der zur Nachentrichtung zugelassenen Beiträge nach Eintritt der Bindungswirkung des Zulassungsbescheides nicht mehr möglich ist (SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 36, s auch Nrn 38 und 45).
Die Klägerin meint allerdings, daß ihr die Möglichkeit zur Entrichtung höherer Beiträge aufgrund eines Herstellungsanspruchs offenstehe, weil ein Beratungsfehler der Beklagten vorliege. Das ist aber nicht der Fall. Der Herstellungsanspruch ist ein materieller Anspruch, der an die Stelle eines zB wegen Versäumung einer Ausschlußfrist nicht entstandenen anderen materiellen Anspruchs tritt. Diese Fallkonstellation liegt indes hier nicht vor. Die Klägerin hat rechtzeitig den Nachentrichtungsantrag gestellt. Sie hat lediglich versäumt, gegen den ihr nicht genehmen Bescheid über die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen rechtzeitig Widerspruch einzulegen. Gegen die Versäumung von Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelfristen gibt es aber grundsätzlich keinen Herstellungsanspruch. Der Herstellungsanspruch ist kein Ersatz für unterlassene Rechtsbehelfe. Der Versicherte muß regelmäßig seine Einwendungen, auch soweit sie sich auf Beratungsfehler stützen, die einen Herstellungsanspruch auslösen könnten, durch Einlegung eines Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels geltend machen. Versäumt er ohne sein Verschulden die Anfechtungsfrist, so gibt es die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (s neuerdings auch § 41 Abs 3 SGB X).
Im vorliegenden Fall kann indes dahinstehen, ob ein Beratungsfehler vorlag, ob die Klägerin dadurch irregeführt oder verunsichert worden ist und ob der Beratungsfehler geeignet gewesen wäre, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu rechtfertigen.
Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, wieso ein etwaiger Beratungsfehler dazu geführt haben soll, daß die Klägerin die Widerspruchsfrist nicht einhalten konnte. Aus dem Erläuterungsschreiben war ersichtlich, daß die Zulassung zur Nachentrichtung lediglich unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung der Wartezeit erfolgt war, und es war - wie der Antrag zeigt - der Klägerin auch bekannt, daß es sich hierbei um niedrige Beiträge handelte (die allerdings wertmäßig in etwa ihrem bisherigen Beitragsniveau entsprachen). Durch das ihr übersandte Sondermerkblatt war sie informiert, daß sie auch höhere Beiträge entrichten konnte.
Bei dieser Sachlage kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht. Der Antrag vom 23. Dezember 1976 kann danach nur als neuer Antrag angesehen werden, der allein schon wegen Versäumung der Ausschlußfrist (31. Dezember 1975) abzulehnen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen