Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrente. Wiederaufleben. Subsidiarität
Orientierungssatz
Wiederaufgelebte Ansprüche aus erster Ehe sind im Lastenausgleichsrecht ebenso wie im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung und auch im Recht der landwirtschaftlichen Altershilfe gegenüber Ansprüchen, die sich aus der zweiten Ehe ergeben, grundsätzlich subsidiär.
Normenkette
AVG § 68 Abs. 2 S. 1 Hs. 2; RVO § 1291 Abs. 2 S. 1 Hs. 2
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 31.05.1972) |
SG Bayreuth (Entscheidung vom 01.02.1971) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Mai 1972 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Subsidiarität wiederaufgelebter Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung gegenüber Ansprüchen nach zweiter Ehe.
Die Mutter des Klägers erhielt als Witwe ihres 1969 verstorbenen zweiten Ehemannes aus dem Lastenausgleich eine Kriegsschadenrente von 449,30 DM monatlich (= 305,- DM Unterhaltshilfe + 144,30 DM Entschädigungsrente). Die Beklagte lehnte es deshalb mit Bescheid vom 15. Oktober 1969 ab, ihr auch die mit Wirkung vom 1. August 1969 auf 353,50 DM monatlich festgestellte wiederaufgelebte Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann zu zahlen. Die auf Gewährung dieser Rente unter Anrechnung lediglich des Unterhaltshilfebetrages von 305,- DM gerichtete Klage hatte in beiden Vorinstanzen keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts - SG - Bayreuth vom 1. Februar 1971 und des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 31. Mai 1972). Nach Ansicht des LSG ist nicht nur die Unterhaltshilfe, sondern auch die Entschädigungsrente auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen, weil § 68 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) als Spezialvorschrift den Anrechnungsvorschriften der §§ 267, 279 des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) vorgehe.
Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger, der mit seiner während des Berufungsverfahrens am 20. November 1971 verstorbenen Mutter bis zuletzt in häuslicher Gemeinschaft gelebt und das Verfahren fortgesetzt hat, sinngemäß,
die vorinstanzlichen Urteile sowie den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm als Rechtsnachfolger seiner Mutter die wiederaufgelebte Witwenrente für die Zeit vom 1. August 1969 bis zum 30. November 1971 in voller Höhe zu zahlen.
Er rügt eine Verletzung materiellen Rechts. Nach den §§ 267, 279 LAG seien die Leistungen aus dem Lastenausgleich gegenüber den Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung subsidiär. Die Beklagte sei deshalb verpflichtet, die wiederaufgelebte Witwenrente ohne Anrechnung der aus dem Lastenausgleich bezogenen Rente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Mutter des Klägers hat den Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 1969 nur insoweit angefochten, als er die Anrechnung der Entschädigungsrente von 144,30 DM monatlich betrifft; dementsprechend hat der Kläger im Berufungsverfahren lediglich die Gewährung einer "Teilwitwenrente" beantragt. Der angefochtene Bescheid war somit im übrigen, also auch hinsichtlich der Anrechnung des Unterhaltshilfebetrages bindend geworden; über die Rechtmäßigkeit dieser Anrechnung brauchte weder vom SG noch vom LSG entschieden zu werden. Soweit sich der Kläger jetzt auch gegen sie wendet, handelt es sich um eine Erweiterung des Klageantrags; eine solche ist jedoch im Revisionsverfahren selbst dann nicht zulässig, wenn der Klagegrund unverändert bleibt (BSG in SozR Nr. 2 zu § 168 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - mit weiteren Nachweisen). Die Revision kann mithin insoweit schon deshalb keinen Erfolg haben, weil sie eine nach § 168 SGG in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung enthält.
Entgegen der Auffassung des Klägers hat das LSG ebenso wie schon das SG im Ergebnis zutreffend den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 1969 aber auch für rechtmäßig gehalten, soweit er die Anrechnung der Entschädigungsrente von 144,30 DM monatlich betrifft. Zwar weist der Kläger mit Recht darauf hin, daß im Lastenausgleichsrecht an sich Entschädigungsrentenansprüche ebenso wie Unterhaltshilfeansprüche gegenüber Ansprüchen subsidiär sind, die sich aus der gesetzlichen Rentenversicherung ergeben; bei der Ermittlung einer Kriegsschadenrente sind Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung - von gewissen Freibeträgen abgesehen - als Einkünfte anzusetzen (§§ 267 Abs. 2 Nr. 6, 279 Abs. 2 LAG) und ausreichende Einkünfte schließen den Bezug von Kriegsschadenrente schlechthin aus. Auch macht § 267 Abs. 2 Nr. 6 LAG insoweit keinen Unterschied zwischen originären und wiederaufgelebten Rentenansprüchen. Nach dieser Vorschrift allein wären mithin auch wiederaufgelebte Witwenrentenbezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Ermittlung der Kriegsschadenrente, also sowohl hinsichtlich des Unterhaltshilfe- als auch des Entschädigungsrentenanspruchs, als Einkünfte zu berücksichtigen.
Andererseits ist nach § 68 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 AVG (= § 1291 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) auf die wiederaufgelebte Witwenrente aus der Angestelltenversicherung ein infolge Auflösung der zweiten Ehe erworbener neuer Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch anzurechnen. Der Anspruch der Mutter des Klägers auf Entschädigungsrente aus dem Lastenausgleich ist ein solcher neuer Anspruch; dabei kann dahinstehen, ob es sich um einen "Versorgungs-" oder um einen "Rentenanspruch" i. S. dieser Vorschrift handelt. Wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden hat, genügt es für die Anrechnung aller im zweiten Halbsatz des § 68 Abs. 2 Satz 1 AVG genannten neuen Ansprüche, daß sie begründet worden sind, um dem Ehegatten nach Auflösung der neuen Ehe die Bestreitung seines Lebensunterhalts zu ermöglichen oder zu erleichtern (vgl. BSG in SozR Nr. 20 und 23 zu § 1291 RVO; Nr. 9 zu § 44 BVG). Das ist hier der Fall. Der auf eine dem laufenden Lebensunterhalt dienende Leistung gerichtete Entschädigungsrentenanspruch der Mutter des Klägers ist beim Tode ihres zweiten Ehemannes wegen der ihm innewohnenden Unterhaltsersatzfunktion ohne erneute Antragstellung, also kraft Gesetzes automatisch auf sie übergegangen; daß bei diesem Anspruch der Unterhaltscharakter im Vordergrund steht, zeigen die für seinen Übergang erforderlichen Voraussetzungen des nicht dauernden Getrenntlebens der Eheleute, des Erreichens eines bestimmten Lebensalters oder die eingeschränkte Erwerbsfähigkeit des überlebenden Ehegatten sowie hinsichtlich der Witwe stattdessen auch die Verpflichtung, für mindestens zwei zu ihrem Haushalt gehörende Kinder zu sorgen (§ 285 Abs. 2 LAG).
Demnach besteht hier eine Gesetzeskonkurrenz, weil zwei Vorschriften - § 279 LAG einerseits und § 68 AVG andererseits - die Höhe konkurrierender Ansprüche von ihrer gegenseitigen Anrechnung abhängig machen. Diese Gesetzeskonkurrenz läßt sich auflösen, wenn geklärt werden kann, welche Ansprüche gegenüber den anderen subsidiär sind. Für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung hat das BSG zum Verhältnis wiederaufgelebter Bezüge nach erster Ehe zu Ansprüchen nach einer zweiten Ehe in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die wiederaufgelebten Ansprüche subsidiär sind. Es folgert das aus dem Sinn und Zweck der gesetzlich vorgeschriebenen Anrechnung von Ansprüchen nach zweiter Ehe auf die wiederaufgelebten Bezüge (vgl. BSG in SozR Nr. 7, 9, 13, 23, 29 zu § 1291 RVO). Dieser Auffassung hat sich der erkennende Senat auch für den Bereich der landwirtschaftlichen Altershilfe angeschlossen; er hat entschieden, daß wiederaufgelebte Ansprüche im Recht der landwirtschaftlichen Altershilfe wie im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung gegenüber Ansprüchen subsidiär sind, die sich aus der zweiten Ehe ergeben (BSG 33, 109 = SozR Nr. 1 zu § 4 GAL 1965 sowie Urteil vom 26.9.1972 - 11 RLw 9/72 -). Es gibt keinen Anhalt dafür, daß für das Lastenausgleichsrecht andere Grundsätze zu gelten hätten. Ebenso wie im Recht der landwirtschaftlichen Altershilfe bietet auch hier der Gesetzeswortlaut keine Hinweise für eine Lösung des Konkurrenzproblems. Entscheidend muß deshalb auch für diesen Rechtsbereich darauf abgestellt werden, daß das Wiederaufleben von Versorgungsansprüchen Hinterbliebener eine Ausnahmeregelung darstellt (BSG in SozR Nr. 29 zu § 1291 RVO), die bedeutsam ist für verschiedene Gebiete des Sozialrechts (vgl. §§ 615 Abs. 2, 1291 Abs. 2 RVO, § 68 Abs. 2 AVG, § 83 Abs. 3 RKG, § 44 Abs. 2 BVG), für das Beamtenrecht (§ 164 Abs. 3 b BBG, § 88 Abs. 3 BRRG) und für das Entschädigungsrecht (§ 23 BEG). Eine Witwe hat Versorgungsansprüche aus der ersten Ehe nur insoweit, als sie aus der zweiten Ehe nicht versorgt ist (BSG aaO). Dieser allgemeine Gedanke muß auch im Lastenausgleichsrecht vor der Anwendung besonderer Anrechnungsvorschriften des LAG berücksichtigt werden; die Besonderheiten dieses Rechtsbereichs rechtfertigen insoweit keine Ausnahme. Wiederaufgelebte Ansprüche sind also im Lastenausgleichsrecht ebenso wie im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung und auch im Recht der landwirtschaftlichen Altershilfe gegenüber Ansprüchen, die sich aus der zweiten Ehe ergeben, grundsätzlich subsidiär.
Nach alledem hat die Beklagte mit Recht auch den Entschädigungsrentenanspruch der Mutter des Klägers auf deren wiederaufgelebte Witwenrente angerechnet. Die Revision des Klägers muß deshalb zurückgewiesen werden, denn das Urteil des LSG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen