Verfahrensgang
SG Hamburg (Urteil vom 03.11.1971) |
Tenor
Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 3. November 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Dauer der Krankengeldzahlung.
Der 1911 geborene Kläger bezieht seit 1953 von der Landesversicherungsanstalt Hamburg eine Rente wegen Invalidität, die mit Wirkung vom 1. Januar 1957 an nach Art. 2 §§ 31 ff des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I 45) umgestellt worden ist. Er nahm 1965 bei der Firma K. & N. eine Beschäftigung als Tischler auf und wurde Pflichtmitglied der Beklagten. Nachdem der Kläger am 22. Januar 1971 erkrankt und seine Arbeitsunfähigkeit am 29. Januar 1971 ärztlich festgestellt worden war, zahlte ihm der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt bis zum 4. März 1971 fort. Seinem Antrag auf Gewährung von Krankengeld entsprach die Beklagte für die Zeit vom 5. bis zum 12. März 1971; für die darüber hinausgehende Zeit wies sie ihn ab (Bescheid vom 1. April 1971). Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1971).
Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg hat der Kläger die Aufhebung der Bescheide verlangt und gefordert, ihm Krankengeld bis zur Dauer von 78 Wochen zu gewähren. Er hat die Auffassung vertreten, daß er noch nicht erwerbsunfähig sei. Da ihm die Rente schon dann entzogen werden könne, wenn er nicht mehr berufsunfähig sei, müsse sie als Berufsunfähigkeitsrente gewertet worden. Er habe auf Grund seiner Beschäftigung volle Beiträge gezahlt und ihm stehe daher das Krankengeld auch für die in § 183 Abs. der Reichsversicherungsordnung (RVO) bestimmte Dauer von 78 Wochen zu.
Das SG hat mit Urteil vom 3. November 1971 die Klage abgewiesen. Die Rente des Klägers sei 1957 umgestellt worden und gelte gemäß Art. 2 § 3 Abs. ArVNG als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Bezugsdauer des Krankengeldes für Empfänger einer solchen Rente werde durch § 183 Abs. 4 RVO auf 6 Wochen beschränkt, und auf diese Zeit sei die Lohnfortzahlung anzurechnen (§ 189 Satz 1 RVO). Die gesetzliche Regelung verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Im übrigen müsse auch nicht jede Beitragsbelastung zu einer entsprechenden Leistung führen; das folge aus dem Solidaritätsprinzip. Das SG hat im Urteilstenor die Berufung zugelassen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Klägers, mit der sich die Beklagte einverstanden erklärt hat. Er ist der Auffassung, daß eine Lücke im Gesetz vorliege. Nach früherem Recht sei von der Krankenkasse an den Erwerbsunfähigkeitsrentner Krankengeld zu zahlen gewesen, auf Grund des Lohnfortzahlungsgesetzes sei jetzt dazu jedoch der Arbeitgeber verpflichtet. Der vollen Beitragsforderung der Krankenkasse stehe somit nur ein um die Krankengeldzahlung vermindertes Leistungsangebot gegenüber. Diese Ungleichgewichtigkeit könne nur dadurch beseitigt werden, daß der Anspruch auf die Gewährung eines 6wöchigen Krankengeldes an den Zeitraum der Lohnfortzahlung angehängt werde.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie des Bescheides der Beklagten vom 1. April 1971 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 1971 die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger aus Anlaß der ab 22. Januar 1971 bestehenden Arbeitsunfähigkeit Krankengeld bis zur Dauer von 78 Wochen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie wiederholt ihre bisherigen Ausführungen.
Die Beteiligten haben sich mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Sprungrevision des Klägers ist zulässig, obwohl das SG die Berufung nicht hätte zulassen dürfen, da sie ohnehin nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig war. Ein Berufungsausschließungsgrund, insbesondere nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG, lag nicht vor. Die Beteiligten haben weder über eine einmalige noch über eine wiederkehrende, auf höchstens 13 Wochen beschränkte Leistung gestritten. Streitgegenstand war vielmehr der Anspruch des Kläger auf die Gewährung von Krankengeld für einen Zeitraum bis zu 78 Wochen. Obwohl hiernach eine Zulassung der Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG nicht in Betracht kam, durften die Beteiligten auf die Rechtmäßigkeit der vom SG ausgesprochenen Zulassung und damit auf die Zulässigkeit der Sprungrevision (§ 161 SGG) vertrauen. Da das SG nur einen – wenn auch ruhenden – Krankengeldanspruch für 6 Wochen als gegeben angesehen hat, war für den Kläger die Fehlerhaftigkeit der Zulassungsentscheidung nicht so offensichtlich, daß er sie hätte erkennen müssen; sein Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Zulassungsausspruchs ist unter diesen Umständen als schutzwürdig anzusehen (vgl. SozR, SGG § 161 Nr. 22).
Die Revision ist nicht begründet. Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, daß die Rente des Klägers seit ihrer Umstellung nach Art. 2 §§ 31, 38 Abs. 2 ArVNG als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit i. S. des § 1253 Abs. 2 RVO gilt, weil er nach dem 31. Dezember 1891 geboren ist. Wie der Senat bereits in BSG 25, 9 entschieden hat, führt diese gesetzliche Regelung dazu, daß auch auf die Bezieher solcher Renten die Vorschrift des § 183 Abs. 4 RVO anzuwenden ist. Von dieser Rechtsprechung abzugehen, besteht kein Anlaß. Sie ist allgemein anerkannt (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl. 1973, § 183, Anm. 8; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl. 1972, S. 396 n; Jantz, Krankenversicherung der Rentner, 2. Aufl 1970, § 183, Anm. II 1 b). Der Kläger bringt ebenfalls keine wesentlichen Einwände dagegen vor. Demgemäß hat der Kläger nur einen Anspruch auf Gewährung von Krankengeld für die Dauer von höchstens 6 Wochen, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an.
Da während der Fortzahlung des Arbeitsentgelts der Anspruch auf Krankengeld nur ruht – und nicht entfällt – (§ 189 Satz 1 RVO idF des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts in Krankheitsfällen und über Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung – LFZG – vom 27. Juli 1969 BBGl I 946), ist der Zeitraum der Lohnfortzahlung auf die Dauer der Bezugsberechtigung des Krankengeldes anzurechnen (so BSG 28, 66, 68 für die Bezugszeit nach § 183 Abs. 2 RVO; BSG 28, 255, 256 für § 183 Abs. 3 RVO und BSG, Urteil vom 22. November 1968 – 3 RK 75/67 – in „Die Betriebskrankenkasse” 1969, 63 für die – hier in Rede stehende – Bezugsdauer nach § 183 Abs. 4 RVO; vgl. auch Brackmann aaO).
Der Senat vermag dem. Vorbringen des Klägers, daß diese Regelung unbillig sei und auf einer Lücke im Gesetz beruhe, nicht zu folgen. Sein Vorbringen richtet sich gegen zwei Funkte der Regelung, einmal gegen die zeitliche Begrenzung des Krankengeldanspruchs auf 6 Wochen und zum anderen gegen die Berücksichtigung des Arbeitsentgelts bei der Bezugsdauer.
Die zeitliche Begrenzung des Krankengeldanspruchs für Empfänger von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und Altersruhegeld auf höchstens 6 Wochen geht zurück auf das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913). Der Senat hat in zahlreichen Entscheidungen dargelegt, daß diese Begrenzung verfassungsrechtlich unbedenklich ist, in Einklang mit den anderen Normen des Sozialversicherungsrechts steht und darüber hinaus sinnvoll und geboten war (vgl. Urteile des Senats in SozR RVO § 183 Nr. 6 vom 26. Juni 1963 – 3 RK 20/62; Nr. 13 vom 18. März 1966 – 3 RK 98/63; Nr. 17 vom 11. August 1966 – 3 RK 32/64; Nr. 34 vom 15. Oktober 1968 – 3 RK 76/65).
Für diese seit 1961 geltende Regelung ist das Inkrafttreten des LFZG allerdings insofern von Bedeutung geworden, als infolge der Weiterzahlung des Arbeitsentgelts einerseits und der Ruhensbestimmung des § 189 Satz 1 RVO andererseits es nunmehr in der Mehrzahl der Fälle dazu kommt, daß die Krankenkasse gar nicht oder nur wenig Krankengeld zu zahlen hat. Allein diese Rechtsfolge tritt in allen Fällen ein, in denen Versicherten ein Krankengeldanspruch erwächst. Der Kläger irrt, wenn er meint, daß der Gesetzgeber aus Gründen der Billigkeit und der Beitragsgerechtigkeit gehalten gewesen sei, den so „eingesparten” Zeitraum an Krankengeld an die bisherige Bezugszeit anzuhängen. Der Gesetzgeber hat den „regulären” Bezugszeitraum von 78 Wochen innerhalb von 3 Jahren für dieselbe Krankheit (§ 183 Abs. 2 RVO) bewußt beibehalten, weil er durch die Einführung der Lohnfort Zahlungsverpflichtung die Krankenkasse von Ausgaben entlasten und damit zugleich eine Herabsetzung der Beiträge – sowohl für Arbeitgeber wie für Versicherte – erreichen wollte. Diese Zielsetzung hat ihren Niederschlag in der Neufassung der §§ 389 Abs. 1, 390 Satz 1 RVO (Art. 2 Nrn. 18 und 19 LFZG) gefunden, durch die die Beitragshöchstsätze von 11 % auf 8 % herabgesetzt worden sind.
Die Erwägungen, die für § 183 Abs. 2 RVO gelten, treffen auf § 183 Abs. 4 RVO gleicherweise zu. Der Kläger erfährt durch die Neuregelung im LFZG keine Verschlechterung seiner Rechtsposition, weil er im gegebenen Falle anstelle des Krankengeldes für den gleichen Zeitraum das volle Arbeitsentgelt erhält. Weiter ist zu bedenken, daß gerade die Bezieher von Erwerbsunfähigkeitsrente nicht selten die Voraussetzungen des Art. 1 § 1 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 LFZG erfüllen und demzufolge keinen Anspruch auf Weiterzahlung des Arbeitsentgelts haben, so daß ihnen die Zahlung von Krankengeld zusteht. Die vom Kläger hilfsweise erstrebte Lösung – einen 6-wöchigen Krankengeldanspruch erst nach Ende der Lohnfortzahlung beginnen zu lassen – würde demgemäß nicht nur innerhalb des Kreises der nach § 183 Abs. 4 RVO berechtigten Personen zu einer ungleichen Behandlung führen, sondern darüber hinaus auch noch von der Regelung des Krankengeldanspruchs nach § 183 Abs. 2 RVO abweichen.
Der Anspruch des Klägers erweist sich somit als unbegründet, so daß seine Revision gegen das angefochtene Urteil zurückzuweisen ist.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 Abs. 1 und 4 SGG).
Unterschriften
Dr. Langkeit, Dr. Straub, Dr. Heinze
Fundstellen