Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfe. Bedürftigkeitsprüfung. Vermögensverwertung. Erbschaft. Berücksichtigungszeitraum. Teilberücksichtigung. Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung. Einkommensanrechnung. Arbeitgeberleistungen. Rückerstattungsansprüche aus Schenkungen
Leitsatz (amtlich)
- Zur Berücksichtigung von Vermögen, das durch eine Erbschaft anfällt, bei der Ermittlung von Bedürftigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe.
- Vermögen, das erst während des Arbeitslosenhilfebezugs anfällt, konnte nicht durch eine entsprechende Zweckbestimmung zum privilegierten Altersvorsorgevermögen iS der AlhiV 1974 werden.
Normenkette
SGB III § 193 Abs. 1 Fassung: 1997-12-16, Abs. 2 Fassung: 1997-12-16, § 194 Abs. 2 S. 1, § 203 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1997-03-24; AlhiV § 6 Abs. 1 Fassung: 1999-06-18, Abs. 3 S. 1 Fassung: 1999-06-18, S. 2 Nr. 3 Fassung: 1999-06-18, Abs. 4 Nr. 1 Fassung: 1999-06-18, § 8 Sätze 1-3, § 9 Fassung: 1990-10-10, § 11 Nr. 1; BGB §§ 528-529
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 4. Dezember 2003 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Im Streit ist die Zahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 15. November 1999 bis 30. April 2000.
Der verheiratete Kläger (geboren 1940) bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld (Alg) und danach seit 29. August 1998 Alhi. Im Oktober 1998 verstarb sein Vater. Der Kläger beerbte ihn mit zwei weiteren Erben zu je einem Drittel; die Erbschaft bestand ua aus einem Hausgrundstück. Im Juli 1999 wurde ein Teilerlös aus dem Verkauf des Grundstücks in Höhe von 47.704,26 DM an den Kläger ausgezahlt. Im Hinblick hierauf hob die Beklagte die Bewilligung von Alhi mit Wirkung ab 19. Juli 1999 auf und lehnte die Fortzahlung von Alhi nach Ablauf des Bewilligungszeitraums (ab 29. August 1999) ab (Bescheid vom 28. Juli 1999), weil Bedürftigkeit für insgesamt 17 Wochen fehle. Im August 1999 wurden an den Kläger aus der Erbschaft weitere 52.843,83 DM ausgezahlt.
Den Antrag des Klägers auf Wiederbewilligung der Alhi nach Ablauf der 17 Wochen (ab 15. November 1999) lehnte die Beklagte ab, weil unter Berücksichtigung der Erbschaft und des sonstigen Vermögens Bedürftigkeit für weitere 45 Wochen fehle (Bescheid vom 2. November 1999; Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2000). Der Kläger hatte zwischenzeitlich 60.000,00 DM als Festgeld angelegt. Sein Girokonto wies im November ein Guthaben von 4.599,83 DM und sein Sparbuch ein solches von 90,59 DM auf; außerdem waren Bausparvermögen von 3.795,75 DM und verschiedene Lebensversicherungen mit Abschlusssummen von 3 × 4.000,00 DM, 22.918,00 DM und 22.321,00 DM (Rückkaufswert der Lebensversicherung über 22.321,00 DM: 7.891,10 DM) vorhanden. Seinen beiden Söhnen hatte der Kläger zuvor jeweils 15.000,00 DM geschenkt.
Ab 1. Mai 2000 wurde dem Kläger wiederum Alhi bewilligt (auf Grund eines “Teilvergleichs” beim Sozialgericht ≪SG≫). Seit 1. Oktober 2000 bezieht der Kläger Altersrente in Höhe von 2.434,41 DM monatlich.
Mit der Klage hat der Kläger – wie schon im Widerspruchsverfahren – geltend gemacht, die 60.000,00 DM seien bis 17. September 2000 fest angelegt und dienten der Alterssicherung. Die Klage hatte weder erst- noch zweitinstanzlich Erfolg (Urteil des SG vom 7. Februar 2002; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 4. Dezember 2003). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, § 193 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) iVm der Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 7. August 1974 (AlhiV 1974) stehe der Gewährung von Alhi für den streitigen Zeitraum entgegen. Die vom Kläger gemachte Erbschaft in Höhe der noch vorhandenen Beträge unter Abzug des bereits angerechneten Anteils der Erbschaft in Höhe von 25.240,00 DM, eines Freibetrags von 16.000,00 DM, des Bausparvermögens und der Lebensversicherungen (beide wegen Unwirtschaftlichkeit der Verwertung) rechtfertigten eine Ablehnung der Alhi für den streitigen Zeitraum. Die Verwertung des aus der Erbschaft resultierenden Vermögens sei nicht offensichtlich unwirtschaftlich und auch zumutbar. Außerdem müssten die Schenkungen von jeweils 15.000,00 DM an die beiden Söhne berücksichtigt werden, weil diese gemäß § 528 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für den anzunehmenden Fall der Bedürftigkeit zu einem Rückforderungsanspruch gegen die Beschenkten führten. Insbesondere stehe der Verwertung der aus der Erbschaft erlangten Beträge nicht entgegen, dass sie nach dem Vortrag des Klägers zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung dienten. Ein Vermögen, das erst während des Bezugs von Alhi erworben werde, werde von der Privilegierung durch § 6 Abs 3 Satz 2 Nr 3 AlhiV 1974 nicht erfasst.
Der Kläger rügt eine Verletzung des § 193 SGB III iVm § 6 AlhiV 1974. § 6 Abs 3 Satz 2 Nr 3 AlhiV 1974 in der vom LSG zugrunde gelegten Auslegung verstoße gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Die Vorschrift der AlhiV privilegiere nicht nur bereits vor Eintritt in den Alhi-Bezug vorhandenes zur Alterssicherung bestimmtes Vermögen. Die Formulierung “zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung” sei vielmehr nur dahin zu interpretieren, dass der Sache nach der Lebensstandard im Alter gewährleistet sein solle. Es könne keinen Unterschied machen, ob das Vermögen während des Alhi-Bezugs oder vor Beginn des Alhi-Bezugs erworben worden sei. Dem widerspreche insbesondere der mit Wirkung ab 29. Juni 1999 angefügte Abs 4 des § 6 AlhiV 1974, nach dem die Angemessenheit des zur Aufrechterhaltung einer Alterssicherung bestimmten Vermögens vom vollendeten Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Ehegatten abhänge. Der Freibetrag von jeweils 1.000,00 DM steigere sich damit in jedem Jahr. Das Schonvermögen sei also nicht statisch, sondern dynamisch ausgestaltet.
Er beantragt deshalb,
das Urteil des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. November 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juli 2000 aufzuheben, soweit die Beklagte darin die Gewährung von Alhi für die Zeit vom 15. November 1999 bis 30. April 2000 abgelehnt hat, und die Beklagte zur Zahlung von Alhi für den bezeichneten Zeitraum zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Zweckbestimmung zur Alterssicherung müsse nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bereits vor dem Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung erfolgt sein. Das Vermögen durch Erbfall sei dem Kläger jedoch erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit zugeflossen. Eine entsprechende Zweckbestimmung des Klägers über dieses Vermögen könne deshalb nicht erfolgt sein.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist im Sinne der Aufhebung der LSG-Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Es fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) zur Beurteilung der Bedürftigkeit des Klägers im streitigen Zeitraum. Gegenstand des Rechtsstreits ist nur noch die Zahlung von Alhi im Zeitraum vom 15. November 1999 bis 30. April 2000. Für die nachfolgende Zeit haben die Beteiligten eine Einigung erzielt.
Anspruch auf Alhi hätte der Kläger, wenn er gemäß § 190 SGB III (vgl auch § 434b SGB III) arbeitslos war, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hat, einen Anspruch auf Alg nicht hatte, weil die Anwartschaftszeit nicht erfüllt war, die besonderen Anspruchsvoraussetzungen des § 191 SGB III (Bezug von Alg in der Vorfrist, kein Erlöschen des Alg-Anspruchs bzw Alhi-Anspruchs wegen Sperrzeit) erfüllt und wenn er bedürftig war. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Voraussetzungen der Nr 1 bis 4 der Vorschrift erfüllt sind, kann jedenfalls nicht entschieden werden, ob der Kläger im streitigen Zeitraum bedürftig (Nr 5) war.
Nach § 193 Abs 1 SGB III ist bedürftig ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Alhi nicht erreicht. Diese Voraussetzungen sind vom LSG zwar nicht ausdrücklich geprüft, in der Sache jedoch bejaht worden. Nach § 194 Abs 2 Satz 1 SGB III sind Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Alhi alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert einschließlich der Leistungen, die von Dritten beansprucht werden können. Vorliegend hat das LSG nicht näher geprüft, ob der Kläger Ansprüche gegen seinen früheren Arbeitgeber auf Aufstockung der Alhi besaß, die nicht gemäß § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III privilegiert sind. Die Ausführungen des LSG hierzu sind in der Sache nicht ganz nachvollziehbar bzw widersprüchlich und deshalb nicht bindend, wenn im Urteil ausgeführt wird, im Hinblick auf die planmäßig auf den Rentenbezug zulaufende Arbeitslosigkeit mit Aufstockung auf 85 bis 90 % des letzten Gehalts durch Zahlungen aus dem Sozialplan seien die Folgen der Arbeitslosigkeit weitgehend sozial abgefedert worden, wobei der Aufschlag in den letzten drei Jahren einer Abfindungssumme von 8.000,00 DM entsprochen habe. Nach dieser Formulierung dürfte zwar davon auszugehen sein, dass der Kläger, wie er selbst vorträgt, für den streitigen Zeitraum tatsächlich keine Leistungen vom Arbeitgeber erhalten hat. Dies ist jedoch für die Beurteilung der Bedürftigkeit nach § 194 Abs 2 Satz 1 SGB III ohne Bedeutung, weil bereits der Anspruch auf die Arbeitgeberleistung die Bedürftigkeit ausschließen würde. Dem stünde auch nicht § 203 SGB III – Gleichwohlgewährung von Alhi – (idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997) entgegen; danach kann die Beklagte Alhi ohne Rücksicht auf die Leistungen Dritter erbringen, solange und soweit der Arbeitslose diese Leistungen nicht erhält. Voraussetzung dafür ist jedoch zumindest, dass der Arbeitslose entsprechende Leistungen überhaupt geltend gemacht hat; sonst kann von einem Nichterhalt nicht gesprochen werden (im Ergebnis: Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, K § 203 RdNr 21 ff, Stand Februar 2003). Hiervon ist nach dem eigenen Vortrag des Klägers nicht auszugehen. Gleichwohl wird das LSG nähere Untersuchungen durchzuführen und entsprechende Feststellungen zu treffen haben. Der Ausschluss fehlender Bedürftigkeit wegen zu berücksichtigenden Einkommens ist im Hinblick auf die Fiktion fehlender Bedürftigkeit nach § 9 AlhiV 1974 für einen bestimmten Zeitraum (dazu BSGE 88, 252 ff = SozR 3-4300 § 193 Nr 2) vor der Bedürftigkeitsprüfung wegen vorhandenen Vermögens zu prüfen. Denn nach Sinn und Zweck des § 9 AlhiV 1974 in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung wird unterstellt, dass der Arbeitslose in dem bezeichneten Zeitraum sein Vermögen verwertet. Diese Annahme ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn nicht bereits fehlende Bedürftigkeit auf Grund der Berücksichtigung von Einkommen zu bejahen ist. § 9 AlhiV 1974 greift also erst und nur insoweit ein, als Bedürftigkeit nicht bereits wegen des Einkommens fehlt.
Nicht unter § 194 Abs 2 Satz 1 SGB III fallen mögliche Ansprüche des Klägers gemäß §§ 528, 529 BGB gegen seine Söhne wegen der Schenkung von jeweils 15.000,00 DM. Diese 30.000,00 DM stammen nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG aus der Erbschaft, die als solche Vermögen darstellt (dazu später). Durch die teilweise Umschichtung wird der aus dem Vermögen stammende Erlös nicht zum (vorübergehenden) Einkommen (BSGE 46, 271, 272 f = SozR 4100 § 138 Nr 3). Anders ausgedrückt: Einnahmen aus der Veräußerung von Erbschaftsgegenständen werden nicht zunächst für den Bezugsmonat zu Einkommen, sondern behalten den Charakter von Vermögen. Nichts anderes kann dann für evtl Rückerstattungsansprüche des Klägers gegen seine Söhne nach §§ 528, 529 BGB gelten, die ohnedies gemäß § 11 Nr 1 AlhiV 1974 nicht als Einkommen gelten (vgl BSG SozR 4100 § 138 Nr 25 S 137 f).
Fehlt es nicht bereits an der Bedürftigkeit wegen zu berücksichtigenden Einkommens, wird das LSG die Bedürftigkeit des Klägers im Hinblick auf zu berücksichtigendes Vermögen zu prüfen haben. Nach § 193 Abs 2 SGB III (idF des 1. SGB III-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997) ist nicht bedürftig ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder das Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist. Diese Vorschrift wird konkretisiert durch § 6 der AlhiV 1974 (idF, die die Norm durch die 6. Verordnung zur Änderung der AlhiV vom 18. Juni 1999 – BGBl I 1433 – mit Wirkung ab 29. Juni 1999 erhalten hat). Abs 1 dieser Vorschrift sieht einen generellen Freibetrag für jeden Ehegatten in Höhe von 8.000,00 DM vor. Ansonsten ist das Vermögen zu berücksichtigen, soweit es verwertbar und seine Verwertung zumutbar ist. Eine Verwertbarkeit ist nach Abs 2 anzunehmen, soweit es verbraucht, übertragen oder belastet werden kann; sie ist ausgeschlossen, wenn der Inhaber in der Verfügung beschränkt ist und die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen kann. Nach Abs 3 ist die Verwertung zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen billigerweise erwartet werden kann (allgemeine Härtefallklausel). Abs 3 Satz 1 sieht über diese allgemeine Härtefallklausel hinaus besondere Privilegierungstatbestände für bestimmte Vermögensgegenstände vor. Insbesondere ist eine Verwertung von Vermögen nicht zumutbar, das zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt ist. Abs 4 regelt hierzu näher, dass eine entsprechende Bestimmung dann vorliegt, wenn der Arbeitslose und sein nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte das Vermögen nach dem Eintritt in den Ruhestand zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verwenden wollen und einer der Bestimmung entsprechende Vermögensdisposition getroffen haben (Nr 1). Angemessen ist die Alterssicherung nach Nr 2 des Abs 4, soweit das Vermögen 1000,00 DM je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten nicht übersteigt.
Bei der Berücksichtigung des Vermögens ist nach § 8 AlhiV 1974 der Verkehrswert ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen. Nach § 9 AlhiV 1974 besteht Bedürftigkeit nicht für die Zahl voller Wochen, die sich aus der Teilung des zu berücksichtigenden Vermögens durch das Arbeitsentgelt ergibt, nach dem sich die Alhi richtet. Die Bedeutung des § 9 AlhiV 1974 liegt insbesondere darin, dass im Gegensatz zu der am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen AlhiV 2002 nach Ablauf des nach § 9 AlhiV 1974 berechneten Zeitraums das vorhandene Vermögen unabhängig davon als verbraucht gilt, ob es später noch ganz oder teilweise vorhanden ist (BSGE 88, 252 ff = SozR 3-4300 § 193 Nr 2) und der Anfall des Vermögens als solcher bereits unabhängig davon, ob es erst später “versilbert” wird, die Bedürftigkeit entfallen lässt, wenn Verwertbarkeit vorliegt und die Verwertung zumutbar ist (BSG SozR 4100 § 138 Nr 25 S 139).
Dies haben die Beklagte und das LSG übersehen. Das LSG hätte bei seiner Entscheidung prüfen müssen, aus welchen Quellen die vorhandenen einzelnen Vermögensgegenstände stammen und ob und wann und in welcher Höhe insoweit Verwertbarkeit und Zumutbarkeit der Verwertung ggf bereits zuvor eingetreten sind. Dies gilt vor allem für die 1998, also während des laufenden Alhi-Bezugs, angefallene Erbschaft. In Höhe ihres Verkehrswertes (§ 8 AlhiV 1974) führte sie – zumutbare Verwertbarkeit vorausgesetzt – ggf bereits zu einem früheren Zeitpunkt als zum 19. Juli 1999 zu einer fehlenden Bedürftigkeit. Die Auszahlung von Veräußerungsgewinnen einzelner Erbschaftsgegenstände stellt dann keine neue Vermögensvermehrung dar, soweit sie nicht den früheren Verkehrswert der bereits zumutbar verwertbaren Erbschaft überstieg (§ 8 Satz 2 und 3 AlhiV 1974). Dies ist in der AlhiV 1974 im Gegensatz zur AlhiV 2002, in der eine § 9 AlhiV 1974 vergleichbare Regelung nicht mehr enthalten ist, so angelegt.
Es mag uU zulässig sein, mit Rücksicht auf tatsächliche Unklarheiten etwa bei der Ermittlung des Wertes von zugeflossenem Vermögen oder aus sonstigen Praktikabilitätsgründen zunächst nur Teile vorhandenen Vermögens bei der Entscheidung über die Alhi zu berücksichtigen, wenn dies in dem Bescheid erkennbar verfügt wird, um erst in einem späteren Schritt das restliche, nicht als verbraucht geltende (§ 9 AlhiV 1974) Vermögen zu berücksichtigen. Diese rechtliche Möglichkeit umfasst jedoch nicht die Befugnis, den Berücksichtigungszeitraum zu verschieben, der von § 8 Satz 2 und 3 AlhiV 1974 zwingend vorgeschrieben ist (s dazu BSG SozR 4100 § 138 Nr 25 S 138). Anders gewendet: Die Beklagte besitzt nicht die Befugnis, auf die Berücksichtigung eines (zumutbar) verwertbaren Vermögens zunächst zum Teil zu verzichten, um erst mit Wirkung ab einem späteren Zeitpunkt unter Rückgriff auf diese Teile die Alhi zu “versagen”; dies gilt auch dann, wenn das Vermögen zunächst nur aus einem Recht oder Rechten bestand, die erst später durch Verwertung “versilbert” worden sind.
Ob die Beklagte die Alhi-Bewilligung für die Zeit vor dem 19. Juli 1999 bzw den Ablehnungsbescheid über die Weiterbewilligung von Alhi ab 29. August 1999 noch zurücknehmen kann, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Das LSG wird nur zu prüfen haben, wie lange die Bedürftigkeit unter Berücksichtigung des § 9 AlhiV 1974 bereits vor dem hier streitigen Zeitraum nicht vorlag. Dabei wird es bei der Anwendung des § 9 AlhiV 1974 zu unterscheiden haben zwischen der Zeit, in der ggf Alhi trotz fehlender Bedürftigkeit bezogen worden ist und der Zeit, ab der die Wiederbewilligung von Alhi beantragt worden ist. Nach § 9 AlhiV 1974 misst sich nämlich die Dauer der fehlenden Bedürftigkeit an dem Bemessungsentgelt, nach dem sich die Alhi richtet. Während des Bezugs der Alhi entspricht es Sinn und Zweck der Regelung, dass auf das Bemessungsentgelt abgestellt wird, das der Alhi-Bewilligung tatsächlich zu Grunde gelegen hat. Für die Zeit der Wiederbewilligung der Alhi (ab 29. August 1999) hat das LSG jedoch das Bemessungsentgelt selbst zu überprüfen. Denn nach der Rechtsprechung des BSG sind die Voraussetzungen der Alhi mit Beginn eines neuen Bewilligungszeitraums in vollem Umfang zu überprüfen (BSGE 86, 182, 184 = SozR 3-1200 § 45 Nr 9; s auch Spellbrink in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 13 RdNr 248 mwN).
Nur soweit zu Beginn des streitigen Zeitraums noch Vermögen vorhanden war, das nicht bereits fiktiv als verbraucht galt, stellen sich die vom Kläger aufgeworfenen Fragen zu § 6 Abs 3 Satz 2 Nr 3 iVm Abs 4 AlhiV 1974 (Privilegierung als Altersvorsorgevermögen). Insoweit hat der Senat mit Urteil vom 22. Oktober 1998 (BSGE 83, 88, 93 = SozR 3-4220 § 6 Nr 6) entschieden, dass im Hinblick auf die Formulierung “Aufrechterhaltung” der mit dem vorhandenen Vermögen erstrebten Alterssicherung auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung (damit auch vor Bezug der Alhi) abzustellen ist. Die erforderliche Zweckbestimmung kann mithin nicht erst während des Alhi-Bezugs erfolgen. Hierzu hat das LSG in seiner Entscheidung keine Feststellungen getroffen, während der Kläger vorträgt, er habe schon vor Anfall der Erbschaft vorgesehen, diese für die Alterssicherung zu verwenden. Ob dies richtig ist, kann jedoch dahinstehen. Denn unabhängig davon liegen die Voraussetzungen der Vorschrift deshalb nicht vor, weil, wie das LSG zu Recht entschieden hat, die Norm nicht angewandt werden kann, wenn das Vermögens erst während des Alhi-Bezugs erworben wird. Dies ergibt sich zwar noch nicht zwingend aus der Entscheidung des Senats vom 22. Oktober 1998, jedoch aus Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Regelung.
Bereits die Formulierung in § 6 Abs 3 Satz 2 Nr 3 AlhiV 1974 (“Aufrechterhaltung”) spricht hierfür. Es ist anzunehmen, dass der Verordnungsgeber die Formulierung mit Bedacht gewählt hat, sieht man sich die einzelnen Privilegierungstatbestände näher an. Dort ist nämlich durchaus bei den jeweiligen Zweckbestimmungen terminologisch unterschieden zwischen Aufbau, Sicherung, Aufrechterhaltung, Aufnahme oder Fortsetzung oder alsbaldigem Erwerb. Aufrechterhalten werden kann indes nur etwas, was bereits im Ansatz vorhanden ist.
Hinzu kommt, dass der Verordnungsgeber mit der Änderung der AlhiV 1974 mit Wirkung ab 18. Juni 1999 auf die Entscheidung des Senats vom 22. Oktober 1998 reagieren und mit Abs 4 gerade eine praktikablere Lösung wählen wollte, als sie im Urteil des Senats angeboten worden ist (Spellbrink aaO, RdNr 218). Dem Verordnungsgeber war die Ansicht des Senats bekannt, die Zweckbestimmung müsse bereits vor dem Alhi-Bezug vorgenommen worden sein. Vor diesem Hintergrund ist die Regelung des § 6 Abs 4 Nr 1 AlhiV 1974 zu sehen, die zusätzlich zur Zweckbestimmung eine entsprechende Vermögensdisposition verlangt. Auch diese muss dann aber nach dem Willen des Verordnungsgebers zur Verhinderung von möglicher Manipulation vor dem Alhi-Bezug vorgenommen worden sein. Vermögensdispositionen können aber erst getroffen werden, wenn Vermögen überhaupt vorhanden ist; dies war vorliegend vor dem Erbfall nicht zu bejahen.
Zudem entspricht es dem Sinn des Alhi-Rechts, nur den bestehenden Lebensstandard zu erhalten (dazu die Entscheidungen des Senats vom 9. Dezember 2004 – B 7 AL 24/04 R, B 7 AL 22/04 R und B 7 AL 44/04 R). Der Verordnungsgeber akzeptiert mithin einen “Besitzstand” nur, wenn der Alhi-Empfänger bereits vor dem Alhi-Bezug Vermögen für die Alterssicherung angelegt hat; er ist jedoch nicht – auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Art 3 Abs 1 GG – gezwungen, Vermögen zum Aufbau einer Alterssicherung zur privilegieren, das erst während des Bezugs der Alhi erworben wird. Insoweit liegt ein hinreichender sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung der betroffenen Personengruppen vor.
Bei der Höhe des verwertbaren Vermögens wird das LSG ggf die §§ 528, 529 BGB zu berücksichtigen haben. Zu den Voraussetzungen der Rückerstattungsansprüche gegen die Söhne fehlen jedoch die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG). Es fehlen außerdem Feststellungen, ob, selbst wenn Ansprüche gegen die beiden Söhne auf Rückerstattung der Schenkungen in Höhe von jeweils 15.000 DM zu bejahen sind, dieses Vermögen überhaupt verwertbar, also tatsächlich realisierbar ist. Andererseits scheidet eine Gleichwohlgewährung nach § 203 Abs 1 Satz 1 SGB III aus, weil der Kläger nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen die Erstattungsansprüche gegen seine Söhne nicht geltend gemacht hat. In diesem Fall kann die Beklagte auch nicht als Ermessensleistung gleichwohl Alhi erbringen, wie bereits oben dargelegt wurde; denn Voraussetzung des § 203 Abs 1 Satz 1 SGB III ist, dass der Arbeitslose Leistungen, auf die er einen Anspruch hat, nicht erhält, nicht, dass er diese nicht geltend macht.
Das Urteil des LSG enthält im Übrigen keinerlei tatsächliche Feststellungen zur zumutbaren Verwertbarkeit des Bausparvertrags und der Lebensversicherungen. Der Senat kann nicht nachprüfen, weshalb deren Verwertung, wie das LSG ausgeführt hat, offensichtlich unwirtschaftlich ist (§ 6 Abs 3 Satz 1 AlhiV 1974). Zu Recht hat das LSG jedoch die Voraussetzungen des § 6 Abs 3 Satz 1 AlhiV 1974 im Sinne der allgemeinen Härtefallregelung verneint. Es ist nicht erkennbar, dass die Verwertung des vorhandenen Vermögens billigerweise nicht erwartet werden kann. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Alterssicherung des Klägers. Dieser bezieht eine gesetzliche Altersrente in Höhe von über 2.400 DM. Andererseits war er offenbar in der Lage, die Zeit vom 19. Juli 1999 bis 14. November 1999 ohne wesentlichen Verbrauch des Erbschaftsvermögens zu überbrücken und vom Erbschaftsvermögen insgesamt noch 30.000 DM zu verschenken.
Das LSG wird außerdem über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1368725 |
NZS 2006, 140 |
NZS 2006, 49 |
SGb 2005, 282 |
SGb 2006, 163 |
SozR 4-4300 § 193, Nr. 4 |