Entscheidungsstichwort (Thema)
Fremdrentenrecht. abhängige Beschäftigung. selbständige Tätigkeit
Orientierungssatz
Der Anwendungsbereich des § 16 FRG erstreckt sich nur auf eine abhängige Beschäftigung. Eine selbständige Tätigkeit wird von § 16 FRG nicht erfaßt, und zwar auch dann nicht, wenn für eine solche selbständige Tätigkeit nach Bundes- oder Reichsrecht Versicherungspflicht besteht oder bestanden hat.
Normenkette
FRG § 16
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 24.07.1962) |
SG Mannheim (Entscheidung vom 14.06.1961) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg vom 24. Juli 1962 wird zurückgewiesen.
Kosten sind der Klägerin auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist die Witwe des Alois S (S.). S., geboren am 12. April 1896, ist am 29. Juli 1958 gestorben. Er war seit 1920 selbständiger Schmiedemeister in Gleiwitz O. S. Als Angehöriger des Volkssturms kam S. vom Februar 1945 bis August 1945 in russische Gefangenschaft, anschließend war er bis April 1947 in polnischem Gewahrsam, vom Mai 1947 bis 28. Februar 1958 war er weiterhin in Gleiwitz selbständig; am 19. März 1958 kam er krank und arbeitsunfähig mit seiner Familie in die Bundesrepublik. S. trat am 1. Januar 1939 als pflichtversicherter Handwerker der Rentenversicherung der Angestellten bei und entrichtete bis zum 30. September 1944 69 Monatsbeiträge; zu einem polnischen Rentenversicherungsträger wurden bis Februar 1958 keine Beiträge gezahlt.
Am 30. September 1958 beantragte die Klägerin Hinterbliebenenrente. Diese Rente bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Oktober 1958 ab 1. August 1958 in Höhe von 31,10 DM monatlich, Sie berücksichtigte dabei 69 Pflichtbeiträge (für die Zeit vom 1. Januar 1939 bis 30. September 1944) und nach § 28 Abs. 1 Nr. 6 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) 25 Monate als Ersatzzeit (24 Monate für die Zeit vom 1. Januar 1945 bis 31. Dezember 1946, 1 Monat für die Zeit nach dem Eintreffen des S. in der Bundesrepublik); die Vergleichsberechnung nach altem Recht lehnte sie ab, weil für das Jahr 1957 nicht mindestens 9 Beiträge entrichtet seien (Art. 2 § 41 des Angestelltenversicherungs- Neuregelungsgesetzes - AnVNG -).
Mit der Klage begehrte die Klägerin, die Zeit vom 1. Mai 1947 bis 28. Februar 1958 als anrechnungsfähige Beschäftigungszeit zu berücksichtigen, weil S. in dieser Zeit durch die Nachkriegsverhältnisse im polnisch verwalteten Oberschlesien an der Entrichtung weiterer Pflichtbeiträge verhindert gewesen sei, ferner die Berücksichtigung der Zeiten vom 1. Januar 1947 bis 30. April 1947 und vom 1. April 1958 bis 31. Juli 1958 als Ersatzzeiten, weil S. in dieser Zeit krank und arbeitsunfähig gewesen sei. Mit dem weiteren Bescheid vom 16. August 1960 hob die Beklagte während des Verfahrens des Sozialgerichts (SG) den Bescheid vom 29. Oktober 1958 auf und stellte die Rente der Klägerin unter Bezug auf Art. 2 § 41 AnVNG mit 64,90DM monatlich nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Recht neu fest; die Berücksichtigung weiterer Ersatz- und Beitragszeiten lehnte sie ab. Das SG Mannheim wies die Klage ab (Urteil vom 14. Juni 1961). Die Berufung der Klägerin wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zurück (Urteil vom 24. Juli 1962): Die Bescheide vom 29. Oktober 1958 und vom 16. August 1960 seien rechtmäßig; durch die Nichtberücksichtigung der 8 Monate Internierungs- und Krankheitszeiten (vom 1. Januar 1947 bis 30. April 1947 und vom 1. April 1958 bis zum Tode am 29. Juli 1958) als Ersatzzeiten sei die Klägerin nicht beschwert, weil sie die nach altem Recht berechnete Rente (64,90 DM) erhalte, die auch ohne Berücksichtigung dieser 8 Monate, die nach altem Recht nicht möglich gewesen sei, weit günstiger sei, als die Rente, die sich nach neuem Recht auch bei Berücksichtigung dieser 8 Monate ergebe. Die Tätigkeit des S. als selbständiger Handwerker vom 1. Mai 1947 bis 28. Februar 1958 könne einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung, für die Beiträge entrichtet sind, nicht gleichgestellt werden. Zwar habe S. vom 1. Januar 1939 bis 30. September 1944 nach dem Gesetz über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 21. Dezember 1938 Pflichtbeiträge geleistet, er sei auch objektiv gehindert gewesen, vom 1. Mai 1947 an zu einem polnischen Versicherungsträger Beiträge zu entrichten, weil das Reichsrecht in den polnisch verwalteten deutschen Gebieten 1945 durch die Polen außer Kraft gesetzt worden sei. S. habe aber als selbständiger Handwerker nicht zum Kreis der nach polnischem Rentenrecht Versicherungspflichtigen gehört, er habe in dieser Zeit auch keine Versicherungsbeiträge entrichtet. § 16 des Fremdrentengesetzes vom 25. Februar 1960 (FRG) treffe für S. nicht zu. Unter den Begriff "Beschäftigung" im Sinne dieser Vorschrift falle nur die unselbständige, in wirtschaftlicher und persönlicher Abhängigkeit zu einem Arbeitgeber verrichtete Tätigkeit. S. sei aber in dieser Zeit nur als Selbständiger tätig gewesen; bei den nach deutschem Recht pflichtversicherten Selbständigen werde die Eingliederung in die deutsche Sozialversicherung durch die Möglichkeit der Beitragsnachentrichtung nach Art. 2 § 50 AnVNG angestrebt, § 16 FRG gelte für diesen Personenkreis nicht.
Das LSG ließ die Revision zu. Das Urteil wurde der Klägerin am 11. August 1962 zugestellt. Am 8. September 1962 legte die Klägerin Revision ein. Sie beantragte
in Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom Mai 1947 bis einschließlich Februar 1958 als Versicherungszeit rentensteigernd anzurechnen.
Am 5. Oktober 1962 begründete die Klägerin die Revision: § 16 FRG stelle eine nach dem 8. Mai 1945 in den unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten verrichtete Beschäftigung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung im Geltungsbereich dieses Gesetzes gleich, sofern die Beschäftigung, wenn sie im Bundesgebiet verrichtet worden wäre, nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen begründet hätte. Es handele sich nur um ein Redaktionsversehen, wenn dies in § 16 FRG nicht auch für nach Bundesrecht versicherungspflichtige Selbständige vorgesehen sei, auf diese Personen sei § 16 FRG analog anzuwenden.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist jedoch nicht begründet. Soweit das LSG der Auffassung gewesen ist, die Klägerin sei durch die Nichtberücksichtigung der nach dem 31. Dezember 1956 liegenden Krankheitszeiten des S. als Ersatzzeiten nicht beschwert, hat die Klägerin mit der Revision Einwendungen nicht geltend gemacht; sie wendet sich nur noch dagegen, daß die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden die Zeit der Tätigkeit des S. als selbständiger Handwerker in den Jahren 1947 bis 1958 nicht als Versicherungszeiten berücksichtigt hat. Das LSG hat die Bescheide der Beklagten jedoch zu Recht als rechtmäßig angesehen.
Der Versicherungsfall ist mit dem Tod des S. im Juli 1958 eingetreten. Die Beklagte hat bei Erlaß des Bescheides vom 29. Oktober 1958 grundsätzlich das AVG in der seit 1. Januar 1957 geltenden Fassung in Verbindung mit dem Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz vom 7. August 1953 (FremdRG) anwenden müssen; nach diesen Vorschriften ist die Berücksichtigung von Zeiten, für die - wie dies bei S. in den Jahren 1947 bis 1958 der Fall gewesen ist - Beiträge zu einem deutschen oder auch nicht deutschen Versicherungsträger nicht entrichtet worden sind, nicht möglich gewesen. Eine Berechnung und Umstellung nach Art. 2 § 42 Abs. 1 Satz 2 AnVNG ist damals nicht in Betracht gekommen, weil S. in den Jahren 1939 bis 1944 nur Beiträge zur ehemaligen Reichsversicherungsanstalt für Angestellte entrichtet hat und die Beitragsunterlagen vorhanden sind (Art. 2 § 42 Abs. 3 AnVNG). Zur Gewährung der Rente nach den vor dem 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften ist die Beklagte damals nicht verpflichtet gewesen, weil die Voraussetzungen des Art. 2 § 41 Satz 2 AnVNG nicht vorgelegen haben. Nach dem Inkrafttreten des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes vom 25. Februar 1960 (FANG) - in Kraft seit 1. Januar 1959, vgl. Art. 7 § 3 FANG - hat die Beklagte in dem Bescheid vom 16. August 1960 die Rente nach Art. 6 § 6 Abs. 1 FANG neu festgestellt, sie hat die Rente nunmehr zutreffend nach den vor dem 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften berechnet, weil diese Berechnung für die Klägerin günstiger gewesen ist (vgl. Art. 6 § 7 FANG i. V. m. Art. 2 § 42 Abs. 1 AnVNG).
Die Berechnung und Umstellung nach neuem Recht hätte zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis geführt, weil - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - auch nach neuem Recht die Zeiten der Tätigkeit des S. als selbständiger Handwerker von 1947 bis 1958 einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung im Bundesgebiet, für die Beiträge entrichtet sind, nicht gleichgestellt sind. Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in dem Urteil vom 25. Mai 1965 - 1 RA 245/62 - dargelegt, daß die in § 16 FRG bestimmte Gleichstellung von Beschäftigungen mit rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungen im Geltungsbereich des FRG eine abhängige Beschäftigung im privaten oder öffentlichen Dienst voraussetzt; er hat dies sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift als auch aus ihrem Sinn entnommen und dazu im wesentlichen ausgeführt, unter "Beschäftigung" sei nach der Terminologie der Rentenversicherungsneuregelungsgesetze stets eine abhängige Beschäftigung zu verstehen; ihr Gegensatz sei die selbständige "Tätigkeit" (vgl. zB § 15 FRG, § 25 Abs. 2 und 3 AVG); Sinn und Zweck der Regelung seien die Gleichstellung der in bestimmten Vertreibungsgebieten nicht versichert gewesenen Vertriebenen mit den einheimischen Versicherten; von diesen Vertriebenen sollten aber nur diejenigen in die Rentenversicherung eingegliedert werden, die vorher unselbständig beschäftigt gewesen seien; nach dem FANG sei der Anwendungsbereich des gesamten Fremdrentenrechts - wie das Urteil im einzelnen darlegt - begrenzt auf die Berücksichtigung von Zeiten tatsächlicher Versicherung oder abhängiger Beschäftigungsverhältnisse; § 16 FRG dürfe deshalb auch nicht im Wege lückenfüllender Auslegung auf nicht versicherte selbständige Tätigkeiten ausgedehnt werden, und zwar selbst nicht insoweit, als diese selbständigen Tätigkeiten in der Rentenversicherung der Bundesrepublik und vorher in der reichsgesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig gewesen wären. Es sei zwar nicht zu verkennen, daß diese Regelung zu Härten führe, wenn Vertriebene - wie dies in jenem Falle für die Klägerin und im vorliegenden Falle für den Ehemann der Klägerin zugetroffen hat - von der Möglichkeit der Weiterversicherung für Vertriebene nach Art. 2 § 50 AnVNG nicht haben Gebrauch machen können, weil sie aus persönlichen Gründen, etwa wegen Alters oder wegen Krankheit, innerhalb des in Art. 2 § 50 AnVNG bestimmten Zeitraumes nach der Vertreibung eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit im Bundesgebiet nicht mehr haben aufnehmen können, auch dies rechtfertige aber nicht die Annahme einer Lücke im FRG. Ein Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG) liege hinsichtlich dieses Personenkreises nicht vor; selbst wenn dies aber der Fall wäre, so fehle es an den Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht, weil auch das Bundesverfassungsgericht, falls § 16 FRG insoweit verfassungswidrig wäre, die entstehende Lücke nicht im Wege der Rechtsprechung ausfüllen könnte, sondern dies der Gesetzgebung überlassen müßte.
Der erkennende Senat hält die Auffassung des 1. Senats für zutreffend; er hat sich ihr auch in den Urteilen vom 21. Juli 1965 - 11 RA 136/64 und 11/1 RA 289/63 - angeschlossen. Die Berücksichtigung der Zeiten der selbständigen Tätigkeit des S. von 1947 bis 1958 nach § 16 FRG ist sonach nicht möglich.
Das LSG hat daher zu Recht die Berufung der Klägerin in vollem Umfang zurückgewiesen. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen