Leitsatz (amtlich)

1. In der Unfallversicherung besteht nach RVO § 557 Abs 1 regelmäßig nur ein Anspruch auf Gewährung von Heilbehandlung und nur ausnahmsweise ein Anspruch auf Kostenerstattung für selbst veranlaßte ärztliche Behandlung.

2. Ist ein behandlungsbedürftiger Zustand vor dem 1963-07-01, dem Inkrafttreten des UVNG, entstanden und wird er erst danach beseitigt, so ist RVO § 565 idF des UVNG anzuwenden (UVNG Art 4 § 2 Abs 1).

3. Ein Träger der Unfallversicherung kann zur Gewährung von Heilbehandlung nach RVO § 557 Abs 1 nur verurteilt werden, wenn insoweit kein Anspruch des Verletzten gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung besteht.

 

Normenkette

RVO § 565 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 557 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, Nr. 2 Fassung: 1963-04-30; UVNG Art. 4 § 2 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; RVO § 565 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 8. November 1968 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Klägerin arbeitete vom 18. Januar bis 31. August 1954 und vom 19. Januar bis 25. Mai 1955 bei dem inzwischen in Konkurs gegangenen pharmazeutischen Unternehmen Dr. R & ... in H als Packerin. Sie füllte während dieser Zeit auch quecksilberhaltige Salbe (Praecipitatsalbe 5 %) mit einem Handabfüllapparat ohne Schutzhandschuhe ab.

Die Klägerin beantragte im Januar 1963 bei der beklagten Berufsgenossenschaft, ihr einen Zuschuß zu Zahnbehandlungskosten zu gewähren. Sie gab dazu an: Sie habe sich beim Abfüllen der quecksilberhaltigen Salbe eine Quecksilbervergiftung zugezogen. Um Zahnfleischentzündungen zu vermeiden, müßten jetzt die Amalgam-Füllungen durch Gold-Füllungen ersetzt werden. Auch dürfe in Zukunft kein Amalgam mehr verwendet werden.

Am 16. März 1963 zeigte die Zahnärztin R der Beklagten an, Epicutantestungen in der Hautklinik des Universitäts-Krankenhauses E hätten eine Überempfindlichkeit der Klägerin gegenüber Nickelsulfat und Sublimat bewiesen (Berufskrankheit nach Nr. 15 der Anlage zur Sechsten Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 28. April 1961 - 6. BKVO -).

Die Beklagte, die zunächst ein Gutachten des Landesgewerbearztes von Schleswig-Holstein, Dr. B, einholte, lehnte mit Bescheid vom 15. Januar 1964 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Sie begründete dies damit, daß die Tätigkeit der Klägerin bei der Firma Dr. R & ... nicht geeignet gewesen sei, eine Erkrankung durch Quecksilber zu verursachen; der Anteil an quecksilberhaltiger Salbe sei bei der Abfüllarbeit sehr gering gewesen.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Hamburg durch Urteil vom 6. Juni 1966 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg durch Urteil vom 8. November 1968 das erstinstanzliche Urteil abgeändert; es hat die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15. Januar 1964 verurteilt, unter Anerkennung einer Quecksilberallergie der Mundschleimhaut der Klägerin den Unterschied zwischen den Preisen für Amalgamplomben und Goldplomben an den Zähnen oben rechts 3 und links 2, unten rechts 4, 7 und 8, links 5, 6 und 8 unter Anrechnung der von der Krankenkasse zu gewährenden Zuschüsse zu erstatten. Die weitergehende Berufung, mit der die Klägerin die Zahlung der Preisunterschiede auch für die in Zukunft erkrankenden Zähne begehrte, hat das LSG zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Aufgrund des Beweisergebnisses sei davon auszugehen, daß die Klägerin an einer Quecksilberallergie leide, die sie sich im Jahre 1955 durch ihre Beschäftigung bei der Firma Dr. R & ... zugezogen habe. Sie habe dort u.a. quecksilberhaltige Salbe, sog. 5%ige Praecipitatsalbe, mit einem Handabfüllgerät abgefüllt und hierdurch intensiven Kontakt mit dieser Substanz durch Beschmutzen der Hände und Einatmen von Dämpfen gehabt. Ferner habe die Klägerin unwiderlegt und bestätigt durch die Angaben der Zahnärztin R vorgetragen, daß in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Kontakt mit der quecksilberhaltigen Salbe bei ihr Ekzeme aufgetreten seien und bei der späteren zahnärztlichen Behandlung mit Amalgam als Füllmasse erstmals sich eine Quecksilberallergie in Form einer Mundschleimhautentzündung bemerkbar gemacht habe. Obwohl die typischen Symptome einer akuten oder chronischen Quecksilbervergiftung bei der Klägerin nicht beobachtet worden seien, sei nach den Bekundungen der Sachverständigen Prof. Dr. K, Prof. Dr. Sch und Dr. Sch die Diagnose einer Quecksilberallergie hinreichend gesichert. Nach den medizinischen Darlegungen müsse die Abfüllarbeit bei der Firma Dr. R & ... zumindest als wesentliche Teilursache für die Entstehung der Allergie angesehen werden. Es liege somit eine Berufskrankheit (BK) im Sinne des § 551 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit Nr. 3 der Anlage zur Fünften Berufskrankheiten-Verordnung (5. BKVO) vor, die inhaltlich mit Nr. 15 der Anlagen zur 6. und 7. BKVO - Erkrankungen durch Quecksilber und seine Verbindungen - übereinstimme. Ausgenommen seien Hautkrankheiten. Diese seien nach Nr. 3 der Anlage zur 5. BKVO (= Nr. 15 der Anlage zur 6. und 7. BKVO) als BK nur insoweit anzusehen, als sie "Erscheinungen einer durch Aufnahme der schädigenden Stoffe in den Körper bedingten Allgemeinerkrankung" seien oder gemäß Nr. 19 der Anlage zur 5. BKVO (= Nr. 46 der Anlagen zur 6. und 7. BKVO) entschädigt werden müßten. Die zunächst aufgetretenen Hautekzeme könnten hier außer Betracht bleiben, da insoweit die Klägerin keine Entschädigung verlange. Die Mundschleimhautentzündung sei aber keine Hautkrankheit im Sinne der Nr. 19 der Anlage zur 5. BKVO. Die Mundschleimhaut gehöre nämlich zu den inneren Schleimhäuten. Aber selbst wenn man einen Zusammenhang mit der Erkrankung der Außenhaut sehen wolle, müsse man zu dem Ergebnis kommen, daß es sich nach dem Krankheitsbild bei der Quecksilberallergie um Erscheinungen einer Allgemeinerkrankung handele, die durch Aufnahme der schädigenden Stoffe in den Körper verursacht worden sei. Im vorliegenden Verfahren habe jedoch nur über eine Entschädigungspflicht der Beklagten aufgrund der von Januar 1963 bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 8. November 1968 notwendig gewordenen zahnärztlichen Behandlungen der Klägerin entschieden werden können. Wenn in Zukunft neue Zahnschäden aufträten, müsse die Klägerin erneut ihren Anspruch geltend machen, und es müsse geprüft werden, ob wieder an Stelle von Amalgam, Goldguß oder - im Hinblick auf die Entwicklung neuer Ersatzstoffe - ein geeignetes anders haltbares Füllmaterial zu verwenden sei. Auch könne die Klägerin, solange die vorhandenen Amalgamplomben noch nicht - wie bisher nur unten links 5 und 6 - wegen Sekundärkaries herausgebohrt werden müßten, deren Auswechselung nicht verlangen, weil nicht nachgewiesen worden sei, daß sie noch Schleimhautentzündungen hervorriefen. Zur Zeit habe die Beklagte nur für die Mehrkosten einzutreten, die das Füllen der kariösen Zähne oben rechts 3, links 2, unten rechts 4, 7, 8, links 5, 6 und 8 mit Goldgußplomben im Verhältnis zu Amalgamplomben verursache, die der Klägerin für Rechnung ihrer Krankenkasse normalerweise eingesetzt würden. Soweit die Klägerin gegen ihre Krankenkasse Anspruch auf Zuschüsse zu den Kosten für Goldplomben habe, seien diese anzurechnen. Die Berufung habe deshalb nur insoweit Erfolg haben können.

Die Beklagte hat gegen das Urteil des LSG - die zugelassene - Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 551 RVO der Nr. 3 der Anlage zur 5. BKVO und der Nr. 15 der Anlagen zur 6. und 7. BKVO. Sie führt dazu aus: Die Klägerin könne mit ihrem Begehren auf Kostenersatz schon deshalb keinen Erfolg haben, weil ein solcher Anspruch im Gesetz nicht vorgesehen sei. Es bestehe nach den §§ 547, 556 Abs. 1, § 557 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 RVO in der Fassung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) nur ein Anspruch auf eine Realleistung. Dieser könne nicht durch eine nachträgliche Gelderstattung abgelöst werden. Wenn man überhaupt einen solchen Anspruch auf Kostenersatz annehmen wolle, könne es sich insoweit nur um eine Ermessensleistung der Beklagten handeln. Die Entscheidung der Beklagten könne dann aber auch nur daraufhin überprüft werden, ob sie ermessensmißbräuchlich gehandelt habe. Für einen solchen Fall sei § 79 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht beachtet werden; das notwendige Widerspruchsverfahren habe nicht stattgefunden. Werde aber einmal die Notwendigkeit der zahnärztlichen Behandlung in der Zeit von Januar 1963 bis zum November 1968 unterstellt, so müsse auf Leistungsfälle in dieser Zeit vom 1. Juli 1963 an § 565 RVO in der Fassung des UVNG angewendet werden (Art. 4 § 2 Abs. 1 UVNG). Nach § 565 Abs. 1 RVO komme es aber entscheidend darauf an, ob die Klägerin bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sei. In diesem Falle müsse festgestellt werden, in welchem Umfang die gesetzliche Krankenversicherung zur Übernahme der Behandlungskosten verpflichtet sei, weil insoweit Ansprüche der Klägerin nach § 557 RVO gegenüber der Beklagten ausgeschlossen seien (§ 565 Abs. 1 RVO). Hierüber fehle es aber an Feststellungen im angefochtenen Urteil. In diesem Zusammenhang wäre es auch notwendig gewesen, den zuständigen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 75 SGG beizuladen, was ebenfalls unterblieben sei. Im übrigen seien verfahrensmäßige Bedenken gegen die Feststellung einer behandlungsbedürftigen Krankheit und der Notwendigkeit des Ersatzes der Amalgam-Füllungen durch Goldplomben zu erheben. Das Berufungsgericht habe offensichtlich übersehen und zu Unrecht nicht berücksichtigt, daß der Landesgewerbearzt Dr. B in seiner gutachtlichen Äußerung vom 7. November 1963 Goldfüllungen, wenn auch nach Auffassung des Gutachtens der Hamburger Universitätskliniken zu Unrecht, für untunlich und unzweckmäßig erachtet habe. Er habe dagegen eine andere Füllungsart für möglich, geboten und tunlich gehalten, die nicht so teuer wie eine Goldfüllung sei, nämlich mit Kunststoffmasse, Porzellan oder chromfreiem Zement, soweit diese Stoffe ungefärbt, also frei von Uran und anderen Salzen, benutzt würden. Vor allem Porzellan sei billiger als Gold. Unrichtig sei es auch, daß bei der Klägerin eine BK im Sinne der Nr. 3 der Anlage zur 5. BKVO (= Nr. 15 der Anlagen zur 6. und 7. BKVO) vorliege. Selbst wenn man einmal davon ausgehe, daß sich die Erkrankung der Mundschleimhaut durch Quecksilberallergie nicht nach Nr. 19 der 5. BKVO (= Nr. 46 der 6. und 7. BKVO) zu richten habe, so könne die Quecksilberallergie nicht auf die berufliche Tätigkeit der Klägerin im Jahre 1955 zurückgeführt werden. Insoweit fehle es an ausdrücklichen Feststellungen von Brückensymptomen, die es wahrscheinlich machten, daß die ab Januar 1963 aufgetretenen Erkrankungen der Mundschleimhaut eine Äußerung einer Allgemeinerkrankung seien, die auf die berufliche Tätigkeit im Jahre 1955 zurückzuführen sei. Auch fehlten Feststellungen über die Art der näheren Berührung der Klägerin mit der quecksilberhaltigen Salbe, so daß die versicherte Tätigkeit bei der Beklagten nicht die Ursache der bei der Klägerin aufgetretenen Gesundheitsstörungen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Feststellungen des Berufungsgerichts für ausreichend und das angefochtene Urteil für überzeugend. Sie sieht insbesondere einen Verstoß gegen Treu und Glauben darin, daß sich die Beklagte erst in der Revisionsinstanz darauf beruft, daß ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung vorleistungspflichtig sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

II

Die Revision der Beklagten ist zulässig und insofern begründet, als das Urteil des LSG aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden muß (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß bei der Klägerin durch ihre berufliche Tätigkeit bei der Firma Dr. R & ... im Jahre 1955 eine BK im Sinne der Nr.3 der Anlage zur 5. BKVO (Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen) verursacht worden ist. Die gegen diese Feststellung gerichteten Angriffe der Revision gehen fehl. Die Revision meint, die Quecksilberallergie der Mundschleimhaut könne schon deshalb keine Erscheinung einer Allgemeinerkrankung durch Quecksilber sein, weil keiner der Sachverständigen das Vorliegen typischer Krankheitserscheinungen einer Quecksilbervergiftung festgestellt habe. Auch enthalte das angefochtene Urteil keine Feststellungen über Brückensymptome, aus denen sich ergeben könnte, daß die berufliche Tätigkeit der Klägerin im Jahre 1955 Ursache der im Januar 1963 erstmalig aufgetretenen Quecksilberallergie der Mundschleimhaut sei. Dem steht entgegen, daß die Klägerin nach den vom Berufungsgericht bindend (§ 163 SGG) getroffenen Feststellungen im Jahre 1955 bei ihrem Arbeitgeber u.a. quecksilberhaltige Salbe, nämlich 5%ige Praezipitatsalbe, mit einem Handabfüllgerät abgefüllt und hierdurch intensiven Kontakt mit dieser Substanz durch Beschmutzen der Hände und Einatmen der Dämpfe gehabt hat. Das LSG hat sich im angefochtenen Urteil (S. 7 bis 9) auch eingehend mit den im Verwaltungsverfahren sowie im ersten und zweiten Rechtszug eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten auseinandergesetzt und unter Würdigung der Ausführungen von Prof. Dr. K, Prof. Dr. Sch und Dr. Sch festgestellt, daß die Quecksilberallergie als sog. Allergie vom Spättyp auf die berufliche Tätigkeit der Klägerin bei der Firma R & ... zurückzuführen und zunächst durch Hautekzeme in Erscheinung getreten sei. Ausdrücklich hat das Berufungsgericht auch festgestellt, daß bei der Klägerin in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Umgang mit der quecksilberhaltigen Salbe Hautekzeme aufgetreten seien und bei der späteren zahnärztlichen Behandlung im Jahre 1963 mit Amalgam als Füllmasse erstmals sich eine Quecksilberallergie in Form einer Mundschleimhautentzündung bemerkbar gemacht habe. Damit hat das LSG entgegen der Auffassung der Revision auch Brückensymptome festgestellt, die es ohne Verletzung des § 128 SGG zu dem Schluß kommen lassen konnten, die behandlungsbedürftige Quecksilberallergie an der Mundschleimhaut in der Zeit von Januar 1963 an sei auf eine Allgemeinerkrankung durch Quecksilber während der Arbeit mit quecksilberhaltiger Salbe bei der Firma R & ... im Jahre 1955 zurückzuführen. Soweit die Revision eine für sie günstigere Beweiswürdigung für möglich und richtig hält, hat sie keine der Formvorschrift des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG entsprechende Verfahrensrüge erhoben, und es ist auch nicht ersichtlich, daß insoweit vom Berufungsgericht die Kausalrechtsnorm (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG) verletzt worden wäre, die sich auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer BK und einer Gesundheitsstörung - hier der Quecksilberallergie und der Mundschleimhautentzündung - bezieht. Die Klägerin leidet somit an einer Erkrankung im Sinne der Nr. 3 der Anlage zur 5. BKVO (= Nr. 15 der Anlage zur 6. und 7. BKVO), nämlich an einer Quecksilberallergie.

Es kann hier dahinstehen, ob die Quecksilberallergie an der Mundschleimhaut als eine Hauterkrankung (Spalte II der angeführten Anlagen) anzusehen ist. Auch wenn dies der Fall ist, hat das LSG zutreffend ausgeführt, daß im vorliegenden Fall die Erkrankung eine solche im Sinne der Nr. 3 der Anlage zur 5. BKVO ist. Sie ist nämlich die Erscheinung einer Allgemeinerkrankung, die durch Aufnahme des schädigenden Stoffes, nämlich des Quecksilbers, in den Körper verursacht worden ist (Anlage zur 5. BKVO Spalte II zu Nr. 1 bis 14 = Anlagen zur 6. und 7. BKVO zu Nrn. 2, 4 bis 8, 10 bis 21). Die Allgemeinerkrankung besteht in der Sensibilisierung gegenüber dem Kontaktallergen - hier dem Quecksilber und seinen Verbindungen - durch Aufnahme dieses Stoffes in den Körper der Klägerin während ihrer Tätigkeit bei der Firma Dr. R & ... im Jahre 1955, die sich sowohl auf die gesamte äußere Haut - Ekzeme - als auch auf die Mundschleimhaut - Unverträglichkeit von Amalgamplomben - erstreckt.

Im vorliegenden Fall ist nicht festgestellt, daß der regelwidrige Körperzustand, der behandlungsbedürftig ist, durch das Einsetzen von Goldplomben anstelle der Amalgamplomben an den im angefochtenen Urteil näher bezeichneten Zähnen, bisher beseitigt worden wäre. Der behandlungsbedürftige Zustand hat demnach über den 1. Juli 1963, den Tag des Inkrafttretens des UVNG (Art. 4 § 16 UVNG), fortgedauert. Damit ist - wie das LSG zutreffend angenommen hat - die RVO in der Fassung des UVNG anzuwenden. Mit Recht rügt deshalb die Revision die Verletzung des § 565 Abs. 1 Satz 1 RVO in der Fassung des UVNG (RVO n.F.). Nach dieser Vorschrift gewährt nämlich der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nach den Vorschriften der Krankenversicherung die Heilbehandlung, wenn der Verletzte bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist. Insoweit bestehen dann keine Ansprüche nach § 557 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RVO nF gegen den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 565 Abs. 1 Satz 2 RVO nF). Das LSG hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Klägerin in dem hier streitigen Behandlungszeitraum bis November 1968 Pflicht- oder freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen ist. Hierzu bestand aber für das Berufungsgericht besonderer Anlaß, weil es (S. 11 des angefochtenen Urteils) davon ausgegangen ist, daß auf den Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten Zuschüsse der Krankenkasse für den Zahnersatz durch Goldplomben anzurechnen seien, und weil aus dem im Tatbestand des angefochtenen Urteils in Bezug genommenen medizinischen Gutachten von Prof. Dr. K vom 11. Dezember 1967 - Seite 2 - zu entnehmen ist, daß die Klägerin in den Jahren 1961 bis 1964 als Postangestellte im Sortierdienst tätig war und 1967 ("zur Zeit") als kaufmännische Angestellte in dem Spielzeugwarengeschäft der Firma W, H, beschäftigt war. Es ist deshalb die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß ein gesetzlicher Krankenversicherungsträger nach § 179 Abs. 1 und 2 RVO in Verbindung mit Abschnitt I Nr. 4 des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 betreffend Verbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung - Verbesserungserlaß - (AN 1943, 485) die Kosten für den Zahnersatz durch Goldplomben insgesamt übernimmt oder einen Zuschuß gewährt (vgl. BSG 22, 67). Soweit aber ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung Kosten erstattet, ist gemäß § 565 Abs. 1 Satz 2 RVO ein Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten nicht entstanden. Das LSG hätte deshalb die Leistungspflicht eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung nicht offenlassen dürfen. Da insoweit keine Feststellungen getroffen sind, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Erst wenn sich herausstellt, daß die Klägerin nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert war oder ein Anspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung auch bei freiwilliger oder Pflichtmitgliedschaft nicht gegeben ist, kann die Beklagte in Anspruch genommen werden. Dabei wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß für einen Anspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung die Eigenschaft der Klägerin als mitversicherte Familienangehörige ihres Ehemannes in der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen des § 565 Abs. 1 RVO nF den Anspruch gegenüber der Beklagten nach § 557 RVO nF nicht ausschließt. Dies ergibt sich aus § 205 RVO, wonach ein eigener gesetzlicher Anspruch auf Krankenhilfe der Ehefrau die Familienhilfe aus der gesetzlichen Krankenversicherung des Ehemannes wieder ausschließt. Nach § 205 RVO ist unter einem solchen Anspruch nicht nur ein eigener Anspruch aus der Krankenversicherung, sondern jeder Anspruch auf Krankenhilfe in der RVO zu verstehen (vgl. BSG 11, 30, 33; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, RVO § 205, Anm. 14 Abs. 5). Den Ausschluß nach § 565 Abs. 1 Satz 2 RVO nF kann somit nur eine eigene freiwillige oder Pflichtversicherung der Klägerin herbeiführen (Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., RVO § 565, Anm. 2 b und 3).

Erst wenn feststeht, daß ein Anspruch gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung in einem bestimmten Umfang für die hier begehrten Mehrkosten der Klägerin nicht besteht, kann die Beklagte als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in Anspruch genommen werden. Zu Unrecht meint die Klägerin, die Beklagte verstoße gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben, wenn sie sich auf die Vorleistungspflicht eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung beruft. Sie übersieht dabei, daß die Beklagte von vornherein ihre Leistungspflicht wegen Fehlens einer BK abgelehnt und auch das LSG im angefochtenen Urteil zum Ausdruck gebracht hat, die Beklagte sei nicht zur Leistung verpflichtet, soweit ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen werden könne.

Mit Recht hat die Revision auch darauf hingewiesen, daß in der gesetzlichen Unfallversicherung ein unmittelbarer Kostenerstattungsanspruch des Verletzten für zahnärztliche Behandlung und Zahnersatz nicht gegeben ist. Es besteht insoweit nach § 557 Abs. 1 RVO nF nur ein Anspruch auf Heilbehandlung, der die zahnärztliche Behandlung (§ 557 Abs. 1 Nr. 1 RVO nF) und die Versorgung mit Körperersatzstücken und anderen Hilfsmitteln (Zahnersatz) nach § 557 Abs. 1 Nr. 2 RVO nF einschließt. Ein Kostenerstattungsanspruch für eine von der Klägerin selbst eingeleitete zahnärztliche Behandlung kann daher nur in Betracht kommen, wenn die Beklagte der Klägerin die Durchführung der zahnärztlichen Behandlung überläßt (Lauterbach, RVO § 557, Anm. 4 b). Falls die Beklagte in Anspruch genommen werden kann, ist sie nur verpflichtet, die zahnärztliche Behandlung und die Einfügung des Zahnersatzes vorzunehmen. Es ist bisher nicht festgestellt, daß die Beklagte der Klägerin bereits die Behandlung durch ihren Zahnarzt überlassen hat. Eine solche Überlassung kann jedenfalls in dem ablehnenden Bescheid vom 15. Januar 1964 nicht gesehen werden, weil die Beklagte dort das Begehren der Klägerin schon von vornherein mit der Begründung abgelehnt hat, eine BK liege nicht vor.

Obwohl nach allem das Berufungsgericht mit Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Klägerin an einer Quecksilberallergie der Mundschleimhaut als Erscheinung einer Allgemeinerkrankung im Sinne der Nr. 3 der Anlage zur 5. BKVO leidet, ist auf die Revision der Beklagten dennoch das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil das LSG nicht festgestellt hat, ob ein Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten nicht ganz oder teilweise im Hinblick auf § 565 Abs. 1 RVO nF ausgeschlossen ist.

Das Berufungsgericht wird auch über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens in seiner abschließenden Entscheidung zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670258

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