Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausländer. Auslandsaufenthalt. Zahlung in das Ausland. einmalige Leistung. verfassungsrechtliche Bedenken gegen Ruhensbestimmung. Beginn der Verzinsungspflicht
Leitsatz (amtlich)
Die Witwenrentenabfindung nach § 615 Abs 1 RVO ruht nicht nach § 625 Abs 1 RVO.
Orientierungssatz
1. Ein völliger Leistungsausschluß bei im Ausland lebenden ausländischen Berechtigten ist nicht nur im Hinblick auf das Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 GG, sondern auch unter Beachtung von Art 14 Abs 1 GG verfassungsrechtlich bedenklich. Diese Bedenken bestehen auch dann, wenn es sich um einen sozialen Entschädigungsfall handelt, der in den Formen der gesetzlichen Unfallversicherung abgewickelt wird.
2. Die Grundsätze, die der Große Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 1971-12-21 GS 6/71 = BSGE 33, 280 zu der vormaligen rentenrechtlichen Ruhensregelung in § 1315 Abs 1 Nr 1 RVO aF aufgestellt hat, sind auch für die Frage, ob der Witwenrentenabfindungsanspruch einer Ausländerin wegen Auslandsaufenthalts nach § 625 Abs 1 Nr 1 RVO geruht hat, maßgebend.
3. Die Fälligkeit der Geldleistung iS von § 44 Abs 1 SGB 1 tritt unabhängig davon ein, ob der Versicherungsträger den Anspruch des Berechtigten in einer Verwaltungsentscheidung sofort feststellt oder dieser Anspruch erst nach einem langwierigen Rechtsstreit durch Urteil festgestellt wird. Unter der "Entscheidung über die Leistung" iS des § 44 Abs 2 SGB 1 ist demzufolge die Ausgangsentscheidung über die Leistung zu verstehen.
Normenkette
RVO § 625 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1963-04-30, § 615 Abs 1 Fassung: 1963-04-30; GG Art 3 Abs 1; GG Art 14 Abs 1; SGB 1 § 44 Abs 2 Halbs 2; SGB 1 § 44 Abs 1; RVO § 1315 Abs 1 Nr 1
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.04.1982; Aktenzeichen L 2 Ua 1905/80) |
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 30.06.1980; Aktenzeichen S 8 U 548/80) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der ständige Aufenthalt im Ausland der Zahlung einer Witwenrentenabfindung aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 615 Abs 1 Reichsversicherungsordnung -RVO-) entgegensteht.
Die Klägerin lebt in Liechtenstein und besitzt die liechtensteinische Staatsangehörigkeit. Außerdem ist ihr im Jahre 1969 die US-Staatsangehörigkeit verliehen worden. Sie war in erster Ehe mit dem deutschen Staatsangehörigen r.A. B. verheiratet. Dieser erlitt am 2. September 1973 bei einer Hilfeleistung für einen abgestürzten Bergsteiger in der Schweiz einen Unfall, an dessen Folgen er starb. Der Beklagte - Gemeindeunfallversicherungsverband - anerkannte diesen Unfall mit Bescheid vom 26. April 1976 als Arbeitsunfall und gewährte der Klägerin eine Witwenrente. Nach dem Tod ihres Ehemannes hat die Klägerin in V.-Sch. gewohnt. Am 1. April 1978 hat sich die Klägerin wieder in ihren Geburtsort in Liechtenstein polizeilich angemeldet und dort am 28. April 1978 in zweiter Ehe den amerikanischen Staatsangehörigen, . Ch. H. , geheiratet.
Ausgehend von einem gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin in Liechtenstein ab 1. April 1978 stellte der Beklagte unter Hinweis auf § 625 Abs 1 Nr 1 RVO das Ruhen der Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab dem Zeitpunkt 1. April 1978 fest und lehnte gleichzeitig die Gewährung einer Witwenrentenabfindung ab (Bescheid vom 27. November 1979, Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 1980).
Die hiergegen erhobene Klage, mit der die Klägerin die Zahlung einer Witwenrentenabfindung geltend machte, hatte Erfolg (Urteile des Sozialgerichts -SG- vom 30. Juli 1980 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 21. April 1982). Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß die Ruhensbestimmung des § 625 Abs 1 Nr 1 RVO dem Anspruch der Klägerin auf Witwenrentenabfindung nicht entgegenstehe. Denn nach Art IV Nr 1 des Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29. Oktober 1954 werde den Staatsangehörigen der USA "Inländerbehandlung" zugestanden. Die Klägerin sei deshalb hinsichtlich ihres Leistungsanspruchs wie eine deutsche Staatsangehörige zu behandeln. Da deutsche Staatsangehörige bei Auslandsaufenthalt von der Ruhensregelung des § 625 RVO nicht erfaßt würden, finde § 625 RVO auch auf amerikanische Staatsangehörige bei gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland keine Anwendung. Das LSG hat ferner ausgeführt, daß der von der Klägerin mit der Anschlußberufung geltend gemachte Anspruch auf Verzinsung der Witwenrentenabfindung ab dem beantragten Zeitpunkt, 1. Mai 1980, ebenfalls begründet sei.
Der Beklagte rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision sowohl eine Verletzung verfahrensrechtlicher (§§ 62, 103, 106, 107, 128 sowie 99, 153 Abs 1, § 143 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) als auch materiellrechtlicher Bestimmungen (§ 615 Abs 1, §§ 625 sowie 589 Abs 1 Nr 3, § 590 Abs 1, § 631 RVO). Der Beklagte macht ua geltend, das LSG habe überhaupt nicht geprüft, ab welchem Zeitpunkt die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben habe und ob die Klägerin noch im Besitz der US-Staatsangehörigkeit sei, obwohl nach amerikanischem Recht von einem zwischenzeitlichen Verlust der US-Staatsangehörigkeit auszugehen sei. Davon abgesehen sei der Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika wegen des Vorrangs der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit gegenüber der amerikanischen Staatsangehörigkeit nicht anwendbar. Ein Leistungsanspruch der Klägerin lasse sich auch nicht rückwirkend auf das erst seit 1. November 1980 in Kraft getretene Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein über soziale Sicherheit vom 7. April 1977 stützen. Es bleibe somit bei der Anwendung der Ruhensbestimmung des § 625 Abs 1 Nr 1 RVO, die entsprechend ihrem Wortlaut nicht nur Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen, sondern auch Ansprüche auf eine einmalige Leistung, wie den Anspruch auf Witwenrentenabfindung nach § 615 RVO, erfasse. Der Beschluß des Großen Senats (GrS) des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. Dezember 1971 (BSGE 33, 280 = SozR Nr 13 zu § 1302 RVO) zu der vormals in § 1315 Abs 1 Nr 1 RVO aF für die gesetzliche Rentenversicherung getroffenen Ruhensregelung sei in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht anwendbar und in dem vorliegenden Fall schon deshalb nicht einschlägig, weil die Witwenrente der Klägerin nach § 625 Abs 1 Nr 1 RVO im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung bereits geruht habe und infolgedessen der Anspruch auf Witwenrentenabfindung nach § 615 Abs 1 RVO gar nicht zur Entstehung gelangt sei. Im übrigen sei der von der Klägerin im Wege einer Anschlußberufung geltend gemachte Anspruch auf Verzinsung der Witwenrentenabfindung nicht nur materiell unbegründet, sondern stelle eine gemäß § 99 SGG unzulässige Klageänderung dar.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. Juni 1980 und das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. April 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlußberufung der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie schließt sich den Ausführungen des LSG an und macht - unter Vorlage einer Bestätigung des amerikanischen Generalkonsulats, Zürich - geltend, daß sie nach wie vor im Besitz der amerikanischen Staatsangehörigkeit sei. Abgesehen davon, daß in ihrem Fall eine Anwendung des § 625 RVO sowohl nach den Bestimmungen des Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten als auch nach dem deutsch-liechtensteinischen Sozialversicherungsabkommen ausgeschlossen sei, beziehe sich diese Vorschrift gar nicht auf einmalige Leistungen wie die Witwenrentenabfindung nach § 615 Abs 1 RVO. Dies habe der GrS des BSG bereits in seinem Beschluß vom 21. Dezember 1971 ausdrücklich klargestellt. Im übrigen stelle sich die Frage, ob sich nicht die Verfassungswidrigkeit, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 20. März 1979 (BVerfGE 51, 1 ff = SozR 2200 § 1315 Nr 5) für die frühere, rentenrechtliche Ruhensregelung in § 94 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aF (= § 1315 Abs 1 Nr 1 RVO aF) festgestellt habe, auch auf die "Parallelvorschrift" des § 625 Abs 1 Nr 1 RVO erstrecke.
Die Beteiligten haben der Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Witwenrentenabfindung nach § 615 Abs 1 RVO in das Ausland bejaht.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob - wovon das SG und das LSG ausgegangen sind - durch den Freundschafts-, Handels- und und Schiffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29. Oktober 1954 (BGBl II 1956, 488) oder das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein über soziale Sicherheit vom 7. April 1977 (BGBl II 782), in Kraft getreten am 1. November 1980 (BGBl II 1357), die Anwendung der Ruhensbestimmung des § 625 Abs 1 Nr 1 RVO auf den Abfindungsanspruch der Klägerin ausgeschlossen ist. Denn die Klage ist schon deshalb begründet, weil die Ruhensregelung des § 625 Abs 1 Nr 1 RVO nicht den Anspruch auf Witwenrentenabfindung nach § 615 Abs 1 RVO erfaßt. Es erübrigt sich daher insoweit auch eine Überprüfung der Revisionsgründe des Beklagten (§ 170 Abs 1 SGG).
Diese Veränderung des Rechtsgrundes berührt die Zulassung der Revision durch das LSG nicht. Sie ist für das BSG nach § 160 Abs 3 SGG unbedingt und ungeachtet dessen bindend, daß die als Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG angenommene grundsätzliche Bedeutung der Frage, ob der Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29. Oktober 1954 auch auf US-Staatsangehörige Anwendung findet, die neben der US- Staatsangehörigkeit eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen (sog Mehrstaater), gegenstandslos geworden ist. Dies ist deshalb gerechtfertigt, weil das Revisionsgericht der Prüfung enthoben sein soll, ob ein gesetzlicher Zulassungsgrund gegeben ist (Urteil des erkennenden Senats SozR 1500 § 160 Nr 21).
Nach § 615 Abs 1 RVO idF vom 1. Januar 1984 (BGBl I 1532) wird einer Witwe, die wieder heiratet, das Zweifache, ist die neue Ehe vor dem 1. Januar 1984 geschlossen worden, weiterhin - wie nach § 615 Abs 1 Satz 1 RVO in der bis zum 31. Dezember 1983 gültigen Fassung vom 30. April 1963 (BGBl I, 241) - das Fünffache des Jahresbetrages der Rente als Abfindung gewährt.
Die Voraussetzungen dieses Anspruchs liegen hier vor. Dem Anspruch der Klägerin auf Auszahlung der Witwenrentenabfindung steht nicht entgegen, daß es sich um einen Fall mit Auslandsberührung handelt. Die Auslandsberührung ergibt sich daraus, daß die Klägerin im Ausland wohnt, nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und die zweite Ehe im Ausland geschlossen worden ist.
Nach § 625 Abs 1 Nr 1 RVO ruht die Leistung, solange der Berechtigte weder Deutscher iS des Art 116 Abs 1 Grundgesetz (GG) noch früherer deutscher Staatsangehöriger iS des Art 116 Abs 2 GG ist und sich freiwillig gewöhnlich außerhalb des Geltungsbereichs des GG aufhält. Die Witwenrentenabfindung ist keine Leistung in diesem Sinne.
Bei der Auslegung des § 625 Abs 1 Nr 1 RVO und des darin verwendeten Begriffs "Leistung" ist zunächst zu beachten, daß diese Ruhensregelung eine Ausnahmevorschrift darstellt. Denn sie sieht nur bei Berechtigten, die weder Deutsche noch frühere deutsche Staatsangehörige iS des Art 116 Abs 2 GG sind, ein Ruhen der Leistung vor. Daraus ergibt sich im Umkehrschluß, daß der Unfallversicherungsträger bei Deutschen und früheren deutschen Staatsangehörigen iS des Art 116 Abs 2 GG die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung auch bei Aufenthalt im Ausland zu zahlen hat (so auch Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl, Bd II, Anm 2 zu § 625 RVO). Der Gesetzgeber ist also - anders als bei der vormals in §§ 1315 ff RVO aF für die gesetzliche Rentenversicherung getroffenen Ruhensregelung, die nach dem Obersatz in § 1317 RVO aF (Ausnahmen §§ 1318 ff RVO aF) auch für Deutsche das grundsätzliche Ruhen einer Rentenleistung in das Ausland angeordnet hat - davon ausgegangen, daß grundsätzlich die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung auch in das Ausland gezahlt werden müssen. § 625 Abs 1 Nr 1 RVO stellt die Ausländer, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, schlechter als deutsche Staatsangehörige, die sich ebenfalls gewöhnlich im Ausland aufhalten. Sie werden auch im Vergleich mit Ausländern, die im Geltungsbereich der RVO leben, insofern benachteiligt, als diese ihre Ansprüche auf die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ohne Einschränkungen verwirklichen können.
§ 625 Abs 1 Nr 1 RVO stimmt im wesentlichen mit dem Wortlaut der vormals in § 1315 Abs 1 Nr 1 RVO aF (= § 94 Abs 1 Nr 1 AVG aF) für die gesetzliche Rentenversicherung getroffenen Ruhensregelung überein. Nach der Entscheidung des BVerfG vom 20. März 1979 (BVerfGE 51, 1 ff = SozR 2200 § 1315 Nr 5) war § 94 Abs 1 Nr 1 AVG aF mit dem Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG unvereinbar. Das BVerfG hat in dieser Entscheidung ausgeführt, daß der Anspruch eines Versicherten nicht als "Faustpfand" zur Durchsetzung des Abschlusses von weiteren, zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen verwendet werden kann und der völlige Leistungsausschluß bei im vertragslosen Ausland lebenden ausländischen Versicherten nicht zulässig ist. Vielmehr müsse den anspruchsberechtigten Ausländern im Ausland vom Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet werden, eine angemessene Entschädigung zu erlangen - eine Forderung, die durch die Neuregelung der §§ 1315 ff RVO (= §§ 94 ff AVG, 105 ff Reichsknappschaftsgesetz -RKG-) idF vom 1. Dezember 1981 (BGBl I 1205) dadurch erfüllt worden ist, daß nunmehr auch die Renten - mit bestimmten Kürzungen - in das vertragslose Ausland gezahlt werden. Die Bedenken des BVerfG sind auch im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung von Bedeutung. Zwar wird in der gesetzlichen Unfallversicherung - anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung - die Leistung nicht durch eigene Beiträge des Berechtigten mitfinanziert. Doch für die Ausgestaltung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung ist das maßgebliche Prinzip die Ablösung der zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche des Verletzten bzw seiner Hinterbliebenen gegen den Unternehmer (vgl BVerfGE 34, 118, 129 ff). Die Wegnahme zivilrechtlicher Ansprüche ist nur vertretbar, wenn an ihre Stelle grundsätzlich gleichwertige Ansprüche treten, die auch vom Auslandsaufenthalt ebenso unabhängig sind, wie die zivilrechtlichen Ansprüche. Ein völliger Leistungsausschluß bei im Ausland lebenden ausländischen Berechtigten wäre deshalb nach Auffassung des erkennenden Senats nicht nur im Hinblick auf das Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 GG, sondern auch unter Beachtung von Art 14 Abs 1 GG verfassungsrechtlich bedenklich. Diese Bedenken bestehen auch dann, wenn es sich, wie hier, um einen sozialen Entschädigungsfall handelt, der in den Formen der gesetzlichen Unfallversicherung abgewickelt wird. Im übrigen sind die "Beiträge", die die Berechtigten im sozialen Entschädigungsrecht geleistet haben, nämlich die besonderen Opfer - hier Lebensrettung - unter Einsatz des eigenen Lebens - nicht weniger anspruchsbegründend als die Geldbeiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung. Im vorliegenden Fall kann jedoch die Frage, ob die Ruhensbestimmung des § 625 Abs 1 Nr 1 RVO verfassungswidrig ist (verneinend Urteil des 2. Senats des BSG vom 23. Februar 1983 - 2 RU 74/81 - Berufsgenossenschaft 1983, 560), unentschieden bleiben. Denn die verfassungskonforme Auslegung des § 625 Abs 1 Nr 1 RVO ergibt, daß diese Vorschrift auf Abfindungen für Leistungen wie die Witwenrentenabfindung keine Anwendung findet.
Der Anspruch auf Witwenrentenabfindung ist gemäß § 615 Abs 1 RVO mit der Wiederverheiratung der Klägerin entstanden. Wenn auch die Höhe der Witwenrentenabfindung von der Höhe der Witwenrente abhängt und sie wirtschaftlich gesehen die Rentenzahlung für die nächsten fünf Jahre im voraus darstellt, so ist sie doch rechtlich eine Versicherungsleistung eigener Art und keine vorweggenommene Rentenzahlung (BSGE 29, 296 = SozR Nr 50 zu § 1265 RVO; BSGE 30, 110 = SozR Nr 28 zu § 1291 RVO; BSGE 33, 280, 291 = SozR Nr 13 zu § 1302 RVO). Mit der in § 615 Abs 1 RVO vorgesehenen Witwenrentenabfindung verfolgt der Gesetzgeber andere sozialethische und sozialpolitische Zwecke als die Ersetzung der Witwenrente durch eine Abfindung als ihr Surrogat; durch sie soll vor allem eine neue Eheschließung der Witwen erleichtert werden (vgl Begründung zum Regierungsentwurf BT-Drucks 2437, 1953, S 79; BT-Drucks IV/120, S 61; BSG SozR Nr 36 zu § 1291 RVO mwN). Die Abfindung hat zur Voraussetzung, daß im Zeitpunkt der Eheschließung ein Anspruch auf Rente besteht. Für die Entstehung des Abfindungsanspruches ist nicht im Gesetz festgelegt, daß der Anspruch auf Witwenrente nicht ruht. Diese Rechtsauffassung ist zwar vom 4. und 5. Senat des BSG (BSGE 24, 227 = SozR Nr 2 zu § 1315 RVO; SozR Nr 11 zu § 1302 RVO; Urteil vom 14. Oktober 1970 - 4 RJ 201/70 in Breithaupt 1971, 300; SozR Nr 1 zu § 83 RKG) zu den entsprechenden Abfindungsregelungen im Rentenversicherungsrecht (§§ 1302 RVO, 81 AVG, 83 RKG) vertreten worden. Doch abgesehen davon, daß § 615 Abs 1 RVO - im Unterschied zu den genannten Abfindungsregelungen im Rentenversicherungsrecht - schon nach seinem Wortlaut nicht auf die "bisher bezogene Rente" abstellt und deshalb diese Rechtsprechung des BSG nicht ohne weiteres übertragbar ist, ist diese frühere Rechtsprechung des BSG unter Beachtung des zeitlich nachfolgenden Beschlusses des GrS des BSG vom 21. Dezember 1971 (BSGE 33, 280 = SozR Nr 13 zu § 1302 RVO) und insbesondere auf Grund der neuen Rechtslage im Rentenversicherungsrecht, das kein Ruhen von Leistungen bei Auslandsaufenthalt mehr vorsieht, als überholt anzusehen. Die Entscheidung des GrS des BSG betraf zwar einen Sachverhalt, bei dem nicht die Entstehung des Abfindungsanspruchs als solchem, sondern die Auszahlung der Witwenrentenabfindung nach § 1302 RVO in das Ausland streitig war. Doch in dieser Entscheidung hat der GrS des BSG - in Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung des 4. Senats des BSG - klargestellt, daß "die RVO davon ausgeht, daß (beim Ruhen von wiederkehrenden Leistungen) das Stammrecht erhalten bleibt, aber mit der Folge ruht, daß die sich aus ihm während des Ruhens ergebenden Ansprüche auf Einzelleistungen nicht entstehen". Allein dieses Stammrecht ist Voraussetzung für die Entstehung des Abfindungsanspruchs nach § 615 Abs 1 RVO, der an die Stelle des gemäß § 590 Abs 1 RVO weggefallenen Rentenanspruchs getreten ist.
Die Grundsätze, die der GrS des BSG in seiner Entscheidung vom 21. Dezember 1971 zu der vormaligen rentenrechtlichen Ruhensregelung in § 1315 Abs 1 Nr 1 RVO aF aufgestellt hat, sind auch für die Frage, ob der Witwenrentenabfindungsanspruch der Klägerin nach § 625 Abs 1 Nr 1 RVO geruht hat, maßgebend. Denn der Zweck der Abfindung bei Wiederverheiratung ist im Rentenrecht und im Unfallrecht gleich (vgl auch Beschluß des GrS des BSG, BSGE 44, 151 = SozR 2200 § 1302 Nr 3). In BSGE 33, 280, 286 hat der GrS des BSG allgemein festgestellt, "daß die RVO das Ruhen von wiederkehrenden Leistungen, nicht aber ein Ruhen von Ansprüchen auf einmalige Leistungen kennt (vgl §§ 189, 216, 218, 480, 625, 847, 1278 ff, 1315 ff, 1569a, 1626, 1629 RVO)". Der GrS hat somit für seine Entscheidung ausdrücklich § 625 RVO mit herangezogen. Dieser Heranziehung steht nicht entgegen, daß § 625 RVO - abweichend von § 1315 Abs 1 Nr 1 RVO aF - von "Leistung" und nicht von "Rente" spricht. Denn abgesehen davon, daß schon der Rechtscharakter des § 625 Abs 1 Nr 1 RVO als Ausnahmevorschrift eine einschränkende Auslegung des Begriffs "Leistung" nahelegt (BVerfGE 56, 1 = SozR 3100 § 64e Nr 3), weisen auch die Gesetzesmaterialien darauf hin, daß die Verwendung des Begriffes "Leistung" anstelle des Begriffs "Rente" keine sachlichen, sondern allenfalls redaktionelle Gründe gehabt hat. Die Begründung zum Regierungsentwurf des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I, 241), im Zuge dessen § 625 RVO neu gefaßt wurde, führt hierzu aus: "Die Vorschrift schließt an § 615 Abs 1 Nr 3 und 4 RVO an. Sie entspricht im wesentlichen dem § 1315 RVO" (BT-Drucks IV/120, 62). Die frühere Bestimmung des § 615 Abs 1 Nr 3 RVO in der bis zum 30. Juni 1963 gültigen Fassung sah jedoch bei Ausländern im Falle eines gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland nur ein Ruhen der "Rente" vor. Auch die gesetzliche Behandlung einmaliger Leistungen vor dem UVNG spricht somit für die Gewährung der Witwenrentenabfindung in das Ausland. Dem steht auch nicht das sog Territorialitätsprinzip entgegen. Denn - wie der GrS in seiner Entscheidung vom 21. Dezember 1971 (aaO) ausgeführt hat - ergibt sich aus diesem Prinzip nicht, daß Geldleistungen bei Auslandsaufenthalt nicht gewährt werden sollen.
Für dieses Ergebnis spricht im übrigen auch, daß nicht nur die vormaligen Ruhensregelungen in §§ 1315 ff RVO aF weggefallen sind, sondern auch die vormalige Ruhensbestimmung des § 159 Bundesbeamtengesetz (BBG) nicht in das Beamtenversorgungsgesetz übernommen worden ist.
Der Beklagte ist demnach verpflichtet, der Klägerin die Witwenrentenabfindung in gesetzlicher Höhe in das Ausland, dh nach Liechtenstein, zu zahlen.
Der Beklagte hat diese Leistung auch ab dem beantragten Zeitpunkt, 1. Mai 1980, zu verzinsen.
Wie das LSG bereits zutreffend ausgeführt hat, konnte die Klägerin im Wege der Anschlußberufung (§ 202 SGG iVm § 521, 522 Zivilprozeßordnung -ZPO-) ihre bisherige Klage in bezug auf den Zinsanspruch erweitern. Die Zulässigkeit dieser Klageerweiterung folgt aus § 99 Abs 3 Nr 2 SGG. Denn Zinsen sind keine selbständige Sozialleistung, sondern abhängig von dem Zahlungsanspruch und damit unselbständige Nebenforderung iS des § 99 Abs 3 Nr 2 SGG.
Nach § 44 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1) sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 vH zu verzinsen. Ansprüche auf Sozialleistungen, zu denen auch die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung gehören (§ 22 SGB 1), werden mit ihrem Entstehen fällig (§ 41 SGB 1) und entstehen, sobald ihre im Gesetz bestimmten Voraussetzungen vorliegen (§ 40 Abs 1 SGB 1). Entsprechend den Feststellungen des LSG, wonach die Klägerin keinen Antrag auf die Leistung gestellt hat, sondern der Beklagte von Amts wegen (§ 1545 Abs 1 Nr 1 RVO) über die Witwenrentenabfindung der Klägerin entschieden hat, richtet sich der Beginn der Verzinsungspflicht grundsätzlich nach § 44 Abs 2, 2. Halbs SGB 1 (vgl hierzu auch BSG SozR 1200 § 44 Nr 7). Danach beginnt die Verzinsung beim Fehlen eines Antrags mit Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung. Der Bescheid des Beklagten vom 27. November 1979 ist der Klägerin nach den Feststellungen des LSG am 30. November 1979 zugestellt worden. Die Voraussetzungen für die Verzinsung waren daher zu der Zeit, 1. Mai 1980, erfüllt, von der an die Verzinsung beantragt wird.
Der Ansicht des Beklagten, daß dann, wenn eine Verwaltungsentscheidung über die Leistung durch ein rechtskräftiges Urteil aufgehoben oder zugunsten des Leistungsberechtigten abgeändert wird, die Verzinsungspflicht frühestens mit Ablauf eines Kalendermonats nach Ergehen des Urteils beginne, kann nicht zugestimmt werden. Denn sie widerspricht dem Grundgedanken der Verzinsung, die gemäß § 44 Abs 1 SGB 1 von dem Eintritt der Fälligkeit der Leistung abhängig ist. Die Fälligkeit der Geldleistung tritt unabhängig davon ein, ob der Versicherungsträger den Anspruch des Berechtigten in einer Verwaltungsentscheidung sofort feststellt oder dieser Anspruch erst nach einem langwierigen Rechtsstreit durch Urteil festgestellt wird. Unter der "Entscheidung über die Leistung" iS des § 44 Abs 2 SGB 1 ist demzufolge die Ausgangsentscheidung über die Leistung zu verstehen (so auch Maier, Rentenversicherung 1978, 128, 130; Podzun, Wege zur Sozialversicherung 1981, 364).
Die Revision des Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen