Leitsatz (amtlich)
1. RVO § 318c (Festsetzung des Grundlohns nach Vergleichswerten) ist nur anwendbar, wenn die KK wegen Nichterstattung der erforderlichen Meldungen durch den Arbeitgeber (RVO § 317 ff) den Grundlohn seiner Beschäftigten nicht kennt und deshalb Beiträge nach den allgemeinen Vorschriften nicht berechnet werden können.
2. Legt eine KK gegen ein Urteil, das ihren - zugleich für andere Versicherungsträger als deren Einzugsstelle erlassenen - Beitragsbescheid aufgehoben hat, ein nicht ausdrücklich auf einen Versicherungszweig beschränktes Rechtsmittel ein, dann wirkt dieses auch für die übrigen Versicherungsträger.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Festsetzung des Grundlohns nach RVO § 318c ist keine nur einer beschränkten richterlichen Nachprüfung unterliegende Ermessensentscheidung; im Sozialgerichtsverfahren ist deshalb auch zu prüfen, ob der festgesetzte Grundlohn dem Entgelt gleichartiger Versicherter entspricht.
2. Die aufgrund des RVO § 318c festgesetzten Grundlöhne gelten nach RVO § 1400, AVG § 122 und AFG § 175 auch für die Bemessung der Rentenversicherungs- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge.
Normenkette
RVO § 318c Fassung: 1911-07-19, § 1399 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, § 1400; AVG § 122; AFG § 175
Tenor
1. Auf die Revision der beklagten Krankenkasse wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Oktober 1966 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
2. Die Revision des Klägers wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Revisionsverfahren sind insoweit nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger wendet sich gegen eine Beitragsnachforderung der beklagten Krankenkasse aus dem Jahre 1962, die diese wie folgt begründet: Der Kläger habe seit Jahren Putzfrauen beschäftigt und mit ihnen für eine Wohnungsbaugesellschaft (GAG) die Reinigung von Neubauten durchgeführt, seit Ende Oktober 1957 aber keine Sozialversicherungsbeiträge mehr entrichtet; nach den bisherigen Ermittlungen habe er in den Jahren 1959 bis 1961 Lohnsummen von 14.417 DM, 20.347,50 DM und 25.134 DM, zusammen 59.898,50 DM ausgezahlt; nach § 318 c der Reichsversicherungsordnung (RVO) würden die dafür fälligen Beiträge auf 15.000 DM geschätzt (Bescheid vom 29. März 1962 und Widerspruchsbescheid vom 25. November 1963).
Der Kläger bestreitet, seit Februar 1958 als Unternehmer für die ... tätig geworden zu sein; er sei vielmehr selbst deren Arbeitnehmer gewesen und habe lediglich den anderen Beschäftigten den Lohn ausgezahlt.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. Juni 1965). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und ausgeführt: Eine "Schätzung" der Beiträge nach § 318 c RVO sei nur zulässig, wenn die ... Krankenkasse mangels fristgemäßer Meldung des Arbeitgebers die Höhe des von seinen Beschäftigten erzielten Entgelts nicht feststellen könne; Person und Beschäftigungszeit der einzelnen Arbeitnehmer müßten ihr dann aber bekannt sein, denn Sozialversicherungsbeiträge könnten nur für bestimmte Arbeitnehmer und bestimmte Beschäftigungszeiten gefordert werden. Da die Beklagte insoweit keine Feststellungen getroffen habe, sei § 318 c RVO hier nicht anwendbar. Im übrigen habe die Beklagte auf Grund von Unterlagen der ... und von Angaben des Klägers den an die Reinigungskräfte gezahlten Stundenlohn gekannt, so daß auch deswegen für eine Schätzung des Grundlohnes kein Raum gewesen sei (Urteil vom 26. Oktober 1966).
Die beklagte Krankenkasse rügt mit der zugelassenen Revision, das LSG habe den Sinn des § 318 c RVO verkannt; diese Bestimmung wolle der Krankenkasse im Interesse der Versichertengemeinschaft eine vorläufige Beitragsfestsetzung - ohne Einleitung langwieriger Ermittlungen - ermöglichen; soweit sie die Krankenkasse bei einer zu hohen Schätzung von einer Rückzahlungspflicht befreie, habe sie die Wirkung einer Ordnungsstrafe. Für ihre Anwendung müsse es nach Wortlaut und Zweck genügen, wenn die Krankenkasse, wie hier die Beklagte, die Gesamtzahl der Beschäftigten und ihre Gesamtbeschäftigungsdauer kenne. Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) hat keine Revision eingelegt; aus diesem Grunde hält sie das Urteil des LSG für rechtskräftig, soweit Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter vom Kläger nachgefordert worden sind.
Die beigeladene Bundesanstalt für Arbeit (BA) ist der Rechtsauffassung der beklagten Krankenkasse beigetreten; mit Rücksicht auf deren Revision sei das angefochtene Urteil für alle Versicherungszweige nicht rechtskräftig geworden.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten. Er hat privatschriftlich gegen das Urteil des LSG Revision eingelegt, weil er sich ebenfalls beschwert fühlt.
II
Wie die beigeladene BA zutreffend ausgeführt hat, ist das Urteil des LSG infolge der Revision der beklagten Krankenkasse auch insoweit nicht rechtskräftig geworden, als das LSG über die Entrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung der Arbeiter und zur Arbeitslosenversicherung entschieden hat. Macht eine Krankenkasse neben eigenen Beitragsansprüchen solche anderer Versicherungsträger als deren Einzugsstelle geltend (§§ 1399 RVO, § 121 AVG, 160 AVAVG, 176 AFG) und wird ihr "Gesamtbescheid" angefochten, so hat sie ihn im Prozeß im eigenen Namen zu verteidigen (§ 1399 Abs. 3 RVO, § 121 Abs. 3 AVG, § 182 Abs. 1 AFG, jeweils letzter Halbsatz). Ihrer Zuständigkeit zum Erlaß des Verwaltungsaktes für alle beteiligten Versicherungsträger entspricht mithin eine umfassende Prozeßführungsbefugnis, die das Recht zur Einlegung von Rechtsmitteln einschließt. Daran ändert auch die - nach § 75 Abs. 2 SGG notwendige (BSG 15, 118) - Beiladung der anderen Versicherungsträger nichts. Als Beigeladene können sie zwar, soweit es sich um ihre eigenen Beitragsforderungen handelt, ebenfalls Rechtsmittel einlegen (§ 75 Abs. 4 SGG) und müssen u.U. sogar, wenn die Berufungsinstanz durch Einlegung der Sprungrevision übergangen werden soll, dazu ihre Einwilligung geben (BSG 24, 138, 141). Durch die beschränkte Rechtsmittelbefugnis der beigeladenen Versicherungsträger wird jedoch die umfassende Prozeß- und Rechtsmittelbefugnis der Krankenkasse nicht geschmälert (BSG 20, 6, 7). Nur wenn sie selbst kein Rechtsmittel einlegt, wird das Urteil insoweit rechtskräftig, als es nicht von einem der übrigen Versicherungsträger angefochten wird (BSG 17, 1, 2; 19, 265, 266). Legt sie dagegen, wie hier, ein - nicht ausdrücklich auf einen Versicherungszweig beschränktes - Rechtsmittel ein, dann hemmt dieses den Eintritt der Rechtskraft für das ganze Urteil.
Die Revision der beklagten Krankenkasse ist auch begründet. Die Erwägungen, aus denen das LSG die angefochtenen Bescheide aufgehoben hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis nicht stand.
Der Senat tritt dem LSG allerdings darin bei, daß die Nachforderung der Beklagten nicht durch § 318 c RVO gedeckt wird. Nach dieser - im Jahre 1923 in die RVO eingefügten - Vorschrift, die über § 1400 RVO auch für die Rentenversicherung gilt, kann die Krankenkasse, wenn ein Arbeitgeber trotz Aufforderung die erforderliche Meldung nicht fristgerecht erstattet, für seine Beschäftigten bis zur ordnungsmäßigen Meldung den Grundlohn in der Höhe festsetzen, die für Versicherte der gleichen Art in Betrieben gleicher Art gilt, und alsdann - ohne Pflicht zur Rückerstattung - die entsprechenden Beiträge erheben. Damit soll der Krankenkasse eine Berechnung der Beiträge auch in den Fällen ermöglicht werden, in denen der Arbeitgeber seinen Meldepflichten nicht nachgekommen ist und ihnen möglicherweise, etwa für schon länger zurückliegende Zeiträume, wegen Fehlens von Beschäftigungsunterlagen nicht mehr nachkommen kann, so daß ein Vorgehen der Krankenkasse nach § 318 a RVO (Erzwingung der Auskunftserteilung) keine Aussicht auf Erfolg bietet. Auch bei Anwendung des § 318 c RVO darf die Krankenkasse indessen die Höhe des Grundlohnes und der entsprechenden Beiträge (vgl. § 385 Abs. 1 Satz 2 RVO) nicht nach eigenem Ermessen festsetzen, sondern hat dabei diejenigen Werte zugrunde zu legen, die für gleichartige Versicherte anderer Betriebe gelten. Erweisen sich die von ihr ermittelten Vergleichswerte, deren Richtigkeit von den Gerichten voll nachprüfbar ist, später als höher als die vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlten Entgelte, braucht die Krankenkasse die zuviel erhobenen Beiträge nicht zurückzuerstatten. Mit dieser in erster Linie aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung getroffenen Regelung ist der Krankenkasse, entgegen der Ansicht der Revisionsklägerin, keine Ordnungsstrafbefugnis verliehen worden, weil sie in jedem Fall an die von ihr ermittelten Werte gebunden ist. Wenn sie die Verletzung von Meldepflichten des Arbeitgebers mit einer Ordnungsstrafe ahnden und daneben "Strafbeiträge" erheben will, bleibt ihr nur der Weg über §§ 530 f RVO.
Ist § 318 c RVO hiernach lediglich eine "Ersatzregelung" für den Fall, daß die Krankenkasse wegen unterbliebener Meldung des Arbeitgebers den Grundlohn seiner Beschäftigten nicht kennt und deshalb für sie die Beiträge nicht berechnen kann, dann ist die Vorschrift ihrer Funktion nach nicht anwendbar, wenn der Kasse die für die Bemessung der Beiträge erforderlichen Ausgangswerte, insbesondere die gezahlten Entgelte, auf andere Weise als durch Meldung des Arbeitgebers bekannt geworden sind (vgl. hierzu Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 318 c Anm. 4 RVO). Eine Anwendung des § 318 c RVO ist in einem solchen Falle auch dann nicht gerechtfertigt, wenn infolge des Verhaltens des Arbeitgebers zweifelhaft ist, ob die (der Höhe nach feststehenden) Arbeitsentgelte für eine versicherungspflichtige Beschäftigung gezahlt worden sind oder aus sonstigen Gründen nicht oder nicht voll der Beitragspflicht unterliegen. Um Zweifel dieser Art zu beheben, steht das Verfahren nach § 318 c RVO nicht zur Verfügung, wie schon daraus erhellt, daß es insoweit keiner Ermittlung von Vergleichswerten zum Zwecke der Grundlohnfestsetzung bedarf.
Ob andererseits eine Grundlohnfestsetzung nach § 318 c RVO stets die namentliche Ermittlung der einzelnen Beschäftigten und die kalendermäßige Feststellung ihrer Beschäftigungszeiten voraussetzt, wie das LSG angenommen hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden; denn § 318 c RVO war hier schon deswegen nicht anwendbar, weil die Beklagte auf Grund von Unterlagen der ... und von Angaben des Klägers den Gesamtbetrag des von ihm in den Jahren 1959 bis 1961 ausgezahlten Arbeitsentgelts genau ermittelt hatte und danach die Beiträge hätte berechnen können.
Daraus folgt jedoch - entgegen der Ansicht des LSG - noch nicht, daß die Beitragsforderung der Beklagten unbegründet und der gegen den Kläger erlassene Bescheid rechtswidrig ist. Die Frage der Rechtswidrigkeit dieses Bescheides ist nach allen in Betracht kommenden Rechtsnormen, nicht allein nach derjenigen zu beurteilen, auf die die Beklagte den Bescheid gestützt hat. So könnte der Kläger als Arbeitgeber nach den allgemeinen Vorschriften (vgl. § 393 RVO) zur Entrichtung der geforderten Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet sein. Insofern muß jedoch noch geklärt werden, ob er während der fraglichen Jahre wirklich der Arbeitgeber der Reinigungskräfte war oder nicht vielmehr nur für die ... als den eigentlichen Arbeitgeber bestimmte Aufgaben, insbesondere die Auszahlung des Lohns, übernommen hatte. Außerdem ist noch zu prüfen, ob die Reinigungskräfte versicherungspflichtig beschäftigt waren. Um dem LSG Gelegenheit zu geben, die insoweit erforderlichen Feststellungen nachzuholen, hat der Senat den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Die Revision des Klägers ist unzulässig, da sie nicht durch einen beim Bundessozialgericht zugelassenen Prozeßbevollmächtigten (§ 166 SGG) eingelegt worden ist. Das Armenrecht hat der Kläger in den von ihm eingereichten Schriftsätzen nicht beantragt und auch ein Armutszeugnis nicht vorgelegt. Schon deswegen hat der Senat über eine Gewährung des Armenrechts an ihn nicht zu entscheiden brauchen. Für seine eigene Revision hätte ihm das Armenrecht auch mangels Erfolgsaussicht nicht gewährt werden können.
Über die Kosten der Revision des Klägers hat der Senat nach § 193 SGG entschieden, im übrigen hat er die Kostenentscheidung dem LSG vorbehalten.
Fundstellen