Verfahrensgang
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen – ohne Datum – wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat den Beigeladenen deren außergerichtliche Kosten im Revisionsverfahren zu erstatten.
Im übrigen haben die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die beklagte Bundesknappschaft ist durch das angefochtene Urteil des Sozialgerichts (SG) Gießen verurteilt worden, der Landesversicherungsanstalt Hessen (LVA) als Klägerin die für die Beigeladenen aus Anlaß einer medizinischen Rehabilitation aufgewandten Kosten zu erstatten. Das SG hat die Revision zugelassen.
Das angefochtene Urteil ist der Beklagten laut dem von einem Bediensteten unterschriebenen Empfangsbekenntnis am 23. Dezember 1991, der Klägerin am 13. Januar 1992, zugestellt worden. Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Sprungrevision eingelegt, welche bei dem Bundessozialgericht (BSG) am 24. Januar 1992 eingegangen ist. Zusammen mit der Revisionsschrift hat sie die folgende Erklärung der Klägerin eingereicht: „In dem beim Sozialgericht Gießen unter dem Aktenzeichen S 6 Kn 1393/89 anhängigen Rechtsstreit LVA Hessen./. Bundesknappschaft stimmen wir einer Zulassung der Revision und der Übergehung der Berufungsinstanz zu.” Die Beklagte meint, wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision sei ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫); in der Sache hält sie das Urteil des SG für unzutreffend.
Zu ihrem Wiedereinsetzungsantrag trägt die Beklagte vor: Am Zustellungstage, dem 23. Dezember 1991, habe ihre Dienststelle wegen Urlaubsabwesenheiten nur mit einem spürbar verminderten Personalbestand gearbeitet. Aus diesem Grunde habe zwar das Empfangsbekenntnis, nicht jedoch das Urteil des SG in der Poststelle einen Eingangsstempel erhalten. Am 27. Dezember 1991 ergänzte der zuständige Verwaltungsbeamte der Beklagten das Empfangsbekenntnis und sandte es ordnungsgemäß zurück. Auf dem Rubrum des Urteils fertigte er über diesen Vorgang einen Vermerk mit dem Wortlaut „Dezernat 0.62 27. Dez. 1991 Empfang best.” und versah diesen Vermerk mit der Paraphe seines Namens. Nach Auffassung der Beklagten mußten und konnten die Mitarbeiter davon ausgehen, daß das Urteil des SG am 27. Dezember 1991 zugestellt worden sei. Die Einhaltung der Revisionsfrist sei auch entsprechend überwacht worden. Im übrigen habe man am 24. Januar 1992 bei dem BSG erkundet, ob die Revisionsschrift tatsächlich eingegangen sei.
Nach Überzeugung der Beklagten müßten im vorliegenden Falle formelle Gesichtspunkte hinter dem Aspekt der Rechtssicherheit zurücktreten. Die Interessen aller Beteiligten verlangten vielmehr eine umgehende Entscheidung über die im Verfahren zu beantwortende materielle Rechtsfrage.
In der Sache weist die Beklagte auf mehrere Verwaltungsabkommen zwischen den Rentenversicherungsträgern hin und meint, daß sie aufgrund dieser Verträge nicht zur Erstattung der von der Beklagten für die Beigeladenen aufgewandten Kosten verpflichtet sei.
Die Beklagte beantragt,
- der Revisionsklägerin wegen Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren;
- unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Gießen (S 6 Kn 1393/89) – der Revisionsklägerin als Zustellung gemäß § 5 Abs 2 VwZG am 23. Dezember 1991 zugegangen –
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
als unbegründet zurückzuweisen.
Sie vermag aus eigener Kenntnis nicht zu beurteilen, ob die Beklagte ohne ihr Verschulden verhindert gewesen ist, die Revisionsfrist einzuhalten; gegen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhebt sie jedoch keine Einwände. In der Sache hält sie das Revisionsvorbringen teilweise für unzulässig und zum anderen für nicht begründet.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Entscheidungsgründe
II
Die rechtzeitig eingelegte Revision der Beklagten genügt nicht den Formerfordernissen des § 161 Abs 1 Satz 3 SGG. Sie ist daher nicht statthaft und war als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 1 und 2 SGG).
Nach § 161 Abs 1 Satz 3 SGG ist der Revisionsschrift die Zustimmungserklärung des Verfahrensgegners beizufügen. Die Erklärung der Klägerin vom 10. Januar 1992 genügt diesem Erfordernis nicht.
Die Zulässigkeit der Sprungrevision setzt voraus, daß der Rechtsmittelgegner eindeutig die Zustimmung zu ihrer Einlegung erklärt (so auch BVerwG NVwZ 1986, 119 f). Dabei hat der Revisionsführer bei Einlegung dieses Rechtsmittels zu prüfen, ob die beizufügende Zustimmung seines Gegners ausreichend formuliert ist. Im Zweifel hat er innerhalb der Rechtsmittelfrist vorsichtshalber eine anderweitig gefaßte Erklärung anzufordern oder Berufung einzulegen (BSG SozR 1500 § 161 Nr 29 S 64).
§ 161 Abs 1 Satz 3 SGG verlangt von der Revisionsklägerin nicht lediglich eine Erklärung des Inhalts, daß der Zulassung der Revision zugestimmt wird. Vielmehr muß der Verfahrensgegner mit der Einlegung der Revision einverstanden sein. Zwischen beidem besteht ein „gravierender Unterschied” (Beschluß des BSG vom 5. August 1985 – 9b RU 16/84 –). Die Zulassung der Revision durch das SG ist für die Beteiligten ausschließlich vorteilhaft. Sie erweitert nämlich die Rechtsmittelmöglichkeiten gegenüber dem angefochtenen Urteil. Demgegenüber ist die Einlegung der Sprungrevision mit Risiken behaftet. Sie hat zur Folge, daß das Urteil des SG im Revisionsverfahren nur materiell-rechtlich überprüft werden kann, Verfahrensrügen also nicht zugelassen sind, so daß zB der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellt werden kann (§ 161 Abs 4 SGG). Zudem gelten die Einlegung der Sprungrevision und die Zustimmung des Gegners als Verzicht auf die Berufung, § 161 Abs 5 SGG. Während also die Zulassung der Revision die Möglichkeiten der Verfahrensbeteiligten, gegen das Urteil des SG anzugehen, erweitert, enthält die Revisionseinlegung eine doppelte Einschränkung: Auf der einen Seite wird die Einlegung der Berufung ausgeschlossen, auf der anderen Seite ist die Durchführung der Sprungrevision gemäß § 161 Abs 4 SGG gegenüber sonstigen Revisionen wesentlich eingeschränkt. Im Verfahren der Sprungrevision überprüft das Revisionsgericht grundsätzlich nur die materiell-rechtliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils (vgl zB BSG SozR 1500 § 161 Nr 26).
Die geschilderten rechtlichen Gegebenheiten schließen es in der Regel aus, die Erklärung des Prozeßgegners, er stimme der Zulassung der Sprungrevision zu, für sich genommen als ausreichende Erklärung iS des § 161 Abs 1 Satz 3 SGG anzusehen. Dies hat das BSG bereits für solche Fälle entschieden, in denen eine entsprechende Erklärung bereits vor Zulassung der Sprungrevision durch das SG abgegeben worden war (BSG SozR 1500 § 161 Nrn 3, 5 und 29; SozR 3-2200 § 1304a Nr 1 S 3). Nichts anderes gilt aber auch im vorliegenden Fall, in dem sich weder aus der angeblichen Zustimmungserklärung selbst noch aus weiteren für ihre Auslegung bedeutsamen Anhaltspunkten mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, daß die Klägerin in der Tat (auch) der Einlegung der Sprungrevision zustimmen wollte.
Die insoweit verbleibenden Zweifel hätten zwar eventuell durch den Nachweis der näheren Umstände behoben werden können (zB daß das fragliche Schreiben der Klägerin die Beklagte als Antwort auf eine Bitte um Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision erreicht hat). Eine entsprechende Klarstellung ist jedoch jedenfalls nicht innerhalb der Revisionsfrist, die auch für die Vorlage der Zustimmungserklärung maßgebend ist (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 161 SGG; BSG SozR 1500 § 161 Nr 2, BVerwG DÖV 1993, 205), erfolgt.
Die fehlende Eindeutigkeit der Erklärung wird auch nicht dadurch geheilt, daß sich die Klägerin im Revisionsverfahren nicht auf ihre fehlende Zustimmung zur Einlegung der Revision berufen hat; dieses Verhalten kann ebensowenig wie eine ausdrückliche, aber verspätet eingegangene Zustimmung deren rechtzeitige Vorlage beim BSG ersetzen.
Schließlich kann für die Auslegung der von der Beklagten eingereichten „Zustimmungserklärung” der Klägerin nicht der Umstand verwertet werden, daß die Klägerin bereits mit Schriftsatz vom 16. Mai 1991 gegenüber dem SG „einer Zulassung der Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz” zugestimmt hatte. Dabei kann offenbleiben, ob dies mit hinreichender Deutlichkeit den Schluß zuließe, daß sie mit ihrer Erklärung vom 10. Januar 1992 nur die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision erklären konnte. Denn jedenfalls lag auch der Schriftsatz vom 16. Mai 1991 erst nach Ablauf der Revisionsfrist, nämlich mit den am 12. Februar 1992 beim BSG eingegangenen Prozeßakten, dem Senat vor.
Der vorliegenden Sprungrevision fehlt es an der Zustimmungserklärung im Sinne von § 161 Abs 1 Satz 3 SGG. Infolgedessen ist die Revision nicht statthaft. Sie war als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen