Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt – Voraussetzungen für die Erweiterung eines qualifikationsabhängigen Zusatzbudgets – ermessensfehlerfreie Entscheidung – Kassenärztliche Vereinigung – gerichtliche Nachprüfung – 20 Prozent der Gesamtpunktzahl
Leitsatz (amtlich)
Die Erweiterung eines qualifikationsabhängigen Zusatzbudgets setzt eine nachhaltig von der Typik der Arztgruppe abweichende Praxisausrichtung, einen besonderen Behandlungsschwerpunkt bzw die Konzentration auf die Erbringung von Leistungen aus einem Teilbereich des Fachgebietes voraus.
Stand: 1. Oktober 2001
Normenkette
SGB V § 87 Abs. 2 S. 1; EBM-Ä Kap. A Abschn. I Teil B Nr. 4.3; EBM-Ä Kap. A Abschn. I Teil B Nr. 4.2; EBM-Ä Kap. A Abschn. I Teil B Anlage 4; SGB V § 87 Abs. 2a Sätze 1-2, 8
Beteiligte
Kassenärztliche Vereinigung Südwürttemberg |
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. November 1999 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die Erweiterung eines Zusatzbudgets.
Im Zuge der Einführung von Praxisbudgets zum 1. Juli 1997 im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) gewährte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) dem als Frauenarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Kläger das qualifikationsgebundene Zusatzbudget „Psychosomatik. Übende Verfahren” im Umfang von 34 Punkten. Der Kläger beantragte im August 1997 unter Vorlage seiner Abrechnungen seit dem 1. Quartal 1995 die Erweiterung dieses Zusatzbudgets auf 75 Punkte. Er machte geltend, er rechne die Leistungen nach den Nrn 850, 851 EBM-Ä (psychosomatische Grundversorgung) seit Jahren sehr viel häufiger ab als die Ärzte seiner Fachgruppe, weil er besonders viele Patientinnen mit Krebserkrankungen behandele.
Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil hinsichtlich der psychosomatischen Leistungen kein besonderer Versorgungsbedarf gegeben sei. Der Kläger habe nicht dargelegt, daß er schwerpunktmäßig psychosomatische Leistungen erbringe. Im Quartal IV/1996 habe er mit Leistungen nach den Nrn 850/851 EBM-Ä 12,82 % seiner Gesamtpunktzahlanforderung erreicht, was einem Anteil von 8,84 % des Gesamthonorars in DM entspreche. In den Quartalen I/1996 und II/1996 habe sich der Anteil der psychosomatischen Leistungen an der kurativen Gesamtpunkteanforderung nur auf jeweils 5,8 % belaufen. Im Widerspruchsverfahren blieb der Kläger ohne Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. November 1998). Hinsichtlich der Konkretisierung der Begriffe der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung und des besonderen Versorgungsbedarfs iS der Nr 4.3 der Allgemeinen Bestimmungen A I. Teil B EBM-Ä stehe der KÄV ein der gerichtlichen Nachprüfung nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung der Beklagten bewege sich in diesem Bereich.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 17. November 1999). Allerdings verfüge die Beklagte hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs” iS der Nr 4.3 aaO EBM-Ä nicht über einen Beurteilungsspielraum. Das Vorliegen dieser Voraussetzung sei von den Gerichten vielmehr in vollem Umfang zu überprüfen. Die Entscheidung der Beklagten sei aber zutreffend, weil die Ausnahmeregelung der Nr 4.3. aaO EBM-Ä eng auszulegen sei. Das ergebe sich aus systematischen Erwägungen, insbesondere aus der Abgrenzung zu den bedarfsabhängigen Zusatzbudgets nach Nr 4.2 aaO EBM-Ä, für die ein erhöhter Versorgungsbedarf ausreichend sei. Die Erweiterung eines Zusatzbudgets sei dagegen nur im Einzelfalle zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs möglich und müsse auf Ausnahmefälle beschränkt sein. Entsprechend den Auslegungsgrundsätzen zur Ausnahmeregelung der Nr 4 der Vereinbarung zur Weiterentwicklung der Reform des EBM vom 7. August 1996 sei Nr 4.3 aaO EBM-Ä in der ab 1. Juli 1997 geltenden Fassung nur erfüllt, wenn eine Praxis eine spezielle Ausrichtung aufweise, der Arzt seine Behandlungstätigkeit nicht auf andere Leistungen verlagern könne und die Auswirkungen der Budgetierung für die einzelne Praxis eine nicht vertretbare Härte bedeuteten. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger nicht. Es reiche nicht aus, daß er auch Patientinnen mit onkologischen Erkrankungen behandele, weil das für die Arztgruppe der Gynäkologen typisch sei. Im übrigen erhalte der Kläger nur wenige Überweisungen. Zutreffend sei die Beklagte davon ausgegangen, daß ein hoher Überweisungsanteil mit Bezug auf gerade die Leistungen, die Gegenstand des Zusatzbudgets seien, ein Indiz für einen besonderen Versorgungsschwerpunkt bilden könne.
Mit seiner vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt der Kläger eine fehlerhafte Auslegung der Nr 4.3 aaO EBM-Ä in der ab 1. Juli 1997 geltenden Fassung sowie der Nr 4 der Vereinbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen (KKn) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) zur Einführung von Praxisbudgets vom 19. November 1996. Der dort enthaltene Katalog von Krankheitsbildern, deren Behandlung indizielle Wirkung für einen besonderen Versorgungsschwerpunkt habe, sei nicht abschließend. Die Vorschrift gebe der KÄV vielmehr die Möglichkeit, auf alle denkbaren Einzelfälle, die aufgrund der Schematisierung der Praxis- und Zusatzbudgets nicht hinreichend erfaßt werden könnten, angemessen und flexibel zu reagieren. Zu Unrecht habe das LSG angenommen, die Erweiterung von Zusatzbudgets könne nur von Praxen mit spezieller Ausrichtung beansprucht werden. Die dafür vom LSG herangezogenen Grundsätze seiner eigenen Rechtsprechung zur Auslegung der Ausnahmevorschrift bei der zwischen dem 1. Juli 1996 und dem 30. Juni 1997 geltenden Teilbudgetierung im EBM-Ä seien verfehlt und überdies auf die Ausnahmeregelung nach Nr 4.3 aaO EBM-Ä in der ab 1. Juli 1997 geltenden Fassung nicht übertragbar. Die Praxisbudgets ab 1. Juli 1997 griffen tiefgehender in die Vergütungsansprüche der Vertragsärzte ein als die von vornherein als Übergangsregelung konzipierten Teilbudgets. Das erfordere eine großzügigere Handhabung der Ausnahmebestimmungen. Die Auswirkungen der Praxisbudgets auf die gesamte Honorarsituation des Arztes seien nicht bei der Frage eines besonderen Versorgungsbedarfs von Bedeutung, sondern lediglich im Rahmen der anschließenden Ermessensentscheidung der KÄV hinsichtlich des Umfangs der Erweiterung eines Zusatzbudgets. Soweit sich das LSG bei der Auslegung des „besonderen Versorgungsbedarfs” iS der Nr 4.3 aaO EBM-Ä an die Regelung über die Sonderbedarfszulassung in § 101 Abs 1 Satz 1 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) anlehne, sei das verfehlt. Diese Vorschrift sei enger gefaßt als die Ausnahmeregelung in Nr 4.3 EBM-Ä aaO; zudem bestehe bei Vorliegen der Sonderbedarfszulassungsvoraussetzungen ein Zulassungsanspruch, während die KÄV bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nach Nr 4.3 aaO EBM-Ä lediglich eine Ermessensentscheidung zu treffen habe.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ausnahmeregelung seien erfüllt, weil er – der Kläger – einen besonderen psychosomatischen Versorgungsbedarf im Bereich der Gynäkologie sicherstelle. Er betreue seit Jahren zahlreiche Karzinompatientinnen, Patientinnen mit HIV-Befunden, mit Kinderwunsch bei Sterilität, Patientinnen im Klimakterium und mit Diabetes und habe deshalb einen im Vergleich zur Fachgruppe etwa doppelt so hohen Bedarf an psychosomatischen Leistungen. Sein nur durchschnittlicher Überweisungsanteil sei insoweit nicht aussagekräftig. Patientinnen mit entsprechenden Gesundheitsstörungen suchten von vornherein in vermehrtem Umfang seine Praxis auf.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. November 1999 und des Sozialgerichts Reutlingen vom 11. November 1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. September 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen – des Klägers – Antrag auf Erweiterung des Zusatzbudgets „Psychosomatik. Übende Verfahren” unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sinn und Zweck der Einführung von Praxisbudgets sei es, durch eine Begrenzung der abrechenbaren Punktzahlen den Punktwert zu stabilisieren und damit im Interesse aller Vertragsärzte die Einnahmen aus der vertragsärztlichen Tätigkeit kalkulierbar zu machen. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn die Ausnahmeregelung in Nr 4.3 aaO EBM-Ä restriktiv angewandt werde. Ein „besonderer Versorgungsbedarf” sei nur gegeben, wenn eine Praxis schwerpunktmäßig auf die Behandlung der in der Vereinbarung vom 19. November 1996 genannten oder vergleichbarer Gesundheitsstörungen ausgerichtet sei. Insbesondere könne nicht jede atypische Ausrichtung einer einzelnen Praxis im Vergleich zur Fachgruppe einen besonderen Versorgungsbedarf begründen. Für Praxen ohne spezielle Ausrichtung stünden neben den Praxisbudgets nur die in Nr 4.1 und 4.2 aaO EBM-Ä vorgesehenen Zusatzbudgets zur Verfügung. Wenn – was nach den Urteilen des BSG vom 6. September 2000 zur Ausnahmeregelung bei den Teilbudgets naheliege – von einem besonderen Versorgungsbedarf nur ausgegangen werden könne, wenn auf die damit beschriebenen Leistungen 20 % des Gesamtpunktzahlvolumens entfallen, könne der Kläger eine Budgeterweiterung schon aus diesem Grund nicht beanspruchen. Sein Honoraranteil für psychosomatische Leistungen erreiche die Grenze von 20 % in keinem Quartal.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat mit zutreffender Begründung entschieden, daß ihm kein Anspruch auf Erweiterung des Zusatzbudgets „Psychosomatik. Übende Verfahren” zusteht.
Mit den Beschlüssen des Bewertungsausschusses vom 19. November 1996 und 11. März 1997 sind in den Allgemeinen Bestimmungen A I. Teil B EBM-Ä auf der Grundlage des § 87 Abs 2 Satz 1 iVm Abs 2a Satz 1, 2 und 8 SGB V (idF des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes vom 23. Juni 1997 ≪BGBl I 1520≫) zum 1. Juli 1997 Praxis- und Zusatzbudgets eingeführt worden (Deutsches Ärzteblatt ≪DÄ≫ 1997, A-864 ff = C-654 ff). Danach unterliegen die im EBM-Ä enthaltenen ärztlichen Leistungen nach Maßgabe näherer Bestimmungen je Arztpraxis und Abrechnungsquartal ua für die Gruppe der Frauenärzte, der der Kläger angehört, einer fallzahlabhängigen Budgetierung (Allgemeine Bestimmungen A I. Teil B Nr 1. iVm Nr 1.5 EBM-Ä). Die von den Budgets umfaßten Leistungen sind je Arztpraxis und Abrechnungsquartal jeweils nur bis zu einer begrenzten Gesamtpunktzahl abrechnungsfähig, deren Höhe sich aus dem Produkt der Fallpunktzahl (im einzelnen Nr 1.5 aaO) und der Zahl der Fälle (Nr 1.4 aaO) ergibt (Nr 1. Satz 2 und 3 aaO).
Diese Regelungen haben zum Ziel, die Auswirkungen des seit Jahren zu beobachtenden Punktwertverfalls zu begrenzen und den Vertragsärzten mehr Kalkulationssicherheit zu geben. Der einzelne Arzt soll wissen können, welches Punktzahlvolumen rechnerisch für die fachgruppentypischen Leistungen pro Behandlungsfall zur Verfügung steht. Da eine vermehrte Erbringung und Abrechnung der vom Praxisbudget erfaßten Leistungen über den praxisindividuellen Grenzbetrag hinaus keine Erhöhung des Honorars zur Folge hat, wird der Anreiz zur Ausweitung der Leistungsmenge begrenzt. Da wiederum der Punktwert für die ärztlichen Leistungen (auch) von der zu vergütenden Gesamtpunktmenge abhängt, bewirkt eine Begrenzung dieser Punktmenge eine Stabilisierung des Punktwertes. Die Einführung des Praxisbudgets steht mit höherrangigem Recht in Einklang, wie der Senat mit Urteil vom 8. März 2000 (BSGE 86, 16 ff = SozR 3-2500 § 87 Nr 24) entschieden hat. Die Beteiligten stellen dies nicht in Frage.
Im einzelnen sind die Regelungen des EBM-Ä 1997 – vereinfacht dargestellt – so ausgestaltet, daß für die betroffenen Arztgruppen drei verschiedene Leistungsbereiche gebildet werden (vgl zum ganzen bereits: BSGE 86, 16, 18 ff = SozR 3-2500 § 87 Nr 23 S 117 ff; s ferner: Die Einführung von Praxisbudgets zum 1. Juli 1997 – Gründe und Inhalte, DÄ 1997, A-860, 861 ff; Ballast, Ersatzkasse 1996, 440 ff; Schauenburg, Betriebskrankenkasse 1997, 193 ff; Metzinger/Woggon, Krankenversicherung 1997, 12 ff; Wezel/Liebold, Handkommentar BM-Ä, EG-O und GOÄ, 6. Aufl, Bd 1, S 8-38/1 ff). Dem Praxisbudget („grüner Bereich”) unterfallen ca 70 % der das Behandlungsspektrum der jeweiligen Arztgruppe typischerweise abdeckenden ärztlichen Leistungen. Neben dem Praxisbudget sind bestimmte ärztliche Leistungspositionen einzelnen arztgruppenspezifischen Zusatzbudgets („gelber Bereich”) zugewiesen (Nr 1.3 und Nr 4. aaO), die ca 10 % des Leistungsspektrums ausmachen. Ein noch verbleibender, etwa 20 % ausmachender Leistungsbereich bleibt unbudgetiert („roter Bereich”), ebenso wie bestimmte, nur auf Überweisung in Anspruch genommene oder hochspezialisierte Arztgruppen gänzlich davon unberührt sind.
Die Regelung für das im vorliegenden Fall streitige Zusatzbudget findet sich in den Allgemeinen „Bestimmungen A I. Teil B Nr 4 EBM-Ä”. Danach werden zunächst für zahlreiche Arztgruppen insgesamt 73 qualifikationsgebundene fallzahlabhängige Zusatzbudgets festgesetzt. Ein Arzt hat Anspruch auf die gebietsbezogenen Zusatzbudgets nach Nr 4.1 aaO EBM-Ä, wenn er die zutreffende Gebiets- oder Schwerpunktbezeichnung führt und ggf eine Zusatzbezeichnung bzw den Nachweis einer Qualifikation nach § 135 Abs 1 und 2 SGB V führen kann. Die gebietsbezogenen Fallpunktzahlen für die Zusatzbudgets nach Nr 4.1 EBM-Ä werden nach der in der Anlage 4 aaO EBM-Ä angegebenen Formel von jeder einzelnen KÄV berechnet. Für die Arztgruppe der Frauenärzte sind qualifikationsgebundene Zusatzbudgets für Sonographie, transkavitäre Sonographie, Psychosomatik. Übende Verfahren sowie Teilradiologie vorgesehen. Der Kläger hat aufgrund seiner nachgewiesenen Qualifikation das Zusatzbudget „Psychosomatik. Übende Verfahren” zuerkannt erhalten, für das im Bereich der Beklagten die Fallpunktzahl mit 34 Punkten festgesetzt worden ist.
Neben den qualifikationsgebundenen Zusatzbudgets können auf Antrag Zusatzbudgets für einen besonderen Versorgungsbedarf zuerkannt werden (Nr 4.2 aaO EBM-Ä). Tatbestandliche Voraussetzungen der insgesamt 16 bedarfsabhängigen Zusatzbudgets sind zB die Betreuung in beschützenden Einrichtungen, Phlebologie, die Schmerztherapie bei Teilnahme an der Schmerztherapievereinbarung, die Pneumologie sowie die Laserchirurgie. Auch für diese bedarfsabhängigen Zusatzbudgets wird die gebietsbezogene Fallpunktzahl nach der in der Anlage 4 aaO EBM-Ä angegebenen Formel von jeder KÄV nach den dortigen Abrechnungsergebnissen ermittelt. Die Voraussetzungen für eines der unter Nr 4.2 aaO EBM-Ä aufgeführten Zusatzbudgets erfüllt der Kläger auch nach seinem eigenen Vortrag nicht.
Darüber hinaus bestimmt Nr 4.3 aaO EBM-Ä, daß die KÄV auf Antrag des Vertragsarztes im Einzelfall zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs eine Erweiterung der Praxis-und/oder Zusatzbudgets gewähren kann. Den auf dieser Grundlage gestellten Antrag des Klägers auf Erweiterung seines qualifikationsgebundenen Zusatzbudgets „Psychosomatik. Übende Verfahren” hat die Beklagte zu Recht abgelehnt.
Der Regelung in Nr 4.3 aaO EBM-Ä kommt nicht nur objektiv-rechtlicher Charakter zu, sondern sie begründet auch ein subjektives Recht des betroffenen Arztes zumindest auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der KÄV über die Erweiterung eines Praxis- bzw Zusatzbudgets bei Vorliegen der in der Norm geregelten Voraussetzungen. Das ergibt sich bereits daraus, daß die Entscheidung über eine Aussetzung bzw Erweiterung des Budgets auf Antrag des einzelnen Arztes ergeht und immer nur bezogen auf eine einzelne Praxis erfolgen kann. Das Merkmal „zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs” knüpft jedenfalls auch an die Struktur der einzelnen Praxis an, die kraft ihrer Ausrichtung in der Lage ist, einen solchen Bedarf zu decken. Im übrigen dient die Regelung Nr 4.3 aaO EBM-Ä ähnlich wie die Bestimmung in Nr 4 der Vereinbarung der Spitzenverbände der KKen und der KÄBV zur „Weiterentwicklung der Reform des EBM” vom 7. August 1996 (DÄ A 2814; dazu ausführlich Senatsurteil vom 6. September 2000 – BSGE 87, 112, 115 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 135 f) der Vermeidung von Härten, die mit den Praxisbudgets ebenso wie mit den Teilbudgets im Einzelfall verbunden sein können.
Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen der „Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs” im Einzelfall erfüllt sind, steht der KÄV ein der gerichtlichen Nachprüfung nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum nicht zu, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat. Insofern gelten dieselben Erwägungen wie hinsichtlich der Nr 4 der Weiterentwicklungsvereinbarung vom 7. August 1996, zu der der Senat im Urteil vom 6. September 2000 die uneingeschränkte gerichtliche Nachprüfbarkeit der Tatbestandsmerkmale näher begründet hat (BSGE 87, 112, 116 = SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 136).
Die Voraussetzungen, unter denen ab dem 1. Juli 1997 eine KÄV das Praxis- und/oder Zusatzbudget eines Arztes erweitern kann, sind enger als diejenigen, unter denen nach Nr 4 der Weiterentwicklungsvereinbarung vom 7. August 1996 in den Quartalen III/1996 bis II/1997 Ausnahmen von den Teilbudgets gewährt werden konnten. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Nr 4.3 aaO EBM-Ä sowie der Ausgestaltung der Praxisbudgets in der ab 1. Juli 1997 geltenden Form. Tatbestandliche Voraussetzung für die Zulassung von Ausnahmen von der Teilbudgetierung nach der Weiterentwicklungsvereinbarung vom 7. August 1996 war, daß der Arzt einen „entsprechenden Versorgungsschwerpunkt” für seine Praxis nachweist. Nach Nr 4.3 aaO EBM-Ä kann hingegen eine Budgeterweiterung „im Einzelfall zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs” gewährt werden. Während ein „Versorgungsschwerpunkt” in erster Linie aus der besonderen Struktur einer einzelnen Praxis abzuleiten ist (vgl BSGE 87, 112, 116 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 137), stellt das Merkmal „Versorgungsbedarf” stärker auf objektive Kriterien in dem Sinne ab, daß ein bestimmtes Leistungsangebot einer Praxis unter Sicherstellungsaspekten erforderlich ist.
Im Unterschied zu den zwischen dem 1. Juli 1996 und dem 30. Juni 1997 geltenden Teilbudgets sind die Praxisbudgets zum 1. Juli 1997 als Dauerregelung ohne zeitliche Begrenzung eingeführt worden. Der zur Auslegung des Ausnahmetatbestandes der Nr 4 der Weiterentwicklungsvereinbarung vom 7. August 1996 vom Senat herangezogene Gesichtspunkt, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit dürfe eine von vornherein nur befristete Vergütungsregelung bestimmte langjährig gewachsene Praxisausrichtungen nicht nachhaltig gefährden (BSGE 87, 112, 119 = SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 140), kann deshalb auf die Regelung in Nr 4.3 aaO EBM-Ä nicht übertragen werden. Vor allem aber schließt der mehrstufige Aufbau von allgemeinem Praxisbudget, qualifikationsgebundenen Zusatzbudgets, bedarfsabhängigen Zusatzbudgets, budgetfreien Leistungen und Ansprüchen auf Erweiterung von Praxis- und/oder Zusatzbudgets eine Auslegung dieser Vorschrift in dem Sinne aus, daß jedem Arzt die bestehende Ausrichtung seiner Behandlungstätigkeit schlechthin ohne Einbuße beim Honorar auf Dauer garantiert werden müßte.
Eine derartige Festschreibung einer bestimmten Behandlungsausrichtung oder Praxisstruktur ist schon mit dem bereits aufgezeigten Grundanliegen der Einführung von Praxisbudgets nicht vereinbar. Dieses besteht darin, jedem Arzt für den wesentlichen Teil seiner Leistungen ein bestimmtes Punktzahlvolumen zuzubilligen und damit Kalkulationssicherheit zu schaffen. Der vom einzelnen Arzt geschaffenen spezifischen Praxisstruktur wird angesichts dieser notwendig schematisierenden und typisierenden Regelung zunächst dadurch Rechnung getragen, daß bei allen Arztgruppen bestimmte, spezialisierte und überwiegend teure und aufwendige Leistungen von vornherein nicht Bestandteil der Praxisbudgets sind. Aus dem Abschnitt J des EBM-Ä (Gynäkologie und Geburtshilfe) sind im wesentlichen alle Leistungen der Geburtshilfe und der künstlichen Befruchtung von der Anrechnung auf Praxisbudgets ausgenommen (Nr 5 aaO EBM-Ä). Das tatsächliche Leistungsgeschehen in der Vergangenheit wird weiterhin bei der Berechnung der qualifikationsgebundenen Zusatzbudgets berücksichtigt. Diese erfolgt in der Weise, daß die Punktzahlanforderung der für ein Zusatzbudget berechtigten Ärzte einer Arztgruppe aus den Leistungen des jeweiligen Zusatzbudgets in den ersten beiden Quartalen des Jahres 1996 durch die Zahl der budgetrelevanten Fälle der ersten beiden Quartale des Jahres 1996 dividiert wird. Damit ist sichergestellt, daß der Leistungsbedarf im jeweiligen Zusatzbudget auf der Grundlage des tatsächlichen Leistungsverhaltens der zur Erbringung der spezialisierten Leistungen berechtigten Ärzte der jeweiligen Fachgruppen in einem nicht von der Budgetierung erfaßten Zeitraum berechnet wird (zur Frage der Geeignetheit der Abrechnungsergebnisse der Quartale I und II/1996 s Senatsurteil vom heutigen Tage – B 6 KA 47/00 R). Bezogen auf den hier streitbefangenen Bereich „Psychosomatik. Übende Verfahren” bedeutet das, daß die Punktzahlanforderung der Arztgruppe der Gynäkologen eines KÄV-Bereichs für die Leistungen nach Nr 850, 851 EBM-Ä, soweit Angehörige dieser Arztgruppe zur Erbringung und Abrechnung dieser Leistungen berechtigt gewesen sind, durch die Zahl der budgetrelevanten Fälle geteilt wird. Damit ergibt sich ein relativ zuverlässiges Abbild des rein rechnerisch auf jeden gynäkologischen Behandlungsfall entfallenden Punktzahlvolumens bei der psychosomatischen Behandlung durch diejenigen Gynäkologen, die die Qualifikation und die Berechtigung zur Erbringung der besonderen psychosomatischen Beratungsleistungen besitzen.
Angesichts der auf spezielle Leistungen in einem bestimmten Behandlungsbereich zugeschnittenen qualifikationsabhängigen Zusatzbudgets besteht nur noch unter ganz besonders gelagerten Voraussetzungen eine Notwendigkeit für deren Erweiterung zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs. Das ist der Fall, wenn die einzelne Praxis eine von der Typik der Arztgruppe nachhaltig abweichende Praxisausrichtung, einen besonderen Behandlungsschwerpunkt bzw eine Konzentration auf die Erbringung von Leistungen aus einem Teilbereich des Fachgebiets aufweist, für das der Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist. Diese Voraussetzungen können nicht schon durch den Hinweis darauf belegt werden, ein einzelner Arzt habe die seit dem 1. Juli 1997 einem qualifikationsgebundenen Zusatzbudget zugeordneten Leistungen in der Vergangenheit häufiger als der Durchschnitt seiner Fachgruppe erbracht, und das sei von den Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht beanstandet worden. Indizien für eine entsprechende Spezialisierung sind vielmehr ein gegenüber dem Durchschnitt der Fachgruppe signifikant erhöhter Anteil der im qualifikationsgebundenen Zusatzbudget enthaltenen Leistungen am Gesamtpunktzahlvolumen in der Vergangenheit sowie eine im Leistungsangebot bzw in der Behandlungsausrichtung der Praxis tatsächlich zum Ausdruck kommende Spezialisierung.
Soweit der Senat im Urteil vom 6. September 2000 (BSGE 87, 112, 117 = SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 137) davon ausgegangen ist, daß ein Versorgungsschwerpunkt iS der Nr 4 der Weiterentwicklungsvereinbarung vom 7. August 1996 grundsätzlich nur gegeben ist, wenn auf den als solchen geltend gemachten Leistungsbereich ein Anteil von mindestens 20 % der von der Praxis abgerechneten Gesamtpunktzahl entfällt, kann das auf die Auslegung des Merkmals „besonderer Versorgungsbedarf” iS der Nr 4.3 aaO EBM-Ä nicht uneingeschränkt übertragen werden. Die Vielzahl der Zusatzbudgets nach Nrn 4.1 und 4.2 aaO EBM-Ä, deren vielfach geringes Leistungsvolumen und die Möglichkeit einer Praxis, mehrere Zusatzbudgets in Anspruch zu nehmen, werden es nur selten zulassen, daß ein Arzt allein mit Leistungen aus einem einzelnen Zusatzbudget 20 % der Gesamtpunktzahl seiner Praxis erreicht. Gleichwohl kann ein Versorgungsschwerpunkt iS der Ausführungen im Urteil vom 6. September 2000 auch im Rahmen der Ausnahmeregelung nach Nr 4.3 aaO EBM-Ä Bedeutung haben, weil sich aus dessen Vorliegen Rückschlüsse auf die Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs ergeben können. Das mag etwa der Fall sein, wenn ein Chirurg in einer Stadt ohne Radiologen deutlich mehr Röntgenleistungen, ua auf Überweisung, erbringt als das für die Gruppe der Chirurgen mit Röntgenberechtigung üblich ist. Soweit auf die radiologischen Überweisungsleistungen in einer solchen Situation abweichend von der Fachgruppentypik ein Anteil von 20 % am Gesamtpunktzahlvolumen entfällt, kann Anlaß für eine Erweiterung des Zusatzbudgets „Teilradiologie” zur Sicherstellung des Bedarfs an Röntgenleistungen in der betreffenden Stadt bestehen. Wenn danach wegen der Unterschiede in Zuschnitt und Wirkungsweise zwischen den Teilbudgets der Quartale III/1996 – II/1997 einerseits und den ab dem 1. Juli 1997 geltenden Praxis- und Zusatzbudgets andererseits bei letzteren nicht stets auf einen Punktzahlanteil von 20 % abgestellt werden kann, bilden doch Abweichungen der einzelnen Praxis von der Typik der Arztgruppe, die sich (auch) in abweichenden Anteilen des auf bestimmte Leistungen entfallenden Punktzahlenvolumens niederschlagen, ein wichtiges Indiz für die Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs.
Die Bindung eines „besonderen Versorgungsbedarfs” an eine im Leistungsangebot der Praxis tatsächlich zum Ausdruck kommende Spezialisierung und eine von der Typik der Arztgruppe abweichende Praxisausrichtung, die meßbaren Einfluß auf den Anteil der auf den Spezialisierungsbereich entfallenden abgerechneten Punkte auf die Gesamtpunktzahl der Praxis hat, findet ihren Niederschlag auch in der Vereinbarung zur Einführung von Praxisbudgets der Spitzenverbände der KKen und der KÄBV vom 19. November 1996 (DÄ 1997, C-314 ff). Dort ist unter Nr 4 bestimmt, Abschnitt A I. B 4.3 EBM-Ä werde dahingehend ausgelegt, daß die KÄV auf Antrag des Vertragsarztes die Budgets insbesondere dann erweitern oder aussetzen kann, wenn nachfolgend genannte Krankheitsfälle oder spezifische Betreuungsleistungen den Schwerpunkt der Praxistätigkeit darstellen: Betreuung von HIV-Patienten, onkologische Erkrankungen, Diabetes, Mukoviszidose, Schmerztherapie (Teilnehmer an der Schmerztherapie-Vereinbarung), kontinuierliche Patientenbetreuung in beschützenden Einrichtungen, erheblich über dem Arztgruppendurchschnitt liegender Überweisungsanteil.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Abstellen auf den Überweisungsanteil ein relativ zuverlässiges Kriterium zur Ermittlung von „spezifischen Betreuungsleistungen” iS der Nr 4 der Einführungsvereinbarung vom 19. November 1996. Definitiver Ausschlußcharakter kommt ihm nach dem Wortlaut der Nr 4 („insbesondere”) nicht zu; jedoch müssen Gründe dafür ersichtlich sein, daß – außerhalb der Situation der schwerpunktmäßigen Betreuung von Patienten mit den in der Nr 4 der Einführungsvereinbarung genannten Erkrankungen – in einer Praxis ein besonderer Bedarf an psychosomatischen Leistungen nach den Nrn 850, 851 EBM-Ä sichergestellt wird, ohne daß sich dies in einem erhöhten Überweisungsanteil niederschlägt. Eine solche Ausnahmesituation ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in der Praxis des Klägers nicht gegeben. Vielmehr verhält es sich so, daß der Kläger Leistungen nach Nrn 850/851 EBM-Ä bei bestimmten Indikationen (zB Krebserkrankungen, Sterilität bei Kinderwunsch, Partnerschaftskonflikt) besonders häufig abrechnet. Daß er infolge der Einführung des Praxisbudgets zum 1. Juli 1997 Einbußen bei der Honorierung dieser Leistungen hinnehmen muß, mag für ihn Anlaß sein, Indikation und Frequenz der psychosomatischen Gesprächsleistungen zu überprüfen. Eine Gefährdung des Fortbestandes der der Arztgruppentypik der Gynäkologen entsprechenden Praxis des Klägers in Folge der Begrenzung des Zusatzbudgets für besondere psychosomatische Leistungen auf 34 Punkte ist nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 631033 |
ArztR 2002, 128 |
MedR 2002, 165 |
SozR 3-2500 § 87, Nr. 31 |