Leitsatz (redaktionell)
Eine "andere Leistung" ist dann als erheblich niedriger iS von BKGG § 8 Abs 2 anzusehen, wenn sie um mehr als 25 % hinter dem gesetzlichen Kindergeld für das betreffende Kind zurückbleibt.
Normenkette
BKGG § 8 Abs. 2 Fassung: 1964-04-14
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. Mai 1966 und des Sozialgerichts Braunschweig vom 22. Februar 1965 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen, soweit der Kinderzuschuß zur Rente des Kindervaters aus der gesetzlichen Rentenversicherung für die Kinder Ina und Petra der Klägerin jeweils 75 v.H. oder mehr des gesetzlichen Kindergelds beträgt.
Im übrigen wird die Beklagte für verpflichtet erklärt, der Klägerin einen der Rechtsauffassung des Senats entsprechenden neuen Bescheid zu erteilen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten aller drei Rechtszüge zur Hälfte zu erstatten.
Gründe
I
Die verwitwete Klägerin hat insgesamt sieben Kinder. Davon stammen die fünf älteren aus ihrer Gemeinschaft mit dem 1956 verstorbenen Ehemann. Danach hat die Klägerin 1960 die Tochter I und 1961 die Tochter P unehelich geboren. Deren Vater, der Rentner A I, bezog zu seiner Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung für die beiden Kinder laufend Kinderzuschüsse von je 51,20 DM im Jahre 1964 und von je 56,- DM im Jahre 1965; diese Beträge werden mit seinem Einverständnis an die Klägerin ausgezahlt. Dem Antrag der Klägerin, ihr Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zu gewähren, entsprach die beklagte Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) für vier eheliche Kinder. Sie versagte aber das Kindergeld für I und P, weil der uneheliche Vater für diese beiden Kinder Kinderzuschüsse aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalte (Bescheid vom 24. Juni 1964). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 1964).
Auf Klage hin hob das Sozialgericht (SG) die Bescheide der Beklagten auf, soweit sie mehr als ein halbes Kindergeld versagt hatte, und verurteilte sie, der Klägerin einen neuen, der Rechtsauffassung des Gerichts entsprechenden Bescheid zu erteilen (Urteil vom 22. Februar 1965). Das SG vertrat die Rechtsansicht, die Klägerin habe zwar keinen Anspruch auf Kindergeld, da der Kindesvater für die beiden unehelichen Töchter den Kinderzuschuß zur Rente beziehe, jedoch könne ihr für ein Kind das Kindergeld zur Hälfte gewährt werden, weil unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse die Einbuße für beide Kinder zusammen genommen die Hälfte des Kindergelds für ein Kind (= 35,- DM) im Jahre 1964 übersteige und im Jahre 1965 fast erreiche, damit also erheblich im Sinne des § 8 Abs. 2 BKGG sei.
Die Berufung der Beklagten hiergegen wurde vom Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Auf die Anschlußberufung der Klägerin hin änderte das LSG das sozialgerichtliche Urteil dahin ab, daß es die Beklagte verurteilte, der Klägerin einen der Rechtsauffassung des Senats entsprechenden Bescheid zu erteilen (Urteil vom 27. Mai 1966). Diese ging im wesentlichen dahin: Obgleich für die Klägerin der Anspruch auf das volle Kindergeld nach § 8 Abs. 1 BKGG ausgeschlossen sei, habe der Gesetzgeber, um Härten zu vermeiden, doch in § 8 Abs. 2 BKGG vorgesehen, daß das Kindergeld zur Hälfte gewährt werden kann, wenn die Kinderzuschüsse erheblich niedriger sind als das Kindergeld. Bei dieser Kann-Leistung habe der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen, daß sich durch Bewilligung des halben Kindergelds bei Hinzurechnung des Kinderzuschusses von Fall zu Fall Über- und auch Unterschreitungen des gesetzlich vorgesehenen Kindergelds ergeben. Das Ausmaß der zwangsläufigen Überschreitung habe er jedoch dadurch eingeengt, daß er die Gewährung des halben Kindergelds nur bei erheblich niedrigeren Kinderzuschüssen zulasse. Bei der Klägerin belaufe sich die Einbuße im Jahre 1964 auf mehr als ein Viertel, nämlich auf 18,80 DM (51,20 DM statt 70,- DM) und im Jahre 1965 noch auf ein Fünftel, nämlich auf 14,- DM (56,- statt 70,- DM) je Kind. Solche Einbußen seien erheblich im Sinne des § 8 Abs. 2 BKGG. Das gelte für jedes Kind, also sowohl bei Ina als auch bei Petra. Eine Zusammenrechnung der jeweiligen Beträge sei hierbei nicht möglich, weil es sich um Individualleistungen handele. Wenn die Hälfte des Kindergeldes lediglich für eines der beiden Kinder bewilligt werde, würde im Ergebnis nicht ein halbes, sondern nur ein viertel Kindergeld gewährt werden; der Gesetzgeber habe aber in § 8 Abs. 2 BKGG ausdrückliche Gewährung des Kindergelds jeweils zur Hälfte vorgesehen.
Revision wurde zugelassen.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie des Urteils des SG Braunschweig vom 22. Februar 1965 die Klage abzuweisen.
In ihrer Revisionsbegründung hat sie im wesentlichen ausgeführt: § 8 Abs. 2 BKGG müsse als Ausnahmevorschrift eng ausgelegt werden. Auch nach der früher geltenden Härteregelung des § 3 Satz 2 des Kindergeldgesetzes (KGG) sei der Klägerin eine Einbuße zugemutet und die andere Leistung höchstens bis 100 v.H. des Kindergelds aufgestockt worden. Es sei nicht ersichtlich, daß im BKGG von diesem Grundsatz abgegangen worden sei. Das komme bereits durch den Begriff "erheblich" zum Ausdruck. Würde das halbe Kindergeld nach § 8 Abs. 2 BKGG schon bei einem Unterschied von 10 bis 20 v.H. oder auch von 33 1/3 v.H. gewährt, so bewirke dies eine ungleiche Behandlung gegenüber anderen Beziehern des gesetzlichen Kindergelds. Namentlich würden aber alsdann diejenigen Personen benachteiligt, die Kinderzulagen nach dem Wehrsoldgesetz erhielten, aber nicht unter § 8 Abs. 2 BKGG fielen. Dort betrage das Kindergeld für das fünfte und weitere Kind 40,- DM im Gegensatz zum Kindergeld von 70,- DM. Das sei eine Einbuße von ungefähr 42,2 v.H. Die Auffassung, eine Leistung nur dann als erheblich niedriger anzusehen, wenn sie 50 v.H. des Kindergelds für das betreffende Kind nicht übersteige, werde im übrigen durch § 3 Abs. 2 der 2. Verordnung zur Durchführung des BKGG vom 21. März 1966 (BGBl I 185) erhärtet. Dort sei ausdrücklich bestimmt, daß in den Fällen, in denen die vergleichbare Leistung höher ist als die Hälfte des Kindergelds für das Betreffende Kind, kein Kindergeld gewährt wird.
Die Klägerin ist nicht vertreten. Sie hat keine Erklärungen abgegeben, die im Revisionsverfahren berücksichtigt werden können.
II
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassene Revision ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden. Sie kann jedoch nur teilweise Erfolg haben.
Der Anspruch auf Kindergeld, der an sich der Klägerin gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 und § 3 Abs. 3 BKGG für ihre beiden unehelichen Töchter I und P P. zusteht, wird durch § 8 Abs. 1 Nr. 1 BKGG ausgeschlossen, weil deren Vater für eine jede den Kinderzuschuß zu seiner Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält. Alsdann kann jedoch der Klägerin nach § 8 Abs. 2 BKGG das Kindergeld zur Hälfte gewährt werden, wenn die anderen Leistungen erheblich niedriger sind als das Kindergeld. Bei dem hier wesentlichen Merkmal "erheblich niedriger" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, den das BKGG nicht unmittelbar erläutert, über dessen Anwendung und Auslegung indessen der erkennende Senat in einer ähnlich gelagerten Revision mit Urteil von demselben Tage (7 RKg 13/65 vom 16. Februar 1968) entschieden hat; auf diese Entscheidungsgründe wird verwiesen. Das dort gewonnene Ergebnis ist auch hier anzuwenden. Dementsprechend ist eine "andere Leistung" dann als erheblich niedriger im Sinne von § 8 Abs. 2 BKGG anzusehen, wenn sie um mehr als 25 v.H. hinter dem gesetzlichen Kindergeld für das betreffende Kind zurückbleibt. Dabei ist, wie das LSG zutreffend angenommen hat, der Anspruch für jedes einzelne Kind als Individualleistung gesondert zu beurteilen. Nach den Feststellungen des LSG betrug die andere Leistung (Kinderzuschuß) je Kind im Jahre 1964 DM 51,20 und im Jahre 1965 DM 56,-. Im Verhältnis zum gesetzlichen Kindergeld von hier 70,- DM (§ 10 BKGG) beläuft sich die Abweichung (Differenz) daher 1965 auf je 14,- DM, also genau auf 20 v.H. Für dieses Jahr ist sie daher nicht als erheblich im Sinne des § 8 Abs. 2 BKGG zu bewerten. Mithin fehlt es für das Jahr 1965 an der gesetzlichen Grundlage für eine Kann-Leistung nach § 8 Abs. 2 BKGG. Insoweit muß daher die Klage abgewiesen werden. Da aber 1964 der Kinderzuschuß zur Rente des (unehelichen) Vaters nur je 51.20 DM betrug, bleibt in diesem Jahr die andere Leistung um mehr als 25 v.H. hinter dem gesetzlichen Kindergeld von 70,- DM für jedes der beiden Kinder zurück und ist damit erheblich niedriger im Sinne von § 8 Abs. 2 BKGG. Hier hat daher bereits das LSG zu Recht festgestellt, daß für jedes Kind (I und P) das Kindergeld zur Hälfte gewährt werden kann. Demgegenüber greifen die Einwendungen der Beklagten, die eine enge Auslegung des Begriffs "erheblich niedriger" anstrebt, nicht durch, wie der erkennende Senat in seinem oben erwähnten Urteil von demselben Tage ausgeführt hat. Der Gesetzgeber hätte es insbesondere im Wortlaut der Neufassung zum Ausdruck bringen müssen, wenn er bei der Aufgabe der alten Regelung des § 3 Abs. 3 Satz 2 KGG und ihren Ersatz durch § 8 Abs. 2 BKGG die von ihm erkannte Möglichkeit weiterhin ausschließen wollte, daß der Kinderzuschuß aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die Leistung nach dem BKGG zusammen den Betrag des vollen gesetzlichen Kindergelds überschreitet. Dies ist jedoch im Abschnitt "Leistungen" des BKGG nirgendwo geschehen. Vielmehr hat der Gesetzgeber die alte Ausnahmeregelung (Härteklausel) des § 3 Abs. 2 KGG allein durch die neue "Kann-Vorschrift" des § 8 Abs. 2 BKGG ersetzt, die durch die Einführung des Begriffs (Merkmal) "erheblich niedriger" die Ermächtigung gibt, im Rahmen zweckbedingten Ermessens durch die Gewährung des Kindergelds zur Hälfte in den entsprechenden Fällen jeweils Härten auszugleichen.
Auch § 3 Satz 2 der 2. Verordnung zur Durchführung des BKGG vom 21. März 1966 (BGBl I 185) stützt die Rechtsansicht der Beklagten nicht. Dort heißt es zwar: "Besteht für ein Kind nach den am Beschäftigungsort geltenden Rechtsvorschriften ein Anspruch auf eine dem KG vergleichbare Leistung, die höher ist als die Hälfte des KG, so wird für dieses Kind kein KG gewährt". Doch betrifft diese Regelung ausschließlich den Sonderfall deutscher Grenzgänger in der Schweiz, denen als Arbeitnehmern in der Schweiz erst vom vierten Kind ab Kindergeld gewährt wird. Hier werden lediglich für unterschiedliche Geltungsbereiche die öffentlich-rechtlichen Leistungen zweier verschiedener Staaten aufeinander abgestimmt. Schließlich sind die Kinderzulagen nach dem Wehrsoldgesetz, auf die sich die Beklagte für ihren Rechtsstandpunkt ebenfalls berufen will (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 BKGG) nicht in die Härte-Regelung des § 8 Abs. 2 BKGG vom Gesetzgeber einbezogen. Dieser Personenkreis ist folglich für einen Vergleich von Rechtswegen nicht geeignet.
Da nach alledem für das Jahr 1964 die Kinderzuschüsse aus der gesetzlichen Rentenversicherung um mehr als 25 v.H. hinter dem gesetzlichen Kindergeld für Ina und Petra zurückbleiben, sind die Bescheide der Beklagten vom 24. Juni 1964 und 16. Juli 1964 aufzuheben. Die Beklagte ist indessen, da es sich bei § 8 Abs. 2 BKGG um eine "Kann-Vorschrift" handelt, so daß der Verwaltung die Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens vorbehalten bleiben muß (§ 54 Abs. 2 SGG), nicht zu einer Leistung zu verurteilen. Die Beklagte ist vielmehr zu verpflichten, der Klägerin einen der Rechtsauffassung des Senats entsprechenden neuen Bescheid zu erteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen