Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. Oktober 1996 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung eines Unfallereignisses vom 28. Juli 1992.
Die im Jahre 1952 geborene Klägerin war bei der Kreissparkasse W. … in der Zentralstelle am O. … Weg … beschäftigt. Am Morgen des 28. Juli 1992 verließ die Klägerin um 7.05 Uhr ihre Wohnung in W., … F. … -Straße, … und fuhr mit ihrem Sohn in dessen PKW zum W. … Friedhof, um dort vor Arbeitsbeginn in der Kreissparkasse um ca 8.00 Uhr zwei Gräber zu pflegen. Auf der ca fünf Minuten dauernden Autofahrt passierte die Klägerin den nahen Verkehrsraum ihrer Arbeitsstätte und setzte den Weg darüber hinaus fort. Nach Erledigung ihrer Tätigkeit auf dem Friedhof begab sie sich von dort aus zu Fuß um ca 7.40 Uhr auf den Weg zu ihrer Arbeitsstätte. Dabei rutschte die Klägerin um 7.45 Uhr in der K. … -Straße auf herabgefallenen Kirschen aus, wobei sie sich das rechte Handgelenk brach. Zum Unfallzeitpunkt befand sie sich noch nicht auf dem gewöhnlichen Weg zu ihrer Arbeitsstätte. Diesen nimmt die Klägerin normalerweise zu Fuß gehend von ihrer Wohnung aus über die W. … straße und L. … Straße zum O. … Weg. Nach Auskunft der Stadt W. … beträgt der Fußweg von der Wohnung der Klägerin zu ihrer Arbeitsstätte ca 830 m, der Fußweg vom Friedhof zur Arbeitsstätte ca 1.340 m.
Die Beklagte lehnte es ab, den Unfall vom 28. Juli 1992 zu entschädigen (Bescheid vom 20. April 1993 idF des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 1993). Die Klägerin habe sich im Unfallzeitpunkt nicht auf dem direkten Weg von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte, sondern auf einem unversicherten Abweg befunden; denn sie habe auf dem Rückweg von dem aus rein privaten Gründen aufgesuchten Friedhof noch nicht den eigentlichen, versicherten Weg erreicht. Bei dem Weg vom Friedhof zur Arbeitsstätte habe es sich auch nicht um einen sog Weg vom dritten Ort gehandelt, da die Aufenthaltsdauer auf dem Friedhof nicht so erheblich gewesen sei und der Weg von dort in keinem angemessenen Verhältnis zu dem sonst üblichen Fußweg gestanden habe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, den Unfall der Klägerin vom 28. Juli 1992 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihr die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren (Urteil vom 1. Dezember 1994): Die Klägerin habe am Unfalltag ihren Weg zur Arbeitsstätte vom Friedhof aus als einem dritten Ort angetreten. Für die Anerkennung der dafür erforderlichen Erheblichkeit des Aufenthaltes an diesem Ort sprächen im vorliegenden Fall außer der Zeitdauer bei natürlicher Betrachtungsweise auch die Umstände, daß die Klägerin das Haus früher als sonst verlassen sowie auf dem Weg zum Friedhof und von dort zur Arbeitsstätte die Fortbewegungsart gewechselt habe. Eine besondere Erhöhung der Unfallgefahr habe nicht vorgelegen, da der Fußweg der Klägerin vom Friedhof zur Arbeitsstätte nicht übermäßig länger sei als der Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte und beide Wegstrecken im üblichen Fußpendelbereich innerhalb der Stadt W. … lägen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 23. Oktober 1996): Der Fußweg der Klägerin vom Friedhof zurück zur Arbeitsstätte hätte nur dann unter Versicherungsschutz gestanden, wenn die ca halbstündige Aufenthaltsdauer auf dem Friedhof als „erheblich” anzusehen sei. Dies sei jedoch nicht der Fall. Denn ein nur halbstündiger Aufenthalt gebe dem dem Aufenthalt vorausgegangenen Weg von der Wohnung zum Friedhof keine unfallversicherungsrechtlich selbständige Bedeutung. Die vom SG herangezogenen Umstände, wie das frühere Verlassen der Wohnung und der Wechsel der Fortbewegungsart, kämen nicht als Kriterien für eine Erheblichkeit des Aufenthalts in Betracht. Insoweit könne nur – auch im Interesse der Rechtssicherheit – der zeitliche Umfang des Aufenthaltes von Bedeutung sein. Da somit der von der Klägerin zurückgelegte Weg von der Wohnung über den Friedhof zur Arbeitsstätte als ein einheitlicher Gesamtweg anzusehen sei und die Klägerin den Unfall im Bereich des unversicherten Abweges erlitten habe, könne das Unfallereignis nicht als Arbeitsunfall anerkannt werden.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 550 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO): Der Aufenthalt am dritten Ort müsse zwar von rechtserheblicher Dauer sein, und der Weg müsse in einem angemessenen Verhältnis zum Weg von der eigenen Wohnung stehen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) müßten aber die gesamten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Dann könne aber nicht nur auf die Dauer abgestellt werden, sondern es müsse immer auch die Entfernung mitgewürdigt werden. Das Berufungsgericht habe aber in seiner Entscheidung nur auf die Dauer des Aufenthalts auf dem Friedhof abgestellt. Nach der Rechtsprechung des BSG sei ein Aufenthalt von etwa einer Stunde noch als erheblich anzusehen. Die zeitliche Untergrenze müsse aber niedriger angesetzt werden. In dem Urteil des BSG vom 5. August 1987 – 9b RU 28/86 – sei ein Aufenthalt von einer halben Stunde als rechtserheblich angesehen worden. Für eine einheitliche Zeitgrenze von zwei Stunden für Unterbrechungen und Wege nach und vom dritten Ort – wie vom Berufungsgericht vorgeschlagen – bestehe keine Notwendigkeit. Wenn es aber nur auf die Zeitdauer des Aufenthalts am dritten Ort ankommen sollte, dann würde eine zeitliche Untergrenze von einer halben Stunde der Rechtsvereinfachung dienen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. Oktober 1996 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 1. Dezember 1994 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch, wegen des Unfallereignisses vom 28. Juli 1992 aus der gesetzlichen Unfallversicherung entschädigt zu werden.
Der Anspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da der von der Klägerin geltend gemachte Arbeitsunfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz ≪UVEG≫, § 212 SGB VII).
Wie das LSG zutreffend entschieden hat, erlitt die Klägerin keinen Arbeitsunfall, weil sie nicht auf dem Weg nach dem Ort der Tätigkeit iS des – hier allein in Betracht kommenden – § 550 Abs 1 RVO verunglückt ist. Nach dieser Vorschrift gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Gesetzgeber hat nach dieser Vorschrift den Versicherungsschutz für die Wege nach und von der Arbeitsstätte nicht auf die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beschränkt, sondern es lediglich darauf abgestellt, daß die Arbeitsstätte Ziel oder Ausgangspunkt des Weges ist. Der andere Grenzpunkt des Weges ist gesetzlich nicht festgelegt (BSG SozR 2200 § 550 Nr 57; Brackmann, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, 11. Aufl S 485o f mwN; Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, Bd 3, Gesetzliche Unfallversicherung, 1997, 12. Aufl, § 8 RdNr 174). Wie sich bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt, hat der Gesetzgeber nicht schlechthin jeden Weg unter Versicherungsschutz gestellt, der zur Arbeitsstätte hinführt oder von ihr aus begonnen wird. Vielmehr ist nach § 550 Abs 1 RVO darüber hinaus erforderlich, daß der Weg mit der Tätigkeit in dem Unternehmen zusammenhängt, dh daß ein innerer Zusammenhang zwischen dem Weg und der Tätigkeit in dem Unternehmen besteht. Dieser innere Zusammenhang setzt voraus, daß der Weg, den der Versicherte zurücklegt, wesentlich dazu dient, den Ort der Tätigkeit oder nach Beendigung der Tätigkeit – in der Regel – die eigene Wohnung oder einen anderen Endpunkt des Weges von dem Ort der Tätigkeit zu erreichen. Maßgebend ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (vgl BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 4 mwN).
Die Klägerin hat entsprechend den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ihren Weg zum Ort der Tätigkeit iS des § 550 Abs 1 RVO von ihrer Wohnung und nicht erst vom Friedhof in W. … aus angetreten. Denn bei dem Weg von ihrem häuslichen Bereich zum Friedhof in W. … und von dort zum Ort ihrer Tätigkeit in der Kreissparkasse W. … hat es sich um einen rechtlich einheitlichen Gesamtweg gehandelt. Der dem Aufenthalt am Friedhof in W. … vorausgegangene Weg von zu Hause zum Friedhof hat demgegenüber keine selbständige Bedeutung erlangt. Entgegen der Auffassung der Revision rechtfertigen die Verhältnisse des vorliegenden Falles nicht, einen anderen Ort als die Wohnung der Klägerin, einen sog dritten Ort, als Ausgangspunkt des Weges nach dem Ort der Tätigkeit zu werten. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung einen anderen Ort als die Wohnung nur dann als Ausgangspunkt des Weges nach dem Ort der Tätigkeit angenommen, wenn die Dauer des Aufenthaltes an dem anderen Ort so erheblich war, daß der vorangegangene Weg eine selbständige Bedeutung erlangte und deshalb nicht in einem rechtlich erheblichen Zusammenhang mit der bevorstehenden Aufnahme der Arbeit an der Arbeitsstätte stand (vgl BSGE 62, 113, 115 = BSG SozR 2200 § 550 Nrn 76; BSG SozR 2200 § 550 Nr 78; BSG SozR 3-2200 § 550 Nrn 2, 5, 10; Brackmann/Krasney aaO § 8 RdNr 19; Schulin HS-UV § 33 RdNrn 58 f). Maßgeblich ist dabei nur die Dauer des Aufenthalts an dem anderen Ort selbst und dabei den Weg von der Wohnung zu dem anderen Ort zeitlich nicht mit eingerechnet (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 2). Für die Erheblichkeit des Aufenthalts an dem anderen Ort als die Wohnung hat das BSG bisher, anders als für das Entfallen des Versicherungsschutzes nach einer längeren Unterbrechung auf Wegen von dem Ort der Tätigkeit (vgl BSG SozR 2200 § 550 Nr 12), keine bestimmte Zeitdauer als wesentliches Kriterium festgelegt (vgl BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 2). Der Senat hat nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles einen Aufenthalt am anderen Ort von etwa ein bis zwei Stunden als erheblich angesehen (vgl BSG SozR Nrn 32, 54 zu § 543 RVO aF). Der für Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung nicht mehr zuständige 9b-Senat des BSG hat zwar einen Aufenthalt von nur knapp über einer halben Stunde (Urteil vom 5. August 1987 – 9b RU 28/86 – = USK 87115) als erheblich angenommen. Es kann aber dahingestellt bleiben, ob dieser Entscheidung insoweit zu folgen ist, zumal fraglich ist, ob nach dem dort zugrundeliegenden Sachverhalt der Unfallversicherungsschutz im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG zum Versicherungsschutz bei Wegen zur Nahrungsaufnahme während einer Dienstreise (vgl BSGE 63, 273 = SozR 2200 § 548 Nr 92) nicht schon aus anderen Gründen gegeben gewesen wäre. Wie der Senat bereits entschieden hat (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 2), ist in Übereinstimmung mit der Vorinstanz ein Aufenthalt mit einer Zeitdauer von einer halben Stunde nicht als rechtlich erheblich anzusehen, um dem Weg von der Wohnung zum Friedhof eine selbständige Bedeutung beizumessen. Es handelte sich um einen relativ kurzfristigen Aufenthalt auf dem Friedhof, der durch den Arbeitsbeginn um 8.00 Uhr bereits von vornherein zeitlich beschränkt war.
Der vorliegende Fall bietet daher keinen Anlaß, für die rechtliche Erheblichkeit des Aufenthalts am anderen Ort als die Wohnung eine bestimmte Mindestzeitdauer als Kriterium dafür festzulegen (vgl Brackmann/Krasney aaO § 8 RdNr 195; Schulin aaO § 33 RdNr 65).
Die Klägerin hatte somit am 28. Juli 1992 den zum Unfall führenden Weg zum Ort ihrer Tätigkeit bei der Kreissparkasse W. … von zu Hause aus angetreten. Sie fuhr aber, den nahen Verkehrsraum ihrer Arbeitsstätte passierend, darüber hinaus und weiter zum W. … Friedhof, um dort zwei Gräber zu pflegen. Dabei hat es sich bei der Fortsetzung der Fahrt in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte nach der Handlungstendenz um eine dem privaten/persönlichen unversicherten Bereich zuzurechnende sog eigenwirtschaftliche Tätigkeit (BSG SozR 2200 § 548 Nr 31; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 22) gehandelt, die in keinem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Während dieser einer privaten Besorgung dienenden nicht nur geringfügigen Unterbrechung des Weges nach dem Ort der Tätigkeit durch den Einschub eines anderen mit anderer Zielrichtung bestand kein Versicherungsschutz (vgl Brackmann/Krasney aaO § 8 RdNrn 232, 235 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Krasney in Schulin aaO § 8 RdNr 82; Schulin aaO § 33 RdNr 85). Die Unterbrechung war nicht nur geringfügig (vgl Brackmann/Krasney aaO § 8 RdNr 235), weil sie nach den Feststellungen des LSG mehr als eine Streckenverdoppelung ausmachte.
Erst nach Beendigung der Unterbrechung wäre auf dem weiteren Weg nach dem Ort der Tätigkeit wieder ein Versicherungsschutz gegeben gewesen (vgl BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 2; Brackmann/Krasney aaO RdNr 235 mwN). Die Klägerin ist jedoch nicht in einem Verkehrsbereich verunglückt, den sie auch sonst auf dem Weg von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte zurückgelegt hätte. Vielmehr hatte sie im Unfallzeitpunkt weder die gewöhnliche zur Arbeitsstätte zurückgelegte Wegstrecke noch den Verkehrsraum ihrer Arbeitsstätte wieder erreicht. Die Klägerin ist damit auf einer Wegstrecke verunglückt, die sie ohne Aufsuchen des Friedhofes von zu Hause nicht zurückgelegt hätte. Damit war im Unfallzeitpunkt die Unterbrechung des Weges nach dem Ort der Tätigkeit noch nicht beendet und somit der Unfallversicherungsschutz noch nicht wieder gegeben.
Das LSG hat demnach zu Recht auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nach alledem war die Revision der Klägerin ebenfalls zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen