Leitsatz (amtlich)
Hat ein Arbeitnehmer unverschuldet keine Kenntnis von der Eröffnung des Konkursverfahrens, ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme für die Bestimmung des Konkursausfallgeld-Zeitraums maßgebend.
Normenkette
AFG § 141b Abs 4 Fassung: 1979-07-23, § 141e Abs 1 Fassung: 1979-07-23
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 28.09.1983; Aktenzeichen L 12 Ar 81/82) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 03.06.1982; Aktenzeichen S 6 Ar 195/81) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten weiteres Konkursausfallgeld (Kaug) für die Zeit von der Eröffnung des Konkurses bis zu dem Zeitpunkt, an dem er Kenntnis von der Konkurseröffnung erhalten hat.
Über das Vermögen der Ph.-B.-H-GmbH wurde am 11. August 1980 das Konkursverfahren eröffnet. Der Kläger, der bei dieser Gesellschaft beschäftigt war, hatte bis zum 31. Juli 1980 Arbeitsentgelt erhalten. Vom 1. bis 26. August 1980 hatte er Urlaub und hielt sich auf einer jugoslawischen Insel auf. Als er nach seiner Rückkehr am 27. August 1980 die Arbeit wieder aufnehmen wollte, erfuhr er erstmals von der Konkurseröffnung. Noch am selben Tage beantragte er, ihm für die Zeit ab 1. August 1980 Kaug und ab sofort Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit ihrem Bescheid vom 2. Oktober 1980 Kaug für die Zeit vom 1. bis 10. August 1980. Seinen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1981 zurück. Eine Verschiebung des Kaug-Zeitraumes sei im Gesetz nur für den Fall der Ablehnung des Konkursantrages, nicht aber bei Konkurseröffnung, vorgesehen.
Das Sozialgericht Dortmund (SG) hat die Klage mit Urteil vom 3. Juni 1982 abgewiesen. Das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die Beklagte mit seinem Urteil vom 28. September 1983 verurteilt, dem Kläger Kaug auch für die Zeit vom 11. bis 26. August 1980 zu zahlen. Das Gesetz enthalte eine Lücke, wenn es in § 141b Abs 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nur bei einer Ablehnung der Konkurseröffnung, von der der Arbeitnehmer nichts gewußt und weiter gearbeitet habe, den Kaug-Zeitraum bis zur Kenntnis dieses Insolvenzereignisses hinausschiebe. Nachdem der Gesetzgeber in § 141b Abs 4 AFG an die Möglichkeit der verspäteten Kenntnisnahme wegen mangelnder Publizität des Insolvenzereignisses gedacht und insoweit Härten ausgeglichen habe, müsse dieser Gesichtspunkt auch in den Fällen der Konkurseröffnung berücksichtigt werden, in denen der Betroffene ungeachtet der Inlandspublizität wegen Auslandsaufenthalts tatsächlich keine Möglichkeit zur Kenntnisnahme gehabt habe. Seine Interessenlage stehe derjenigen eines Arbeitnehmers gleich, der von der Ablehnung keine Kenntnis gehabt habe.
Mit ihrer - von dem LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 141b AFG. Nach der Begründung zur Einführung des § 141b Abs 4 AFG sei der Fall der Unkenntnis von der Ablehnung und der Weiterarbeit des Arbeitnehmers ausdrücklich als Ausnahme bezeichnet worden, weil nur ein solcher Beschluß nicht veröffentlicht werde. Maßgebend sei offenbar gewesen, daß sich daraus eine generelle Erschwerung der Kenntnisnahme ergebe. Schwierigkeiten, die im Einzelfall auch der Kenntnisnahme von einer Konkurseröffnung entgegenstehen könnten, seien erkennbar nicht von dem auf eine eng begrenzte Ausnahmeregelung gerichteten Willen des Gesetzgebers erfaßt gewesen. Diese Ausnahmeregelung des Gesetzes müßte anderenfalls durch eine generalklauselartige Regelung ersetzt werden, die wegen ihrer Tragweite auch für die Praktikabilität im Leistungsverfahren nur vom Gesetzgeber geschaffen werden könne.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. September 1983 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 3. Juni 1982 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-)
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat das klagabweisende Urteil des SG zu Recht aufgehoben und der Klage stattgegeben. Der Kläger hat Anspruch auf Kaug auch für die streitige Zeit nach der Konkurseröffnung bis zu dem Zeitpunkt, an dem er von diesem Sachverhalt Kenntnis erhalten hat.
Für die Berechnung des Dreimonats-Zeitraums, für den ausgefallenes Arbeitsentgelt bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers durch Kaug ausgeglichen wird (Kaug-Zeitraum), sind grundsätzlich die in § 141b Abs 1 und 3 AFG genannten Insolvenzereignisse maßgebend. Der Kaug-Zeitraum liegt danach in allen Fällen grundsätzlich vor dem Eintritt dieser Ereignisse. Ebenso beginnt die zweimonatige Ausschlußfrist des § 141e Abs 1 Satz 2 AFG, innerhalb derer der Kaug-Antrag gestellt sein muß, mit dem jeweils maßgeblichen Insolvenzereignis. Der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat jedoch mit seinem Urteil vom 20. Oktober 1977 (BSGE 45, 85 ff) ausgesprochen, im Falle der Abweisung eines Antrages auf Konkurseröffnung mangels Masse (§ 141b Abs 3 Nr 1 AFG) beginne diese Ausschlußfrist erst in dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte Kenntnis von der Abweisung des Konkursantrages erhält. Diese Entscheidung ist damit begründet, daß der Abweisungsbeschluß gegenüber dem Beschluß, mit dem das Konkursverfahren eröffnet wird, eine wesentlich geringere Publizität hat und der Zweck der Kaug-Versicherung nicht erfüllt werde, wenn Arbeitnehmer, die von der Abweisung eines Konkursantrages keine Kenntnis haben und deshalb die Antragsfrist versäumen, mit ihren Ansprüchen ausgeschlossen wären.
Diesen Erwägungen hat der Gesetzgeber mit dem 5. AFG-ÄndG vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) Rechnung getragen. Er hat einerseits dem Berechtigten eine weitere Ausschlußfrist eröffnet, wenn er die Frist des § 141e Abs 1 Satz 2 AFG unverschuldet versäumt hat (§ 141e Abs 1 Sätze 3 und 4 AFG nF) sowie andererseits für den Fall der Abweisung des Konkursantrages (§ 141b Abs 3 Nr 1 AFG) für den Kaug-Zeitraum nicht den Abweisungsbeschluß maßgebend bleiben lassen, sondern an dessen Stelle den Zeitpunkt der Kenntnisnahme dieses Beschlusses durch den Arbeitnehmer gesetzt, wenn dieser bis dahin weiter gearbeitet hat (§ 141b Abs 4 AFG nF). Bei schuldlos versäumter Antragsfrist ist also für alle Insolvenzfälle - nicht nur für den vom BSG (aaO) entschiedenen Fall der Abweisung des Konkursantrages - eine weitere Frist eröffnet worden, und zwar allgemein abgestellt auf das "Nicht-vertreten-müssen" der Gründe, die zur Versäumung der Frist geführt haben (BSGE 55, 284 ff). Die Änderung des Kaug-Zeitraumes bei Unkenntnis des Arbeitnehmers dagegen ist auf den Fall der Abweisung des Konkursantrages mangels Masse beschränkt. Hierin sieht auch der erkennende Senat in Übereinstimmung mit dem LSG eine planwidrige ausfüllungsfähige Gesetzeslücke.
Mit der Änderung des § 141e AFG sollten nach der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks 8/2624 S 31 Nr 49a) insbesondere Benachteiligungen solcher Arbeitnehmer vermieden werden, die sich mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Arbeitsentgeltansprüche bemüht, jedoch von der Eröffnung des Konkursverfahrens oder von gleichgestellten Tatbeständen keine Kenntnis erhalten haben. Die Änderungen des § 141b Abs 4 und 5 AFG waren im Regierungsentwurf nicht vorgesehen; sie sind erst vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Begründung beschlossen worden, hiermit sollten Härten vermieden werden. Anders als der Eröffnungsbeschluß werde der Abweisungsbeschluß nicht veröffentlicht, so daß es nicht ausgeschlossen sei, daß Arbeitnehmer in Unkenntnis eines solchen Beschlusses weiterarbeiteten, ohne daß ihr Anspruch auf Arbeitsentgelt durch die Kaug-Versicherung gesichert sei. Dies erscheine sozialpolitisch nicht vertretbar (BT-Drucks 8/2914 S 24, 44, 45).
Mit beiden Neuregelungen war also bezweckt, daß die Kaug-Ansprüche nicht dadurch beeinträchtigt werden sollten, daß Arbeitnehmer in Unkenntnis relevanter Insolvenzereignisse nicht das Notwendige unternehmen können, um ihren Kaug-Anspruch zu verwirklichen und im übrigen den ihnen durch den Konkurs ihres Arbeitgebers entstehenden Schaden so klein wie möglich zu halten. Diese Zielsetzung wird zwar mit der Neufassung des § 141e Abs 1 AFG umfassend und interessengerecht erreicht, nicht dagegen mit der des § 141b Abs 4 und 5 AFG. Es ist kein Grund dafür zu erkennen, daß es eine sozialpolitisch unvertretbare Härte darstellt, wenn Arbeitsentgeltansprüche, die in Unkenntnis einer voraufgegangenen Ablehnung der Konkurseröffnung erworben worden sind, nicht mit Kaug ausgeglichen werden, eine solche unvertretbare Härte dann aber nicht besteht, wenn das Insolvenzereignis, von dem der Arbeitnehmer nichts weiß, ein Beschluß über die Eröffnung des Konkursverfahrens ist. Die Interessenlage des Arbeitnehmers ist im einen wie im anderen Fall nicht unterschiedlich. Die geringere Publizität des Ablehnungsbeschlusses gegenüber dem Eröffnungsbeschluß, wie sie der 12. Senat in seinem Urteil vom 20. Oktober 1977 (BSGE 45, 85, 87) eingehend beschrieben hat, vermag nach Auffassung des erkennenden Senats daran nichts zu ändern. Wenn der 12. Senat darauf hinweist, daß es den meisten Arbeitnehmern gar nicht möglich sein würde, sich regelmäßig über den Inhalt des Schuldnerverzeichnisses (§ 107 Abs 2 der Konkursordnung -KO-) zu informieren - worin praktisch die einzige Möglichkeit bestehe, von einem Ablehnungsbeschluß Kenntnis zu erhalten - so daß der Zweck des Gesetzes - nämlich den Arbeitnehmern eine Sicherung ihrer Lohnforderungen zu beschaffen - nicht erreicht würde, so unterstellt er als Regelfall die Unkenntnis der Arbeitnehmer, deren Beseitigung ihnen nicht zumutbar sei. Die größere Publizität des Eröffnungsbeschlusses schließt aber keinesfalls aus, daß auch in derartigen Fällen mindestens einzelne Arbeitnehmer davon keine Kenntnis haben. Sie wären benachteiligt; auch bei ihnen wäre der Gesetzeszweck nicht erfüllt, ohne daß dafür ein rechtfertigender Grund vorhanden wäre. Dabei ist zu bedenken, daß der 12. Senat (aaO) seine Erwägungen zur Ausschlußfrist des § 141e AFG aF angestellt hat, während der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung die geringe Publizität zur Begründung der individuellen Gestaltung des Kaug-Zeitraumes herangezogen hat. Jedenfalls bei nicht zurechenbarer Unkenntnis des Eröffnungsbeschlusses muß der Kaug-Zeitraum daher ebenfalls nach dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme berechnet werden. Hierin liegt keine vom Gesetzgeber etwa nicht gewollte Komplizierung der Anspruchsvoraussetzungen, denn aus der Änderung des § 141e AFG folgt ebenso die Notwendigkeit, im Einzelfall festzustellen, ob die Frist aus Gründen versäumt worden ist, die der Berechtigte nicht zu vertreten hat und wann das Hindernis weggefallen ist. Meist wird das die Unkenntnis von dem Eintritt eines rechtserheblichen Insolvenzereignisses sein. Ist aber aus solchen nicht zu vertretenden Gründen eine verspätete Antragstellung gerechtfertigt, und zwar bei allen Insolvenzereignissen, so entspricht es dem Zweck der Kaug-Versicherung allgemein, insbesondere aber auch der Änderungen der §§ 141b und 141e AFG mit dem 5. AFG-ÄndG, daß wenigstens bei nichtzurechenbarer Unkenntnis von der Konkurseröffnung der Kaug-Zeitraum gleichermaßen nach dem Zeitpunkt zu berechnen ist, in dem diese Unkenntnis weggefallen ist. Die Zufälligkeiten und Verzögerungen, die der Gesetzgeber mit der Änderung der §§ 141b Abs 4 und 5 und 141e AFG in Kauf genommen hat, sind nicht größer, wenn auch der Fall der Konkurseröffnung entsprechend der Regelung des § 141b Abs 4 AFG miteinbezogen wird.
Danach hat der Kläger einen Kaug-Anspruch auch für die streitigen Tage von der Konkurseröffnung bis zu seiner Rückkehr aus dem Urlaub, denn er hatte in dieser Zeit, wie das LSG unangegriffen festgestellt hat, unverschuldet keine Kenntnis von der Konkurseröffnung über das Vermögen seines Arbeitgebers. Das Arbeitsverhältnis hat während dieser Zeit bestanden, und der Kläger hatte Anspruch auf Arbeitsentgelt für die gesamte Zeit seines Urlaubs (BSGE 50, 269 ff).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen