Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Klägerin verfolgt als Rechtsnachfolgerin des 1941 geborenen und Ende 1987 verstorbenen W. H. (H.) dessen Anspruch auf "Ausgleich" nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) wegen einer 1985 aufgetretenen Herzmuskelerkrankung weiter. H. war seit 1961 Berufssoldat bei der Bundeswehr und seit 1975 - zuletzt im Range eines Hauptfeldwebels - als Zugführer für den Bau- und Betriebszug eines Pionierbataillons eingesetzt gewesen. Im November 1985 trat bei ihm eine "dilatative Kardiomyopathie" (Herzerweiterung aufgrund einer Erkrankung des Herzmuskels) auf. Nach wiederholten stationären Behandlungen führte dieses Leiden am 6. Dezember 1987 zum Tode.
Schon zu H. 's Lebzeiten hatte die Beklagte einen Anspruch auf "Ausgleich" mit Bescheid vom 5. Dezember 1986 abgelehnt. Ihrer Meinung nach hatte es sich um eine "schicksalhafte Erkrankung" gehandelt, welche nicht mit Wahrscheinlichkeit durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse verursacht sei. H. hatte sein Leiden dagegen auf die besonderen Belastungen durch den Wehrdienst (Witterungsexpositionen, Zeitdruck, Nachteinsätze, Unterbringung in Zelten usw) zurückgeführt. Die Klage blieb im ersten Rechtszug erfolglos (Urteil des Sozialgerichts [SG] Düsseldorf vom 19. Januar 1989). In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hatte die Klägerin beantragt, die Beklagte möge noch über H. 's Anspruch auf Ausgleich im Wege der "Kannversorgung" entscheiden. Ein solcher Bescheid ist aber bisher nicht ergangen. Das Landessozialgericht (LSG) holte mehrere Sachverständigengutachten ein, darunter das des Prof. Dr. M. , M. . Dieser Sachverständige führte u.a. aus, daß es sich bei Kardiomyopathien um Herzmuskelerkrankungen handele, deren Ursachen unbekannt seien. Mit Urteil vom 2. Juni 1992 wies das LSG Nordrhein-Westfalen die Berufung der Klägerin zurück, ohne auf deren Antrag das Verfahren auszusetzen, bis die Beklagte über H. 's Antrag auf Kannversorgung entschieden habe. In den Entscheidungsgründen heißt es ua: die Beweisaufnahme habe keinen Anhalt für eine Virusmyokarditis mit nachfolgender "sekundärer" Kardiomyopathie ergeben. Es sei daher davon auszugehen, daß H. an einer "primären" dilatativen Kardiomyopathie gestorben sei. Diese stelle ein schicksalhaftes Geschehen dar, das sich nicht auf äußere Faktoren zurückführen lasse. Das Leiden sei auch nicht mit Wahrscheinlichkeit durch den von H. geleisteten Wehrdienst verschlimmert worden. Es habe kein Anlaß bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen, bis die Beklagte über die begehrte Leistung als Kannversorgung entschieden habe, weil eine Kannleistung nicht im Streit gewesen sei; diese sei nicht einmal Gegenstand des angefochtenen Bescheides gewesen. Über die Kannversorgung könne zudem gar nicht entschieden werden, so lange nicht feststehe, daß Versorgung aufgrund eines Rechtsanspruches nicht zu gewähren sei.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß die Beweiswürdigung des LSG: dieses hätte aufgrund der erhobenen Beweise von der wahrscheinlichen Verursachung der Herzerkrankung des H. durch wehrdiensteigentümliche Umstände ausgehen müssen. Zumindest hätte es Prof. Dr. M. antragsgemäß noch einmal zur Ursächlichkeit der dienstlichen Überlastung des H. für die Erkrankung hören müssen. Ferner rügt die Revision, in die Prüfung des LSG "hätte vorliegend das Verfahren nach § 81 Abs. 5 Satz 2 SVG einbezogen werden müssen".
Sie beantragt,
|
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen sowie des Bescheides der Beklagten vom 15. Dezember 1986 die Beklagte zu verurteilen, für die Zeit bis Dezember 1987 eine Kardiomyopathie als Wehrdienstbeschädigung i.S. der Entstehung oder Verschlimmerung anzuerkennen und Ausgleich nach einer MdE um 100 v.H. zu gewähren, |
|
hilfsweise Zurückverweisung der Streitsache. |
|
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,
|
die Revision zurückzuweisen. |
|
Sie halten das Urteil des LSG für zutreffend.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Das LSG mußte den Anspruch der Klägerin auf Versorgung sowohl im Hinblick auf § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG - "Pflichtleistung" - wie auch auf § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG - "Kannleistung" - prüfen. Es durfte die Berufung nicht mit der Begründung zurückweisen, über eine "Kannleistung" dürfe nicht entschieden werden, weil darüber erst die Verwaltung entscheiden müsse. Das Begehren der Klägerin richtet sich nämlich nicht auf eine "Pflichtleistung" oder eine "Kannleistung" oder gar auf eine "ermessensfehlerfreie Entscheidung", sondern auf Versorgung. Als Begründung für diesen Anspruch auf Versorgung kommen § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG und § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG in Betracht. In diesen Vorschriften sind nicht unterschiedliche Leistungen, sondern unterschiedliche Voraussetzungen für ein und dieselbe Leistung aufgestellt. Das LSG mußte über die Klage nach Prüfung dieser Voraussetzungen entscheiden.
Das Verhältnis von "Pflicht- und Kannleistung" könnte nur dann anders gesehen werden, wenn die beiden genannten Vorschriften auf Leistungen verschiedenen Inhalts hinwiesen. Das war möglicherweise in der Zeit so, als die "Kannleistung" in § 89 Bundesversorgungsgesetz (BVG - vgl. § 81a SVG aF) geregelt war und als Härteausgleich gewährt werden konnte. Der Härteausgleich mußte nicht die volle Versorgung erfassen; es konnte auch eine Teilversorgung bewilligt werden (vgl. Nr. 2 Satz 3 der Verwaltungsvorschriften zu § 89 BVG). Seit dem Gesetz vom 21. Februar 1964 (BGBl. I 101) sind "Pflicht- und Kannleistungen" schon nach dem gesetzlichen Wortlaut nur unterschiedliche Begründungen für dieselbe Leistung, nämlich die uneingeschränkte Versorgung. Sind die Voraussetzungen für die "Kannleistung" erfüllt, kann nach der damals eingeführten Fassung des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG (bzw § 81a, später § 81 Abs. 5 Satz 2 SVG aF) mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) Versorgung gewährt werden. Diese Gesetzesfassung wurde durch Gesetz vom 28. Dezember 1966 (BGBl. I 750) durch die Einfügung "in gleicher Weise wie für Schädigungsfolgen" ergänzt. Daß sowohl im Satz 1 wie auch im Satz 2 der genannten Vorschriften nur die Voraussetzungen für denselben Anspruch behandelt sind, ist durch das Zehnte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB X - vgl. Art 2 § 15 Nr. 2 Buchst a) noch weiter verdeutlicht worden. Es heißt nun in Satz 2 nicht mehr, daß die Versorgung in gleicher Weise wie für Schädigungsfolgen gewährt wird. Es wird vielmehr festgelegt, daß auch die Gesundheitsstörungen, die in Satz 2 gemeint sind, und für die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs aus einem besonderen Grund nicht festgestellt werden kann, als Schädigungsfolgen anerkannt werden können.
Die Auffassung, § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 BVG (§ 81 Abs. 6 Satz 1 und 2 SVG) beschrieben unterschiedliche Leistungen, kann auch nicht darauf gestützt werden, Satz 1 betreffe eine zwingende Verpflichtung und Satz 2 gewähre der Verwaltung ein Ermessen. Der Verwaltung wird auch in Satz 2 kein Ermessen eingeräumt. Die Verwendung des Wortes "kann" deutet zwar in vielen Fällen darauf hin, daß die Verwaltung auch bei Erfüllung der Voraussetzungen eines Handelns nicht immer handeln muß. Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor. Hier hat das Gesetz, wie ausgeführt, unmißverständlich deutlich gemacht, daß die Verwaltung handeln muß, also Versorgung gewähren muß, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Das Wort "kann" wird nur im Zusammenhang mit der Feststellung der Voraussetzungen ("kann … die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden") gebraucht. Ob die Voraussetzungen vorliegen, ist aber eine objektive Tatsache, die zwar von der Bewertung der Beweismittel, nicht aber vom Ermessen der Verwaltung abhängen kann.
Gewiß ist es äußerst schwierig klar zu erkennen, ob die in Satz 2 geschilderte "Möglichkeit" des Ursachenzusammenhangs vorliegt. Das ist aber kein Grund für die Annahme, das Gesetz wolle der Verwaltung ausnahmsweise ein sogenanntes kognitives Ermessen, das es prinzipiell nicht geben soll (vgl. dazu Hinweise bei Redeker/von Oertzen, VwGO, 10. Aufl., § 114 RdNr 4) einräumen. Insbesondere spricht nichts dafür, daß es das Gesetz im Einzelfall der Verwaltung überlassen wollte, auch bei einer feststellbaren guten Möglichkeit im Sinne dieser Vorschrift (vgl. dazu das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 10. November 1993 - Az: 9/9a RV 41/92) die Anerkennung als Schädigungsfolge und damit Versorgung zu versagen. Es ist einzuräumen, daß das Bundessozialgericht (BSG) auch in Zeiten, als die "Kannleistung" nicht mehr in der Härtevorschrift des § 89 BVG geregelt war, von "Ermessen" gesprochen hat (vgl. SozR 3100 § 1 Nrn 13 und 19; SozR 3850 § 52 Nr. 1); ein prozessual unterschiedliches Schicksal einer "Pflichtleistung" und einer "Ermessensleistung" sollte damit aber nicht gebilligt werden.
Es bedarf keiner Entscheidung dazu, ob und ggf in welchem Umfang der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum bei der Feststellung der Voraussetzungen zukommt. Es muß hier auch nicht geklärt werden, ob die Gerichte zur Versorgung nur dann verurteilen können, wenn die Zustimmung des BMA allgemein erteilt ist oder auch schon dann, wenn sie nach den im Gerichtsverfahren gewonnenen Erkenntnissen zu erteilen ist. Jedenfalls sind die Gerichte nicht befugt, den geltend gemachten Anspruch auf Versorgung, der nach dem Gesetzeswortlaut ein einheitlicher und unteilbarer ist, nur unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen und andere Voraussetzungen aus den Überlegungen auszuklammern. Das gilt ungeachtet der Tatsache, daß es Anspruchsvoraussetzungen geben mag, die kraft Logik oder kraft des gesetzlichen Systems auf einer Vorrang/Nachrangskala zu prüfen sind. Ehe der Anspruch abgelehnt werden darf, müssen sämtliche in Betracht kommenden Voraussetzungen vollständig geprüft werden.
Eine zeitlich getrennte Entscheidung über Ansprüche, welche auf wahrscheinlicher Verursachung (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG) und derjenigen, welche auf der möglichen Verursachung (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG) beruhen, ist im übrigen - jedenfalls im Kriegsopferrecht - schon auf der Verwaltungsstufe unzweckmäßig und unerwünscht. Sie widerspricht dem Beschleunigungsgrundsatz des § 17 Abs. 1 Nr. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB I), nach welchem der Leistungsträger darauf hinzuwirken hat, daß jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und schnell erhält. Sie widerspricht außerdem Nr. 1 Satz 2 der Verwaltungsvorschrift zu § 1 Nr. 1 BVG, wonach der Antrag als auf alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Leistungen gerichtet anzusehen ist. Schließlich wird bei getrennter Verbescheidung der verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkte der Zweck des Gesetzes vom 21. Februar 1964 verfehlt (vgl. Bericht der Abgeordneten Bals und Reichmann, BT-Drucks IV/1831 S. 2), wonach die Herausnahme der Regelung über die Leistungen wegen nur möglicher Verursachung aus der Härtefallregelung gerade dazu dienen sollte, daß diese Anspruchsvoraussetzung bereits bei der erstmaligen Prüfung des Anspruches mitgeprüft wurde.
Nach allem hätte das LSG, das offenbar den Anspruch der Klägerin auf Ausgleich aufgrund eines nur möglichen Kausalzusammenhangs (§ 81 Abs. 6 Satz 2 SVG nF) nicht für fernliegend gehalten hat, sondern sich nur aus Rechtsgründen für gehindert gehalten hat, über diesen Gesichtspunkt mitzuentscheiden, Ausführungen dazu machen müssen, ob die Voraussetzungen des § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG im Falle des H. gegeben waren oder nicht. Der Senat kann die Entscheidung über diesen rechtlichen Gesichtspunkt nicht selbst nachholen, da Feststellungen für diese Tatbestandsvoraussetzungen fehlen. Der Rechtsstreit mußte daher zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen und zur neuen Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Anläßlich der erneuten umfassenden Prüfung des erhobenen Versorgungsanspruchs auch unter dem Gesichtspunkt der möglichen Verursachung wird das LSG auch über die Kosten des Verfahrens zu befinden haben.9 RV 11/93
BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
BSGE, 109 |
Breith. 1995, 127 |