Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf ungekürzte Witwengrundrente ist auch von dem 1957-05-01 (Inkrafttreten des 6. ÄndG BVG vom 1957-07-01; BGBl 1 S 661) nicht davon abhängig, daß das von der Witwe versorgte, aus der Ehe mit dem gefallenen Vater hervorgegangene Kind Waisenrente nach dem BVG bezieht.
Normenkette
BVG § 40 Hs. 2 Fassung: 1950-12-20, § 40 Hs. 2 Fassung: 1953-08-07, § 41 Abs. 1 Buchst. c Fassung: 1956-06-06
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 20. April 1955 wird aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. November 1954 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des zweiten und dritten Rechtszuges zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die am 24. Mai 1920 geborene Klägerin war mit dem seit 20. August 1944 kriegsverschollenen und später für tot erklärten E W W - festgestellter Zeitpunkt des Todes: 31.Juli 1949 - verheiratet. Aus der Ehe ist der am 14. Juli 1942 geborene Sohn J hervorgegangen. Dieser hielt sich bis 30. Juni 1954 bei der Mutter der Klägerin in Thüringen auf. Am 30. August 1952 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt (VersorgA.) H, ihr Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren. Das VersorgA. bewilligte mit Bescheid vom 6. März 1953 Witwengrundrente von monatlich 20,- DM ab 1. August 1952. Die Rente gelangte erst ab 1. August 1953 zur Auszahlung, weil die Verwaltungsbehörde vom 1. August 1952 bis 31. Juli 1953 das Ruhen der Rente anordnete, da die Klägerin das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet und auch nicht für ein waisenrenteberechtigtes Kind (§ 41 Abs. 1 Buchst. c BVG) zu sorgen habe. Den Einspruch der Klägerin wies der Beschwerdeausschuß zurück, weil das Kind keine Waisenrente nach dem BVG beziehe. Mit der Klage begehrt die Klägerin die volle Witwengrundrente von 40,- DM ab 1. August 1952.
Das Sozialgericht (SG.) verurteilte mit Urteil vom 15. November 1954 die Beklagte, der Klägerin die volle Witwengrundrente nach § 40 BVG ab 1. September 1952 zu gewähren. Es ließ die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zu. Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG.) mit Urteil vom 20. April 1955 das Urteil der Vorinstanz auf und wies die Klage insoweit ab, als die Beklagte zur Zahlung der vollen Witwengrundrente für die Zeit vor dem 1.Juli 1954 verurteilt worden war. Es führte aus: Das gemeinschaftliche Kind J habe sich bis Ende Juni 1954 im Bereich der Sowjetzone befunden und während dieser Zeit keine Waisenrente nach dem BVG, sondern nach den ostzonalen Bestimmungen bezogen. Nach dem Wortlaut des § 41 Abs. 1 Buchst. c BVG und der Stellung des Relativsatzes "das eine Waisenrente nach diesem Gesetz bezieht" sei der Schluß zwingend, daß sich die in diesem Satz ausgesprochene Voraussetzung auf die Kinder des Verstorbenen und die eigenen Kinder der Witwe, die nicht zugleich Kinder des Verstorbenen sind, d.h. auf sämtliche im Gesetz aufgezählten Kinder, beziehe. Der Relativsatz müßte sich sonst unmittelbar an die Worte "oder ein eigenes Kind" anschließen. Auch aus dem Sinn der Vorschrift ergebe sich kein Anhalt für eine unterschiedliche Behandlung von Kindern der Witwe und des Verstorbenen, weil der versorgungsrechtliche Tatbestand - Tod des männlichen Ernährers durch Kriegseinwirkung - der gleiche sei. Solange das Kind keine Waisenrente nach dem BVG bezogen habe, stehe der Klägerin kein Anspruch auf volle Witwengrundrente zu. Das LSG. ließ die Revision zu.
Gegen das am 4. Mai 1955 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. Juni 1955 Revision eingelegt und diese am 15. Juni 1955 begründet. Sie hat beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG. vom 15. November 1954 zurückzuweisen und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin auch die Kosten des zweiten und dritten Rechtszuges zu erstatten.
Die Revision rügt Verletzung der §§ 40 und 41 Abs. 1 Buchst. c BVG. Bei den Kindern des Verstorbenen im Sinne des § 45 Abs. 2 BVG sei es nicht sinnvoll, die Gewährung der vollen Witwengrundrente davon abhängig zu machen, daß das Kind des Verstorbenen Waisenrente nach dem BVG tatsächlich beziehe; denn ein Unterschied liege dann nur in der Geltendmachung des Anspruchs auf Waisenrente. Die Witwe unter 40 Jahren würde die höhere Grundrente nur in den Fällen nicht erhalten, in denen der Waisenrentenanspruch nicht angemeldet worden sei. Daß es auf einen realisierten Anspruch auf Waisenrente nicht ankomme, zeige Nr. 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 41 BVG, wonach die Gewährung des Härteausgleichs für die Witwe nicht davon abhängig gemacht ist, daß das Kind der Ausgleichsempfängerin Waisenrente bezieht. Die Voraussetzung des Bezugs einer Waisenrente nach dem BVG betreffe daher nicht ein Kind des Verstorbenen im Sinne des § 45 Abs. 2 BVG. Die Vorschrift begünstige nur Witwen, welche ein außereheliches oder nacheheliches Kind mit eigenem Waisenrentenanspruch hätten. Eine Witwe, die für ihr Kind sorge, könne nicht deshalb ungünstiger behandelt werden, weil ihr Kind außerhalb des Bundesgebiets lebe. Eine unterschiedliche Beurteilung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln seien. Schließlich verweist die Klägerin auf die amtliche Begründung zum BVG - Bundestagsdrucksache Nr. 1333 des Ersten Deutschen Bundestags, 1. Wahlperiode 1949 S. 59 - wo in Bezug auf § 41 Abs. 1 Buchst. c BVG der Personenkreis der Witwen mit rentenberechtigten oder bis zur Erreichung der Altersgrenze berechtigt gewesenen Kindern abgegrenzt werde. Für den Bezug der vollen Witwengrundrente genüge also der Anspruch auf Waisenrente, selbst wenn diese nicht gezahlt werde.
Die Beklagte hat beantragt, die Revision der Klägerin aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils zurückzuweisen.
Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164 und 166 SGG) und daher zulässig. Sie ist auch sachlich begründet.
Das BVG hat den Anspruch auf Witwengrundrente unterschiedlich nach dem Lebensalter, nach der Erwerbsfähigkeit und nach der Sorge der Witwe für ein oder mehrere Kinder behandelt. In der Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 30. April 1957 hat das BVG zwischen gekürzter und ungekürzter Witwengrundrente, wie folgt, unterschieden:
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gekürzt |
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ungekürzt |
Ab 1.10.1950 |
(Gesetz v. 20.12.1950, BGBl. I S. 791) |
20.- DM (ruhend) |
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40.- DM |
Ab 1.8.1953 |
(Gesetz v. 7.8.1953, BGBl. I S. 862) |
20.- DM |
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40.- DM |
Ab 1.1.1955 |
(Gesetz v. 19.1.1955, BGBl. I S. 25) |
24.- DM |
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48.- DM |
Ab 1.4.1956 |
(Gesetz v. 6.6.1956 BGBl. I S. 463) |
30.- DM |
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55.- DM |
Ab 1.5.1957 |
(Gesetz v. 1.7.1957 BGBl. I S. 661) |
nicht mehr gekürzt |
= |
70.- DM |
In diese Zeiträume, in denen eine ungekürzte oder eine geminderte Witwengrundrente gewährt werden konnte, fällt der von der Klägerin für die Zeit vom 1. August 1952 (Antrag) bis 30.Juni 1954 (Beginn des anerkannten Anspruchs des Sohnes J auf Waisenrente nach dem BVG) geltend gemachte Witwenrentenanspruch.
Bei der zugelassenen Revision ist das angefochtene Urteil im vollen Umfang sachlich-rechtlich (BSG. Bd. 3 S. 180) nachzuprüfen. Es kommt nicht darauf an, ob die gerügte Verletzung materiellen Rechts gerade in den von der Revision vorgebrachten Punkten vorliegt. Der Senat hatte daher zu prüfen, ob die nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG. es rechtfertigen, der Klägerin für die Zeit vom 1. August 1952 bis 30. Juni 1954 die volle Witwengrundrente von 40,- DM zu versagen.
Nach der in der Zeit vom 1. August 1952 bis 30. Juni 1954 in Kraft befindlichen Fassung des § 40 BVG beträgt die volle Grundrente der Witwe 40,- DM monatlich. Die Grundrente beträgt nur 20,- DM, wenn die Witwe weder das 40. Lebensjahr vollendet hat noch erwerbsunfähig ist, noch für mindestens ein Kind im Sinne des § 41 Abs. 1 Buchst. c BVG zu sorgen hat (BVG i.d. mit Wirkung v. 1.10.1950 in Kraft getretenen Fassung vom 7.8.1953 = a.F.).
Das LSG. hat unangegriffen festgestellt, daß die Klägerin noch nicht 40 Jahre alt und auch nicht erwerbsunfähig ist. Weiter hat das LSG. festgestellt, daß die Klägerin für das Kind J auch in der Zeit gesorgt hat, als sich dieses in der Sowjetzone bei der Großmutter aufhielt. Das LSG. hat der Klägerin die ungekürzte Witwenrente von 40,- DM für die Zeit vom 1. August 1952 bis 30. Juni 1954 versagt, weil dieses Kind in der genannten Zeit keine Waisenrente nach dem BVG bezogen hat.
Für den Anspruch auf ungekürzte Witwengrundrente kommt es also darauf an, ob der Tatbestand des § 41 Abs. 1 Buchst. c BVG erfüllt ist, d.h. ob die Klägerin für mindestens ein Kind des Verstorbenen im Sinne des § 45 Abs. 2 BVG oder für ein eigenes Kind zu sorgen hatte, das eine Waisenrente nach dem BVG bezieht. Der am 14. Oktober 1942 geborene J W ist ein eheliches Kind (§ 45 Abs. 2 Nr. 1 BVG) des Verstorbenen. Er ist ein gemeinschaftliches Kind aus der Ehe der Klägerin mit dem Gefallenen und damit an sich auch ein "eigenes Kind der Klägerin". Der in § 41 Abs. 1 Buchst. c BVG umschriebene Kreis von Kindern betrifft drei Gruppen: Die Kinder des Verstorbenen im Sinne des § 45 Abs. 2 BVG, die eigenen Kinder der Witwe und die dem Verstorbenen und der Witwe gemeinschaftlichen Kinder.
Streitig ist, ob der den rentenberechtigten Personenkreis einschränkende Relativsatz "das eine Waisenrente nach diesem Gesetz bezieht" in § 41 Abs. 1 Buchst. c BVG sich sowohl auf das Kind des Verstorbenen, als auch auf das "eigene Kind der Witwe" und schließlich auf ein beiden Elternteilen gemeinschaftliches Kind bezieht.
In der deutschen Sprache, die im Satzbau weitgehende Freiheiten zuläßt, muß sich das bezügliche Fürwort nicht unbedingt auf das unmittelbar vorhergehende Dingwort allein beziehen; der mit dem Fürwort eingeleitete Nebensatz kann sich auch auf ein zweites Dingwort beziehen, von dem mit dem Relativsatz dieselbe Aussage gemacht werden soll. Entgegen der Ansicht des LSG. und der Beklagten kann daraus, daß das Fürwort sich nicht unmittelbar an das Bezugswort "eigenes Kind" anschließt, nicht gefolgert werden, daß sich der Relativsatz auch noch auf das vorausgegangene Dingwort "Kind des Verstorbenen" beziehen müsse. Die Worte "zu sorgen haben" mußten schon aus sprachlichen Gründen dem Bezugswort "eigenes Kind" noch vor dem Relativsatz folgen, weil die Einschaltung eines 29 Worte umfassenden Relativsatzes sonst entgegen der Sprachregel den Gedankenzusammenhang auseinandergerissen hätte (Gesellschaft für deutsche Sprache, Fingerzeige für die Gesetzes- und Amtssprache (7. Aufl., 1955), S. 58.
Da mithin die grammatikalische Auslegung des Gesetzestextes zu keiner Lösung führt, muß seine zutreffende Auslegung aus dem Sinnzusammenhang abgeleitet werden. Jede Auslegung muß den Sinn der Rechtsvorschrift erfassen (Engisch, Einführung in das juristische Denken 1956 S. 71). Bei dem oft mehrdeutigen Wortsinn darf die Auslegung einer Rechtsnorm nicht stehen bleiben, sondern hat darüber hinaus weitere Kriterien, vor allem den Zweck des anzuwendenden Gesetzes heranzuziehen (Lorenz, DRiZ 1959 S. 306 u. Siebert, Die Methode der Gesetzesauslegung 1958 S. 8 f und S. 40). Wie bei arbeitsrechtlichen Gesetzen der spezifische arbeitsrechtliche Schutzzweck die ratio legis in den Vordergrund rückt (Siebert a.a.O. S. 45), so ist für die Auslegung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes der soziale Zweck maßgebend, den versorgungsberechtigten Personenkreis sinnvoll abzugrenzen.
Wird als Voraussetzung für den Anspruch auf ungekürzte Witwengrundrente beim ehelichen Kind des Gefallenen der Bezug einer Waisenrente nach dem BVG gefordert, so hat dies zur Folge, daß der Witwe die volle Grundrente zu versagen ist, wenn der gesetzliche Vertreter des Kindes es unterlassen hat, Waisenrente zu beantragen, oder wenn das Kind seinen Wohnsitz außerhalb der Bundesrepublik hat, weil die Rente nur den in der Bundesrepublik wohnenden Deutschen zusteht (§ 7 Nr. 1 BVG), und zwar auch dann, wenn die Witwe für dieses Kind sorgt. Wenn auch grundsätzlich ein minderjähriges Kind den gleichen Wohnsitz hat wie der noch lebende Elternteil (§ 11 Abs. 1 Satz 1 BGB), so kann doch die Mutter für das Kind einen anderen Wohnsitz, wie z.B. hier am Wohnort seiner Großmutter außerhalb der Bundesrepublik, begründen und beibehalten (§ 7 Abs. 1 und 3 BGB). Sorgt aber die Mutter für dieses außerhalb der Bundesrepublik wohnende Kind, so ist kein vernünftiger Grund dafür zu finden, ihr die ungekürzte Witwengrundrente nur deshalb zu verweigern, weil dieses Kind infolge seines Wohnsitzes keine Waisenrente nach dem BVG beziehen kann. Für den Anspruch auf Waisenrente mag der Aufenthalt des Kindes in oder außerhalb der Bundesrepublik rechtserheblich sein, nicht aber für den Anspruch der Witwe auf ungekürzte Witwenrente. Schlechthin unverständlich wird die Vorschrift, wenn man sie auf ein von der Mutter versorgtes Kind in der Bundesrepublik anwenden wollte, das nur deshalb keine Waisenrente bezieht, weil kein Antrag auf Waisenrente gestellt worden ist. Die Mutter würde in solchen Fällen zweifach benachteiligt: einmal mittelbar durch den Ausfall der Waisenrente, die in aller Regel von der Mutter zum Unterhalt des Kindes verwandt wird, zum anderen durch Versagen der ungekürzten Witwenrente, obgleich die Sorgelast von der Mutter getragen wird. Der Nichtbezug einer Waisenrente nach dem BVG kann daher kein Grund sein, den Versorgungsschutz der Witwe zu beschränken, wenn sie für das Kind des gefallenen Ehemannes sorgt.
Bezieht sich dagegen die den Witwenrentenanspruch einschränkende Voraussetzung des Bezugs einer Waisenrente nach dem BVG nur auf die eigenen, vor- oder nachehelichen Kinder der Witwe, die nicht Kinder des gefallenen Ehemannes sind, so besagt die Einschränkung in sinnvoller Weise, daß die Witwe nur dann die volle Witwengrundrente erhalten soll, wenn durch Bezug der Waisenrente nachgewiesen ist, daß der Vater dieses von der Witwe versorgten Kindes ebenso wie ihr Ehemann an einer Schädigungsfolge im Sinne des § 1 BVG gestorben ist. Bei dieser Auslegung wird deutlich, daß die Sorge für das Kind eines Gefallenen - mag der Vater der Ehemann oder ein anderer Mann sein - allein das entscheidende Merkmal ist, das den Bezug der vollen Witwengrundrente als Kriegsopferversorgung rechtfertigt. Der Mutter soll nicht in jedem Falle der Sorge für ein eigenes, nicht aus der Ehe mit dem Gefallenen stammendes Kind die ungekürzte Witwengrundrente gewährt werden, sondern nur, wenn dieses Kind einen anderen, gleichfalls Gefallenen zum Vater hat.
Ist schließlich - wie hier - der Gefallene der verstorbene Ehemann, von dem die Witwe die Versorgungswitwenrente ableitet, ist also das Kind, für das die Witwe sorgt, beiden Elternteilen gemeinschaftlich, so verliert gleichfalls das Erfordernis des Bezugs einer Waisenrente seinen Sinn, weil die Sorge für ein beiden Elternteilen gemeinschaftliches Kind für die Bemessung der Witwenrente nicht ungünstiger beurteilt werden kann, als die Sorge für ein anderes Kind des gefallenen Mannes. Auch in diesem Fall besteht kein erkennbarer Grund dafür, die Mutter in der Höhe der Witwengrundrente nur deshalb zu beschränken, weil das aus der Ehe mit dem Verstorbenen stammende, von ihr versorgte Kind, aus den genannten äußeren Gründen- Wohnsitz, fehlender Antrag - keine Waisenrente nach dem BVG bezieht. Dieser Auslegung, die sich aus dem Vergleich der Auswirkungen bei einem Kind des Verstorbenen, bei einem eigenen Kind der Witwe und bei einem gemeinschaftlichen Kind ergibt, stehen die Materialien zum BVG nicht entgegen. Dafür, ob die mit dem Satz "das eine Waisenrente nach dem BVG bezieht" gemachte Einschränkung des berechtigten Personenkreises sich nur auf die eigenen Kinder der Witwe oder auch auf die gemeinschaftlichen Kinder oder auch noch auf die Kinder des verstorbenen Mannes bezieht, geben die amtliche Begründung zum Entwurf zum BVG (Bundestagsdrucksache Nr. 1333) und die Protokolle des 26. Ausschusses in den Sitzungen vom 26. September bis 12. Oktober 1950 zur Beratung des Entwurfs des BVG im Deutschen Bundestag keinen Anhalt. Nach der amtlichen Begründung zu § 40 BVG sollten die Grundrenten nur einen bescheidenen Ausgleich für den Verlust des Ehemannes darstellen. Zum Ausdruck kam lediglich, daß einer Witwe über 40 Jahren oder mit Kindern nicht zugemutet werden könne, eine Einschränkung der Witwengrundrente hinzunehmen (Protokoll der 37. Sitzung vom 11. Oktober 1950 S. 112 (A) bis 114 (B) insbesondere S. 113 (A). Auch die Verwaltungsvorschriften, die zur Auslegung mit herangezogen werden dürfen, soweit sie mit dem Gesetz im Einklang stehen, gehen auf den Unterschied im Anspruch auf Witwengrundrente nach den Kindern des Verstorbenen und den eigenen Kindern der Witwe nicht ein. Auch Wilke, der im Anschluß an das Urteil des SG. Frankfurt vom 26. Oktober 1954 - II - V 114/54 - zu der Streitfrage Stellung nimmt (BVBl. 1955 S. 64 Nr. 8), gibt keine Gründe dafür an, weshalb der Gesetzgeber es bei einem Kind des Gefallenen, also auch beim gemeinschaftlichen Kind zur Voraussetzung einer ungekürzten Witwengrundrente gemacht haben sollte, daß das Kind eine Versorgungswaisenrente bezieht. Wenn der Gesetzgeber diejenige Witwe schlechter gestellt hat, die nur für ein eigenes Kind sorgt, dessen Vater unabhängig von Kriegsereignissen gestorben ist, weshalb es in keinem Fall Versorgungswaisenrente beziehen kann, so folgt daraus nicht, daß gleiches auch für die Witwe gelten müßte, die für ein aus der Ehe mit dem Gefallenen stammendes Kind oder für ein anderes Kind des gefallenen Mannes sorgt, das nur wegen Fehlens persönlicher Anspruchsvoraussetzungen keine Waisenrente nach dem BVG bezieht. Dem Gesetzgeber - das folgt aus dem Zweck des BVG - kam es offensichtlich allein darauf an, einen allgemein für Witwen unter 40 Jahren normierten Nachteil bei Bemessung der Witwenrente (§ 40, 2. Halbsatz BVG n.F.) nicht auch den Witwen aufzuerlegen, die für ein Kind zu sorgen haben, dessen Vater gefallen ist.
Das LSG. hat mithin den Personenkreis, der Anspruch auf die ungekürzte Witwengrundrente hat, enger gezogen, als die sinngemäße Auslegung des Gesetzes es zuläßt. Dazu kommt, daß der Bezug einer gekürzten Witwengrundrente (20,- DM) eine Ausnahme von dem grundsätzlichen Bezug der vollen Witwengrundrente (40,- DM) darstellt, und daß Ausnahmen von dieser Ausnahme zumindest dann weit auszulegen sind, wenn sie dem Regeltatbestand nahekommen. Eine Frau, die für ein Kind zu sorgen hat, ist meistens im Erwerbsleben nicht weniger behindert, als eine kinderlose Frau, welche das 40. Lebensjahr vollendet hat (so Protokoll der 37. Sitzung des Bundestagsausschusses vom 11. Oktober 1950 (a.a.O. S. 113 (A)). Wenn aber die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit im Erwerbsleben dadurch verursacht wird, daß die Witwe das Kind eines Gefallenen zu betreuen hat, so verdient nach der Auffassung des Senats unter mehreren möglichen Gesetzesauslegungen diejenige den Vorzug, welche dieser Beeinträchtigung Rechnung trägt. Da die Witwe für das damals in der Sowjetzone lebende Kind des Verstorbenen gesorgt hat und das Kind zu dem in § 45 Abs. 2 BVG bestimmten Kreis von Kindern gehört, steht der Klägerin der Anspruch auf die ungekürzte Witwengrundrente (§ 40 i.V. mit § 41 Abs. 1 Buchstabe c BVG a.F.) zu.
Mithin hat das LSG. mit seiner Auslegung dieser Vorschriften das Gesetz verletzt. Da das angefochtene Urteil hierauf beruht, muß die Revision der Klägerin zu seiner Aufhebung führen.
Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 SGG konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden; denn die tatsächlichen Feststellungen des LSG. erfassen alle Tatbestandsmerkmale, von denen der Anspruch auf ungekürzte Witwengrundrente abhängt (§ 40 und § 41 BVG in der Fassung vom 20.12.1950 und vom 7.8.1953).
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG. Hamburg vom 15. November 1954 ist soweit unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Das SG. hat zwar der Klägerin ohne erkennbaren Grund die Witwenrente von 40,- DM erst ab 1. September 1952 (statt vom Beginn des Monats der Antragstellung, das ist vom 1. August 1952 an) zugesprochen. Wegen des Verbots der reformatio in peius und weil die Klägerin das Urteil des SG. nicht angefochten hat (§ 123 SGG in Verbindung mit § 536 Zivilprozeßordnung) ist der Senat jedoch gehindert, die Beklagte schlechter zu stellen, als sie nach dem Urteil des SG. stand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen