Leitsatz (amtlich)

Der wegen des Anspruchs eines Kindes auf Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht pfändbare Kindergeldanteil (auf ein Kind entfallendes Kindergeld iS des BKGG § 12 Abs 2 bis 4) verringert sich nicht um den Betrag, zu dem das Kind als "Zählkind" eines anderen Berechtigten -  hier: seines Stiefvaters - zur Erhöhung dessen Anspruchs auf Kindergeld beiträgt.

 

Normenkette

BKGG § 12 Abs. 2 Fassung: 1964-04-14, Abs. 3 Fassung: 1964-04-14, Abs. 4 Fassung: 1964-04-14, § 2 Abs. 1 Fassung: 1964-08-17, § 3 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1964-04-14

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. März 1968 wird insoweit aufgehoben, als es der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 1968 stattgegeben hat. In diesem Umfang wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger hat sieben, in den Jahren 1948 bis 1967 geborene eheliche Kinder, für die ihm die Beklagte von März 1965 an Kindergeld in Höhe von insgesamt monatlich 285 DM gewährte. Er ist außerdem Vater des im Jahre 1958 geborenen nichtehelichen Kindes P R F (P.), für das bis Oktober 1967 einschließlich nicht der Kläger, sondern der Stiefvater dieses Kindes als vorrangig Berechtigter gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 3 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) Kindergeld in Höhe von monatlich 25 DM erhielt. Gesetzlicher Vertreter des P. ist der Beigeladene, das Jugendamt des Landkreises N.

Durch Bescheid vom 14. Juni 1965 behielt die Beklagte zugunsten des Kreisjugendamtes N vom Kindergeld des Klägers vorsorglich monatlich 41 DM zurück; dieser Anteil entfiel nach ihrer Ansicht auf das - beim Kläger in der Reihenfolge der Geburten vierte - Kind P. Sie zahlte diesen Betrag ab Mai 1965 an das Jugendamt auch aus, nachdem das Kindergeld in Höhe des auf P. entfallenden Anteils zu dessen Gunsten gepfändet worden war (Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts Stadthagen vom 6. August 1965). Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 14. Juni 1965 bleib erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. August 1965).

Mit der hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger die Höhe des abgezweigten Betrages beanstandet. Er hat dazu geltend gemacht: Für P. werde bereits dessen Stiefvater Kindergeld in Höhe von monatlich 25 DM gezahlt; bei ihm trage dagegen dieses Kind als "Zählkind" nur zur Erhöhung des Kindergeldes um monatlich 10 DM bei, so daß allenfalls diese 10 DM abgezweigt werden dürften. Das Sozialgericht (SG) Hannover hat durch Urteil vom 9. März 1966 den Bescheid der Beklagten vom 14. Juni 1965 geändert, den Widerspruchsbescheid vom 27. August 1965 aufgehoben und festgestellt, daß von dem Kindergeld des Klägers ab März 1965 ein Anteil von 19 DM monatlich auf P. entfalle. Den Kindergeldanteil von 19 DM hat das SG bestimmt, indem es dem an den Kläger gezahlten Kindergeld (monatlich 285 DM) das dem Stiefvater für P. gewährte Kindergeld von monatlich 25 DM hinzugerechnet, den Gesamtbetrag von monatlich 310 DM durch die Anzahl der beim Kläger zu berücksichtigenden Kinder geteilt und davon das zuvor hinzugezählte Kindergeld wieder abgezogen hat. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung und der Kläger Anschlußberufung eingelegt.

Während des Berufungsverfahrens änderte die Beklagte den angefochtenen Bescheid. Da sich die Zahl der beim Kläger zu berücksichtigenden Kinder geändert hatte, setzte die Beklagte den monatlichen Abzweigungsbetrag ab Dezember 1966 auf monatlich 38 DM und ab Juli 1967 auf monatlich 42 DM fest (Bescheide vom 8. Dezember 1966 und 4. Dezember 1967). Vom 1. November 1967 an gewährte die Beklagte dem Kläger für das Kind P. Kindergeld, weil von diesem Zeitpunkt an die vorrangige Berechtigung des Stiefvaters wegfiel und das Kind bei ihm - dem Stiefvater - nur noch als "Zählkind" (erstes Kind in der Reihenfolge der Geburten) berücksichtigt wurde. Durch Bescheid vom 11. Januar 1968 zweigte die Beklagte nunmehr von dem Kindergeld des Klägers (insgesamt monatlich 345 DM) ab November 1967 monatlich 49 DM ab.

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat durch Urteil vom 15. März 1968 das Urteil des SG dahin geändert, daß der Kindergeldanteil des P. ab 1. März 1965 41 DM, ab 1. Dezember 1966 38 DM, ab 1. Juli 1967 42 DM und ab 1. November 1967 49 DM monatlich abzüglich des dem Stiefvater des P. für diesen anteilig gewährten Kindergeldes beträgt. Es hat den auf P. nach § 12 Abs. 4 BKGG entfallenden Kindergeldanteil - von dem an den Kläger gezahlten Kindergeld - berechnet; davon hat es den - anteilig nach der Zahl der Kinder berechneten - Kindergeldbetrag abgesetzt, den der Stiefvater bereits "aus eigenem Anspruch" bezieht. Diese Berechnungsweise hält das LSG für geboten, um Doppelleistungen für ein und dasselbe Kind zu vermeiden.

Die Beklagte hat - die vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 12 BKGG und beanstandet, daß das Berufungsgericht den Kindergeldanteil abzüglich des dem Stiefvater des P. für diesen anteilig gewährten Kindergeldes errechnet hat. Im Hinblick auf das im Laufe des Revisionsverfahrens ergangene Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. November 1969 - 7 RKg 18/66 - (BSG 30, 135 = SozR Nr. 5 zu § 12 BKGG) hält die Beklagte an ihrer Rechtsauffassung nicht mehr fest und geht nunmehr davon aus, daß wegen der vorrangigen Berechtigung des Stiefvaters auf das nichteheliche Kind P. des Klägers kein Kindergeldanteil entfiel und insoweit eine Abzweigung nicht möglich war. Sie hat deshalb dem Kläger das Kindergeld für die Monate März 1965 bis Oktober 1967 in voller Höhe ausgezahlt (Bescheid vom 19. Februar 1971). Im übrigen führt die Beklagte aus: Der Rechtsstreit habe sich noch nicht in vollem Umfang erledigt, da der Kläger lediglich bis Oktober 1967 klaglos gestellt sei. Die Zurücknahme der Revision komme daher nicht in Betracht. Sie verbiete sich auch, weil sonst das - mit den Grundsätzen der Entscheidung des BSG vom 13. November 1969 unvereinbare - Urteil des Berufungsgerichts in Rechtskraft erwachsen würde. Dieses Urteil mindere aber auch für den jetzt noch streitigen Zeitraum den abzuzweigenden Kindergeldanteil von monatlich 49 DM um das dem Stiefvater des P. für diesen anteilig gewährten Kindergeld. Da auf dieses Kind ab November 1967 in der Familie des Stiefvaters als erstes von drei zu berücksichtigenden Kindern ein Kindergeldanteil von monatlich 25 DM entfalle (nämlich ein Drittel von 75 DM), würde sich der abzuzweigende Betrag nach dem Urteil des Berufungsgerichts auf monatlich 24 DM ermäßigen.

Die Beklagte beantragt,

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben, die Anschlußberufung des Klägers zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, daß auch für die Zeit ab November 1967 die von der Beklagten vorgenommene Abzweigung unrichtig sei.

Der Beigeladene hat sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Sie richtet sich jetzt noch dagegen, daß das Urteil des LSG der Klage gegen den Bescheid vom 11. Januar 1968 teilweise stattgegeben hat. In diesem Umfang muß die Klage abgewiesen werden. Die Beklagte ist ab November 1967 berechtigt, zugunsten des nichtehelichen Kindes P. des Klägers einen Anteil von monatlich 49 DM von dem an den Kläger zu zahlenden Kindergeld an den Beigeladenen abzuzweigen. Für die Zeit vor dem 1. November 1967 bedurfte es keiner Entscheidung des Revisionsgerichts mehr, da insoweit die Beklagte den Kläger während des Revisionsverfahrens durch Bescheid vom 19. Februar 1971 (Abschnitt I) klaglos gestellt hat (§ 171 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und damit in diesem Umfang der Rechtsstreit erledigt ist.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 14. Juni 1965 und die ihn abändernden Bescheide (§ 96 SGG) vom 8. Dezember 1966, 4. Dezember 1967 und 11. Januar 1968, wonach - in Verbindung mit dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts Stadthagen vom 6. August 1965 - ein Teil des dem Kläger zustehenden Kindergeldes an das Kreisjugendamt N - als Amtsvormund des nichtehelichen Kindes P. - abgezweigt worden ist. Dagegen unterliegt der während des Revisionsverfahrens ergangene, die Bescheide vom 14. Juni 1965, 8. Dezember 1966 und 4. Dezember 1967 für die Zeit bis einschließlich Oktober 1967 ersetzende Bescheid der Beklagten vom 19. Februar 1971 nur in beschränktem Umfang der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Es kann nur prüfen, ob der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt worden ist. Ist dies nicht der Fall, gilt nach § 171 Abs. 2 SGG der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim SG angefochten, es sei denn, daß dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts in vollem Umfang genügt wird. Der Bescheid vom 19. Februar 1971 stellt den Kläger nur bis einschließlich Oktober 1967 klaglos. Für die Zeit danach hält die Beklagte an ihrer Rechtsauffassung und der mit Bescheid vom 11. Januar 1968 angeordneten Abzweigung von monatlich 49 DM weiterhin fest. Insoweit ist die Revision begründet. Die mit Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 1968 ab November 1967 angeordnete Abzweigung von monatlich 49 DM zugunsten des Kreisjugendamtes N als Amtsvormund des Kindes P. ist weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden. Nachdem die vorrangige Berechtigung des Stiefvaters entfallen war, ist dem Kläger für sein nichteheliches Kind P. - bei ihm das in der Reihenfolge der Geburten vierte - Kindergeld gezahlt worden. Das auf dieses Kind entfallende Kindergeld (§ 12 Abs. 4 BKGG) konnte nunmehr an das Kind, gesetzlich vertreten durch das Jugendamt des Kreises N, ausgezahlt werden. Der Anspruch auf Kindergeld war nämlich nach § 12 Abs. 2 BKGG "zur Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht" zugunsten des nichtehelichen Kindes P. - nicht etwa, wie das Berufungsgericht meint - zugunsten des Landkreises N (vgl. auch BSG SozR Nr. 1 zu § 12 BKGG) - in Höhe des Kindergeldes gepfändet worden, das auf das Kind P. entfällt. Bei sieben zu berücksichtigenden Kindern betrug das Kindergeld des Klägers monatlich 345 DM und der nach § 12 Abs. 4 BKGG auf das nichteheliche Kind P. entfallende Anteil monatlich 49 DM. Entgegen der Auffassung des LSG ist dieser Betrag nicht um das dem Stiefvater des Kindes P. für diesen anteilig gewährte Kindergeld zu mindern. Der Wortlaut des § 12 Abs. 4 BKGG bietet für eine solche Gesetzesanwendung keinen Anhalt. Vor allem rechtfertigt der vom Berufungsgericht herangezogene, das gesamte Kindergeldrecht beherrschende Grundsatz, daß Doppelleistungen für ein und dasselbe Kind vermieden werden sollen, keine solche einengende Auslegung des § 12 Abs. 4 BKGG. Allerdings hat der Gesetzgeber des BKGG durch die in § 3 BKGG getroffene Regelung ausgeschlossen, daß für ein Kind mehreren Personen Kindergeld gewährt wird. Er ist aber bewußt davon ausgegangen, daß ein Kind, für das einer Person Kindergeld gezahlt wird, bei einem Dritten als zu berücksichtigendes Kind mitzählen (§ 2 BKGG) und bei diesem als "Zählkind" gegebenenfalls zur Erhöhung seines Anspruchs beitragen kann (vgl. Urteil des Senats vom 13. November 1969 - 7 RKg 18/66 - S. 11 - insoweit nicht mit veröffentlicht).

Die Abzweigung bewirkte mithin nur, daß der für das Kind P. bestimmte Kindergeldanteil - dem Zweck des § 12 Abs.2 BKGG entsprechend (Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht) - diesem Kind auch tatsächlich zugute kam. Das Berufungsgericht hat somit über die Klage gegen den die Abzweigung ab November 1967 regelnden Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 1968 - als erste Instanz (vgl. BSG 18, 231) - unrichtig entschieden. Das angefochtene Urteil muß deshalb insoweit aufgehoben werden, als es der Klage gegen den Bescheid vom 11. Januar 1968 stattgegeben hat. In diesem Umfang muß die Klage abgewiesen werden. Einer Entscheidung über die Anschlußberufung des Klägers bedarf es nicht mehr, da sie sich nicht auf den Bescheid vom 11. März 1968 bezieht, der erst während des Verfahrens im zweiten Rechtszug erlassen worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1668842

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