Leitsatz (amtlich)
Zwischen Eheleuten kann eine Innengesellschaft bestehen, wenn der Familienunterhalt (iS von § 43 AVG = RVO § 1266) aus den durch den gemeinsamen Betrieb eines Handelsgeschäfts erzielten Einkünften bestritten wird; des Bestehens einer Innengesellschaft brauchen die Eheleute sich nicht bewußt zu sein, sie dürfen aber keinen entgegenstehenden übereinstimmenden Willen gehabt haben (Weiterentwicklung von BSG 1981-04-23 1 RA 13/79 = SozR 2200 § 1266 Nr 17).
Normenkette
AVG § 43 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1266 Fassung: 1957-02-23; BGB § 705
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 31.03.1981; Aktenzeichen L 6 An 1704/80) |
SG Mannheim (Entscheidung vom 16.07.1980; Aktenzeichen S 5 An 628/80) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Witwerrente.
Der Kläger war mit der im März 1978 nach kurzer Krankheit verstorbenen Versicherten verheiratet. Bis September 1975 waren beide in einer Tabakwarengroßhandlung angestellt. Sodann machte der Kläger sich mit diesem Unternehmen selbständig und beschäftigte die Versicherte darin als Angestellte mit Einzelprokura. Im Einkommensteuerbescheid für 1977 sind die Eheleute, die im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebten, steuerlich gemeinsam veranlagt; der Gewinn aus Gewerbebetrieb des Klägers betrug danach 62.199 DM, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Versicherten einschließlich einer Gratifikation und Tantieme machten 66.051 DM aus.
Die vom Kläger begehrte Witwerrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juni 1979 ab, weil die Versicherte den Unterhalt der Familie nicht überwiegend bestritten habe (§ 43 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-). Zwischen ihr und dem Kläger habe eine sog Innengesellschaft bestanden, der zufolge die Erträgnisse aus dem Gewerbebetrieb beiden zu gleichen Teilen anzurechnen seien.
Das Widerspruchsverfahren, die Klage und die Berufung blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 1980, Urteile vom 16. Juli 198O und 31. März 1981). Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt: Für die Anwendung des § 43 AVG bestehe kein Raum. Während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode der Versicherten hätten beide Ehegatten im Geschäft des Klägers gearbeitet und das gemeinsam erzielte Einkommen zur Bestreitung des gemeinsamen Familienunterhalts verwendet. Habe sonach eine berufliche Gemeinschaft die Existenzgrundlage gebildet, dann habe auch ohne dahingehenden rechtsgeschäftlichen Willen eine Gesellschaft iS der §§ 705 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bestanden. Dem stehe weder entgegen, daß die Versicherte für das Unternehmen Vertretungsmacht besessen noch ein im Vergleich zum Geschäftsgewinn höheres Arbeitseinkommen bezogen habe. Der letztere Umstand spreche für - sozialversicherungsrechtlich unbeachtliche - steuerliche Gesichtspunkte. Aus dem Gesellschaftsverhältnis folge ein Anrecht jedes Ehepartners auf die Halbierung der nach Abzug der Firmenverbindlichkeiten verbleibenden Einkünfte aus Gewerbebetrieb, gleichviel, ob sie als Arbeitseinkommen oder als Privatentnahme bezeichnet seien.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt der Kläger, die vorinstanzlichen Urteile sowie die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Witwerrente zu gewähren.
Das LSG habe § 43 AVG verkannt, denn die von den Vorinstanzen getroffenen tatsächlichen Feststellungen rechtfertigten die Annahme, daß die Versicherte den Familienunterhalt überwiegend bestritten habe. Nach den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens steuere in einer Ehe der Mehrverdienende auch mehr zum Unterhalt bei. Dies treffe für die Versicherte zu. Für § 43 AVG sei es ohne Belang, woher die Unterhaltsmittel stammten. Den Erwägungen des LSG zur Innengesellschaft komme darum keine Bedeutung zu. Abgesehen davon sei eine Innengesellschaft jedenfalls nicht gewollt gewesen und deshalb nicht zustande gekommen. Der Kläger habe das Unternehmen allein erworben. Die Versicherte habe sich kapitalmäßig nicht beteiligt, für sie seien weiterhin Rentenversicherungsbeiträge entrichtet worden. Es gehe nicht an, sie als Pflichtversicherte zu behandeln und Beiträge zu vereinnahmen, ungeachtet dessen aber ein Gesellschaftsverhältnis anzunehmen, das sie - als Selbständige - von der Pflichtversicherung befreit hätte.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, daß ihm ein Anspruch auf Witwerrente nicht zusteht.
Nach § 43 Abs 1 AVG (= § 1266 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-), der derzeit noch geltendes Recht ist (BVerfGE 39, 169 = SozR 2200 § 1266 Nr 2), erhält der Ehemann nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau Witwerrente, wenn die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat. In welchem Zeitraum der Unterhalt überwiegend, dh tatsächlich mehr als zur Hälfte (BSGE 28, 96, 97; SozR 2200 § 1266 Nr 5), bestritten worden sein muß, regelt das Gesetz nicht. Hierzu hat das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung (zB BSGE 14, 129, 132; SozR 2200 § 1266 Nr 9) entschieden, es komme dafür auf den vor dem Tode der Versicherten liegenden letzten wirtschaftlichen Dauerzustand an, der mit ihrem Tode ende. Für diese auch hier maßgebliche Zeitspanne hat das LSG zu Recht auf den Zustand abgehoben, wie er während des letzten Jahres vor dem Ableben der Versicherten bestanden hat, denn nach den nicht angefochtenen Feststellungen des LSG ist sie bis auf wenige Tage vor ihrem Tode in der gewohnten Weise voll berufstätig gewesen. Hiernach ist die Folgerung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, daß sich die Einkommens- und Unterhaltsverhältnisse der Eheleute durch das Todesleiden nicht nennenswert verändert haben können.
Nach den ebenfalls unangegriffenen Feststellungen des LSG haben der Kläger und die Versicherte während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes den Tabakgroßhandel gemeinsam betrieben; mit dem daraus erzielten Einkommen haben sie den Familienunterhalt bestritten. Die aufgrund dieses Sachverhalts vom Senat anzustellende rechtliche Prüfung ergibt nicht, daß der Versicherten aus dieser Quelle ein Einkommen zugeflossen ist, das das Einkommen des Klägers überstiegen hat. Insoweit kommt es entgegen der Ansicht des Klägers durchaus darauf an, woher die Unterhaltsmittel stammten. Denn in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem sich Eheleute zu einer Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit existentiellen Ausmaßes verbinden, kann für § 43 Abs 1 AVG eine Ermittlung der Unterhaltsanteile nur erfolgen, wenn sich die rechtliche Verfügungsbefugnis eines jeden Ehepartners über die Mittel feststellen läßt. In dem Zusammenhang hat der erkennende Senat in der Entscheidung vom 24. Oktober 1974 (BSGE 38, 179, 180 = SozR 2200 § 1266 Nr 1) bereits betont, Unterhaltsmittel könnten als Unterhaltsanteile nur demjenigen Ehegatten zugerechnet werden, der sie dem Familienunterhalt zugeführt habe (von dem sie stammten); dies gilt auch hier. Sind die Unterhaltsmittel, wie vorliegend, durch den gemeinsamen Betrieb eines Unternehmens erwirtschaftet worden, muß sonach auch geprüft werden, in welcher Rechtsform das Geschäft betrieben worden ist. Zu diesem Punkt hat der erkennende Senat aaO unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs -BGH- (BGHZ 8, 249; 31, 197; 47, 163) die Ansicht vertreten, die geschäftlichen Beziehungen der Eheleute könnten ungeachtet des Umstandes, daß das betreffende Unternehmen nach außen hin unter dem Namen (bzw für Rechnung) nur eines der Ehegatten lief, im Innenverhältnis als solche gesellschaftsrechtlicher Art aufgefaßt werden. Im Anschluß daran hat der 1. Senat des BSG wiederholt ausgeführt (BSGE 40, 161, 164 = SozR 2200 § 1266 Nr 3, sowie Nrn 11 und 17), daß auch der nicht nach außen in Erscheinung tretende stille Ehegatten-Gesellschafter (einer Gesellschaft iS der §§ 705 ff BGB) "bei der eigenen Innengesellschaft" beschäftigt sein könne; dies ändere nichts daran, daß jeder der Ehegatten in Anwendung des § 722 BGB ein Anrecht auf die Hälfte der Gesamterträgnisse aus dem gemeinsam betriebenen Unternehmen habe (SozR aaO Nr 17). Dabei brauchten die Eheleute sich nicht bewußt gewesen zu sein, zueinander in einem gesellschaftsrechtlichen Verhältnis im Sinn einer BGB-Gesellschaft zu stehen, wenn sie freilich auch keinen entgegenstehenden übereinstimmenden Willen gehabt haben dürfen; soweit erkennbar, bestand für das BSG bisher keine Veranlassung, letzteres besonders hervorzuheben. Ein solcher Wille ist dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen.
Zwar hat der Kläger vorgetragen, er und seine Ehefrau hätten keine Innengesellschaft gründen wollen und diese sei deswegen nicht zustande gekommen. Dem hat das LSG indessen entgegengehalten, der Einwand sei angesichts des - vom LSG im einzelnen dargelegten - konkludenten Verhaltens der Eheleute unbeachtlich. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsbegründung kann diese Bemerkung nur dahin verstanden werden, daß das Berufungsgericht den Willen zum Ausschluß einer Innengesellschaft für nicht erwiesen betrachtet hat. Hiergegen hat der Kläger in der Revision mit Verfahrensrügen sich nicht gewandt; er hat insofern "nur fürsorglich" erklärt, die Ausführungen der Vorderrichter seien nicht haltbar. Das Fehlen von Verfahrensrügen hat zur Folge, daß der erkennende Senat an die tatsächlichen Feststellungen des LSG gebunden ist (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Dies muß auch insofern gelten, als das Zustandekommen einer Innengesellschaft in Rede steht. Dafür, daß das LSG von einer unrichtigen Auslegung des Begriffs einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts ausgegangen ist, besteht kein Anhalt. Das LSG durfte berücksichtigen, daß beide Eheleute ihre volle Arbeitskraft eingesetzt haben, um das Unternehmen, in dem sie zuvor jahrelang angestellt waren, in eigener Hand weiterzuführen, wobei der Kläger als geschäftsführender selbständiger Kaufmann und die Versicherte als in seinem Namen handelnde Prokuristin im Angestelltenverhältnis auftraten (zur Stellung eines mit Vertretungsmacht nach außen ausgestatteten Innengesellschafters s BSGE 40, 161, 164).
Ist aber demgemäß nach den tatsächlichen Feststellungen von einer Innengesellschaft auszugehen, die zwischen dem Kläger und der Versicherten beim Betreiben der Tabakgroßhandlung bestanden hat, dann kommt dem Umstand, daß das der Versicherten zufließende Einkommen steuer- und versicherungsmäßig wie ein Arbeitnehmerentgelt behandelt wurde, keine Bedeutung zu. Eine dahingehende Handhabung lag in ihrer beider Disposition. Abgesehen davon, daß sie gesetzlich nicht verwehrt war (s hierzu SozR 2200 § 1266 Nr 17), vermögen etwaige steuerliche Gesichtspunkte für die Beurteilung aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht ohnehin nicht entscheidend zu sein (BSGE 40 aaO). Mit dem Einwand, die Beklagte hätte nicht die Versicherungsbeiträge vereinnahmen dürfen, wenn sie nun ein Gesellschaftsverhältnis annehme, kann der Kläger demgegenüber nicht durchdringen; hierbei verkennt er schon, daß die rechtliche Ausgestaltung der Mitarbeit seiner Ehefrau dem eigenen freien Willen unterlag. Im übrigen war mit der Wahl eines Beschäftigungsverhältnisses für die Mitarbeit die Versicherungspflicht zur Angestelltenversicherung hier die gesetzliche Folge; daß ein Beschäftigungsverhältnis als versicherungspflichtige Angestellte bestand, schloß aber wiederum die Eigenschaft als stille Ehegatten-Gesellschafterin nicht aus.
Ist nach alledem vom Vorliegen einer Innengesellschaft auszugehen, dann haben beide Ehegatten Anrecht auf die Erträgnisse der gemeinsamen Arbeit(§§ 705, 722 BGB). Da weder eine abweichende Absprache des Klägers mit der Versicherten festgestellt noch in den Akten ein Anhalt für das Bestehen einer solchen Absprache vorhanden ist, sind für § 43 Abs 1 AVG die erzielten Einkünfte im maßgeblichen Zeitabschnitt je zur Hälfte zu teilen. Das führt dazu, daß das Nettoarbeitsentgelt aus der Beschäftigung der Versicherten zur Hälfte auch dem Kläger als Einkommen zuzurechnen ist; der Gewinn (die Privatentnahme) des Klägers nach Abzug der Verbindlichkeiten aus Anlaß der Unternehmensübernahme ist zur Hälfte auch Gewinn der Versicherten. Eine Aufteilung in dieser Weise hat zum Ergebnis, daß die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie nicht überwiegend bestritten hat, denn weitere Einnahmequellen bzw als Unterhalt anrechenbare Leistungen der Versicherten sind nicht festgestellt.
Die Revision war hiernach unbegründet; sie war mit der aus § 193 SGG entnommenen Kostenfolge zurückzuweisen.
Fundstellen