Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. Dezember 1989 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte und die Beigeladene haben dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeiten vom 1. April 1962 bis 31. März 1963 und vom 1. Oktober 1964 bis 31. März 1965, die bei seiner Beamtenversorgung nicht berücksichtigt werden. Umstritten ist ua, wie die Übergangsvorschrift des § 277 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) auszulegen ist.
Der am 4. August 1943 geborene Kläger war vom 1. April 1959 bis 31. März 1962 in einem Ausbildungsverhältinis bei der Deutschen Bundesbahn versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Ablegung der Anstellungsprüfung zum Betriebsaufseher wurde er in die Anwärterliste der Laufbahn des einfachen Dienstes übernommen, sein Anwärterdienstalter wurde auf den 1. April 1962 festgesetzt. Von diesem Zeitpunkt an war er von der Versicherungspflicht befreit. Seine Beschäftigung erfolgte außerhalb des Beamtenverhältnisses. Vom 1. April 1963 bis 30. September 1964 leistete der Kläger Grundwehrdienst. Danach nahm er seinen versicherungsfreien Dienst bei der Deutschen Bundesbahn wieder auf. Zum 1. April 1965 wechselte der Kläger in den Polizeidienst des Landes Niedersachsen über und wurde gleichzeitig unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeiwachtmeister ernannt. Am 19. November 1970 wurde er Beamter auf Lebenszeit. Mit Ablauf des Monats September 1984 wurde er wegen Polizeidienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Das niedersächsische Landesverwaltungsamt setzte die Versorgung des Klägers mit Wirkung ab 1. Februar 1985 unter Außerachtlassung der Dienstzeit bei der Deutschen Bundesbahn fest, mit der Begründung, die Beschäftigung als Anwärter bei der Deutschen Bundesbahn sei keine ruhegehaltsfähige Dienstzeit, weil sie außerhalb des Beamtenverhältnisses zurückgelegt worden sei.
Im Februar 1987 beantragte der Kläger die Durchführung der Nachversicherung für die Zeit seiner versicherungsfreien Beschäftigung bei der Deutschen Bundesbahn. Dies lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 30. Juli 1987 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 1988 zurück. Der Klage hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg stattgegeben und die Beklagte verurteilt, die Nachversicherung für die Zeit vom 1. April 1962 bis 31. März 1963 und vom 1. Oktober 1964 bis 31. März 1965 durchzuführen (Urteil vom 9. Juni 1988). Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Niedersachsen vom 20. Dezember 1989). Zur Begründung führt das LSG im wesentlichen aus, im Rahmen des § 1232 der Reichsversicherungsordnung (RVO) dürfe die Versorgung des Klägers nach beamtenrechtlichen Vorschriften nicht nur im Hinblick auf die letzte versicherungsfreie Beschäftigung beurteilt werden. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (Hinweis auf BSGE 34, 45 ff) sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil sie darauf beruhe, daß der spätere Arbeitgeber die bei dem früheren verbrachte Dienstzeit anzurechnen pflege oder aber einen Ausgleich dadurch schaffe, daß er dem Beamten mit Rücksicht auf die beim ersten Arbeitgeber (Dienstherrn) verbrachte Dienstzeit eine höhere Stellung übertrage. Diese Voraussetzungen seien beim Kläger nicht erfüllt.
Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die Beklagte mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt die unrichtige Anwendung der §§ 1232 Abs 1 und 1403 Abs 3 Buchst a RVO durch das LSG und trägt dazu vor, nach der Rechtsprechung des BSG sei eine Nachversicherung dann nicht mehr durchzuführen, wenn Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften gewährt werde. Sinn und Zweck der Nachversicherung sei, den Ausfall einer beamtenrechtlichen Versorgung für versicherungsfreie Beschäftigungszeiten durch die gesetzliche Rentenversicherung aufzufangen. Unerheblich sei, ob und in welchem Umfang der Dienstherr versicherungsfreie Zeiten als ruhegehaltsfähig anerkenne.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Urteile des SG Oldenburg und des LSG Niedersachsen die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag und dem Vorbringen der Beklagten an.
Der erkennende Senat hat als Grundlage für seine verfassungsrechtlichen Überlegungen bei dem Bundesministerium des Inneren, der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), dem Deutschen Beamtenbund und dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger angefragt,
- ob Konstellationen wie im vorliegenden Fall eine häufige Erscheinung sind oder sich auf seltene Randfälle beschränken;
- aus welchen Gründen ein Bedürfnis oder eine Rechtfertigung besteht, im Rahmen des ansonsten weitgehend nach dem Baukastenprinzip aufgebauten Versicherungs- und Versorgungssystems der Bundesrepublik Deutschland auch heute noch Teile (uU sogar erhebliche Zeiträume) der Arbeitsbiographie bei der Invaliditäts- und Alterssicherung bereits dann außer Betracht zu lassen, wenn nur irgendeine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen, gleich welcher Höhe, erfolgt.
Die Antworten stimmen darin überein, daß es sich hier um einen selten vorkommenden Ausnahmefall handelt. Zur zweiten Frage hat die Gewerkschaft ÖTV geantwortet, daß keine rechtfertigenden Gründe zu erkennen seien. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hat darauf hingewiesen, daß der Aufbau von Anwartschaften in verschiedenen Alterssicherungssystemen generell unerwünscht sei.
Es sind vom erkennenden Senat ferner Auskünfte der Beigeladenen und der Beklagten über den Umfang der Auswirkungen dieses Rechtsstreits auf die Renten-und Versorgungsansprüche des Klägers eingeholt worden. Diese haben ergeben, daß nach überschlägiger fiktiver Berechnung bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen (insbesondere dem Eintritt der Berufsunfähigkeit) eine Rente um monatlich 240,– DM sowie gemäß § 14a des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) allein für die Zeit vom 1. Juni 1983 bis 31. Dezember 1992 eine Nachzahlung von 10.200,95 DM in Betracht kommen könnte.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Aus der für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Bestimmung des § 277 iVm § 184 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI ergibt sich, daß der Kläger nachzuversichern ist.
Als der Kläger aus seinem Dienstverhältnis beim Lande Niedersachsen ausschied, galt allerdings noch die RVO. Nach § 1232 Abs 1 RVO idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 45) waren Personen nachzuversichern, die aus einer nach § 1229 Abs 1 Nrn 2 bis 4 oder § 1231 Abs 1 RVO versicherungsfreien Tätigkeit ausschieden, ohne daß ihnen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen eine Versorgung gewährt wurde. Diese Voraussetzungen waren beim Kläger im Zeitpunkt seines Ausscheidens bei der Deutschen Bundesbahn am 31. März 1965 erfüllt.
Die Nachversicherung brauchte allerdings seinerzeit deshalb nicht durchgeführt zu werden, weil der Kläger mit dem Eintritt in den Polizeivollzugsdienst des Landes Niedersachsen unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe erneut eine nach § 1229 Abs 1 Nr 3 RVO versicherungsfreie Beschäftigung aufnahm mit der Folge, daß nach § 1403 Abs 1 Buchst a RVO die Beitragsentrichtung aufgeschoben wurde. Dieser Aufschubgrund fiel erst mit der Versetzung des Klägers in den Ruhestand wegen Polizeidienstunfähigkeit mit Ablauf des Monats September 1984 weg. Ob sich dadurch nunmehr eine Pflicht zur Nachversicherung ergab – wie das LSG annimmt – oder diese durch die Gewährung einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen war – wie die Beklagte unter Hinweis auf BSGE 34, 45 ff, 53 ff meint – kann hier dahinstehen, da sich diese Auffassungen auf den für den vorliegenden Fall nicht mehr anwendbaren § 1233 Abs 1 RVO beziehen. Maßgeblich ist nunmehr für den Kläger das Recht des SGB VI.
Allerdings werden nach § 8 Abs 2 SGB VI weiterhin Beamte nur nachversichert, wenn sie ohne (jegliche) Versorgung aus dem Beamtenverhältnis ausscheiden und ein Grund für einen Aufschub der Beitragszahlung nicht gegeben ist. In § 184 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI ist jedoch bestimmt, daß ein Aufschub der Beitragszahlung für die Nachversicherung wegen Aufnahme einer neuen Beschäftigung, in der wegen Gewährleistung einer Versorgungsanwartschaft Versicherungsfreiheit besteht (hier: Polizeidienst in Niedersachsen) nicht stattfindet, wenn die bisherige Tätigkeit bei der Versorgungsanwartschaft aus der neuen Beschäftigung nicht berücksichtigt wird. Legt man diese Rechtslage rückwirkend zugrunde, so ist der Kläger für die versicherungsfreien Zeiten bei der Deutschen Bundesbahn nachzuversichern.
Die Beklagte lehnt es zu Unrecht ab, diese neue Rechtslage zu berücksichtigen. In § 277 Satz 1 SGB VI ist bestimmt, daß sich die Nachversicherung von Personen, die vor dem 1. Januar 1992 aus einer nachversicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeschieden und noch nicht nachversichert worden sind, nach dem neuen Recht richtet. Diese Voraussetzungen liegen auch beim Kläger vor. Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Materialien (BT-Drucks 11/5530 S 56 zu § 269a) ist ersichtlich, daß sich diese Bestimmung nur auf Personen bezieht, bei denen die Beitragszahlung für die Nachversicherung noch aufgeschoben ist, also nur auf Beschäftigte, die sich noch in einem Dienstverhältnis bei ihrem neuen Dienstherrn befinden und dort wegen einer Anwartschaft auf Versorgung versicherungsfrei sind.
Auch systematische Gründe führen nicht zu einer einschränkenden Auslegung. § 277 SGB VI bestimmt allerdings in seinem Satz 2, daß erteilte Aufschubbescheinigungen wirksam bleiben, es sei denn, daß nach neuem Recht Gründe für den Aufschub der Beitratsentrichtung zur Nachversicherung nicht mehr vorliegen. Dies bedeutet, daß diejenigen, die in der Vergangenheit eine nachversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt haben, welche im Rahmen der Versorgungsanwartschaft aus ihrer gegenwärtigen Tätigkeit nicht berücksichtigt wird, im Januar 1992 nachzuversichern waren. Sinngemäß kann sich dieser Satz 2 nur auf Personen beziehen, die sich noch in einem Dienstverhältnis befinden, für das eine Aufschubbescheinigung gilt. Es ist jedoch kein zwingender Zusammenhang zwischen Satz 1 und Satz 2 des § 277 SGB VI zu erkennen, der zu der Folgerung berechtigen würde, daß auch Satz 1 sich nur auf Personen bezieht, die noch in einer versicherungsfreien Beschäftigung stehen.
Es ergeben sich auch keine sachlichen Schwierigkeiten, die Übergangsvorschrift auf diejenigen anzuwenden, bei denen der Versorgungsfall schon nach altem Recht eingetreten ist, das Nachversicherungsverfahren aber noch nicht abgeschlossen war. Zwar wird dann durch das SGB VI ab 1. Januar 1992 die Rechtslage für zurückliegende Fälle verändert. Eine solche Rückwirkung von Gesetzen auf Fälle, in denen der Leistungsfall oder Versicherungsfall schon vor dem Inkrafttreten eingetreten ist, ist aber keineswegs selten.
Diese Auslegung begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken aus Art 3 des Grundgesetzes (GG). Die Bevorzugung von Personen, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, berücksichtigt angemessen ihr Bemühen um Durchsetzung ihrer Ansprüche und stellt im übrigen sicher, daß ab Inkrafttreten des neuen Gesetzes möglichst weitgehend nur noch neues Recht anzuwenden ist. Sie vermeidet sowohl verwaltungsmäßig aufwendige Rückabwicklungen als auch finanziell unüberschaubare Rückwirkungen. Entsprechende Überlegungen haben ua in § 79 Abs 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ihren Niederschlag gefunden.
Hingegen würde eine Anwendung der alten Rechtslage nach der RVO in der Auslegung durch die bisherige Rechtsprechung des BSG (vgl BSGE 34, 45) möglicherweise auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen. Zum einen könnte Art 12 GG tangiert sein, weil durch Ausfall eines nicht unerheblichen Teils der Erwerbsbiographie für die Alterssicherung die Möglichkeit des Berufs- und Arbeitsplatzwechsels stark eingeschränkt wird und – wie die vom Senat durchgeführten Befragungen gezeigt haben – selbst den vornehmlich mit der Handhabung des Gesetzes betrauten Kreisen überzeugende Gründe offenbar nicht erkennbar waren.
Verletzt sein könnte auch Art 3 GG, weil Beamte, deren bisherige versicherungsfreie Anwärtertätigkeit nicht auf das im neuen Dienstverhältnis festgestellte Versorgungsdienstalter angerechnet wird, ohne überzeugenden Grund schlechter gestellt würden als Beamte, bei denen dies der Fall ist. Die Rechtslage nach der RVO ist nur auf dem historischen Hintergrund verständlich, daß seinerzeit, als durch die Verordnung über den Übertritt aus versicherungsfreier in versicherungspflichtige Beschäftigung und umgekehrt vom 13. Februar 1924 (RGBl I, 62) erstmalig eine Nachversicherung eingeführt wurde, die auch schon die hier problematische Begrenzung enthielt (damals § 1242a RVO), die Sozialversicherungssysteme noch im Aufbau waren und es deshalb darum ging, überhaupt erst einmal jedem für die wichtigsten sozialen Risiken einen Versicherungsschutz zu verschaffen (siehe Begründung zu der zitierten VO in RABl I 1924 Amtlicher Teil, S 95). In einer solchen Phase konnte es verständlich sein, die Beschäftigten jeweils nur auf ein Versorgungssystem zu verweisen.
Heutzutage besteht ein gegliedertes, stark ausgebautes Alters- und Invaliditätssicherungssystem, das im allgemeinen gewährleistet, daß nach einer Art „Baukastensystem” jede Phase der Erwerbsbiographie abgesichert ist oder abgesichert werden kann. Es bedürfte erheblicher Gründe, um zu rechtfertigen, daß ein uU nicht unerheblicher Zeitraum des Arbeitslebens für die Invaliditäts- und Alterssicherung völlig ausfällt, weil er im Rahmen der Beamtenversorgung keine Berücksichtigung findet und für ihn weder Beiträge im Wege der Nachversicherung entrichtet werden können, noch die Möglichkeit freiwilliger Nachentrichtung eröffnet wird. Solche rechtfertigenden Gründe sind aber nicht ersichtlich. Dies gilt um so mehr, als nach den durchgeführten Berechnungen die Folgen für die Invaliditäts-und Altersversorgung des Klägers erheblich sind und sich nicht etwa nur auf zu vernachlässigende Differenzen in der Höhe der Leistungen beschränken.
Diesen Überlegungen braucht indes nicht im einzelnen nachgegangen zu werden, da sich schon einfachrechtlich zwanglos verfassungskonforme Folgerungen ziehen lassen. Die Revision der Beklagten konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen