Entscheidungsstichwort (Thema)

Altersgeld. Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens. agrarpolitische Zielsetzung. Eigentumsübergang. Ersatzübergabe. endgültige Trennung. notarieller Kaufvertrag

 

Leitsatz (amtlich)

Eine für den Anspruch auf Altersgeld notwendige Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens kann bereits vor dem Eigentumsübergang, nach Abschluß des notariellen Kaufvertrages und Übergabe des Unternehmens an den Erwerber, vorliegen (Fortführung von BSG SozR 5850 § 2 Nr 1).

 

Normenkette

GAL § 2 Abs. 1, 3; BGB §§ 873, 925, 433 ff.

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 14.12.1993; Aktenzeichen L 1 Lw 6/92)

SG Kiel (Urteil vom 09.06.1992; Aktenzeichen S 1 Lw 3/91)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. Dezember 1993 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über den Beginn eines Anspruchs auf Altersgeld nach dem Gesetz über die Altershilfe für Landwirte (GAL) und in diesem Zusammenhang um die Frage, wann der Kläger sein landwirtschaftliches Unternehmen iS des Gesetzes “abgegeben” hat.

Der im Oktober 1925 geborene Kläger veräußerte in der Zeit von 1967 bis 1982 seinen landwirtschaftlichen Grundbesitz bis auf die Hof- und Gebäudefläche sowie Forst-, Öd- und Unland; die letzte ihm noch verbliebene landwirtschaftliche Nutzfläche hatte er mit schriftlichem Pachtvertrag ab 1. November 1982 an den Landwirt H.… J.… G.… auf unbestimmte Zeit verpachtet. Mit diesem schloß er am 22. August 1990 einen notariellen Kaufvertrag über diese – zwischenzeitlich nicht zurückgegebene – verpachtete Fläche “zum Zwecke der weiteren landwirtschaftlichen Nutzung” ab. Nach dem Kaufvertrag bestand Einigkeit zwischen den Parteien, daß mit dem Tag der Eigentumsumschreibung der Pachtvertrag als aufgehoben gelten solle (§ 3 des Vertrages); zur Sicherung des Eigentums beantragten und bewilligten die Vertragschließenden die Eintragung einer Vormerkung in das Grundbuch (§ 4 des Vertrages); die Auflassung des verkauften Grundstücks sollte ua nach Vorlage der erforderlichen behördlichen Genehmigungen und dem Nachweis der Kaufpreiszahlung erfolgen (§ 5 des Vertrages). Gemäß § 6 des Vertrages waren die Vertragsparteien darauf hingewiesen worden, daß der Vertrag erst mit den erforderlichen Genehmigungen wirksam werde. Am 28. August 1990 wurde die Auflassungsvormerkung ins Grundbuch eingetragen; die letzte behördliche Genehmigung wurde am 4. Oktober 1990 erteilt und der Kaufpreis im Oktober 1990 gezahlt; am 6. November 1990 wurde die Auflassung notariell beurkundet. Die Eintragung in das Grundbuch erfolgte am 22. November 1990.

Mit Bescheid vom 4. Januar 1991 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersgeld ab 1. Dezember 1990. Den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser Altersgeld bereits vor Dezember 1990 begehrt hatte, wies die Beklagte zurück, weil die Abgabe iS von § 2 Abs 3 GAL nie vor der Auflassung vollzogen werden könne (Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1991).

Durch Urteil vom 9. Juni 1992 hat das Sozialgericht Kiel (SG) unter Abänderung der angefochtenen Bescheide die Beklagte zur Zahlung von Altersgeld ab 1. November 1990 verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die vom SG zugelassene Berufung durch Urteil vom 14. Dezember 1993 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: Der Kläger habe sein landwirtschaftliches Unternehmen vor dem 1. November 1990 abgegeben, da er die landwirtschaftliche Fläche bereits mit Abschluß des notariellen Kaufvertrages dem Bewerber zur Bewirtschaftung überlassen gehabt habe. Spätestens mit Vorlage der letzten behördlichen Genehmigung habe der Kläger nicht mehr von dem Verpflichtungsgeschäft zurücktreten können. In diesem Fall sei eine Abgabe iS des Gesetzes bereits vor der Auflassung eingetreten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 2 Abs 3 Satz 1 und 2 GAL und trägt vor:

Eine Abgabe iS von § 2 Abs 3 GAL liege nur bei einem dauerhaften Verlust der Unternehmereigenschaft vor, wenn der Unternehmer sich “prinzipiell endgültig” von dem Land gelöst habe. Lasse man den Zeitpunkt der Grundbucheintragung außer Betracht, weil der bisherige Unternehmer diesen nicht bestimmen könne, so verbleibe als unerläßliche Voraussetzung für den Eigentumsübergang nicht der schuldrechtliche Kaufvertrag, sondern die sachenrechtliche, für die Vertragspartner bindende Auflassung; somit sei die Auflassung der maßgebende Abgabezeitpunkt. Danach habe der bisherige Unternehmer keine rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit mehr, sein Unternehmen fortzuführen. Unerheblich sei, daß Kläger und Erwerber bereits Vertragspartner eines unbefristeten Pachtvertrages gewesen seien. Einer prinzipiell endgültigen Trennung habe insoweit die jährliche Kündigungsfrist des § 594 Buchst a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entgegengestanden.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. Dezember 1993 und das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 9. Juni 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

Er trägt vor:

SG und LSG hätten § 2 Abs 3 GAL nach Sinn und Zweck richtig angewandt. Im Zeitpunkt des Abschlusses des notariellen Kaufvertrages im August 1990 habe er die letzte ihm gehörende landwirtschaftliche Nutzfläche bereits abgegeben gehabt. Wenn er über die Fläche hätte wieder verfügen wollen, hätte er nämlich den Pachtvertrag erst kündigen müssen mit der Folge, daß die Kündigung frühestens zum 31. Oktober 1992 hätte wirksam werden können, zu einem Zeitpunkt also, zu dem der Pächter bereits Eigentümer des Grundstücks gewesen sei. Jedenfalls habe er sich mit Abschluß des schuldrechtlichen Kaufvertrages von der landwirtschaftlichen Fläche endgültig getrennt. Dieser schuldrechtliche Vertrag sei bis zur Erteilung der behördlichen Genehmigung des Amtes für Land- und Wasserwirtschaft K.… und des Kreisbauamtes R.… -E.… schwebend unwirksam gewesen; mit dem Eingang der behördlichen Genehmigungen sei der Kaufpreis fällig und der Kaufvertrag grundsätzlich nicht mehr einseitig lösbar gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

SG und LSG haben zu Recht unter Abänderung der angefochtenen Bescheide entschieden, daß dem Kläger ein Anspruch auf Altersgeld bereits für die Zeit ab 1. November 1990 zusteht.

Das Begehren des Klägers auf Altersgeld für November 1990 beurteilt sich gemäß § 94 Abs 2 des Gesetzes zur Reform der agrarsozialen Sicherung (Agrarsozial-Reformgesetz 1995 ≪ASRG 1995≫) vom 29. Juli 1994 (BGBl I S 1890) noch nach altem Recht, nämlich nach § 2 Abs 1 iVm Abs 3 GAL (idF des 3. Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes vom 20. Dezember 1985, BGBl I S 2475), weil der Kläger diesen Anspruch noch vor Inkrafttreten des ASRG 1995 am 1. Januar 1995 geltend gemacht hatte.

Nach § 2 Abs 1 GAL ist für den Anspruch auf Altersgeld neben Vollendung des 65. Lebensjahres und der Zahlung von Beiträgen für mindestens 180 Kalendermonate an die landwirtschaftliche Alterskasse – über das Vorliegen dieser Voraussetzungen besteht zwischen den Beteiligten kein Streit – ua die Abgabe (oder Teilabgabe) des landwirtschaftlichen Unternehmens gemäß Abs 3 aaO erforderlich. Nach Abs 3 Satz 1 aaO ist Abgabe iS des § 2 Abs 1 Buchst c GAL die Übergabe eines landwirtschaftlichen Unternehmens oder ein sonstiger Verlust der Unternehmereigenschaft. Ist mit der Abgabe des Unternehmens iS des § 2 Abs 1 Buchst c GAL nicht der Übergang des Eigentums verbunden, so ist die Voraussetzung des Abs 1 Buchst c aaO nur erfüllt, wenn die Abgabe für einen Zeitraum von mindestens neun Jahren nach Vollendung des 65. Lebensjahres des Unternehmers unbeschadet weitergehender gesetzlicher Formvorschriften schriftlich vereinbart wird (§ 2 Abs 3 Satz 2 GAL).

Abgegeben iS von § 2 Abs 3 GAL hatte der Kläger sein landwirtschaftliches Unternehmen im Oktober 1994; denn mit Vorlage der letzten behördlichen Genehmigung wurde der Kaufvertrag über die landwirtschaftliche Nutzfläche wirksam. Ab diesem Zeitpunkt hatte der Kläger sich im Hinblick darauf, daß die Fläche bereits an den Erwerber übergeben war, endgültig von dem landwirtschaftlichen Unternehmen gelöst und damit auch die “Unternehmereigenschaft” verloren.

Das Gesetz unterscheidet bei der Definition der Abgabe in § 2 Abs 3 GAL zwei Fallgestaltungen. Regelfall ist die Unternehmensabgabe durch Eigentumsübergang des landwirtschaftlichen Unternehmens auf einen Dritten. Dies entspricht der agrarpolitischen Zielsetzung des Gesetzes. Danach soll das Altersgeld mit dazu beitragen, daß landwirtschaftliche Unternehmen zu einem wirtschaftlich sinnvollen Zeitpunkt an jüngere Kräfte übergeben werden; nach der Konzeption des Gesetzes soll die Entscheidung des Landwirts, sich von seinem Unternehmen nach Vollendung des 65. Lebensjahres oder nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit zu trennen, durch die Zahlung einer angemessenen Altersversorgung erleichtert werden; dabei ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß der Landwirt durch die Abgabe des Hofes in besonderer Weise schutzwürdig wird (vgl hierzu BVerfG SozR 5850 § 2 Nr 8 S 15). Aus der og Zielsetzung folgt, daß grundsätzlich nur derjenige landwirtschaftliche Unternehmer das Altersgeld als Ausgleich erhalten soll, der sich durch die Übertragung des Eigentums von dem seine Existenz bildenden Unternehmen endgültig getrennt hat. Damit ist zugleich sichergestellt, daß der Übernehmer die landwirtschaftliche Fläche sinnvoll weiterbewirtschaften kann. Erst in zweiter Linie – was die Rechtsfolgen anbelangt jedoch gleichwertig – kommt als “Ersatzübergabe” eine Abgabe iS von § 2 Abs 3 Satz 2 GAL in Form einer Überlassung des landwirtschaftlichen Unternehmens für die Dauer von mindestens neun Jahren in Betracht.

Beide Fallgestaltungen dokumentieren, daß entsprechend der Zielsetzung des GAL die Unternehmereigenschaft verloren geht und der Anspruch auf Altersgeld erst entsteht, wenn unter normalen Umständen davon ausgegangen werden kann, daß in der Zukunft eine Bewirtschaftung der Fläche durch den bisherigen landwirtschaftlichen Unternehmer ausgeschlossen ist (“prinzipiell endgültiger Verlust”, vgl ua BSG SozR 5850 § 2 Nr 15 S 34). Bei der Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens durch Eigentumsübertragung ist nach der Rechtsprechung für den Verlust der Unternehmereigenschaft grundsätzlich die notariell beurkundete Einigung über den Eigentumsübergang (§§ 873, 925 BGB) bei gleichzeitiger Übergabe des Landes an den Erwerber zur Bewirtschaftung erforderlich und ausreichend; einer Grundbucheintragung bedarf es nicht, da diese den Einwirkungen der Vertragschließenden entzogen ist (vgl hierzu BSG SozR Nr 10 zu § 2 GAL 1965; SozR 5850 § 2 Nr 1 S 2 und Urteil vom 26. Oktober 1989 – 4 RLw 1/89 –).

Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der landwirtschaftliche Unternehmer bereits vor Übergang des Eigentums – hier also nach Auflassung und Überlassung des Landes an den Erwerber zur Bewirtschaftung – alles für eine endgültige Trennung vom Unternehmen erforderliche getan hat (vgl hierzu entsprechend BSG SozR 5850 § 2 Nr. 15 S 33 f). In diesem Fall hat sich der Landwirt bereits zu einem früheren Zeitpunkt von seinem Unternehmen gelöst und es iS von § 2 Abs 3 Satz 2 und 3 GAL abgegeben.

Ein endgültiger Verlust der Unternehmereigenschaft in diesem Sinne ist bei dem Kläger im Oktober 1993 nach Wirksamwerden des notariellen Kaufvertrages mit Erteilung der behördlichen Genehmigungen eingetreten. In diesem Vertrag hatte sich der Kläger gegenüber dem Pächter bzw dem Erwerber zur Veräußerung des Grundstücks und damit zur Überlassung auf immer verpflichtet. Diese Verpflichtung war, was die endgültige Lösung vom Unternehmen (bzw von der landwirtschaftlichen Nutzfläche) betraf, bei gewöhnlichem Verlauf der vertraglichen Beziehungen nicht mehr umkehrbar und daher im Wortsinne tatsächlich endgültig. Da der Kläger das Land bereits zur Bewirtschaftung übergeben hatte, stellte die übernommene Verpflichtung eine absolute Trennung vom Unternehmen dar; sie war sogar “endgültiger” als bei der “Ersatzübergabe” durch Nutzungsüberlassung für mindestens neun Jahre. Der Verkäufer, der die Fläche dem Käufer bereits übergeben hat und der sich im notariellen Vertrag zur Übereignung dieser Fläche verpflichtet, kann also nach Sinn und Zweck von § 2 Abs 3 GAL nicht schlechter gestellt werden. In beiden Fällen bewirkt der Abschluß des schuldrechtlichen Vertrages bei vom Gesetz unterstelltem normalen Verlauf der Vertragsbeziehungen (vgl BSG SozR 5850 § 2 Nr 13 S 28 f) den endgültigen Verlust der Unternehmereigenschaft. Mit dem Abschluß der Verträge wird es in beiden Fällen dem bisherigen Unternehmer faktisch – im Hinblick auf die vom Gesetz gezogene Altersgrenze bzw auf die mit der Erwerbsunfähigkeit verbundenen erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen – auf Dauer verwehrt, die Bewirtschaftung des Unternehmens wieder aufzunehmen (vgl hierzu BSG SozR 5850 § 41 Nr 14 S 41).

Mithin hatte der Kläger zum 4. Oktober 1990, nachdem der notarielle Kaufvertrag wirksam geworden war, bei fortbestehender Nutzung der verkauften landwirtschaftlichen Fläche durch den Pächter bzw Erwerber dieser Fläche sein Unternehmen iS von § 2 Abs 3 Satz 1 und 2 GAL abgegeben. Die Vorinstanzen haben daher zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Altersgeld mit Ablauf des Monats (§ 10 Abs 2 GAL) für die Zeit ab 1. November 1990 bejaht.

Die Revision ist nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1996, 572

SozSi 1997, 79

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge