Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf einer Krankenhauskostenübernahmeerklärung
Leitsatz (amtlich)
Hat eine Krankenkasse sich einem Krankenhausträger gegenüber zur Übernahme der Kosten für eine bestimmte Behandlung eines Patienten verpflichtet, so kann sie diese Verpflichtungserklärung nicht mit der Begründung anfechten, sie habe sich über die Mitgliedschaft des Patienten geirrt.
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die aus den Rechtsbeziehungen zwischen einem Krankenhausträger und einem Krankenversicherungsträger wegen der Kostenübernahme für die stationäre Behandlung eines Versicherten entstehenden Rechtsstreitigkeiten sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig.
2. Die Auswirkungen der sechswöchigen Meldefrist des § 4 DEVO 2 berechtigen die Krankenkassen nicht zur wirksamen Anfechtung ihrer Kostenübernahmeerklärung nach § 119 BGB.
Orientierungssatz
Zum Widerruf einer Krankenhauskostenübernahmeerklärung:
Es kommt nicht darauf an, ob es sich bei der Kostenübernahmeerklärung der Krankenkasse um eine rechtsgeschäftliche, zivilrechtlich zu beurteilende oder - was näher liegt - um eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung handelt, denn auch auf öffentlich-rechtliche Willenserklärungen - abgesehen von Verwaltungsakten - sind die Grundsätze des bürgerlichen Rechts über die Anfechtung und auch die über den Wegfall der Geschäftsgrundlage entsprechend anzuwenden.
Normenkette
RVO § 184; BGB §§ 119, 142; SGG § 51 Abs. 1; DEVO 2 § 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der beklagten Krankenkasse zur Zahlung der Pflegekosten, die für eine stationäre Behandlung des Beigeladenen in einem Krankenhaus des Klägers entstanden sind.
Der Beigeladene war in der Zeit vom 1. bis zum 31. August 1977 versicherungspflichtig beschäftigt. In der Zeit vom 14. bis zum 30. September 1977 wurde er in dem W. G. stationär behandelt. Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 29. September 1977, das am 3. Oktober 1977 bei dem Krankenhaus einging, sie übernehme für die Zeit vom 14. September 1977 bis vorläufig zum 30. September 1977 die Behandlungskosten in der für Kassenmitglieder üblichen Verpflegungsklasse. Sei darüber hinaus Krankenhauspflege notwendig, so werde fünf Tage vor Ablauf der Frist um Nachricht gebeten. Die Abmeldung des Beigeladenen durch seinen Arbeitgeber ging bei der Beklagten am 10. Oktober 1977 ein. Am folgenden Tage widerrief die Beklagte ihre Kostenübernahmeerklärung gegenüber dem Kläger. Den bereits beglichenen Rechnungsbetrag für die Zeit vom 14. bis zum 30. September 1977 in Höhe von 1.049,75 DM rechnete sie im Dezember 1977 gegen weitere Forderungen des Klägers auf.
Das Sozialgericht (SG) wies die auf Verurteilung zur Zahlung der Pflegekosten für den Beigeladenen gerichtete Klage mit Urteil vom 13. März 1979 ab. Auf die Berufung des Klägers und dessen Hilfsantrag verwies das Landessozialgericht (LSG) mit seinem Urteil vom 30. Juli 1980 den Rechtsstreit an das Amtsgericht Bielefeld. Das Bundessozialgericht (BSG) hob diese Entscheidung mit Urteil vom 20. Januar 1982 (8/8a RK 13/80) auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurück, weil für Rechtsstreitigkeiten der vorliegenden Art nicht der Rechtsweg zu den Zivilgerichten, sondern nach § 51 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben sei.
Das LSG hat mit Urteil vom 30. November 1983 die Beklagte zur Zahlung der Pflegekosten für den Beigeladenen verurteilt. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei an ihre Kostenübernahmeerklärung gebunden. Die Beklagte könne wegen des Nichtbestehens der Mitgliedschaft des Beigeladenen weder die Erklärung wirksam anfechten noch ein aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitetes Leistungsverweigerungsrecht für sich in Anspruch nehmen, denn die fehlende Mitgliedschaft des Beigeladenen falle in den Risikobereich der Beklagten. Diese habe die Kostenübernahmeerklärung ohne jede Einschränkung abgegeben, obwohl sie vorab das Versicherungsverhältnis des Beigeladenen hätte eingehender prüfen oder die Kostenzusage mit einem Vorbehalt hätte versehen können.
Die Beklagte trägt mit der vom LSG zugelassenen Revision vor, sie habe die Kostenübernahmeerklärung nach § 119 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) wirksam angefochten; sie habe sich über das Bestehen der Mitgliedschaft des Beigeladenen in einem rechtlich erheblichen Irrtum befunden. Bei rechtzeitiger Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles hätte sie eine solche Erklärung nicht abgegeben. Im übrigen sei sie auch nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht an ihre Erklärung gebunden. Durch die seit dem 1. Januar 1973 geltende Zweite Datenerfassungs-Verordnung (2. DEVO), nach deren § 4 das Ende des Beschäftigungsverhältnisses der Krankenkasse spätestens innerhalb von sechs Wochen zu melden sei, hätten die Vorschriften über die Anfechtung von Willenserklärungen und die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage für die Krankenkassen erheblich an Bedeutung gewonnen. Derart lange Meldefristen brächten die Krankenkassen in Leistungssituationen, die völlig außerhalb ihres Einflußbereichs lägen und ihnen nicht zugedacht seien. Die Aufnahme eines Vorbehalts in die Kostenübernahmeerklärung sei nicht praktikabel, weil sie zu unerträglichen Folgen für beide Seiten führe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. November 1983 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 13. März 1979 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Revision der Beklagten für unzulässig, weil die Begründung nicht erkennen lasse, welche Rechtsnorm das angefochtene Urteil nach Ansicht der Beklagten verletze. Die Revision sei jedenfalls unbegründet, denn das angefochtene Urteil sei im Ergebnis und in der Begründung richtig.
Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten; er hat weder einen Antrag gestellt noch zur Sache Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Entgegen der Ansicht des Klägers läßt die Revisionsbegründung mit ausreichender Deutlichkeit erkennen, welche Rechtsverletzungen die Beklagte rügen und mit welchen Gründen sie der Entscheidung des LSG entgegentreten will. Die Revision entspricht daher der gesetzlich vorgeschriebenen Form, kann aber keinen Erfolg haben. Das LSG hat die Beklagte mit Recht zur Zahlung der Pflegekosten für die Krankenhausbehandlung des Beigeladenen verurteilt.
Der Senat hatte nicht mehr zu prüfen, ob in Rechtsstreitigkeiten der vorliegenden Art der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 Abs 1 SGG gegeben ist. Die Zulässigkeit dieses Rechtswegs ist bereits in dem zurückverweisenden Urteil vom 20. Januar 1982 bejaht worden (so jetzt auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 10. Januar 1984 - NJW 1984, 1820 -). Daran ist der erkennende Senat in diesem Rechtsstreit gebunden, denn weder hat sich die Rechtslage noch die Rechtsprechung des BSG hierzu geändert (vgl zur Selbstbindung des Revisionsgerichts an seine zurückverweisende Entscheidung den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 6. Februar 1973 - BSGE 35, 293 -).
Der Kläger hat - wie das LSG zutreffend entschieden hat - gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Krankenhausbehandlungskosten für den Beigeladenen. Das gilt auch dann, wenn der Beigeladene seinerseits gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Krankenhausbehandlung gehabt haben sollte, was noch nicht feststeht, weil die Behandlungsbedürftigkeit der Krankheit während der bestehenden Mitgliedschaft begonnen haben könnte. Die Beklagte hat sich jedenfalls mit ihrer Kostenübernahmeerklärung vom 29. September 1977 dem Kläger gegenüber zur Zahlung der für die Zeit vom 14. bis zum 30. September 1977 entstandenen Behandlungskosten in der Höhe verpflichtet, wie sie für Kassenmitglieder allgemein entstehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die im Rechtsverkehr zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern üblichen Kostenzusagen allgemein ohne Rücksicht auf den Leistungsanspruch des jeweiligen Patienten und insbesondere seine Mitgliedschaft verpflichtende Wirkung oder etwa nur vertragsvorbereitenden Charakter haben. Für den vorliegenden Fall ist jedenfalls - unabhängig von dem Inhalt eines zwischen den Beteiligten möglicherweise bestehenden Grundvertrages - unter Berücksichtigung des Wortlauts und der sonstigen Umstände der Auslegung der konkreten Kostenübernahmeerklärung durch das LSG zuzustimmen. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob und in welchem Umfang das Revisionsgericht diese Auslegung des Berufungsgerichts nachprüfen darf. Die Beklagte hat sich zur Kostenübernahme für die konkrete Krankenhausbehandlung und für eine bestimmte Zeit sowie in einer bestimmbaren Höhe verpflichten wollen und dies auch erklärt. Der Kläger hat diese Erklärung so verstehen dürfen und auch verstanden. Darüber sind die Beteiligten auch einig. Streit besteht nur darüber, ob die Beklagte wegen eines Irrtums über die Mitgliedschaft des Beigeladenen und dessen Leistungsanspruch durch Anfechtung oder durch Berufung auf die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage die verpflichtende Wirkung der Erklärung beseitigen kann.
Es kommt nicht darauf an, ob es sich bei der Kostenübernahmeerklärung der Beklagten um eine rechtsgeschäftliche, zivilrechtlich zu beurteilende oder - was näher liegt - um eine öffentlich- rechtliche Willenserklärung handelt, denn auch auf öffentlichrechtliche Willenserklärungen - abgesehen von Verwaltungsakten - sind die Grundsätze des bürgerlichen Rechts über die Anfechtung und auch die über den Wegfall der Geschäftsgrundlage entsprechend anzuwenden.
Die Beklagte hat ihre Kostenübernahmeerklärung jedoch nicht wirksam angefochten. Ihr Irrtum über die Mitgliedschaft des Beigeladenen und ihre ihm gegenüber bestehende Leistungspflicht berechtigt nicht zur Anfechtung dieser Erklärung. Zwar gilt nach § 119 Abs 2 BGB der Irrtum über eine als wesentlich anzusehende Eigenschaft einer Person als ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum über den Inhalt der Erklärung. Auch wenn das Fortbestehen des Beschäftigungsverhältnisses des Beigeladenen und seine Mitgliedschaft bei der Beklagten als eine Eigenschaft seiner Person iS des § 119 Abs 2 BGB anzusehen ist, kann die Beklagte sich nicht auf einen Irrtum darüber berufen. Seit Jahren ist ihr bekannt, daß die Abmeldefrist durch die DEVO auf sechs Wochen verlängert worden ist, so daß das Fortbestehen des Beschäftigungsverhältnisses und der Mitgliedschaft zweifelhaft sein mußten. Wenn die Beklagte trotz dieser Zweifel und um die Ungewißheit des Klägers über den Leistungsanspruch des Beigeladenen sowie ihre Leistungspflicht zu beheben, die sie verpflichtende Kostenübernahmeerklärung abgab, so kann diese Erklärung nicht mit der Begründung angefochten werden, daß die durch die Erklärung zu beseitigende Ungewißheit inzwischen nicht mehr bestehe. Soll eine Willenserklärung die beim Erklärungsempfänger bestehende Ungewißheit über die Eigenschaft einer Person beseitigen, so soll die Erklärung gerade für den Fall gelten, daß sich diese Eigenschaft als nicht vorhanden herausstellt, insbesondere wenn der Erklärende sie bei Abgabe der Erklärung trotz bestehender Zweifel als vorhanden unterstellt hat. Von einem zur Anfechtung berechtigenden Irrtum über diese Eigenschaft kann daher nicht die Rede sein. Auch wenn die vom Erklärenden unterstellte Eigenschaft zur Abgabe der Erklärung geführt hat und die Erklärung nicht ohne sie abgegeben worden wäre, so war doch nicht ihr Vorhandensein wesentlich, sondern - ähnlich wie bei einem Vergleich - der Wille, die bestehende Ungewißheit des Erklärungsempfängers auch für den Fall zu beheben, daß die unterstellte Eigenschaft nicht vorhanden ist. Aus den gleichen Gründen kann die verpflichtende Erklärung auch nicht nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage ihre rechtliche Wirkung verlieren.
Der Senat verkennt nicht, daß sich die Krankenkassen in einer schwierigen Situation befinden, wenn Arbeitgeber die Beendigung des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht unverzüglich anzeigen. Das sich daraus ergebende Risiko, das durch die mit der DEVO auf sechs Wochen verlängerte Abmeldefrist verstärkt worden ist, kann aber nicht auf den Krankenhausträger abgewälzt werden, wenn dieser sich auf die verpflichtende Kostenübernahmeerklärung verlassen hat und verlassen durfte. Es muß den Krankenkassen überlassen bleiben, wie sie diesen Schwierigkeiten begegnen wollen, ob sie sich zB vor Abgabe einer solchen Erklärung durch weitere Ermittlungen Gewißheit verschaffen oder von der Abgabe einer - gesetzlich nicht vorgeschriebenen - Erklärung dieser Art absehen wollen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen