Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Einkommen. freies Wohnen. eigentumsähnliches Dauerwohnrecht
Orientierungssatz
1. § 12 Abs 8 DV zu § 33 BVG schränkt den Begriff des "Dauerwohnrechts" nicht dahin ein, daß nur ein solches "iS des Wohnungseigentumsgesetzes (WoEigG) gemeint sei. Da die übrigen in der DV zu § 33 BVG angeführten Rechtsvorschriften genau nach Gesetz und Paragraphen, stellenweise auch nach Absatz zitiert sind, wäre auch die Hinzusetzung der Worte "nach dem WoEigG" zu erwarten gewesen, wenn § 12 Abs 8 DV zu § 33 BVG nur ein solches engbegrenztes Dauerwohnrecht meinen würde.
2. Für die Frage der Eigentumsähnlichkeit iS des § 12 Abs 8 DV zu § 33 BVG ist nicht entscheidend, ob der Wohnberechtigte wie ein Eigentümer über die Sache verfügen kann, sondern ob er an der Lastentragung für das Grundstück in gleicher oder ähnlicher Weise beteiligt ist wie der Eigentümer (vgl BSG 1975-12-10 9 RV 116/75 = Breith 1976, 685).
3. Nur soweit Kosten übernommen werden, die üblicherweise den Eigentümer eines Grundstückes treffen (vgl dazu § 12 Abs 4 DV zu § 33 BVG), kann das Wohnrecht eigentumsähnlich sein (vgl BSG 1978-09-06 10 RV 9/78 = SozR 3660 § 12 Nr 2). Nicht hierzu zählen allerdings die Unkosten, die anläßlich einer Raumnutzung durch Verbrauch von Wasser, Strom und Heizmaterial oder die Beseitigung von Abfällen und Schmutz entstehen.
Normenkette
BVG § 33 Abs 1; BVG§33DV § 3 Abs 1, § 12 Abs 4, § 12 Abs 8 Fassung: 1968-08-07, § 12 Abs 9 Fassung: 1974-12-23; WoEigG § 33 Abs 1
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 02.07.1981; Aktenzeichen L 1 V 6/80) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 28.08.1979; Aktenzeichen S 20/19 V 80/74) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Einkünfte aus einem Wohnrecht auf die Witwenausgleichsrente und den Witwenschadensausgleich nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anzurechnen sind. Die Klägerin war Eigentümerin eines Wohngrundstückes, sie verkaufte und übereignete dies durch notariellen Vertrag an ihren Sohn. In diesem Vertrag wurde vereinbart, daß der Klägerin ein lebenslanges und unentgeltliches Wohnrecht in der Rechtsform einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit vorbehalten werde.
Die Versorgungsverwaltung rechnete daraufhin im Bescheid vom 15. Dezember 1970 das Wohnrecht auf die einkommensabhängigen Leistungen nach dem BVG an. Dieser Bescheid wurde bindend. In den Bescheiden für die Jahre 1972 und 1973 wurde dieselbe Berechnungsweise durchgeführt. Mit Schreiben vom 11. Januar 1974 beantragte die Klägerin "Neuberechnung der einkommensgebundenen Leistungen" und bat, dabei das freie Wohnrecht außer Ansatz zu lassen. Dies wurde durch Bescheid vom 13. März 1974 abgelehnt, der gleichzeitig die Berechnung für das Jahr 1974 nach der hergebrachten Weise durchführte. Der Widerspruch der Klägerin war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 1974).
Im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) hat der Sohn der Klägerin ausgesagt, seine Mutter trage sämtliche Nebenkosten; die Kosten der Grundsteuer trage er selbst. Das SG hat den Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es: Die Verwaltung könne jederzeit einen neuen Bescheid erlassen, wenn ein früherer Bescheid zum Nachteil des Berechtigten unrichtig sei. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Die Einkünfte aus dem der Klägerin zustehenden Wohnrecht hätten nicht auf die einkommensabhängigen Leistungen nach dem BVG angerechnet werden dürfen. Zwar sei § 12 Abs 9 der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG (DV § 33 BVG) nicht anwendbar; der Klägerin stehe kein eigengenutztes eigentumsähnliches Dauerwohnrecht iS des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) zu. Das Wohnrecht der Klägerin sei nicht veräußerlich und nicht vererblich, es erfülle also die Voraussetzungen des WEG nicht. Daher könne grundsätzlich § 3 Abs 1 DV § 33 angewendet werden. Danach sei ein "freies Wohnen" anzurechnen; ein solches liege aber nicht vor, wenn der Berechtigte Auslagen habe, die in der Anlage zu § 3 DV § 33 BVG nicht besonders bewertet seien, aber mit dem Wohnrecht im Zusammenhang stünden. In der Anlage zu § 3 DV § 33 BVG seien nur "Heizung" und "Beleuchtung" aufgeführt; die Klägerin habe aber noch weitere mit dem Wohnrecht verbundene Auslagen. Eine Anrechnung sei daher ausgeschlossen. Diesem Ergebnis stünden landesrechtliche Vorschriften nicht entgegen. Bei dem Wohnrecht der Klägerin handele es sich rechtlich um ein "mietähnliches Verhältnis", das wie ein Mitverhältnis anrechnungsfrei sei.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Er hält eine Anrechnung für zulässig, weil ein "freies Wohnrecht" nicht dadurch ausgeschlossen werde, daß der Grundstückseigentümer von dem Wohnberechtigten die Tragung von Nebenkosten verlangen könne. Auch aus der Tabelle I der Anlage zu § 3 DV § 33 BVG folge nichts anderes.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland
sowie das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die beigeladene Bundesrepublik schließt sich dem Antrag des Beklagten an.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil muß aufgehoben, die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Die Klägerin begehrte mit dem Antrag auf "Neuberechnung" der Versorgungsbezüge nicht den Erlaß eines Neufeststellungsbescheides nach § 62 BVG. Vielmehr geht sie selbst davon aus, daß die Anrechnung des Wohnrechts nicht durch eine zwischenzeitliche Änderung der Verhältnisse unrichtig geworden, sondern von Anfang an unrichtig gewesen ist.
Die Klägerin hat somit in ihrem Schreiben vom 11. Januar 1974 einen Zugunstenantrag iS des § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) gestellt. Die Rechtsänderungen durch das Zehnte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB 10) sind der Beurteilung des Falles nicht zugrundezulegen. So wäre es nur, wenn - was hier nicht zutrifft - nach dem 1. Januar 1981 ein Verwaltungsakt aufgehoben worden wäre (vgl Art II § 40 Abs 2 SGB 10).
Nach § 40 KOVVfG kann die Behörde jederzeit zugunsten des Berechtigten einen neuen Bescheid erteilen. Sie ist dazu verpflichtet, wenn ein vorangegangener Bescheid zum Nachteil des Berechtigten unrichtig ist (vgl BSGE 45, 1 = SozR 3900 § 40 Nr 9; SozR 3900 § 40 Nrn 8 und 12). Da der bindende Bescheid, der die Anrechnung vorgenommen hat, am 15. Dezember 1970 ergangen ist, richtet sich die Frage seiner Rechtswidrigkeit nach dem in diesem Zeitpunkt geltenden Recht. Das ist das BVG idF des 2. Anpassungsgesetzes vom 10. Juli 1970 (BGBl I 1029), die DV zu § 33 BVG idF vom 7. August 1968 (BGBl I 965) und die Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs 3 und 4 BVG vom 28. Februar 1968 (BGBl I 194).
Auf die Berechnung der Ausgleichsrente und des Schadensausgleichs für Witwen (§§ 41, 40a BVG) sind die Vorschriften über die Berechnung der Ausgleichsrente und des Berufsschadensausgleichs bei Beschädigten (§§ 33, 30 Abs 3 bis 7 BVG) entsprechend anzuwenden (vgl § 41 Abs 3, § 33 Abs 5 BVG, § 14 DV zu § 33 BVG, § 12 DV zu § 30 BVG). Gemäß § 33 Abs 1 BVG ist die Ausgleichsrente um das anzurechnende Einkommen zu mindern. Einkommen sind nach § 1 Abs 1 DV zu § 33 BVG alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert ohne Rücksicht auf ihre Quelle, soweit nicht das BVG, die DV zu § 33 BVG oder andere Rechtsvorschriften vorschreiben, daß bestimmte Einkünfte bei der Feststellung der Ausgleichsrente unberücksichtigt bleiben. Nach § 3 Abs 1 DV zu § 33 BVG sind Einkünfte, die nicht in Geld bestehen (Wohnung, Kost und sonstige Sachbezüge), nach einer Tabelle zu bewerten. Daraus folgt, daß grundsätzlich eine Anrechnung erfolgen muß, wenn dem Berechtigten ein geldwerter Vorteil zusteht.
Das der Klägerin zustehende Wohnrecht gibt ihr insofern eine günstigere finanzielle Situation, als es ihr laufende Aufwendungen für die Benutzung von Wohnraum erspart. Eine Anrechnung hätte allerdings zu unterbleiben, wenn feststünde, daß die Sondervorschrift des § 12 DV zu § 33 BVG (Anrechnungsfreiheit von Einkünften aus Hausbesitz, wenn der Einheitswert der Grundstücke insgesamt nicht höher ist als 6.000,-- DM) eingriffe (vgl Urteil des BSG vom 10. Dezember 1975 - 9 RV 116/75 - in Breithaupt 1976, 685). Nach § 12 Abs 8 DV zu § 33 BVG gilt Entsprechendes für die Einkünfte aus einem eigengenutzten eigentumsähnlichen Dauerwohnrecht. Das LSG hat die Anwendung dieser Vorschrift deshalb abgelehnt, weil die Klägerin kein "eigengenutztes eigentumsähnliches Dauerwohnrecht iS des WEG" habe. Darauf kommt es jedoch nicht an. Zwar ist das der Klägerin eingeräumte Wohnrecht unveräußerlich und unvererblich und deshalb kein solches iS des Wohnungseigentumsgesetzes -WEG- (vgl § 33 Abs 1 WEG). Der Klägerin steht aber das Wohnrecht für die Dauer ihres Lebens zu; sie darf den Eigentümer von jeder Einwirkung ausschließen. Daher hat sie eine stärkere Stellung als jeder Mieter. Das der Klägerin in dem Vertrag vom 12. Februar 1970 eingeräumte Wohnrecht ist als dingliches Wohnrecht geeignet, als ein "Dauerwohnrecht" iS von § 12 Abs 8 der DV zu § 33 BVG angesehen zu werden.
§ 12 Abs 8 DV zu § 33 BVG schränkt den Begriff des "Dauerwohnrechts" nicht dahin ein, daß nur ein solches "iS des WEG" gemeint sei. Da die übrigen in der DV zu § 33 BVG angeführten Rechtsvorschriften genau nach Gesetz und Paragraphen, stellenweise auch nach Absatz (vgl § 1 Abs 3, § 2 Abs 1 Nrn 10, 11, 15, 29 und 32 DV zu § 33 BVG) zitiert sind, wäre auch die Hinzusetzung der Worte "nach dem WEG" zu erwarten gewesen, wenn § 12 Abs 8 DV zu § 33 BVG nur ein solches engbegrenztes Dauerwohnrecht meinen würde.
Für seine entgegenstehende Meinung konnte sich das LSG nicht auf das Urteil des 10. Senats des BSG in SozR 3660 § 12 Nr 1 berufen. Es hat dabei nicht beachtet, daß der 10. Senat in einem späteren Urteil (vgl SozR 3660 § 12 Nr 2) einen Nießbrauch als "Dauerwohnrecht" iS der DV zu § 33 BVG angesehen hatte (vgl SozR Nr 5 zu § 12 DVO zu § 33 BVG vom 11. Januar 1961). Das der Klägerin zustehende Wohnrecht ist ebenso unvererblich und nicht veräußerlich wie der Nießbrauch (vgl §§ 1093/1092 gegenüber §§ 1059/1061 BGB). Daher bestehen keine Bedenken, auch eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit als "Dauerwohnrecht" anzusehen (vgl dazu BSG 9 RV 116/75 vom 10. Dezember 1975 ih Breithaupt 1976 S 685).
Das BSG hat bereits mehrfach (vgl SozR Nr 5 zu § 12 DVO zu § 33 idF vom 11. Januar 1961; SozR 3660 § 12 Nr 2; Urteil vom 10. Dezember 1975 - 9 RV 116/75 -) darauf hingewiesen, daß es für die Frage der "Eigentumsähnlichkeit" nicht entscheidend ist, ob der Wohnberechtigte wie ein Eigentümer über die Sache verfügen kann, sondern ob er an der Lastentragung für das Grundstück in gleicher oder ähnlicher Weise beteiligt ist wie der Eigentümer. Hierzu hat das LSG keine genügenden Feststellungen getroffen. Das mag daran liegen, daß es den Tatbestand des "Dauerwohnrechtes" aus - unzutreffenden - Gründen verneint hat. Das LSG hat die beiden Fragen, ob die Klägerin erstens ein "Dauerwohnrecht" hat, das zweitens als "eigentumsähnlich" anrechnungsfrei bleibt, nicht getrennt geprüft, sondern sich gleich dem "freien Wohnen" zugewandt. So ist es unmittelbar auf § 3 Abs 1 DV zu § 33 BVG zu sprechen gekommen. Es hat infolgedessen nicht danach unterschieden, ob die "Nebenkosten", welche die Klägerin übernommen hat, den Sohn in seiner Position als Eigentümer des Grundstückes oder in seiner Stellung als Bewohner des Grundstückes belastet haben. Das LSG hat nur spezifiziert, daß der Sohn die Grundsteuer für das Grundstück trägt. Das sind Kosten, die ihn in seiner Eigentümerposition belasten. Nur soweit die Klägerin Kosten übernommen hat, die üblicherweise den Eigentümer eines Grundstückes treffen (vgl dazu § 12 Abs 4 DV zu § 33 BVG), kann ihr Wohnrecht eigentumsähnlich sein (vgl SozR 3660 § 12 Nr 2). Nicht hierzu zählen allerdings die Unkosten, die anläßlich einer Raumnutzung durch Verbrauch von Wasser, Strom und Heizmaterial oder die Beseitigung von Abfällen und Schmutz entstehen. Die vom LSG im einzelnen aufgeführten "Nebenkosten" betreffen hingegen die Stellung des Eigentümers, wenn es sich um Schönheits- und andere Reparaturen handelt. Soweit es sich dagegen um die Ölrechnungen, die Abgaben für die Müllabfuhr und die Lichtrechnungen handelt, ist die Klägerin in ihrer Stellung als Bewohnerin des Grundstückes betroffen. Das LSG wird daher festzustellen haben, inwieweit die Klägerin Kosten übernommen hat, die sie - wie sonst den Eigentümer - in ihrer Position als Inhaberin des Dauerwohnrechts treffen, nicht dagegen beim Bewohnen des Hauses entstehen. Im Vergleich mit den den Sohn treffenden Kosten für die Grundsteuer kann dann gesagt werden, ob Klägerin und Sohn bei der Tragung der Lasten in etwa eine gleichwertige Position einnehmen (BSG SozR 3660 § 12 Nr 2).
Davon hängt ab, ob man das Wohnrecht der Klägerin als "eigentumsähnlich" ansehen kann. Ist dies nicht der Fall, so verliert das Wohnrecht der Klägerin nicht die Eigenschaft eines "Dauerwohnrechts" iS von § 12 Abs 8 DV zu § 33 BVG. Ein "mietähnliches Verhältnis" kann nach dem Sachverhalt nicht angenommen werden. Im übrigen würde eine Anrechnung von geldwerten Vorteilen dadurch nicht ausgeschlossen. Das Gegenteil ist nicht in dem Urteil des Senats vom 10. Dezember 1975 gesagt worden. Anrechnungsfrei bleiben nur bestimmte Einkünfte kraft besonderer Vorschrift (§ 1 Abs 1 Satz 1 DV zu § 33 BVG). Dazu zählen geldwerte Vorteile aus einem Mietvertrag nicht. Allerdings ist im allgemeinen davon auszugehen, daß in einem Mietvertrag Leistung und Gegenleistung sich entsprechen.
Zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen wird das Urteil daher aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen