Leitsatz (amtlich)
Der Ersatzanspruch der Versorgungsverwaltung nach Gewährung einer Sachleistung scheitert nicht daran, daß der versicherte Beschädigte bei dem "anderen öffentlich-rechtlichen Leistungsträger" die Gewährung eines Zuschusses nicht beantragt.
Normenkette
BVG § 18c Abs. 6 S. 2 Fassung: 1971-12-16, § 10 Abs. 2 Fassung: 1974-08-23, Abs. 7 Buchst. a Fassung: 1974-08-07
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. April 1975 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger (Versorgungsverwaltung) verlangt von der Beklagten (Landwirtschaftliche Alterskasse) Aufwendungsersatz für einen Zahnersatz, den er dem nicht krankenversicherten, aber zur Beklagten beitragspflichtigen Schwerbeschädigten R. (R.) schädigungsunabhängig gewährt hat.
Als im Februar 1972 bei R. die Eingliederung des Zahnersatzes durchgeführt war, wandte sich der Kläger unter Hinweis auf § 18c Abs. 6 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) an die Beklagte mit der Bitte, den Ersatzanspruch in Höhe von 251,30 DM anzuerkennen. Da R. den ihm von der Beklagten nahegelegten Antrag auf Beihilfe zum Zahnersatz nicht stellte, teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie habe nur aus diesem Grunde die Beihilfe nicht gewährt. Ein Ersatzanspruch nach § 18c Abs. 6 Satz 2 BVG sei daher nicht gegeben, weil sie den Zuschuß nicht wegen einer von der Versorgungsverwaltung zu erbringenden Sachleistung versagt hätte.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 2. April 1975 die Beklagte antragsgemäß zum Kostenersatz für die dem R. gewährte Sachleistung verurteilt. Es hat die Berufung und nachträglich durch Beschluß des Kammervorsitzenden die Revision zugelassen. Zur Begründung ist ausgeführt, § 18c Abs. 6 Satz 2 BVG idF des 3. Anpassungsgesetzes vom 16. Dezember 1971 (3. AnpG-KOV) enthalte zur weitgehenden Entlastung der Bundeskasse einen Ersatzanspruch eigener Art, der grundsätzlich unabhängig von den in den Richtlinien anderer öffentlich-rechtlicher Leistungsträger enthaltenen Voraussetzungen sei. Deshalb komme es auf den vom Beklagten geforderten Antrag des R. nicht an.
Die Beklagte, der der Beschluß über die Zulassung der Revision am 5. August 1975 zugestellt worden ist, hat die Revision am 3. September 1975 eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die vom SG betonte Entlastung des Bundesfiskus betreffe in erster Linie den bereits am 1. Januar 1967 in Kraft getretenen Satz 1 des § 18c Abs. 6 BVG. Satz 2 habe dann später eine Rechtsgrundlage nur für den Fall des Verstoßes gegen das Verbot des Satzes 1 schaffen sollen. Daß durch Anfügen des Satzes 2 gesetzliche Bestimmungen anderer Rechtsgebiete - hier des Altershilferechts - hätten geändert werden sollen, und daß selbst dann Mittel aufzubringen seien, wenn dem Beschädigten gegenüber die Leistung wegen Versäumnis der Antragsfrist bindend abgelehnt worden sei, könne nicht angenommen werden. Es erscheine auch praktikabel und entspreche dem Erlaß des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 18. Juli 1972, wenn der Versorgungsberechtigte zunächst an den öffentlich-rechtlichen Leistungsträger verwiesen werde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. April 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist statthaft, obwohl sie nur durch Beschluß des Kammervorsitzenden beim SG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zugelassen worden ist. Der erkennende Senat schließt sich insoweit dem Urteil des 2. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Dezember 1975 - 2 RU 77/75 - (SozR 1500 Nr. 4 zu § 161 SGG) an.
Die Revision kann jedoch sachlich keinen Erfolg haben.
Rechtsgrundlage für den unter den Beteiligten streitigen Ersatzanspruch ist § 18c Abs. 6 Satz 2 BVG in der seit dem 1. Januar 1972 geltenden Fassung des Gesetzes vom 16. Dezember 1971 (BGBl I 1985). Die Zahnersatzeingliederung ist als Sachleistung, für die der Kläger Ersatz beansprucht, im Februar 1972 erfolgt. § 18 Abs. 6 Satz 2 BVG verpflichtet denjenigen öffentlich-rechtlichen Leistungsträger, der eine Zuschuß- oder sonstige Geldleistung nicht erbringt, weil bereits aufgrund des BVG eine Sachleistung gewährt wird, den Betrag der Aufwendungen zu ersetzen, den er sonst als Leistung gewährt hätte. Dies verweigert die Beklagte zu Unrecht.
Die in § 18c Abs. 6 Satz 2 BVG getroffene Regelung bezweckt, wie sich insbesondere aus ihrem Zusammenhang mit Satz 5 ergibt und in der Begründung zum Regierungsentwurf (BT-Drucks. VI Nr. 2649) auch betont worden ist, "daß bei der Heilbehandlung wegen Nichtschädigungsfolgen und bei der Krankenbehandlung andere Rechtsträger, die im konkreten Fall nur zur Gewährung von Kann-Leistungen oder Zuschüssen verpflichtet sind, ihre Leistungen nicht unter Hinweis auf den nach dem BVG bestehenden Rechtsanspruch oder auf das Fehlen eigener Aufwendungen des Berechtigten verweigern und sich damit auf Kosten des Bundes entlasten können".
Die Regelung des Ersatzanspruchs folgt der in § 10 BVG vorgenommenen Verteilung der Belastungen aus der Heilbehandlung, zu denen auch die Versorgung mit Zahnersatz gehört (§ 11 Abs. 1 BVG), auf den Träger der Versorgung einerseits und die übrigen öffentlich-rechtlichen Leistungsträger andererseits. Beide Regelungen sind von dem Grundsatz beherrscht, daß bei schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen eine Belastung des Versorgungsträgers nur bei Schwerbeschädigten und auch dort nur in Betracht kommt, wenn und soweit nicht ein Sozialversicherungsträger leistungspflichtig ist oder die Heilbehandlung durch ein anderes Gesetz sichergestellt ist bzw. wegen einer näher bestimmten Einkommenshöhe als gesichert anzusehen ist (vgl. hierzu auch das Urteil des erkennenden Senats vom 21. Mai 1974 - 10 RV 451/73 - in SozR 3100 Nr. 1 zu § 18c BVG; Urteil des 9. Senats vom 17. Dezember 1974 - 9 RV 198/74). Bei dem Ersatzanspruch nach § 18c Abs. 6 Satz 2 BVG handelt es sich um die hier auf den Fall der vorgezogenen versorgungsrechtlichen Sachleistung begrenzte besondere Ausprägung des von der Rechtsprechung aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (vgl. §§ 812 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches) abgeleiteten öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruchs, des sogenannten Abwälzungsanspruchs (vgl. auch die ähnlichen und z.T. weitergehenden Bestimmungen des § 81 b BVG, des § 6 Abs. 3 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation und des § 43 Abs. 3 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil), der dahin geht, eine mittelbare rechtsgrundlose Vermögensverschiebung zwischen zwei Trägern öffentlicher Verwaltung unmittelbar auszugleichen (vgl. BSG in SozR Nr. 1 und 3 zu § 28 BVG; Nr. 5 zu § 14 BVG; BSG vom 7. August 1975 - 10 RV 437/74 -; vom 11. August 1976 - 10 RV 165/75 -). Sind aber die genannten Bestimmungen nur Erscheinungsformen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, so geht der ohnehin zu Unrecht an der Allgemeinverbindlichkeit gesetzlicher Regelungen zweifelnde Einwand der Beklagten fehl, es könne nicht angenommen werden, daß durch die Einfügung des Satzes 2 in § 18c Abs. 6 BVG Bestimmungen des Altershilferechts hätten abgeändert werden sollen.
Die Beklagte verweigert die Ersatzleistung mit der Begründung, ihr Zuschuß für den Zahnersatz des R. und damit auch ihre Ersatzleistung an den Kläger entfalle nicht deshalb, weil der Zahnersatz bereits als Sachleistung nach dem BVG gewährt worden sei; der Grund hierfür sei vielmehr der fehlende Antrag des R. Die Beklagte übersieht dabei, daß sowohl die Eingliederung des Zahnersatzes nach dem BVG als auch ihre Aufforderung an R., einen Zuschuß zu beantragen, im Februar 1972 - also etwa gleichzeitig - erfolgten. Angesichts der mit der Eingliederung des Zahnersatzes eintretenden vollständigen Befriedigung des bei R. insoweit vorhandenen Bedarfs bestand - wegen der Sachleistung nach dem BVG - für diesen kein zwingender Anlaß mehr zu dem von der Beklagten angeregten Antrag auf Zuschußgewährung. Unterblieb aber, wie die Beklagte selbst vorgebracht hat, die Bezuschussung nur wegen des fehlenden Antrages und stellte R. den Antrag wegen der ihm gewährten Sachleistung nach dem BVG nicht, so ist die Bezuschussung mittelbar wegen der nach dem BVG gewährten Sachleistung unterblieben. Nach dem oben dargelegten Sinn der Bestimmung besteht kein Anlaß, diesen Fall anders zu behandeln als den Fall der unmittelbar wegen der Sachleistung erfolgenden Zuschußverweigerung. Es würde weder dem Sinn und Zweck des § 18c Abs. 6 Satz 2 BVG noch den Erfordernissen der Praxis entsprechen, wollte man die Verwirklichung des Anspruchs auf Aufwendungsersatz von dem Verhalten oder Willen des Versicherten abhängig machen, bei dem die zuschußberechtigende gesundheitsfördernde Maßnahme bereits als Sachleistung nach dem BVG durchgeführt worden ist.
Der Erwägung der Beklagten, es könne nicht angenommen werden, daß selbst dann noch Ersatz nach § 18c Abs. 6 Satz 2 BVG zu leisten sei, wenn dem Beschädigten gegenüber die Leistung wegen Versäumung der Antragsfrist bindend abgelehnt worden sei, kommt demgegenüber keine Bedeutung zu. Diese Ersatzleistung kommt nämlich immer nur dann in Betracht, wenn eine Sachleistung nach dem BVG erfolgt ist. Hat in diesen Fällen der Beschädigte einen Zuschußantrag erst verspätet bei der Beklagten gestellt, so muß auch dies darauf zurückgeführt werden, daß angesichts der vollständigen Befriedigung des bestehenden Bedarfs durch die Sachleistung kein Anlaß mehr für einen Zuschußantrag bestand. Auch dann ist aber die Ablehnung des Zuschusses mittelbar durch die Sachleistung nach dem BVG bedingt und aus den bereits dargelegten Gründen der Ausgleich der rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung zwischen der Beklagten und der Versorgungsverwaltung nach § 18c Abs. 6 Satz 2 BVG geboten. Ob dem Fehlen des Antrags ausnahmsweise dann entscheidende Bedeutung auch im Verhältnis zur Versorgungsverwaltung zukäme, wenn dieser Antrag materiell-rechtliche Leistungsvoraussetzung wäre, kann offenbleiben, denn um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht (vgl. BSGE 14, 261, 266). Für den Zuschuß der Beklagten zum Zahnersatz ist der Antrag nicht materielle Leistungsvoraussetzung. Das ergeben die zu § 9 Abs. 1 Satz 3 iVm § 7 Abs. 4 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte idF vom 14. September 1965 (GAL) erlassenen "Allgemeinen Richtlinien" (AR) der Beklagten über die Durchführung von Einzelmaßnahmen im Interesse der beitragspflichtigen landwirtschaftlichen Unternehmer in der ab 1. Januar 1972 geltenden Fassung. Denn in ihrer auch die Kosten für Zahnersatz betreffenden Anlage A finden sich die Teilabschnitte "Voraussetzungen", "Arten des Zahnersatzes", "Höhe der Beihilfe", "Antrag" und "Auszahlung der Beihilfe". Schon daraus folgt, daß der Antrag nicht zu den Leistungsvoraussetzungen gezählt wird. Dies bestätigen die am 1. Oktober 1972 in Kraft getretenen AR. Sie enthalten in ihrem § 43 die ausdrückliche Regelung, daß Einzelmaßnahmen auch von Amts wegen gewährt werden können.
An der Ersatzpflicht der Beklagten ändert sich auch bei Berücksichtigung des Rundschreibens des BMA vom 18. Juli 1972 (BVBl 1972 S. 86 Nr. 48) nichts. Abgesehen von den Empfehlungen, die darin für das Verfahren zwischen der Versorgungsverwaltung und den Krankenkassen enthalten sind, wird - übereinstimmend mit der Auffassung des Senats - ausdrücklich betont, daß Ersatz in Höhe des Betrags zu leisten ist, den der öffentlich-rechtliche Leistungsträger "ohne das Vorhandensein des Anspruchs nach dem BVG" als eigene Leistung erbracht hätte. Das SG hat zu Recht die Voraussetzungen für die Leistung der Beklagten bejaht. Die Beklagte selbst hat nur auf den fehlenden Antrag hingewiesen, aber nicht geltend gemacht, daß auch sachliche Leistungsvoraussetzungen im Falle des R. nicht erfüllt seien. Etwas Gegenteiliges kann auch weder aus dem GAL noch aus den AR entnommen werden. Nur wegen des fehlenden Antrags kann aber der Ersatzanspruch nicht scheitern.
Die Revision gegen das Urteil des SG war nach alledem zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen