Leitsatz (amtlich)

Der "bisherige Beruf" des Versicherten ist bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit - sowohl bei der Bewilligung als auch bei der Entziehung der Berufsunfähigkeitsrente - der Ausgangspunkt der gesamten Beurteilung. Der "bisherige Beruf", der der Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente zugrunde lag, kann sich während des Bezugs dieser Rente nicht ändern, also nicht durch einen neuaufgenommenen anderen Beruf ersetzt werden (Abweichung von RVA 1935-11-07 = AN 1936 4, 45).

 

Orientierungssatz

Der "bisherige Beruf" iS von RVO § 1246 muß (ausgenommen vielleicht bei ausschließlich Selbstversicherten) immer ein Beruf sein, in dem der Berechtigte versichert gewesen ist, wobei in der Regel nur eine pflichtversicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in Betracht kommt (vergleiche BSG 1958-03-13 4 RJ 200/56 = BSGE 7, 66; BSG 1959-12-04 3 RJ 81/56 = BSGE 11, 123; BSG 1962-11-22 4 RJ 49/61 = SozR Nr 5 zu § 1286 RVO; BSG 957-10-24 4 RJ 118/56 = SozR Nr 4 zu § 1293 RVO aF) Für die 1957-10-24 4 RJ 118/56 = SozR Nr 4 zu § 1293 RVO aF: Für die Verweisungsberufe gilt dieser Grundsatz dagegen nicht, hier kann ein Versicherter unter Umständen auch auf Beschäftigungen und Tätigkeiten verwiesen werden, die keiner Versicherungspflicht unterliegen (BSG in SozR aaO und BSG 1965-02-24 4 RJ 29/63 = SozR Nr 45 zu § 1246 RVO; BSG 1965-03-24 1 RA 201/62 = SozR Nr 48 zu § 1246 RVO).

 

Normenkette

AVG § 23 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 63 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1286 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. August 1962 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten zu erstatten, die dem Kläger im Revisionsverfahren entstanden sind.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Rentenentziehung.

Der 1919 geborene Kläger war nach der Schulentlassung zwei Jahre Lehrling in einer Textilbleicherei, studierte dann vier Semester an einer höheren Fachschule für die Textilindustrie und bestand im März 1938 die staatliche Abschlußprüfung als Textilingenieur. Nach einer kurzen Vertretungstätigkeit in einer Bleicherei war er bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht (August 1939) Betriebsassistent einer Weberei mit einem Monatsgehalt von 160,- RM. Im Wehrdienst wurde er schwer verwundet. Im Hinblick auf die Verwundungsfolgen (vornehmlich Hirnschädigung und Beinlähmung) bewilligte ihm die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit ab März 1943.

Im Dezember 1951 stellte die Deutsche Bundespost den Kläger als Werkstättenarbeiter ein; sie beschäftigte ihn in der Hauptsache mit dem Reparieren von Nummernscheiben defekter Telefonapparate und ernannte ihn ohne vorhergehende Prüfung mit Wirkung vom 1. April 1957 zum Postschaffner unter gleichzeitiger Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Danach war der Kläger zunächst weiter als Arbeiter (Lagerarbeiter) tätig; seit November 1960 ist er im Bürodienst mit der Berechnung von Kraftfahrerentschädigungen beschäftigt. Bei Erlaß des Berufungsurteils bezog er als Postoberschaffner nach der Besoldungsgruppe A 3 ein Monatsgehalt von brutto 606,- DM. Die Prüfung für den mittleren Postdienst hat er nicht bestanden.

Mit Bescheid vom 20. Januar 1959 entzog die Beklagte die Rente ab März 1959, weil der Kläger sich durch seine Tätigkeit bei der Post "Kenntnisse und Fertigkeiten einer vollwertigen Kraft in diesem Beruf angeeignet" habe und dadurch eine wesentliche Änderung in seinen Verhältnissen gegenüber dem Zeitpunkt der Rentenbewilligung eingetreten sei.

Auf die Klage hob das Sozialgericht (SG) Frankfurt durch Urteil vom 1. Oktober 1959 den Entziehungsbescheid auf. Die Berufung der Beklagten wies das Hessische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 23. August 1962 zurück. Das LSG verneinte eine Änderung sowohl in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers als auch in seinen sonstigen Verhältnissen durch Erwerb von neuen Kenntnissen und Fähigkeiten. Die Arbeitsleistung des Klägers bei der Post bleibe zwar hinter der eines Nichtbeschädigten kaum zurück und überfordere ihn gesundheitlich nicht; bei der Beurteilung der Berufsfähigkeit dürfe der Kläger aber gleichwohl nicht auf den Beruf des Post(ober)schaffners verwiesen werden, weil diese Tätigkeit ihm nach § 23 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nicht zuzumuten sei. Mit ihr sei ein wesentlicher sozialer Abstieg des Klägers und eine wirtschaftliche Einbuße verbunden, die durch die Beamtenstellung und die Pensionsberechtigung nicht ausgeglichen werde. Das LSG hat die Revision im Hinblick auf die grundsätzliche Entscheidung des Reichsversicherungsamts (RVA) vom 7. November 1935 (AN 1936 IV 45) zugelassen.

Mit der Revision beantragte die Beklagte,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügte eine Verletzung der §§ 63 Abs. 1, 23 Abs. 2 AVG. Nach ihrer Meinung hätte das LSG nach den vom RVA in der Entscheidung vom 7. November 1935 entwickelten Grundsätzen verfahren, d. h. den Eintritt in den Postdienst und das damit verbundene "Heraustreten" aus dem früheren Beruf als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse des Klägers werten und der Prüfung der Berufsunfähigkeit daher den neuen Beruf bei der Post zugrunde legen müssen, in dem der Kläger zweifellos berufsfähig sei. Selbst wenn aber weiter vom Beruf des Textilingenieurs auszugehen sei, bedeute die jetzige Berufstätigkeit keinen sozialen Abstieg.

Der Kläger beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 AVG (in Verbindung mit Artikel 2 §§ 23, 37 Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG -) hat die Beklagte die Rente des Klägers ab März 1959 entziehen dürfen, wenn er zu dieser Zeit "infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen nicht mehr berufsunfähig" gewesen ist. Unter "seinen Verhältnissen" sind alle Umstände in der Person des Versicherten - gesundheitliche oder sonstige - zu verstehen, die für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente rechtserheblich sind. Auszugehen ist dabei von den Verhältnissen, die für die Rentenbewilligung maßgebend waren; sie müssen sich später in einem Umfang geändert haben, der den Wegfall der Berufsunfähigkeit zur Folge hat.

Das LSG hat festgestellt, daß sich die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers nicht geändert haben. Da hiergegen keine Revisionsangriffe erhoben worden sind, bindet diese Feststellung den Senat (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Fraglich ist dagegen, ob in den sonst noch rechtserheblichen Verhältnissen eine - die Berufsunfähigkeit beseitigende - Änderung eingetreten ist; dabei kommen nach der Sachlage nur solche Umstände in Betracht, die mit dem vom Kläger verrichteten Postdienst zusammenhängen.

Insoweit hat das LSG zwar festgestellt, daß der Kläger erst nach der Rentenbewilligung in den Postdienst eingetreten ist und daß er die zu dessen Ausübung notwendigen Kräfte und Fähigkeiten besitzt. Aus dem angefochtenen Urteil geht aber nicht klar hervor, ob der Kläger die für die Ausübung des Postdienstes erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erst nach der Rentenbewilligung erworben hat oder ob er diese Kenntnisse und Fähigkeiten zur Zeit der Rentenbewilligung schon gehabt hat. Diese - auf tatsächlichem Gebiet liegende - Frage kann aber letztlich offenbleiben, weil es bei der Prüfung, ob der Kläger noch berufsunfähig ist, weder auf die Ausübung des Postdienstes noch auf die Fähigkeit hierzu ankommt.

Für die gegenteilige Ansicht beruft sich die Beklagte zu Unrecht auf die grundsätzliche Entscheidung des RVA vom 7. November 1935 (AN 1935 S. 45). Nach dem Tatbestand jener Entscheidung hatte ein berufsunfähig gewordener Schiffsingenieur nach der Rentenbewilligung den Beruf eines Büroangestellten ergriffen und ihn bis zur Rentenentziehung 9 Jahre ausgeübt. Das RVA billigte die Feststellung, daß der damalige Kläger als Schiffsingenieur weiterhin berufsunfähig sei, fuhr dann aber fort, nach seiner ständigen Rechtsprechung sei nach den Umständen des einzelnen Falles zu prüfen, ob und wann eine Verweisung auf dem letzten Beruf gleichartige Tätigkeiten zulässig sei; habe der Versicherte während seines Arbeitslebens den Beruf gewechselt, so sei - nach den Grundsätzen der Entscheidung 2890 (AN 1926 S. 298 = EuM 18 S. 200 Nr. 86) - unter Umständen nicht nur eine Vergleichung mit der letzten, sondern auch mit einer früher ausgeübten Berufstätigkeit des Versicherten zulässig und geboten. "Ebenso wie es in der angeführten E. 2890 (aber) nicht für zulässig erachtet worden ist, einen Versicherten bei Prüfung der Berufsfähigkeit auf einen früher ausgeübten Beruf zu verweisen, wenn er durch die spätere Berufstätigkeit aus dem früheren Berufskreise ... vollständig und endgültig herausgetreten und ihm ... entfremdet ist", so müsse "dies auch umgekehrt gelten". "Ergibt das Gesamtbild der Umstände, daß ein Versicherter im anpassungsfähigen Lebensalter einen neuen Beruf ergriffen, diesen in nennenswertem Umfange und eine ins Gewicht fallende Zeit hindurch ausgeübt hat und wegen dauernder Untauglichkeit für den früheren Beruf oder sonst nach den Umständen aus dem alten Berufskreise vollständig herausgetreten und ihm entfremdet ist, so kann er sich hinsichtlich der Frage, ob er wieder berufsfähig ist, nicht darauf berufen, daß nicht sein derzeitiger, sondern sein früherer Beruf maßgebend sein und geprüft werden müsse, ob die letzte Berufstätigkeit der früheren gleichwertig im Sinne des § 27 AVG (aF) ist". Zu Unrecht habe daher die Vorinstanz die Zulässigkeit der Verweisung auf den Beruf des Büroangestellten abgelehnt.

Dieser Rechtsprechung des RVA, die - soweit ersichtlich - vom Bundessozialgericht (BSG) nicht übernommen worden ist, vermag der erkennende Senat jedenfalls für den jetzt geltenden Begriff der Berufsunfähigkeit in § 23 Abs. 2 AVG nicht zu folgen. Nach dieser Vorschrift sind für die Berufs(un)fähigkeit eines Versicherten immer nur bestimmte Berufe maßgebend. Dabei ist zwischen dem "bisherigen Beruf" und sonstigen Berufstätigkeiten (Verweisungsberufen) zu unterscheiden. Das kommt in § 23 Abs. 2 Satz 2 am deutlichsten zum Ausdruck; dort heißt es, der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfasse alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Daraus ergibt sich als (erster) Unterschied zwischen dem "bisherigen Beruf" und den sonstigen Berufstätigkeiten, daß es auf die subjektive Zumutbarkeit nur bei den Verweisungsberufen, nicht dagegen beim bisherigen Beruf ankommt. Darüber hinaus bestätigt Satz 2 des § 23 Abs. 2 AVG, daß bei der Prüfung der Berufsfähigkeit der "bisherige Beruf" des Versicherten der Ausgangspunkt der gesamten Beurteilung ist. Das gilt nicht nur für die Ermittlung der Verweisungsberufe, sondern ebenso für die Feststellung der nach § 23 Abs. 2 Satz 1 maßgebenden Vergleichsperson (Berufsgruppe), an deren Erwerbsfähigkeit die dem Versicherten verbliebene Erwerbsfähigkeit zu messen ist. Zwischen dem "bisherigen Beruf" und den Verweisungsberufen besteht aber noch ein weiterer wichtiger Unterschied. "Der bisherige Beruf" muß (ausgenommen vielleicht bei ausschließlich Selbstversicherten) immer ein Beruf sein, in dem der Berechtigte versichert gewesen ist, wobei in der Regel nur eine pflichtversicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in Betracht kommt (BSG 7, 66; 11, 123; SozR Nr. 5 zu § 1286 der Reichsversicherungsordnung - RVO -, Nr. 4 zu § 1293 RVO aF). Für die Verweisungsberufe gilt dieser Grundsatz dagegen nicht, hier kann ein Versicherter unter Umständen auch auf Beschäftigungen und Tätigkeiten verwiesen werden, die keiner Versicherungspflicht unterliegen (BSG in SozR aaO und BSG in SozR Nr. 45 u. Nr. 48 zu § 1246 RVO). Wenn ein Versicherter im Laufe seines Berufslebens mehrere (versicherungspflichtige) Berufe ausgeübt hat, ist die Feststellung des "bisherigen Berufes" allerdings mitunter schwierig; hier ist die Rechtsprechung bestrebt, einen dieser Berufe zum alleinigen "bisherigen Beruf" zu bestimmen (vgl. jedoch auch BSG in SozR Nr. 48 zu § 1246 RVO); nach den Grundsätzen dieser Rechtsprechung kommt es dabei darauf an, ob sich der Versicherte von früheren Berufstätigkeiten gelöst hat und ob die Lösung auch versicherungsrechtlich zu beachten ist (vgl. BSG 2, 183; 16, 34; 19, 57; SozR Nr. 33 zu § 1246 RVO).

Die Übernahme der Rechtsprechung des RVA in der Entscheidung vom 7. November 1935 würde bedeuten, daß sich nach der Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente nicht nur die Verweisungsberufe ändern, nämlich durch Erwerb von neuen Kenntnissen und Fähigkeiten erweitern könnten, sondern daß auch in dem "bisherigen Beruf" als dem für die Prüfung der Berufs(un)fähigkeit maßgebenden Ausgangspunkt eine entscheidende Änderung (ein Wechsel) eintreten könnte, wenn sich der Versicherte (Rentenempfänger) nach der Rentenbewilligung von dem früheren, bis dahin maßgebenden "bisherigen Beruf" (in rechtlich zu beachtender Weise) gelöst hätte. Der Wert dieser Rechtsprechung läge darin, daß die Frage nach der subjektiven Zumutbarkeit (§ 23 Abs. 2 Satz 2 AVG) der neuen Berufstätigkeit - vom Blickpunkt des früher maßgebenden "bisherigen Berufs" gesehen - unterbleiben müßte. Selbst wenn jedoch die Grundsätze der Rechtsprechung über die Lösung von früheren Berufen auch hinsichtlich der Rechtserheblichkeit einer nach der Rentenbewilligung aufgenommenen neuen Berufstätigkeit im wesentlichen zu gleichen oder doch ähnlichen Ergebnissen wie die Zumutbarkeitsprüfung nach § 23 Abs. 2 Satz 2 AVG führen würden, so kann dennoch dieser Betrachtungsweise nicht gefolgt werden, weil sie dem Versicherungsprinzip widerspricht und weil nach der Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente aus versicherungsrechtlichen Gründen in dem für die Prüfung der Berufs(un)fähigkeit als Ausgangspunkt maßgebenden "bisherigen Beruf" keine Änderung mehr eintreten kann.

Wegen der entscheidenden Bedeutung des "bisherigen Berufs" eines Versicherten für die Feststellung seiner Berufs(un)fähigkeit bestimmt nämlich bei diesem Versicherungsfall gerade der "bisherige Beruf" das versicherte Risiko (den Versicherungsgegenstand); daraus ergibt sich folgerichtig, daß der "bisherige Beruf" nur ein versicherter (pflichtversicherter) Beruf sein kann und daß bei mehreren versicherungspflichtigen Berufen in der Regel nur einer als "bisheriger Beruf" heranzuziehen ist. Ein nach der Rentenbewilligung aufgenommener, aber nicht versicherter (pflichtversicherter) Beruf kann somit den für die Rentenbewilligung maßgebenden "bisherigen Beruf" nicht ersetzen, weil es dann an einem versicherten Risiko fehlen würde. Der neuaufgenommene Beruf kann aber auch dann nicht die Stelle des "bisherigen Berufs" einnehmen, wenn der Versicherte - was im vorliegenden Fall etwa für den Monat März 1957 zutreffen könnte - trotz des Rentenbezuges in dem neuen Beruf versichert worden (versicherungspflichtig gewesen) ist. Denn eine während des Bezuges einer Berufsunfähigkeitsrente fortgesetzte Versicherung kann nicht mehr der Versicherung gegen das Risiko der Berufsunfähigkeit dienen; davon abgesehen kann sich aber auch nach dem Eintritt des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit das insoweit versicherte Risiko nicht mehr ändern.

Hiernach kann der Kläger auf den von ihm ausgeübten Postdienst nur dann verwiesen werden, wenn ihm diese Tätigkeit nach § 23 Abs. 2 Satz 2 AVG, also unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes - als Textilingenieur - und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden kann. Das hat das LSG im Ergebnis zu Recht verneint. Hierzu bedarf es keines näheren Eingehens auf die Frage, ob das LSG bei dem Vergleich der wirtschaftlichen Stellung (des Einkommens und der Alterssicherung) des Klägers als Textilingenieur mit der als Beamter des einfachen Postdienstes durchweg von zutreffenden Gesichtspunkten ausgegangen ist. Die Verweisung des Klägers auf den Postdienst ist jedenfalls deshalb unstatthaft, weil sie mit dem Umfang und der Dauer der Ausbildung des Klägers für den vor dem Versicherungsfall immerhin über ein Jahr ausgeübten Beruf des Textilingenieurs nicht vereinbar ist. Während nämlich der Kläger für die Ausübung dieses Berufes - nach einer zweijährigen Lehre - noch eine umfassende zweijährige Fachausbildung mit staatlicher Abschlußprüfung benötigte, setzt der nunmehr verrichtete Postdienst nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG weder eine Lehre noch eine Prüfung noch spezielle Kenntnisse voraus. Die Verweisung ist selbst dann unzumutbar, wenn außer den im Gesetz zwingend vorgeschriebenen Merkmalen noch Weitere Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die für die Frage nach einem mit der Verweisung verbundenen sozialen Abstieg außerdem bedeutsam sein könnten (vgl. BSG 9, 254, 258), wie etwa die wirtschaftliche Stellung im einen und im anderen Beruf. Denn auch wenn mit der Beklagten eine wirtschaftliche Schlechter stellung des Klägers gegenüber seiner wirtschaftlichen Stellung vor dem Versicherungsfall zu verneinen wäre, so könnte die bloße "Nichtschlechterstellung" den nach dem Gesetz zwingend zu berücksichtigenden wesentlichen Unterschied in der Ausbildung doch nicht ausgleichen.

Da nach alledem auch durch die Ausübung des Postdienstes und durch die Fähigkeit des Klägers zu dessen Verrichtung keine rechtserhebliche Änderung in den für die Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente maßgebenden Verhältnissen des Klägers eingetreten ist, ist die Rente zu Unrecht entzogen worden. Das LSG hat mit Recht die Berufung der Beklagten gegen das den Entziehungsbescheid aufhebende erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten gegen das Berufungsurteil ist darum ebenfalls als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2340759

BSGE, 7

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