Entscheidungsstichwort (Thema)
Belgier. Arbeitsunfall. Zuständigkeit
Orientierungssatz
1. Belgische Staatsangehörige, die während des zweiten Weltkrieges im Gebiet des jetzigen Landes Berlin einen Arbeitsunfall erlitten haben, sind aufgrund SozSichAbkZVbg BEL 3 frühestens vom 1.10.1944 an von dem Unfallversicherungsträger zu entschädigen, dessen Zuständigkeitsbereich auf das Land Berlin erstreckt worden ist.
Der Rentennachzahlung steht nicht entgegen, daß der Verletzte die Rente vor Inkrafttreten SozSichAbkZVbg BEL 3 noch nicht beantragt hatte.
2. Zur Vorlagepflicht nach Art 177 Abs 1 Buchst b Abs 3 EWG-Vertrag (vgl BSG 1971-12-16 2 RU 14/68 = SozR Nr 1 zu 3. ZV zum Abk Belgien SozSich Allg vom 7.12.1957).
Normenkette
SozSichAbkZVbg BEL 3 Art. 2 Abs. 1 S. 1, Art. 1; RVO § 615 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1925-07-14; EWGVtr Art. 177 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 24.07.1968) |
SG Hannover (Entscheidung vom 25.09.1967) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Juli 1968 wird aufgehoben.
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. September 1967 wird im Kostenpunkt aufgehoben. Im übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger zu 2) die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger zu 2) ist belgischer Staatsangehöriger und wohnt in Belgien. Er war seit 1940 als freiwilliger und von März 1944 an als zwangsverpflichteter Arbeiter in Deutschland beschäftigt. Zuletzt arbeitete er als Zimmermann in einem Baugeschäft in B. Am 3. Mai 1944 erlitt er auf einer Baustelle in B einen Unfall, als es beim Anwärmen von Teer zu einer Explosion kam. Dabei zog er sich einen Kniescheibenbruch rechts, einen Unterarmbruch links sowie Verbrennungen am rechten Unterarm und an der rechten Hand zu. Die damals zuständige Bau-Berufsgenossenschaft (Bau-BG), Bezirksverwaltung B, gewährte ihm Heilbehandlung. Zu einer Rentenfeststellung kam es nicht mehr.
Wegen der Folgen des Unfalls erhält der Kläger zu 2) von dem Kläger zu 1) - Königreich Belgien - eine Rente.
Im September 1963 beantragte die belgische Verbindungsstelle (Ministère de la Prévoyance Sociale, B) unter Bezugnahme auf die Dritte Zusatzvereinbarung zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 über die Zahlung von Renten für die Zeit vor Inkrafttreten des Abkommens (BGBl 1963 II 404 - 3. ZV), wegen der Folgen des Unfalls eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen. Daraufhin gewährte die beklagte Bau-BG H durch Bescheid vom 17. Februar 1966 dem Kläger zu 2) für die Zeit vom 1. Oktober 1944 bis zum 31. Mai 1945 sowie vom 1. Juni 1951 an Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 v.H. Die Versagung der Rentengewährung für den Monat Juni 1945 begründete die Beklagte damit, daß infolge des staatlichen Zusammenbruchs eine Rentenzahlung in B allgemein entfallen sei. Den Anspruch auf Auszahlung der Rente für die Zeit vom 1. Juli 1945 bis zum 31. Mai 1951 hielt die Beklagte deshalb für nicht gegeben, weil der Kläger zu 2) seinen Wohnsitz außerhalb B gehabt habe; nach der - bis zum 31. Dezember 1950 gültigen - Satzung der ehemaligen Versicherungsanstalt B (VAB) und nach dem - am 1. Januar 1951 in Kraft getretenen - Gesetz zur Anpassung des Rechts der Sozialversicherung in Groß-B an das in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) geltende Recht vom 3. Dezember 1950 (BSVAG) - VOBl I 542 - hätten Renten nur an in B wohnende Berechtigte ausgezahlt werden dürfen.
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Hannover durch Urteil vom 25. September 1967 die Beklagte verurteilt, dem Kläger zu 2) Rente nach einer MdE um 25 v.H. auch für die Zeit vom 1. Juni 1945 bis zum 31. Mai 1951 zu zahlen. Zur Begründung hat das SG im wesentlichen ausgeführt: Nach Art. 1 und 2 der 3. ZV seien Renten seit dem 1. Oktober 1944 fortlaufend ohne Unterbrechung nachzuzahlen. Da die 3. ZV auch für B gelte und durch Art. 4 Abs. 1 des Allgemeinen Abkommens die Anwendung der Vorschriften ausgeschlossen sei, welche eine Rentenzahlung vom Wohnsitz abhängig machten, sei die Beklagte auch zuständig für die Gewährung der Rente in dem Zeitraum vor dem 1. Juni 1951. Das zwischenstaatliche Recht enthalte eine besondere Regelung, die dem deutschen Recht als lex specialis vorgehe.
Auf die - zugelassene - Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 24. Juli 1968 die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Nachzahlungsanspruch setze nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 S. 1 der 3. ZV voraus, daß der in Anspruch genommene Versicherungsträger nach deutschem Recht Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober 1944 an "schulde". Dieses Erfordernis sei nicht gegeben. Zur Zeit des Unfalls sei der Kläger zu 2) nicht bei der Beklagten, sondern bei der früheren reichsgesetzlichen Bau-BG versichert gewesen. Dieser Versicherungsträger bestehe nicht mehr. Die Leistungspflicht der Beklagten sei erst durch das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG) mit Wirkung vom 1. April 1952 begründet worden. Der vom SG vertretenen Auffassung, Art. 2 Abs. 1 S. 1 der 3. ZV enthalte eine allgemeine Zuständigkeitsregelung, könne nicht beigetreten werden. Den Vertragsparteien der 3. ZV sei bekannt gewesen, daß einige an sich leistungspflichtige Versicherungsträger nicht mehr bestehen und in diesen Fällen das FAG mit Wirkung vom 1. April 1952 die Entschädigungspflicht anderer Versicherungsträger begründet habe. Das ergebe sich aus Art. 2 Abs. 1 S. 2 der 3. ZV. Es könne dahingestellt bleiben, ob diese Bestimmung für die Unfallversicherung gelte. Jedenfalls hätten die Vertragsparteien durch die Vorschrift zu erkennen gegeben, daß sie Art. 2 Abs. 1 S. 1 der 3. ZV nicht im Sinne einer allgemeinen Zuständigkeitsregelung aufgefaßt haben. Durch die in Art. 2 Abs. 1 S. 2 der 3. ZV enthaltene Verweisung auf Art. 4 der 3. ZV sei zum Ausdruck gebracht worden, daß der Nachzahlungsanspruch in Fällen, in denen der an sich leistungspflichtige Versicherungsträger nicht mehr vorhanden sei, nur unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift begründet werden solle. In Art. 4 der 3. ZV sei aber nicht geregelt, welcher Versicherungsträger im Einzelfall zur Nachzahlung verpflichtet sei, wenn der an sich entschädigungspflichtige Versicherungsträger die Rente des belgischen Staatsangehörigen nicht festgestellt habe und er nicht mehr vorhanden sei. Es liege eine Lücke in der 3. ZV vor, die mit Rücksicht auf das entgegenstehende deutsche Recht (FAG) nicht zugunsten der Kläger ausgefüllt werden könne. Daraus, daß die Beklagte dem Kläger zu 2) mit dem angefochtenen Bescheid Leistungen für Zeiten vor dem 1. April 1952 gewährt habe, könnten die Kläger keine Verpflichtung der Beklagten auf Nachzahlung der Rente für die streitige Zeit vom 1. Juni 1945 bis zum 31. Mai 1951 herleiten.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Kläger haben dieses Rechtsmittel eingelegt und begründen es wie folgt: Der Anspruch der Kläger sei allein nach dem Vertragswerk zu beurteilen, das die Bundesrepublik Deutschland mit dem Königreich Belgien zur Regelung ihrer gegenseitigen Beziehungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit getroffen habe. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, in Art. 4 der 3. ZV sei eine Lücke vorhanden. Nach dem in Art. 2 Abs. 1 S. 2 der 3. ZV objektivierten Willen der vertragsschließenden Staaten könne der Wortlaut der Bestimmung (Art. 4) nur so verstanden werden, daß bei Nichtbestehen des Rentenanspruchs nach deutschem Recht für die Zeit vor dem 1. April 1952 infolge Ausfalls eines leistungspflichtigen Versicherungsträgers für die Gewährung der Leistung ein anderer Versicherungsträger nach Art. 4 der 3. ZV zu ermitteln sei. Falls wirklich in Art. 4 der 3. ZV eine Lücke vorhanden sei, müsse sie zugunsten der Kläger geschlossen werden. Im übrigen habe die Beklagte als entschädigungspflichtiger Versicherungsträger die Rente des Klägers zu 2) ua für die Zeit vom 1. Oktober 1944 bis zum 31. Mai 1945 festgestellt. Schon deshalb sei sie unter Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 3 der 3. ZV auch für die Zeit von Juni 1945 bis Mai 1951 zuständig. Bei einer Kollision zwischen internationalem und nationalem Recht sei das im zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrecht geltende Günstigkeitsprinzip ebenso anzuwenden wie bei der Ausfüllung einer Gesetzeslücke. Das FAG dürfe zur rechtlichen Beurteilung nicht herangezogen werden. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Geist des internationalen Abkommens könne der Gedanke hergeleitet werden, den belgischen Staatsangehörigen einen Anspruch zu versagen, weil die deutsche Gesetzgebung den deutschen Staatsangehörigen für den gleichen Fall keinen Anspruch gebe. Das bewußte Abweichen der vertragsschließenden Staaten vom deutschen Recht zeige sich gerade in der Besserstellung der belgischen Staatsangehörigen, denen die Bundesrepublik Wiedergutmachung ex tunc gewähren wolle. Das zwischenstaatliche Recht sei nach den herkömmlichen völkerrechtlichen Grundsätzen als lex specialis anzusehen. Die durch die 3. ZV vorgenommene Besserstellung der belgischen Staatsangehörigen gegenüber deutschen Rentenempfängern verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dem Gesetzgeber sei es gestattet, bei einzelnen gesellschaftlichen Gruppen nach sachlichen Gesichtspunkten zu differenzieren. Schließlich sei unter Berücksichtigung des Art. 52 Abs. 1 und 2 des Allgemeinen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 (Allgem. Abk.) - BGBl 1963 II 406 ff - die Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit gemäß § 114 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Erwägung zu ziehen, sofern das Revisionsgericht der Rechtsansicht der Kläger nicht folge.
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG Hannover zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Berufungsgerichts für zutreffend und macht geltend: Ihre Zuständigkeit sei erst durch das FAG mit Wirkung vom 1. April 1952 an begründet worden. Im Zeitpunkt des Unfalls sei die reichsgesetzliche Bau-BG Schuldnerin der zu gewährenden Leistungen gewesen. Dieser Versicherungsträger bestehe nicht mehr. Die Beklagte - Gebietsverwaltung Berlin - habe erst im Jahre 1952 die Tätigkeit im Bereich West-B aufgenommen. Ein Schuldner sei somit für den geltend gemachten Nachzahlungsanspruch nicht vorhanden. Die 3. ZV bestimme nicht die Zuständigkeit eines anderen Unfallversicherungsträgers, wie dies auf dem Gebiet der Rentenversicherung (Art. 2 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 4 der 3. ZV) geschehen sei. Die vorhandene Lücke in der 3. ZV könne mit Rücksicht auf das entgegenstehende deutsche Recht nicht zugunsten der Kläger ausgefüllt werden. Es bestehe keine Möglichkeit, einen belgischen Staatsangehörigen aufgrund der 3. ZV besser zu stellen als einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland oder des Landes Berlin. Es sei mit den zwischenstaatlichen Vereinbarungen nicht beabsichtigt gewesen, den belgischen Arbeitnehmern eine Wiedergutmachung zukommen zu lassen. Die Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. Oktober 1944 bis zum 31. Mai 1945 und vom 1. Juni 1951 bis zum 31. März 1952 sei lediglich entgegenkommenderweise geleistet worden, um den Kläger zu 2) ebenso zu behandeln wie einen deutschen Staatsangehörigen, der außerhalb B in der Bundesrepublik lebe.
II
Die zulässige Revision ist begründet.
Der Kläger zu 2) erhält wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 3. Mai 1944 Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung, wie die Beklagte für die Zeit vom 1. Oktober 1944 bis zum 31. Mai 1945 sowie vom 1. Juni 1951 an in ihrem Bescheid vom 17. Februar 1966 bereits bindend festgestellt hat. Ihm steht jedoch die Unfallrente auch für den Zeitraum vom 1. Juni 1945 bis zum 31. Mai 1951 zu, für welchen die Beklagte die Rentenzahlung verweigert hat, und die Beklagte ist der für die Rentengewährung zuständige Versicherungsträger.
Wie der erkennende Senat in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen, ebenfalls am 16. Dezember 1971 ergangenen Urteil - 2 RU 14/68 - in einem rechtsähnlich gelagerten Fall entschieden und im einzelnen ausgeführt hat, gründet sich der Nachzahlungsanspruch auf die Dritte Zusatzvereinbarung zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 - Allgemeines Abkommen - über die Zahlung von Renten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Abkommens, ebenfalls vom 7. Dezember 1957 (BGBl 1963 II 404 - 3. ZV).
Die 3. ZV ist weiterhin in Kraft. Die Sozialversicherungsabkommen zwischen dem Königreich Belgien und der Bundesrepublik Deutschland sind zwar weitgehend durch die Verordnung Nr. 3 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 25. September 1958 (BGBl 1959 II 473 - EWG-VO Nr. 3) ersetzt worden. Die EWG-VO Nr. 3 betrifft jedoch nur Personen, für die als Arbeitnehmer die Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland oder des Landes Berlin oder eines Mitgliedstaates der EWG über soziale Sicherheit galten oder gelten (vgl. BSG 15, 29, 34). Solange der Kläger in Deutschland arbeitete, haben Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland über soziale Sicherheit noch nicht für ihn gelten können. Ob der Kläger vor oder nach seiner Beschäftigung in Berlin den Vorschriften über soziale Sicherheit eines anderen Mitgliedstaates der EWG unterstand oder untersteht, ist den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Selbst wenn man aber davon ausgeht, daß - was naheliegt - der Kläger in seinem Heimatstaat den Vorschriften über soziale Sicherheit unterstanden hat oder sogar noch untersteht, ist die 3. ZV weiterhin anwendbar, weil sie nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. e EWG-VO Nr. 3 durch die Aufnahme in den Anhang D dieser VO weitergilt.
Nach Art. 1 der somit in Kraft gebliebenen 3. ZV gelten u.a. Art. 2 und Art. 4 Abs. 1 des Allgemeinen Abkommens für Personen, die sich - wie der Kläger - im Gebiet eines Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten und nach den Rechtsvorschriften eines oder beider Staaten über die Entschädigung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten Ansprüche haben, bereits mit Wirkung vom 1. Oktober 1944 an. Nach Art. 4 Abs. 1 des Allgemeinen Abkommens, der auch für die Unfallversicherung gilt (Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und Nr. 2 Buchst. c des Allgemeinen Abkommens), finden die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, welche die Entstehung von Ansprüchen oder die Gewährung von Leistungen oder Leistungsteilen vom Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt abhängig machen (s. § 615 Abs. 1 Nr. 3 RVO idF vor dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 - BGBl I 241 - RVO aF; § 625 Abs. 1 Nr. 1 RVO), auf Personen, die im Gebiet des anderen Staates ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, keine Anwendung, soweit nicht in diesem Abkommen etwas anderes bestimmt ist. Da das Allgemeine Abkommen insoweit keine abweichende Regelung trifft, hat die Rente des Klägers zu 2) somit rückwirkend vom 1. Oktober 1944 nicht wegen seines freiwilligen gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland geruht. Hinsichtlich der Rentenzahlungen für die Zeit vor Inkrafttreten der 3. ZV bestimmt Art. 2 Abs. 1 Satz 1 der 3. ZV, daß Renten oder Rententeile, welche die deutschen und belgischen Träger nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die von ihnen anzuwenden sind oder waren, unter Berücksichtigung des Art. 1 des Allgemeinen Abkommens den dort genannten Personen für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Allgemeinen Abkommens schulden, den Berechtigten auf Antrag nach Maßgabe des Art. 3 der 3. ZV nachzuzahlen sind.
Der demnach rückwirkend - sofern die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind - für die Zeit vom 1. Oktober 1944 an bestehenden Leistungspflicht der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung steht nicht, wie das LSG und die Beklagte meinen, für die Zeit bis zum Inkrafttreten des FAG vom 7. August 1953 (BGBl I 848) am 1. April 1952 entgegen, daß die Bau-BG, Bezirksverwaltung B, die für die Entschädigung des Klägers zu 2) im Zeitpunkt des Unfalles zuständig gewesen ist, nicht mehr besteht.
Soweit nach den deutschen Rechtsvorschriften über die Rentenversicherungen Renten oder Rententeile für die Zeit vor dem 1. April 1952 nicht gewährt werden können, weil ein leistungspflichtiger Träger nicht vorhanden ist, werden diese Leistungen von den nach Art. 4 der 3. ZV zuständigen Trägern übernommen (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV). Entgegen der Auffassung der Beklagten gilt diese Vorschrift in der Bundesrepublik Deutschland auch für Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Zwar entspricht es allgemein mehr dem deutschen Sprachgebrauch, unter Rentenversicherungen nicht die gesetzliche Unfallversicherung, sondern nur die Versicherungen für den Fall der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, des Alters oder des Todes zu verstehen. Jedoch kann auch nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der Begriff "Rentenversicherung" sowohl Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung als auch Renten aus der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sowie der knappschaftlichen Rentenversicherung betreffen. Bei Unfallrenten handelt es sich ebenfalls um Renten, die aufgrund einer "Versicherung" gewährt werden. Die 3. ZV ist zudem keine ausschließlich deutsche innerstaatliche und damit allein dem deutschen Sprachgebrauch entsprechende Vereinbarung. Vor allem nach seiner Stellung in der 3. ZV ist Art. 2 Abs. 1 Satz 2 so zu verstehen, daß diese Bestimmung auch auf die Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung anzuwenden ist. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV steht in engem Zusammenhang mit Satz 1 dieser Vorschrift. Beide Vorschriften bestimmen den Umfang der Leistungspflicht. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 der 3. ZV bezieht sich ausdrücklich auf Art. 1 der 3. ZV, durch den u.a. der Ausschluß des Ruhens der Unfallrente wegen des freiwilligen gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland auf den 1. Oktober 1944 vorverlegt wird. In Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV wird insbesondere auf die nach Art. 4 der 3. ZV zuständigen Versicherungsträger Bezug genommen, zu denen die Unfallversicherungsträger gehören (s. Art. 4 Abs. 2 Buchst. a der 3. ZV). Schließlich ergeben sich aus Sinn und Zweck der 3. ZV keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung des Art. 2 Abs.1 Satz 2 der 3. ZV auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten sowie der knappschaftlichen Rentenversicherung. Die Auffassung, daß die gesetzliche Unfallversicherung zu den "Rentenversicherungen" i.S. des Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV zählt, hat der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften als deutsche Verbindungsstelle ebenfalls stets vertreten (vgl. u.a. Rundschr. VB 96/67 vom 6.7.1967).
Die Beklagte ist auch der für die Nachzahlung der Rente vor dem 1. April 1952 - also auch für den hier streitigen Zeitraum vom 1. Juni 1945 bis zum 31. Mai 1951 - zuständige Versicherungsträger. Das LSG meint, ein Nachzahlungsanspruch sei in den Fällen, in denen der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls leistungspflichtige Versicherungsträger nicht mehr vorhanden sei, nur unter den in Art. 4 der 3. ZV angeführten "Voraussetzungen" gegeben; diese Vorschrift regele aber nicht, welcher Versicherungsträger im Einzelfall zur Nachzahlung verpflichtet sei. Art. 4 der 3. ZV enthält jedoch keine "Voraussetzungen" für einen sich bereits aus Art. 1 und 2 der 3. ZV ergebenden Nachzahlungsanspruch, sondern bezeichnet lediglich die Stellen, an die der Antrag auf Nachzahlung der Rente zu richten ist (vgl. die Denkschrift zum Allgemeinen Abkommen - BT-Drucks. IV/870 S. 50, 51). Nach Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV übernehmen nur in den Fällen, in denen ein leistungspflichtiger Träger nicht vorhanden ist, deren Leistungen die "nach Art. 4 zuständigen Träger".
Für die Unfallversicherung bestimmt Art. 4 Abs. 3 der 3. ZV allerdings keinen zuständigen Versicherungsträger. Daraus ist aber entgegen der Auffassung des LSG nicht zu folgern, es bestehe für Nachzahlungen vor dem 1. April 1952 eine Lücke, die durch eine entsprechende Anwendung der Zuständigkeitsregelungen des FAG dahin geschlossen werden, daß - trotz des Bestehens eines sich aus Art. 1 und 2 der 3. ZV ergebenden Nachzahlungsanspruchs - vor dem 1. April 1952 ein zur Zahlung zuständiger Versicherungsträger nicht gegeben sei. Die 3. ZV ist im Verhältnis zwischen dem Königreich Belgien und der Bundesrepublik Deutschland eine Sonderregelung auf dem Gebiet des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts. Sie geht als völkerrechtlicher Vertrag dem deutschen innerstaatlichen Recht vor. Ob eine Lücke in ihren Vorschriften besteht und wie diese gegebenenfalls zu schließen ist, muß deshalb zunächst aus ihrer Gesamtregelung beurteilt werden. Das gilt nach den Grundsätzen des Völkerrechts jedenfalls für zwischenstaatliche Vereinbarungen, die - wie die 3. ZV - generelle Regelungen enthalten (vgl. Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., 1964, S. 175). Die 3. ZV regelt keinen Einzelfall. Nach der Fassung des Art. 2 Abs. 1 und 2 sowie des Art. 1 der 3. ZV gelten die Bestimmungen für eine Vielzahl von Fällen. Der Tatbestand, an den bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind, wird generell beschrieben. Der Senat entscheidet über die analoge Anwendung ebenso wie über die Auslegung von Bestimmungen der 3. ZV auch nur für den innerstaatlichen Bereich (vgl. BVerfG 6, 309, 366; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1-7. Aufl., S. 296 h III).
Die Gesamtregelung der 3. ZV ergibt jedoch, daß belgische Staatsangehörige, die im Gebiet des Landes Berlin vor dem Inkrafttreten des FAG einen Unfall erlitten haben, für die Zeit vom 1. Oktober 1944 an fortlaufend von dem Unfallversicherungsträger zu entschädigen sind, dessen Zuständigkeit auf das Land Berlin erstreckt worden ist. Art. 2 Abs.1 und Art. 1 der 3. ZV begründen - wie bereits dargelegt - einen Anspruch des Klägers zu 2) auf Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung vom 1. Oktober 1944 an durchgehend auch für den hier streitigen Zeitraum (1. Juni 1945 bis zum 31. Mai 1951). Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV bestimmt außerdem, daß auch in den Fällen, in denen der zunächst leistungspflichtige Träger nicht mehr vorhanden ist, auch für die Zeit vor dem 1. April 1952 (Inkrafttreten des FAG) Renten nachzuzahlen sind. Diese Vorschriften wären - gegebenenfalls bis auf den Geltungsbereich des Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung und zur Überleitung des Unfallversicherungsrechts im Lande Berlin vom 29. April 1952 (BGBl I 253 - UZG -) - gegenstandslos, wenn ein zuständiger deutscher Unfallversicherungsträger lediglich mit Inkrafttreten des FAG und damit erst seit dem 1. April 1952 gegeben wäre. Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 der 3. ZV sind deshalb sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der Gesamtregelung der 3. ZV sowie ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. aaO und BT-Drucks. IV/1014, S. 1) entsprechend dahin auszulegen, daß für die Zeit vor dem 1. April 1952 ein bestehender Unfallversicherungsträger die Leistungen für den nicht mehr vorhandenen übernimmt. Für das Land Berlin ist als leistungspflichtig der Unfallversicherungsträger anzusehen, dessen Zuständigkeitsbereich auf das Land Berlin erstreckt worden ist (vgl. §§ 12, 13 UZG). Dies ist im vorliegenden Fall die beklagte Bau-BG Hannover, deren Zuständigkeitsbereich auf Grund der in § 13 Abs. 1 Satz 2 UZG enthaltenen Ermächtigung auf Berlin ausgedehnt worden ist.
Die aus der deutschen Unfallversicherung von der für die Leistungen danach zuständigen Beklagten geschuldete Rente des Klägers zu 2) ist ihm auch für die Zeit vom 1. Juni 1945 bis zum 31. Mai 1951 nachzuzahlen. Denn nach Art. 3 Abs. 3 der 3. ZV werden Renten, die - wie im vorliegenden Fall - vor dem Inkrafttreten der 3. ZV beantragt, aber noch nicht festgestellt worden sind, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, von dem Tage an, der nach den jeweils geltenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften für den Rentenbeginn maßgebend ist, frühestens vom 1. Oktober 1944 an nachgezahlt.
Die Beklagte meint, eine gegenüber den deutschen innerstaatlichen Regelungen für belgische Staatsangehörige nach der 3. ZV mögliche weitergehende Nachzahlung noch nicht festgestellter Renten bilde einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Ob die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) für die Annahme einer Verletzung des Gleichheitssatzes (vgl. u.a. BVerfG 1, 14, 52; 1, 264, 275; 18, 38, 46; BSG 6, 213, 230; 14, 95, 97; 15, 1,9) durch den Gesetzgeber aufgestellten Voraussetzungen hier gegeben sind (vgl. BVerfG 3, 162, 182; 4, 352, 357; 9, 124, 130; 9, 334, 337; 10, 234, 246; 11, 105, 123; 12, 354, 367; 14, 221, 238; 15, 167, 201), kann dahinstehen. Selbst wenn die Regelung der 3. ZV zum Teil gegen den Gleichheitssatz verstieße, müßte der Senat von der völkerrechtlichen Bindung der Bundesrepublik Deutschland an die 3. ZV und damit von den von ihr begründeten Ansprüchen der belgischen Staatsangehörigen ausgehen (vgl. BVerfG 1, 396, 413; 6, 290, 295; von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. II, 1964, Art. 59 Anm. IV 7 e, S. 1149; Maunz in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 59 Rdn. 12, 22 ff.; Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, 1960, § 68 I, S. 436; Menzel, Völkerrecht, 1962, § 54 III, S. 256).
Da der Nachzahlungsanspruch des Klägers zu 2) demnach bereits aufgrund der 3. ZV für den gesamten noch im Streit stehenden Zeitraum begründet ist, bedarf es keiner Prüfung, ob sich eine Nachzahlungspflicht der Beklagten für die Zeit vom 1. Januar 1951 bis zum 31. Mai 1951 nicht auch aus dem UZG (vgl. §§ 12, 13, 17 ff.) ergibt.
Der Senat hat in der Sache selbst entscheiden können, ohne den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) anzurufen. Es kann wiederum dahinstehen, ob hier - als Voraussetzung einer Vorlagepflicht - die EWG-VO Nr. 3 anzuwenden ist. Ebenso bedarf es keiner Entscheidung, ob die 3. ZV durch die Aufnahme in den Katalog der weitergeltenden Vorschriften ähnlich wie die EWG-VO Nr. 3 überhaupt zu einer Handlung eines Organs im Sinne des Art. 177 Abs. 1 Buchst. b des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 (BGBl II 766 - EWG-Vertrag) geworden ist. Sinn der Vorlagepflicht nach dieser Vorschrift ist es, eine einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu gewähren (vgl. EuGH IX, 81; Tomuschat, Die gerichtliche Vorabentscheidung nach den Verträgen über die europäischen Gemeinschaften, 1964, S. 7; Haug SGb 1967, 49, 50; Daig EuR 1968, 259, 262, 264). Die durch die europäischen Vertragswerke geschaffene Rechtseinheit soll nicht durch die Rechtsprechung der nationalen Gerichte gefährdet werden (vgl. Runge, DRiZ 1966, 179, 180). Der Senat hat jedoch nicht den EWG-Vertrag oder Satzungen der vom Rat der EWG geschaffenen Einrichtungen auszulegen (Art. 177 Abs. 1 Buchstabe a und c EWG-Vertrag). Der Senat entscheidet auch nicht über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe der EWG (Art. 177 Abs. 1 Buchst. b EWG-Vertrag). Die 3. ZV gilt nur zwischen dem Königreich Belgien und der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Auslegung durch belgische oder deutsche Gerichte berührt die durch die europäischen Vertragswerke geschaffene Rechtseinheit nicht, wenn - wie hier - nicht über den Umfang ihrer Weitergeltung und insbesondere ihre Abgrenzung zur EWG-VO Nr. 3 oder anderen von Organen der EWG gesetzten Rechtsvorschriften zu entscheiden ist.
Das Verfahren war auch nicht auszusetzen, um den Rechtsstreit nach Art. 52 Abs. 1 des Allgemeinen Abkommens einem Schiedsgericht zu unterbreiten. Es bedarf insoweit keiner Entscheidung, ob eine Aussetzung im Revisionsverfahren nicht grundsätzlich ausgeschlossen und Art. 52 des Allgemeinen Abkommens durch die EWG-VO Nr. 3 aufgehoben worden ist. Eine Aussetzung scheidet hier schon deshalb aus, weil die Streitigkeiten dem Schiedsgericht nach § 52 Abs. 2 des Allgemeinen Abkommens nur auf Antrag eines Vertragsstaates zu unterbreiten sind. Die Bundesrepublik Deutschland hat diesen Antrag nicht gestellt. Der Kläger zu 1) hat die Aussetzung des Verfahrens nur hilfsweise für den Fall beantragt, daß seine Revision keinen Erfolg hat. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, daß nach Abs. 4 dieser Vorschrift die Aufwendungen der Behörden, der Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts nicht erstattungsfähig sind.
Das Urteil des SG Hannover vom 25. September 1957 war daher insofern aufzuheben, als - jedenfalls dem Wortlaut nach - die Beklagte auch die außergerichtlichen Kosten des Königreichs Belgien zu tragen hat. Der Senat hat deshalb die für alle Rechtszüge gleiche Kostenentscheidung selbst getroffen.
Fundstellen