Leitsatz (amtlich)
Zeiten einer weiteren Schulausbildung können Ausfallzeiten iS des AVG § 36 Abs 1 Nr 4 (= RVO § 1259 Abs 1 Nr 4) auch dann sein, wenn an die Schulausbildung nicht eine Ersatzzeit, sondern eine weitere als Ausfallzeit anzuerkennende Ausbildungszeit (eine abgeschlossene nicht versicherungspflichtige Lehrzeit oder eine abgeschlossene Fachschul- oder Hochschulausbildung) anschließt, sofern nach deren Beendigung innerhalb von 5 Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist.
Normenkette
RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1965-06-09; AVG § 36 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. April 1969 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger erstrebt die Zahlung eines höheren Altersruhegeldes. Er wendet sich dagegen, daß seine Schulzeit von Mai 1915 bis September 1917 nicht als Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) berücksichtigt ist.
Der am 30. Mai 1900 geborene Kläger besuchte in P bis zum Abitur im Juli 1917 die Oberrealschule, studierte von Oktober 1917 bis Juli 1922 an der dortigen Deutschen Technischen Hochschule, ohne das Studium durch eine Prüfung abzuschließen, und nahm von September 1922 bis Juli 1923 mit der vorgesehenen Abschlußprüfung an einem Fachlehrgang der Handelsakademie teil. Ab August 1923 war er als Bankbeamter versicherungspflichtig beschäftigt. Die Beklagte bewilligte ihm vom 1. Mai 1965 an Altersruhegeld, bei dessen Berechnung sie die Zeit vom September 1922 bis Juli 1923, nicht aber die Zeit von Mai 1915 bis Juli 1922 als Ausfallzeit berücksichtigte.
Unter Berufung auf die Vorschriften des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 beantragte der Kläger im September 1965, auch seine Schulzeit vom vollendeten 15. Lebensjahr an als Ausfallzeit anzurechnen. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 20. Oktober 1965 ab, weil die Anschlußfrist des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG nicht gewahrt sei.
Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) hat der Kläger die zugelassene Revision eingelegt, mit der er sinngemäß beantragt, das Urteil des Bayerischen LSG vom 16. April 1969 und des Urteil des Sozialgerichts (SG) München vom 19. Dezember 1967 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 1965 abzuändern und diese zu verurteilen, ihm ein höheres Altersruhegeld unter Anrechnung der Zeit von Mai 1915 bis September 1917 als Ausfallzeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Nach § 35 Abs. 1 AVG werden bei Ermittlung der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre die auf die Wartezeit anzurechnenden Versicherungszeiten, die Ausfallzeiten und die Zurechnungszeit zusammengerechnet, soweit sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Als Ausfallzeiten im Sinne dieser Vorschrift kommen für den Kläger gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG in der Fassung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes in Verbindung mit Art. 1 § 2 Nr. 19, Art. 5 § 4 Abs. 2 Buchst. e RVÄndG in Betracht: Zeiten seiner nach Vollendung des 15. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung sowie einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung, wenn im Anschluß daran oder nach Beendigung einer an die Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung anschließenden Ersatzzeit im Sinne des § 28 AVG innerhalb von fünf Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist, jedoch eine Schul- oder Fachschulausbildung nur bis zur Höchstdauer von vier Jahren, eine Hochschulausbildung nur bis zur Höchstdauer von fünf Jahren. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Zeit der weiteren Schulausbildung des Klägers von Mai 1915 bis September 1917 keine Ausfallzeit im Sinne dieser Vorschrift ist.
Nach dem Wortlaut des Gesetzes sind Zeiten einer weiteren Schulausbildung Ausfallzeiten an sich nur in zwei Fällen, nämlich entweder wenn im Anschluß an die Schulausbildung eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist (1. Fall), oder wenn an die Schulausbildung eine Ersatzzeit anschließt und nach deren Beendigung innerhalb von fünf Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist (2. Fall).
Selbst wenn der in § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG geregelte 1. Fall - und zwar der Hauptfall - dahin zu verstehen ist, daß es genügt, wenn im Anschluß an die Schulausbildung d.h. nach ihrer Beendigung innerhalb von fünf Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen worden ist, so sind die Voraussetzungen dieses ersten Falles nicht erfüllt. Die weitere Schulausbildung des Klägers war mit dem Abitur an der Oberrealschule im Juli 1917 beendet. Er hat aber erst im August 1923 seine erste versicherungspflichtige Beschäftigung als Bankbeamter aufgenommen. Seit Beendigung der Schulausbildung waren also mehr als sechs Jahre verstrichen, so daß die Fünfjahresfrist nicht gewahrt ist.
Die nach seinem Wortlaut im Gesetz aufgeführten Voraussetzungen des 2. Falles sind aber ebenfalls nicht erfüllt, weil der Kläger vor Aufnahme seiner ersten versicherungspflichtigen Beschäftigung im August 1923 keine Ersatzzeiten zurückgelegt hat.
Der Senat hat aber bereits in seinem Urteil vom 28. November 1969 - 1 RA 147/69 - ausgesprochen, daß es für die Anrechnung einer früheren Ausbildungszeit als Ausfallzeit genügen kann, wenn auf sie eine weitere Ausbildungszeit folgt, insbesondere z.B. auf die Schulzeit eine abgeschlossene nicht versicherungspflichtige Lehrzeit oder eine abgeschlossene Fachschul- oder Hochschulausbildung, sofern alsdann nach deren Beendigung die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit innerhalb der erwähnten Fünfjahresfrist aufgenommen wird. Die im 2. Fall des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG ausdrücklich nur für anschließende Ersatzzeiten getroffene Regelung hat demnach in gleicher Weise für anschließende Ausfallzeiten zu gelten. Hierzu hat der Senat dargelegt, daß meistens der Ablauf von Ausbildungszeiten und die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht so einfach vor sich geht, wie nach dem Gesetzestext vom Gesetz angenommen wird, daß nämlich nur eine Ausfallzeit und eine Ersatzzeit zu berücksichtigen wären. Auf die Schulzeit pflegt eine Lehrzeit und auf diese ein Fachschulbesuch oder auf die längere Schulzeit ein Hochschulstudium zu folgen. Jede weitere als Ausfallzeit anzuerkennende Zeit einer abgeschlossenen Ausbildung muß trotz dem Schweigen des Gesetzes den Anschluß ebenso wahren wie eine Ersatzzeit, wenn sie nur gehörig anschließt, da andernfalls der mit der Vorschrift des § 36 Abs. 1 Nr.4 AVG verfolgte Zweck nicht erreicht würde. Eine nicht abgeschlossene Lehrzeit oder Fachschul- oder Hochschulausbildung kann allerdings den Anschluß nicht wahren, weil sie ihrerseits nicht als Ausfallzeit anrechnungsfähig ist (Koch/Hartmann/v.Altrock/Fürst, Das Angestelltenversicherungsgesetz 2. und 3. Auflage, § 36 AVG Anm. V 4 c; Hanow/Lehmann/Bogs, Rentenversicherung der Arbeiter, § 1259 RVO, Note 88); sie kann nicht einer Ersatzzeit gleichgestellt werden, weil eine andere Auslegung mit dem Gesetzeswortlaut nicht mehr zu vereinbaren wäre. Zeiten einer weiteren Schulausbildung können demnach Ausfallzeiten im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG (= § 1259 Abs. 1 Nr. 4 RVO) auch dann sein, wenn an die Schulausbildung nicht eine Ersatzzeit, sondern eine weitere als Ausfallzeit anzuerkennende Ausbildungszeit (eine abgeschlossene nicht versicherungspflichtige Lehrzeit oder eine abgeschlossene Fachschul- oder Hochschulausbildung) anschließt, sofern nach deren Beendigung innerhalb von 5 Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist. Aber auch unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes kann die weitere Schulausbildung des Klägers nicht als Ausfallzeit angerechnet werden, weil an die Schulausbildung keine weitere, als Ausfallzeit anzuerkennende Ausbildungszeit "anschließt".
In seinem Urteil vom 28. November 1969 - 1 RA 147/69 - hat der Senat weiter entschieden, daß unter dem Wort "anschließend" ein Zeitraum bis zu zwei Jahren auch für die Zeit seit Inkrafttreten des RVÄndG zu verstehen und an der vom Senat bereits in BSG 17, 129 zu der früheren Vorschrift des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG idF vor dem RVÄndG vertretenen Auffassung festzuhalten ist. Die Gründe dieser Entscheidung besitzen auch nach der Neufassung des Gesetzes durch das RVÄndG weiterhin Gültigkeit. Der Gesetzgeber hat, obgleich ihm die Rechtsprechung des BSG zu dem Begriff "anschließend" in § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG bekannt gewesen ist, keine andere Regelung hinsichtlich der Auslegung dieses Rechtsbegriffes anläßlich der Neufassung des Gesetzes durch das RVÄndG getroffen. Es wäre auch mit dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr zu vereinbaren, Vorgänge, die durch einen über zwei Jahre hinausgehenden Zeitraum voneinander getrennt sind, noch so anzusehen, als ob der spätere Vorgang an den früheren "anschließt". Eine andere Auffassung wäre zudem nicht mit dem Zweck zu vereinbaren, den das Gesetz mit der Anerkennung und Anrechnung von Ausfallzeiten verfolgt. Und schließlich ist mit der Einführung der verlängerten Fristen in § 28 Abs. 2 Buchst. a AVG von drei Jahren und in § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG von fünf Jahren durch das RVÄndG anderen Belangen Rechnung getragen worden, die für die Auslegung des Begriffes "anschließend" ohne Bedeutung sind, wie der Senat in seinem angeführten Urteil des näheren dargelegt hat.
Die Zeit der abgeschlossenen Fachschulausbildung auf der Handelsakademie in Prag von September 1922 bis zum Juli 1923 hat die Beklagte mit Recht als Ausfallzeit anerkannt. Da diese Ausfallzeit indessen nicht innerhalb von zwei Jahren seit Ende der Schulzeit im Juli 1917 begonnen hat und deshalb nicht an die weitere Schulausbildung anschließt, kann sie auch nicht dazu führen, daß die Zeit der weiteren Schulausbildung Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr.4 AVG ist. Dies könnte nur dann der Fall sein, wenn auch die Zeit der im Oktober 1917 begonnenen Hochschulausbildung Ausfallzeit wäre, weil eine solche Ausfallzeit sich an die Beendigung der Schulzeit im Juli 1917 im Sinne des Gesetzes anschließen würde. Die Zeit des Hochschulstudiums von Oktober 1917 bis Juli 1922 ist indessen keine Ausfallzeit.
Das Gesetz rechnet nur eine abgeschlossene Hochschulausbildung zu den Ausfallzeiten. Daß der Kläger von der nicht abgeschlossenen Hochschulausbildung zur Fachschulausbildung übergewechselt ist, gibt zu einer anderen rechtlichen Beurteilung keinen Grund, selbst wenn berücksichtigt wird, daß die Fachschulausbildung abgeschlossen ist. Zwar hat der Senat eine abgeschlossene Hochschul- oder Fachschulausbildung auch dann angenommen, wenn innerhalb der Hochschulausbildung oder innerhalb der Fachschulausbildung die Fachrichtung gewechselt, aber die begonnene und insgesamt durchgeführte Hochschul- oder Fachschulausbildung durch eine Hochschul- oder Fachschulprüfung abgeschlossen ist (Urteil des erkennenden Senats vom 15. Juli 1969 - 1 RA 127/68 in SozR Nr. 24 zu § 1259 RVO). Die Grundsätze dieser Entscheidung können jedoch nicht ohne weiteres in gleicher Weise gelten, wenn ein Hochschulstudium nicht durch eine Hochschulprüfung oder eine Promotion abgeschlossen (vgl. BSG in SozR Nr. 9 zu § 1259 RVO), sondern vorher aufgegeben und sodann eine Fachschulausbildung aufgenommen wird. Wie das LSG in dem angefochtenen Urteil für das BSG bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat, waren die Voraussetzungen für den Besuch der Handelsakademie in P und die Dauer des Lehrgangs für Abiturienten und Hochschüler dieselben. Das vom Kläger nicht abgeschlossene Hochschulstudium hat somit weder die Aufnahme noch die Dauer seiner Fachschulausbildung beeinflußt und kann deshalb auch nicht zu einem Teil seiner abgeschlossenen Fachschulausbildung zugerechnet werden. Dem stände auch entgegen, daß es sich bei der Zeit des Hochschulstudiums nicht um eine Zeit der Ausbildung gehandelt hat, die der Kläger an einer Fachschule verbracht hat, was für die Anrechnung als Ausfallzeit nach dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes vorausgesetzt wird (vgl. zu dem Gebrauch des Wortes Hochschulausbildung BSG in SozR Nr. 8 zu § 1259 RVO).
Da die Zeit des Hochschulstudiums des Klägers von Oktober 1917 bis Juli 1922 demnach als Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG ausscheidet, fehlt es an einer Ausfallzeit, die an die weitere Schulausbildung anschließt und nach deren Beendigung der Kläger innerhalb von fünf Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hätte.
Die Auffassung der Revision, die Zeit der weiteren Schulausbildung des Klägers sei schon deshalb Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG, weil seine Ausbildung mit den einzelnen Ausbildungszeiten insgesamt als Einheit zu gelten habe, die erfolgreich abgeschlossen sei, findet in der gesetzlichen Regelung über die Anerkennung bestimmter einzelner Ausbildungszeiten als Ausfallzeiten keine Stütze.
Die Revision des Klägers muß aus diesen Gründen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen