Leitsatz (amtlich)
1. Ist der Versorgungsberechtigte vor Beginn eines Zeitraumes, für den ihm Rente ausgezahlt worden ist, verstorben, so kann die Versorgungsverwaltung die "zu Unrecht" gezahlte Rente von den Erben des Versorgungsberechtigten nicht durch Verwaltungsakt, sondern allenfalls durch Klage vor den Zivilgerichten zurückfordern.
2. Für die Frage, ob ein Verwaltungsakt vorliegt, kommt es nicht darauf an, ob die Verwaltung befugt ist, eine Regelung durch Verwaltungsakt zu treffen; auch wenn die Verwaltung durch hoheitlichen Akt in private Rechtsbeziehungen eingreift, kann ein - allerdings fehlerhafter und darum aufzuhebender - Verwaltungsakt vorliegen.
Leitsatz (redaktionell)
Vorauszahlungen nach BVG § 66 Abs 1 sind Zahlungen unter Vorbehalt.
Normenkette
SGG § 54 Fassung: 1953-09-03; KOVVfG § 47 Abs. 1 Fassung: 1955-05-02; BVG § 66 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20; BGB §§ 812, 1990-1992; SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 6. Juli 1960, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. November 1959 und der Bescheid des Versorgungsamts I... E... vom 26. Januar 1959 werden aufgehoben.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Mutter der Klägerin, Frau B... B... erhielt nach ihrem 1917 gefallenen Mann Witwenversorgung in Höhe von 112,-- DM monatlich. Die Rente für Januar 1959 wurde an Frau B... am 28. Dezember 1958 durch die Post ausgezahlt. Am 31. Dezember 1958 starb Frau B... Durch Bescheid vom 26. Januar 1959 forderte das Versorgungsamt I (VersorgA) B... von der Klägerin nach § 47 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) vom 2. Mai 1955, das auch in B... gilt (GVBl für Berlin 1955, 324), die für den Monat Januar 1959 an Frau B... gezahlte Rente in Höhe von 112,-- DM zurück mit der Begründung, der Betrag sei zu Unrecht an Frau B... gezahlt worden, weil sie den Beginn des Monats Januar 1959 nicht mehr erlebt habe. Die Klägerin sei als Erbin ihrer Mutter verpflichtet, diesen Betrag zurückzuerstatten. Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Bescheid vom 30. April 1959 zurückgewiesen. Auf die Klage erließ das Sozialgericht (SG) Berlin am 25. November 1959 folgendes Urteil:
Unter Aufhebung des Bescheides des Versorgungsamts I B... vom 26. Januar 1959 und des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamts B... vom 30. April 1959 wird der Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt.
Die außergerichtlichen Kosten sind der Klägerin zu erstatten.
Das SG führte aus, es handle sich nicht um einen öffentlichrechtlichen Anspruch gegen die Klägerin, sondern um einen zivilrechtlichen Anspruch, der vom Beklagten zu Unrecht durch einen Verwaltungsakt festgestellt worden sei. Da die angefochtenen Bescheide durch ihre Existenz den Rechtsschein begründeten, daß nach ihnen verfahren werden müsse, seien sie aufzuheben gewesen. Mit der Berufung rügte der Beklagte Mängel des Verfahrens des SG. Durch Urteil vom 6. Juli 1960 hob das Landessozialgericht (LSG) Berlin das Urteil des SG auf; es wies die Klage ab mit der Maßgabe, daß der Klägerin bezüglich der geltend gemachten Forderung von 112,-- DM die Beschränkung der Haftung auf den Nachlaß nach ihrer verstorbenen Mutter, B... B... vorbehalten werde. Das LSG führte aus, die Berufung sei zulässig, die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit seien im vorliegenden Fall auch nach § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zuständig, da der Rückforderungsanspruch gegen die Klägerin als Erbin ihrer Mutter ein öffentlich-rechtlicher Anspruch sei; der Beklagte habe diesen Anspruch daher auch durch einen Verwaltungsakt nach § 47 VerwVG geltend machen können. Materiell-rechtlich sei der Rückforderungsanspruch begründet, Frau B... habe die Rente für Januar 1959 am 28. Dezember 1958 zu Unrecht erhalten, weil sie den Beginn des Monats Januar nicht mehr erlebt habe. Es handle sich um eine Nachlaßschuld, die Klägerin hafte dafür nach § 1967 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Auch im sozialgerichtlichen Verfahren müsse aber der Klägerin die Beschränkung der Haftung, wie sie in den §§ 1990 ff BGB vorgesehen sei, vorbehalten werden. Das LSG ließ die Revision zu. Das Urteil wurde der Klägerin am 15. August 1960 zugestellt.
Am 3. September 1960 legte die Klägerin Revision ein, sie beantragte,
das angefochtene Urteil aufzuheben und das Urteil des ersten Rechtszuges wiederherzustellen,
hilfsweise,
in Abänderung des Berufungsurteils den Bescheid des VersorgA I B... vom 26. Januar 1959 und den Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts B... vom 30. April 1959 aufzuheben.
Zur Begründung trug sie innerhalb der Revisionsbegründungsfrist vor, der Beklagte habe keinen öffentlich-rechtlichen " Bereicherungs " -Anspruch gegen sie, sie habe vom Beklagten nichts erhalten, ihre Mutter habe die Rente für den Monat Januar 1959 auch nicht zu Unrecht empfangen, im Zeitpunkt der Zahlung habe ihre Mutter noch einen Anspruch auf Rente gehabt, erst mit ihrem Tode sei dieser Anspruch entfallen.
Der Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Er trug vor, mit dem Tode des Erblassers gehe dessen Vermögen als Ganzes auf den Erben über (§ 1922 BGB), also nicht nur die Forderungen, sondern auch die Verbindlichkeiten; eine Verbindlichkeit sei auch der öffentlich-rechtliche Rückerstattungsanspruch, der gegen den Erblasser entstanden sei. Der Beklagte habe keinen bürgerlich-rechtlichen Anspruch gegen die Klägerin, er dürfe die Bezüge, die zu Unrecht an die Mutter der Klägerin gezahlt worden seien, durch einen Bescheid nach § 47 VerwVG von der Klägerin zurückfordern. Der Rechtsgrund für die Zahlung der Januarrente sei mit dem Tode der Mutter der Klägerin weggefallen, dies ergebe sich auch aus § 61 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Die Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
II
Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 Abs. 2 SGG). Sie ist auch begründet, das LSG hat zu Unrecht die Klage abgewiesen.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 26. Januar 1959. Mit diesem Bescheid hat der Beklagte von der Klägerin Versorgungsbezüge in Höhe von 112,-- DM zurückgefordert, die am 28. Dezember 1958 an die Mutter der Klägerin für den Monat Januar 1959 gezahlt worden sind. Die Mutter der Klägerin ist am 31. Dezember 1958 verstorben. Der Beklagte hat mit seinem Bescheid erkennbar einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts regeln wollen; dies ist daraus zu entnehmen, daß er § 47 Abs. 1 VerwVG, also eine Vorschrift des öffentlichen Rechts, als Rechtsgrundlage des Bescheides bezeichnet hat. Der Bescheid vom 26. Januar 1959 ist deshalb ein Verwaltungsakt und die Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung dieses Bescheides begehrt, ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in einer Angelegenheit der Kriegsopfer i.S. des § 51 Abs. 1 SGG, über die die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden haben. Für die Frage, ob der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist, kommt es nicht darauf an, ob die Verwaltung befugt ist, eine Streitigkeit durch einen Verwaltungsakt zu regeln; auch wenn sie eine hoheitliche Regelung für einen Einzelfall trifft, mit der sie in private Rechte und Rechtsverhältnisse eingreift, liegt ein Verwaltungsakt vor, dieser Verwaltungsakt ist allerdings rechtswidrig; auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt ist und bleibt aber ein Verwaltungsakt (vgl. Bettermann, DVBl 1954, 298); auf Klage muß ein solcher Verwaltungsakt aufgehoben werden; dies ist Sache der Gerichte der (allgemeinen oder besonderen) Verwaltungsgerichtsbarkeit, dafür sind sie zuständig. So ist es auch hier. Das SG hat in seinem Urteil den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu Unrecht für unzulässig erklärt. Zwar hat es dies "unter Aufhebung" des angefochtenen Bescheides getan, insoweit ist sein Urteil aber widerspruchsvoll; wenn es den angefochtenen Bescheid aufgehoben hat, so ist es davon ausgegangen, dieser Bescheid sei rechtswidrig; es hat aber von seinem Standpunkt aus eine Entscheidung insoweit nicht treffen dürfen, nachdem es den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit als unzulässig erklärt hat. In Wirklichkeit hat das SG damit auch nicht sagen wollen, für die Klägerin sei der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht gegeben, es ist vielmehr, wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, nur der Meinung gewesen, der Beklagte habe das streitige Rechtsverhältnis nicht durch einen Verwaltungsakt regeln dürfen; darauf ist es aber, soweit es sich um die Zuständigkeit des SG gehandelt hat, nicht angekommen; nachdem der Beklagte - und zwar nach Meinung der Klägerin zu Unrecht - einen Verwaltungsakt erlassen hat, ist die Klägerin berechtigt gewesen, den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu beschreiten.
Das Urteil des LSG ist zwar im Ergebnis insoweit zutreffend, als es auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG aufgehoben hat; das LSG hat zu Recht, wenn auch mit unzutreffender Begründung, den Rechtsweg zu den Sozialgerichten bejaht. Die Berufung des Beklagten ist auch nicht nach § 149 SGG deshalb ausgeschlossen, weil es sich um eine Streitigkeit wegen Rückerstattung von Leistungen mit einem Beschwerdewert von nicht über 500,-- DM gehandelt habe; über diese Streitigkeit hat das SG nicht entschieden, weil es - zu Unrecht - den Rechtsweg für unzulässig erklärt hat; es hat eine Sachurteilsvoraussetzung verneint und ein Prozeßurteil statt eines Sachurteils erlassen; insoweit leidet das Urteil des SG an einem wesentlichen Mangel des Verfahrens, der Beklagte hat diesen Mangel im Berufungsverfahren auch gerügt, die Berufung ist deshalb nach § 150 Nr. 2 SGG statthaft und - da sie frist- und formgerecht eingelegt ist - auch zulässig gewesen. Das Urteil des LSG ist aber aufzuheben, weil es zu Unrecht die Klage abgewiesen hat. Das LSG hat den Bescheid des Beklagten vom 26. Januar 1959 nicht als rechtmäßig ansehen dürfen; zwischen dem Beklagten und der Klägerin hat kein Rechtsverhältnis bestanden, das dem öffentlichen Recht zuzurechnen ist; nur das Rechtsverhältnis zwischen dem Beklagten und der Mutter der Klägerin ist öffentlich-rechtlicher Natur gewesen. Dieses Rechtsverhältnis ist aber mit dem Tod der Mutter der Klägerin am 31. Dezember 1958 erloschen. Das LSG hat zu Recht angenommen, die Mutter habe keinen Anspruch auf die Versorgungsbezüge für Januar 1959 gehabt, weil sie den Beginn dieses Monats nicht mehr erlebt hat. Zwar sind die Versorgungsbezüge an sie im voraus zu zahlen gewesen (§ 66 Abs. 1 BVG) und sind auch noch zu ihren Lebzeiten (am 28. Dezember 1958) an sie ausbezahlt worden. Solche Vorauszahlungen sind aber als Zahlungen unter Vorbehalt anzusehen; der Vorbehalt liegt darin, daß die Zahlungen nur für den Fall geleistet werden, daß der Anspruch für den Zeitraum, für den die einzelne Leistung erfolgt, noch besteht. Im vorliegenden Fall hat deshalb die Mutter der Klägerin die Bezüge für Januar 1959 zu Unrecht erhalten; ihr gegenüber ist aber, da sie den 1. Januar 1959 nicht mehr erlebt hat, ein Erstattungsanspruch des Beklagten nicht entstanden; ihr Nachlaß ist mithin im Zeitpunkt des Anfalls der Erbschaft an die Klägerin nicht mit einer öffentlich-rechtlichen Forderung belastet gewesen. Dadurch unterscheidet sich die Rechtslage von dem Fall, in dem die Versorgungsverwaltung im Zeitpunkt des Todes eines Versorgungsberechtigten einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch durch Zustellung eines Rückforderungsbescheides schon geltend gemacht hat; wenn hier der Rückforderungsbescheid im Zeitpunkt des Todes bereits bindend gewesen ist, ist das Vermögen des Verstorbenen im Zeitpunkt des Anfalls der Erbschaft mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch belastet, dann geht das Vermögen mit dieser öffentlich-rechtlichen Belastung auf den Erben über (vgl. auch § 119 Abs. 2 AO); war der Rückforderungsbescheid angefochten oder die Anfechtungsfrist noch nicht abgelaufen, so ist es Sache des Erben, ob er das Verwaltungsverfahren oder das gerichtliche Verfahren aufnehmen will; tut er das nicht, so kann der Beklagte jedenfalls ihm gegenüber aus dem Bescheid keine Rechte herleiten. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin vom Beklagten selbst keine öffentlichrechtlichen Leistungen empfangen, der Betrag der Januarrente ist in ihr Vermögen nicht gekommen auf Grund einer ihr zu Unrecht gewährten Leistung des Beklagten, sondern auf Grund Erbganges, also infolge einer bürgerlich-rechtlichen Beziehung zwischen ihr und ihrer Mutter. Die Klägerin hat zwar als Erbin möglicherweise die Januarrente oder einen Teil derselben auf Kosten des Beklagten ohne rechtlichen Grund erlangt (§ 812 BGB), insoweit haftet die Klägerin dem Beklagten gegenüber aber nicht auf Grund öffentlichen Rechts, sondern kraft bürgerlichen Rechts nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung. Dieses bürgerlich-rechtliche Rechtsverhältnis hat der Beklagte nicht durch einen Verwaltungsakt gegenüber der Klägerin regeln dürfen, die Grundsätze über die Regelung von Einzelfällen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts durch Verwaltungsakt sind hier auch nicht "entsprechend" anwendbar gewesen (aA Urteil des BGH vom 7. Dezember 1960, DVBl 1961, 333, 452), der Verwaltungsakt des Beklagten - sein Bescheid vom 26. Januar 1959 - ist deshalb, wie die Klägerin mit Recht annimmt, fehlerhaft. Der Beklagte kann den Anspruch gegen die Klägerin nur im Wege der Klage vor den Zivilgerichten geltend machen. Es handelt sich dabei auch nicht um denselben Rechtsstreit wie im sozialgerichtlichen Verfahren, in dem die Klägerin die Aufhebung des Bescheids des Beklagten begehrt. Eine Verweisung des anhängigen Rechtsstreits an ein Zivilgericht kommt daher nicht in Betracht.
Das LSG hat sonach § 47 VerwVG unrichtig angewandt; da gegenüber der Klägerin kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch besteht, kommt es auf die Frage nicht an, ob ihr die Haftungsbeschränkung nach §§ 1990 ff BGB im sozialgerichtlichen Verfahren hat vorbehalten werden dürfen. Auf die Revision der Klägerin ist sonach das Urteil des LSG aufzuheben, auf die Berufung des Beklagten ist das Urteil des SG aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da es sich um eine Rechtsfrage handelt und weitere Erhebungen nicht erforderlich sind. Der Bescheid des Beklagten vom 26. Januar 1959 ist aufzuheben, weil er rechtswidrig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 14 |
NJW 1961, 2278 |
MDR 1961, 1047 |