Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Beitragsnachentrichtung. zuständige Stelle. Formvorschrift. unzulässige Rechtsausübung
Orientierungssatz
1. Zum Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen bei einer unzuständigen Stelle (Anschluß BSG vom 1983-04-14 8 RK 9/81 = SozR 1200 § 16 Nr 8).
2. Die Schriftform für einen Nachentrichtungsantrag ist nicht vorgeschrieben.
3. Die nach einem Zeitraum von vier Jahren erfolgte Berufung auf einen früheren Antrag muß - jedenfalls bei mündlichen Anträgen, die bei einer an sich unzuständigen Behörde gestellt werden und die dazu dienen, eine Ausschlußfrist zu wahren - als eine unzulässige Rechtsausübung angesehen werden.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 3 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 3 Fassung: 1972-10-16; AVG § 204; RVO § 1613 Abs. 5 Fassung: 1936-12-23; SGB 1 § 16 Abs. 2 Fassung: 1975-12-11; BGB § 242 Fassung: 1896-08-18
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 14.10.1981; Aktenzeichen L 3 An 2285/80) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 30.10.1980; Aktenzeichen S 12 An 1882/80) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach Art 2 § 49a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) berechtigt ist.
Die Klägerin war selbständig erwerbstätig (Farben- und Tapeten- Einzelhandel). Sie behauptet, im Oktober/November 1975 die Ortsbehörde in M aufgesucht zu haben. Dort habe sie bei einem Gespräch mit der Sachbearbeiterin, Frau K, sich über die Rechtslage aufklären lassen und zum Ausdruck gebracht, daß sie Beiträge nachentrichten wolle. Ihr Ehemann habe in der Folgezeit einen Nachentrichtungsantrag bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) W gestellt. Der Sachbearbeiter dieses Antrags, G, habe dann im November 1975 bei ihr angerufen. Bei dieser Gelegenheit habe sie diesem Sachbearbeiter gegenüber ebenfalls zum Ausdruck gebracht, daß sie Beiträge entrichten wolle. Wegen einer Herzerkrankung und einer erwarteten Einbestellung zur Operation habe sie die Angelegenheit jedoch in den folgenden Monaten nicht weiterverfolgt. Am 25. Oktober 1979 gab die Klägerin vor der Ortsbehörde der Stadt M eine eidesstattliche Versicherung ab, in der sie unter anderem erklärte,
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"Um diese Zeit, also im Oktober/November 1975, besuchte |
ich die Ortsbehörde bei der Stadtverwaltung in M. |
Frau K erklärte mir die Rechtslage und ich hatte vor, |
den Antrag zu stellen, und mit ihr dies vereinbart. Außer- |
dem war es so, daß über die Höhe der Nachentrichtung noch |
Unklarheit bestand." |
Mit Formblattantrag vom 20. November 1979 (bei der Beklagten eingegangen am 4. Dezember 1979) beantragte die Klägerin nunmehr schriftlich die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG. Die gleichzeitig eingereichte eidesstattliche Erklärung vom 25. Oktober 1979 enthielt dazu ferner folgende Darstellung:
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"Am 25.11.1975 sollte ich überraschend ins |
K-H nach S kommen zur Beobachtung. Dies war |
dann zu kurzfristig, so daß ich absagte, und wartete |
dann täglich auf Einberufung. Dies ging bis Januar 1976. |
Wo ich dann kurz entschlossen von der Hausärztin nach |
S H ins D Krankenhaus eingewiesen |
wurde. |
Durch diese Aufregungen und das Warten auf die |
Einberufung ins Krankenhaus vergaß ich die Angelegenheit |
mit der Rente und versäumte den Termin." |
Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 23. Januar 1980, Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 1980). Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Stuttgart -SG- vom 30. Oktober 1980; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg -LSG- vom 14. Oktober 1981).
Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß ein bis 31. Dezember 1975 gestellter fristgerechter Nachentrichtungsantrag nicht vorliege. Ein Antrag habe wirksam nur bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gestellt werden können, also weder bei einer LVA noch bei der Ortsbehörde. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, weil es sich um eine Ausschlußfrist handele. Die Klägerin habe aber nach der Überzeugung des LSG auch weder bei der Ortsbehörde in M noch bei der LVA W einen Antrag gestellt. Es handele sich nach den dem Senat bekannten Tatsachen lediglich um Vorsprachen zur Information, bei denen die Klägerin selbst nicht davon ausgegangen sei, daß sie einen Antrag gestellt habe. Dem Antrag der Klägerin, die Sachbearbeiterin der Ortsbehörde, Frau K, zu hören, ist der Senat nicht nachgekommen. Das LSG hält auch einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht für begründet. Ein Fehlverhalten der Ortsbehörde in M könne der BfA nicht zugerechnet werden. Ein Fehlverhalten der LVA W liege nicht vor.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, daß die von der Ortsbehörde M aufgenommene eidesstattliche Versicherung nicht dem entsprochen habe, was die Klägerin habe sagen wollen. Sie habe dort deutlich machen wollen, daß sie schon damals einen Nachentrichtungsantrag gestellt habe. Zum Beweise hierfür beruft sie sich erneut auf die Zeugin Frau K. Sie ist der Auffassung, daß dieser Antrag wirksam gewesen sei und die Frist gewahrt habe. Nach damaliger Rechtslage habe der Antrag in sinngemäßer Anwendung von § 204 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) iVm § 1613 Abs 5 der Reichsversicherungsordnung in der bis zum 31. Dezember 1975 geltenden Fassung (RVO aF) fristwahrend auch bei anderen Behörden, also bei der LVA und der Ortsbehörde gestellt werden können. In jedem Fall stehe der Klägerin ein Herstellungsanspruch zu, weil die Ortsbehörde und die LVA zu Unrecht den von ihr gestellten mündlichen Antrag nicht festgehalten und weitergeleitet hätten.
Die Klägerin beantragt dem Sinne nach,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Januar 1980 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 1980 zu verurteilen, die Klägerin zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist zwar der Ansicht, daß auch ein Antrag bei einer Ortsbehörde oder einer LVA wirksam sei und die Antragsfrist wahre. Im übrigen beruft sie sich jedoch auf das angefochtene Urteil.
Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) entschieden wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Die Beklagte hat zu Recht die Klägerin nicht zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG zugelassen.
Allerdings wendet sich die Klägerin zu Recht gegen die Auffassung des LSG, daß der streitige Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nur bei der Beklagten wirksam gestellt werden konnte. § 204 AVG iVm § 1613 Abs 5 RVO aF bezieht sich zwar nach dem Wortlaut nur auf Leistungsanträge. Der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat jedoch bereits zu § 16 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) entschieden, daß hinsichtlich anderer Anträge, die für die Stellung als Versicherter Bedeutung haben, insoweit eine Lücke im Gesetz besteht, die im Sinne der für Leistungsanträge geltenden Vorschriften auszufüllen ist (Urteil vom 14. April 1983 - 8 RK 9/81 -). Dieser Auslegung entspricht auch die Praxis der Rentenversicherungsträger bei der Anwendung von Art 2 § 49a AnVNG und Art 2 § 51a des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG). Es besteht keine Veranlassung, von der Rechtsprechung des 8. Senats und der Praxis der Rentenversicherungsträger abzuweichen. Die Gründe des 8. Senats sind überzeugend und gelten gleichermaßen für Nachentrichtungsanträge.
Die Klägerin ist ferner zu Recht der Ansicht, daß Schriftform für den Nachentrichtungsantrag nicht vorgeschrieben ist. § 9 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X), der die Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens festlegt, soweit im Gesetz nichts anderes bestimmt ist, galt sinngemäß auch schon vor Inkrafttreten des SGB X. Eine Bestimmung über die Notwendigkeit der Schriftform ist für Nachentrichtungsanträge aber weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinnzusammenhang des Art 2 § 49a AnVNG zu entnehmen. Der bis zum 31. Dezember 1975 zu stellende Nachentrichtungsantrag brauchte lediglich ein Grundantrag zu sein (BSGE 50, 16). Ein Grundantrag kann aber ohne weiteres auch mündlich gestellt werden. Der Antragsteller trägt dann lediglich das Risiko, daß der Antragseingang objektiv nicht nachweisbar ist.
Ob die Klägerin tatsächlich einen Antrag gestellt hat, ist indes zweifelhaft. Dennoch mußte das LSG weder die Sachbearbeiterin der Ortsbehörde noch den Sachbearbeiter der LVA als Zeugen vernehmen; denn der Anspruch der Klägerin scheitert schon aus anderen Gründen. Unterstellt man, daß die Klägerin ihren Antrag wirksam mündlich gestellt hat und daß dieser lediglich nicht festgehalten oder weitergeleitet worden ist, so hätte sie an sich die Voraussetzungen für die Nachentrichtung fristgerecht geschaffen. Die Berufung auf diesen Antrag erst im Jahre 1979 stellt sich indes als unzulässige Rechtsausübung dar. Es handelt sich dabei allerdings nicht um einen Fall von Verwirkung. Verwirkung setzt regelmäßig voraus, daß der Berechtigte ein Verhalten gezeigt hat, aus dem geschlossen werden durfte, daß er von seinem Recht nicht mehr Gebrauch machen werde. Hinzukommen muß, daß bei dem Rechtsgegner ein Bedürfnis bestand, sich auf dieses Verhalten einzustellen, also darauf vertrauen zu können, daß von dem Recht kein Gebrauch gemacht werden würde (BSG SozR 5070 § 10 Nr 14 S 35). Diese Grundsätze sind jedoch darauf abgestellt, daß Rechte oder Pflichten streitig sind, die dem Berechtigten und dem Verpflichteten bekannt waren oder zumindest bekannt sein konnten. Die Situation ist im vorliegenden Fall aber insoweit eine andere, als der (hier unterstellte) Antrag der Klägerin die Beklagte (Verpflichtete) überhaupt nicht erreicht hat, sie mithin von dem Antrag und den ihr daraus erwachsenden Verpflichtungen überhaupt nichts wissen konnte. Die Grundsätze der Verwirkung können deshalb hier nicht für die Beurteilung maßgeblich sein, ob eine Rechtsausübung nach Treu und Glauben unzulässig ist. Die Unzulässigkeit der Rechtsausübung ergibt sich hier aus folgendem: Der Antrag war an eine Ausschlußfrist gebunden. Die Ausschlußfrist hat den Zweck, die Nachentrichtungen zeitlich zu begrenzen und nach einem gewissen Zeitraum einen Überblick über den Umfang der zu erwartenden Nachentrichtungen zu erhalten. Dieser Gedanke prägt in vielfältiger Weise das Nachentrichtungsverfahren (vgl auch Urteil des Senats vom 27. September 1983 - 12 RK 7/82 -). Hierauf gründeten sich auch die Erwartungen, die die Beklagte hegen durfte, sowie die Mitwirkungsobliegenheiten der betroffenen Berechtigten. Die Beklagte konnte zumindest einige Monate nach dem Ende der Ausschlußfrist davon ausgehen, daß alle bei anderen Stellen wirksam gestellten Anträge bei ihr eingegangen sind, weitere Anträge also nicht zu erwarten waren. Die Klägerin (Berechtigte) mußte sich vergegenwärtigen, daß bei mündlicher Antragstellung gegenüber einer anderen als der zur Entscheidung berufenen Behörde neben der Äußerung eines bestimmten Begehrens auch die Fixierung des Antrags durch den Empfänger (zB die Ortsbehörde) und die Weiterleitung an die zuständige Behörde gehören. Während der Antragsteller bei schriftlicher Antragstellung oder Erklärung zu Protokoll davon ausgehen kann, daß sein Antrag weitergeleitet und bearbeitet wird, bestehen bei nur mündlicher Antragstellung Unsicherheiten, ob das Begehren richtig verstanden, ob es festgehalten und ob es weitergeleitet wurde. Dies hat zur Folge, daß der Antragsteller sich regelmäßig nicht mit der Antragstellung begnügen kann, sondern sich in angemessener Zeit auch darum kümmern muß, ob sein Antrag bei der zuständigen Behörde angekommen ist und bearbeitet wird. Es kann von ihm erwartet werden, daß er, wenn er lange nichts von der Bearbeitung des Antrags hört, sich um seine Angelegenheiten kümmert (vgl dazu in anderem Zusammenhang BSG SozR 5070 Art 2 § 51a Nr 49). In besonderem Maße gilt dies, wenn mit dem Antrag eine Ausschlußfrist zu wahren war, weil der Antragsteller nicht nur selbst ein Interesse daran haben mußte, sicherzugehen, daß die Ausschlußfrist gewahrt ist, sondern auch zu bedenken hatte, daß die Behörde ein Interesse an alsbaldiger Aufklärung von Irrtümern oder Übermittlungsfehlern hat. Es bedarf hier keiner Untersuchung, welche Fristen dem einzelnen hierbei zuzubilligen sind und welche Bedeutung dabei den besonderen Umständen zukommt, die die Klägerin vorgetragen hat (Herzerkrankung und Krankenhausbehandlung). Maßstab ist in jedem Fall, was von einem verständigen Bürger in seinem eigenen Interesse unter Berücksichtigung seiner objektiven und subjektiven Möglichkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen an sachlich gebotener Kooperation zu erwarten war. Bei Anlegung dieses weiten Maßstabes ist selbst unter großzügiger Berücksichtigung aller von der Klägerin angegebenen Umstände nicht zu rechtfertigen und erklärbar, daß und wieso sie sich über einen Zeitraum von vier Jahren nicht um ihren Antrag gekümmert hat. Die erst nach so langer Zeit erfolgte Berufung auf den früheren Antrag muß deshalb - jedenfalls bei mündlichen Anträgen, die bei einer an sich unzuständigen Behörde gestellt werden und die dazu dienen, eine Ausschlußfrist zu wahren - als eine unzulässige Rechtsausübung angesehen werden.
Die Klägerin kann jedoch auch dann keinen Erfolg haben, wenn seinerzeit kein ordnungsgemäßer Antrag gestellt wurde und dies auf einem Fehler der angesprochenen Bediensteten beruht. Aus einem Fehler der Ortsbehörde in M können keine Rechte hergeleitet werden, weil nach der Rechtsprechung des BSG zu dem Rechtszustand, der vor Inkrafttreten des SGB I (1. Januar 1976) bestand, durch den Fehler eines Versicherungsamts (oder einer anderen gemeindlichen Dienststelle) ein Herstellungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger nicht begründet wird (Urteil vom 20. Februar 1962 - 1 RA 215/59 - SozVers 63, 62). Ob dies auch im Verhältnis von LVA und Beklagter gilt, mag zweifelhaft sein. Hier scheitert der Herstellungsanspruch aber daran, daß die Ausübung eines solchen, möglicherweise früher begründeten Anspruchs aus den gleichen Gründen wie die Berufung auf einen wirksam gestellten Antrag im vorliegenden Fall eine unzulässige Rechtsausübung darstellen würde.
Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen