Leitsatz (amtlich)
Bei streitiger Versicherungspflicht sind Arbeitgeber und Versicherter notwendige Streitgenossen. Der Versicherte ist notwendig beizuladen.
Normenkette
SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 62 Fassung: 1950-09-12
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 16. Mai 1974 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die im Haushalt des Klägers als Au-pair-Mädchen tätig gewesene Norwegerin Eva H (H.) in der Kranken- und Rentenversicherung der Arbeiter versicherungspflichtig gewesen ist.
Der Kläger, Bankdirektor in Kiel, bewohnte mit seiner Familie - seiner Ehefrau und vier Kindern, von denen das älteste im Jahre 1954, das jüngste im Jahre 1965 geboren ist - ein Einfamilienhaus mit acht Zimmern in M. Der große Hausgarten wurde überwiegend von einem Gärtner in Ordnung gehalten. Für die gröberen Hausarbeiten beschäftigte der Kläger dreimal wöchentlich eine Reinemachehilfe von 8.00 bis 13.00 Uhr. Die Ehefrau des Klägers besorgte vorwiegend die übrigen Hausarbeiten.
Der Kläger nahm mehrfach in seinen Haushalt junge Norwegerinnen im Alter von 17 bis 20 Jahren als Au-pair-Mädchen auf. Vom 8. Januar 1970 bis 28. Februar 1971 war H. als sechstes Au-pair-Mädchen im Haushalt des Klägers mit einer täglichen durchschnittlichen Arbeitszeit von etwa vier Stunden beschäftigt. H. konnte über die übrige Tageszeit selbst verfügen. Wiederholt wurde sie vom Kläger und dessen Familie auf Autoreisen mitgenommen; auch besuchte sie das Theater. H. erhielt außer freier Unterkunft und Verpflegung vom Kläger monatlich 130,- DM netto. Der Kläger entrichtete für H. Lohn- und Kirchensteuer und bezahlte einen zugunsten der H. abgeschlossenen privaten Krankenversicherungsvertrag.
Mit Bescheid vom 30. November 1971 setzte die Landkrankenkasse für den Kreis P - die Beklagte ist deren Rechtsnachfolgerin - für die Beschäftigung der H. Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung der Arbeiter, zur Arbeitslosenversicherung sowie eine Umlage nach dem Lohnfortzahlungsgesetz fest; H. sei auf Grund der Höhe des ihr gezahlten Entgelts in der Kranken- und Rentenversicherung versicherungspflichtig, ferner in der Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig gewesen, da sie wöchentlich mehr als 20 Stunden gearbeitet habe. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten legte ihrer Beitragsforderung von insgesamt 1.593,57 DM einen monatlichen Bruttolohn von zunächst 384,56 DM und ab 1. Januar 1971 von 384,37 DM (130,- DM Nettolohn, 180,- DM freie Station) zugrunde. Auf den Widerspruch des Klägers ließ sie ihre Beitragsforderung für die Arbeitslosenversicherung fallen, da bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden keine Arbeitslosenversicherungspflicht bestehe, und ermäßigte ihre Beitragsforderung auf 1.523,47 DM. Die Widerspruchsstelle der Rechtsvorgängerin der Beklagten wies im übrigen den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 7. April 1972).
Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts - SG - Kiel vom 10. August 1973 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts - LSG - vom 16. Mai 1974). Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung der §§ 160, 165 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 165 a Nr. 1, 1227 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung und des § 14 des Lohnfortzahlungsgesetzes.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 16. Mai 1974 und des SG Kiel vom 10. August 1973 sowie den Bescheid der Landkrankenkasse für den Kreis P vom 30. November 1971 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. April 1972 aufzuheben.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil des LSG ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Norwegerin H. ist in diesem Rechtsstreit, der ihre Kranken- und Rentenversicherungspflicht zum Gegenstand hat, nicht beigeladen worden. Der Kläger wird als Arbeitgeber in Anspruch genommen. Nach dem Beschluß des 2. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. März 1974 - 2 S 1/74 - ist das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs. 2, erste Alternative SGG bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (SozR 1500 § 75 Nr. 1). Eine Beiladung nach § 75 Abs. 2 SGG ist notwendig, wenn die in dem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (BSGE 11, 262 = SozR Nr. 17 zu § 75 SGG). Bei Streitigkeiten über das Bestehen der Versicherungspflicht, die alsdann die Beitragspflicht auslöst, sind Arbeitgeber und Versicherter notwendige Streitgenossen. Gegenüber Arbeitgeber und Versichertem kann die Entscheidung nur einheitlich ergehen. Die Beiladung des Versicherten ist daher notwendig (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I/2, 25. Nachtrag - September 1963 - 234 w I, 234 w VI; zum Arbeitgeber als notwendig Beigeladenem: BSG SozR Nrn. 32 und 37 zu § 75 SGG).
Nach der notwendigen Beiladung der H. wird das Berufungsgericht erneut zu prüfen haben, ob die H. wegen einer familienähnlichen Bindung nicht als abhängig beschäftigt und damit als nicht versicherungspflichtig anzusehen ist oder ob die Beschäftigung nicht durch ein persönliches Verhältnis zur Familie des Klägers geprägt und daher dem Grunde nach versicherungspflichtig war.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen